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Schlaglichter 1984/1994

Mit der Stimme von Johnny Cash bin ich groß geworden. Ich sammelte Schallplatten des Sängers, allerdings ausgerechnet, als das Sternbild des ›Man in Black‹ bereits fast völlig hinter dem Horizont verschwunden war. In den 1980er Jahren hatte ich es nicht leicht, denn wer hörte damals im Alter von 12 oder 14 Jahren schon Country? Also gab es nur zwei Möglichkeiten: entweder den Musikgeschmack zu verschweigen oder offen zu bekennen, dass sich Johnny-Cash-Scheiben auf meinem Plattenteller drehten, selbst auf die Gefahr hin, vor Scham im Boden zu versinken. Eine Szene wie in Cashs »A Boy Named Sue«?: »Some girls giggled and I turned red.«

Damals waren New Wave, Neue Deutsche Welle oder New Romantic angesagt. Vereinzelt traf man auf Punks. Man identifizierte sich aber vor allem über seine Stars in den Charts: Als junger Cash-Fan stand ich also auf verlorenem Posten, denn Johnny Cash tauchte überhaupt nicht mehr in den Charts auf. Für die Musikkritiker oder Radiosender existierte er allenfalls am Rande als betagte, angestaubte Legende.

1983 verfolgte ich Cashs Aufritt bei Wetten dass, für viele ein Desaster. Ich bekam die Häme meiner Klassenkameraden zu spüren: »Was, den findest du gut?« Aus der Rückschau trägt er die Songs an sich ganz ordentlich vor, schlimm nur der Part, als er lang und weitschweifig erklärt – und das in furchtbarem Deutsch –, dass seine Frau zusammengebrochen sei, die am Abend eigentlich mit ihm hätte auftreten sollen (auch Talkmaster Frank Elstner war überrascht). In Erinnerung bleibt der auf Deutsch radebrechende Cash, der schließlich nach dem zweiten Song theatralisch auf die Knie sinkt, als er sich beim deutschen Publikum bedankt. Stand er unter Einfluss von Amphetaminen, Schmerztabletten oder Alkohol? Die Wahrheit liegt wohl irgendwo in der Mitte.

Unabhängig vom Wetten dass-Auftritt war es in Deutschland unter jungen Leuten einfach nicht cool, Country zu hören. Diese Musikrichtung wurde 1 zu 1 mit Schlagern oder Volksmusik gleichgesetzt, Country war Festzeltfrohsinn, Strass, übergroße Hüte wie der von Tom Astor oder höchstens noch die deutschsprachig singende Band Truck Stop.

Zehn Jahre können im Musikgeschäft einen gewaltigen Unterschied ausmachen. 1994 feierte Johnny Cash sein Comeback auf Rick Rubins Label American Recordings, und endlich wurde dem Sänger mit der markanten Stimme wieder die Aufmerksamkeit zuteil, die er als Künstler verdiente. Rückblickend wäre es sicher cooler gewesen, Mitte der 1990er Jahre bekennender Cash-Fan zu sein (spätestens seit dem Video »Delia’s Gone« mit dem Supermodel Kate Moss als hingemordete Frau in offener Grube auf sturmumtostem Friedhof lag ihm die noch junge MTV-Gemeinde zu Füßen). Aber ich hatte durchgehalten, hatte während der langen Durststrecke des Künstlers weiter Platten gesammelt und wurde am Ende belohnt: Alle Welt hörte plötzlich wieder Johnny Cash. Es war cool, über die Alben zu philosophieren, die Rick Rubin produzierte. Cool auch die schwarz-weiß gehaltenen Cover, die mit dem Stempel CASH daherkamen – fort war der Johnny.

Auch wer also erst 1994 auf den ›Man in Black‹ aufmerksam wurde und sich dem Spätwerk näherte, kam auf seine Kosten. Denn alle Alben der American-Reihe sind grandios produziert und bieten wunderbare Songs. Die eindrucksvollen Coverversionen hätte man dem Altstar womöglich gar nicht mehr zugetraut. Hand aufs Herz, wer hätte schließlich gedacht, dass Cash »Rusty Cage« von Soundgarden, »Personal Jesus« von Depeche Mode oder »Hurt« von Nine Inch Nails singen könnte?

Wie hätten wohl Elvis, Jim Morrison oder Kurt Cobain im Alter geklungen? Was für Material hätten Künstler wie Jimi Hendrix oder Janis Joplin mit 60 oder 70 ausgewählt? Im Fall von Johnny Cash weiß man es: Die Stimme war über die Jahre tiefer und ausdrucksstärker geworden, aber auch brüchiger.

Wie kaum ein anderer Künstler reifte Cash im Alter wie ein guter Wein.

Johnny Cash. 100 Seiten

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