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Barbara Becker

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Als junger Werber in Düsseldorf habe ich mal mit dem berühmten Fotografen Ross Feltus zusammengearbeitet. Der Mann hatte immerhin für die „Sunday Times“ gearbeitet, für den „Stern“, für Rodenstock. Er war eine Klasse für sich in dieser Zeit. Sein feines Lächeln ist mir in Erinnerung geblieben. Obgleich er ein eher zurückhaltender Charakter war, „besetzte“ er mit seinem Charisma den Raum. Er war einfach da, war präsent!

Barbara Feltus, die heute Barbara Becker heißt, wird dies von ihm geerbt haben. Man kann sich ihrem Charme nicht entziehen; sie zieht einen vielmehr in ihren Bann. Barbara Schöneberger gibt freimütig zu: „In die Frau habe ich mich verliebt.“ Nachvollziehen kann ich es. Und … ich habe mit ihr eine Premiere erlebt: Über 60 Frauen habe ich für die FRAUENGESCHICHTEN porträtiert. Jede dieser Frauen durfte drei Musikstücke mitbringen, die in ihrem Leben eine Rolle gespielt haben. Alle Frauen haben, während sie „ihre“ Songs gehört haben, vielleicht ein wenig gelächelt, sich an etwas erinnernd, hie und da etwas gesagt. Barbara Becker war die erste Frau, die bei mir zu Gast war, die aufstand und … tanzte! Mit sich selbst. Sehr sinnlich. Und das an einem grauen Samstagmorgen im Hörfunkstudio des NDR an der Rothenbaumchaussee. Das heißt was!


Ich freu mich unglaublich, Barbara Becker gibt mir die Ehre, herzlich willkommen, Barbara.

Danke, Hubertus!

Liebe Barbara, es ist ein grauer Samstagmorgen in Hamburg. Wir haben gestern Abend gemeinsam mit Barbara Schöneberger die NDR Talk Show aufgezeichnet. Wenn ich spätnachts nach Hause fahre, dann denke ich noch mal über meine Gesprächspartner nach. Auch über dich habe ich nachgedacht und mich gefragt, wer ist diese Barbara Becker? Und da man sich ja vor Assoziationen nicht schützen kann, kam mir der Gedanke, dass sie vermutlich eine Suchende ist, eigentlich sogar ein suchendes Kind. Ist das pathetisch oder habe ich vielleicht recht?

Du hast sicher recht und ich habe gerade schon überlegt, ob ich dich unterbreche. Wer ist diese Barbara Becker? Vielleicht kannst du mich anrufen, wenn du es weißt, dann gebe ich dir meine Nummer. Tatsächlich weiß ich heute mehr über mich als noch vor einem Jahr beziehungsweise vor 10 oder 20 Jahren. Aber ich bin wirklich noch auf der Suche, um herauszufinden, wer ich bin und was ich will … und was das alles hier soll.

» Ich bin wirklich noch auf der Suche, um herauszufinden, wer ich bin und was ich will. «

Auf das Kind Barbara sind wahnsinnig viele Eindrücke eingeströmt. Du bist in Heidelberg geboren, übrigens ist ein anderer Amerikaner – das wissen die wenigsten –, der große Jackson Browne, „Running on Empty“, auch in Heidelberg geboren, war dann aber sehr schnell weg, wie du auch.

Ganz schnell.

Ich denke an ein Kind, das in Heidelberg geboren wird, in Pforzheim lebt und dort eine glückliche Kindheit verbringt – glückliche Tage in Pforzheim.

Finde ich auch besser, dass du das so sagst: Glückliche Tage.

Glückliche Tage in Pforzheim – schöner Filmtitel. Wenn du an deine Kindheit zurückdenkst, was ist die vorherrschende Empfindung, was der vorherrschende Eindruck?

Da habe ich natürlich mehrere Eindrücke, aber der erste ist immer, dass ich wie in einer Enklave gelebt habe. Ich bin in der Waldorfschule groß geworden, wir waren ein bisschen sippenhaft unterwegs. Die Freunde kamen auch aus der Waldorfschule und alle anderen fanden das ein bisschen merkwürdig, nicht nur das mit der Eurythmie, sondern auch mit der Ernährung und überhaupt. Ich fühlte mich da sehr aufgehoben und insgesamt, wenn ich so an meine Kindheit denke, spüre ich schon auch Wehmut. Ich habe mich immer gefühlt, als würde ich nicht wirklich dazugehören. Ich hab’ das später erst verstanden. Natürlich bin ich nicht irgendwann aufgewacht und hab’ auf einmal verstanden, dass ich einfach schon äußerlich nicht dazugehöre oder, besser gesagt, vor allen Dingen äußerlich nicht dazugehöre, dass ich eigentlich viel am Rand stand.

Du warst im Schulbus in Karlsruhe das einzige schwarze Mädchen. Wir haben in der NDR Talk Show gestern auch über Rassismus gesprochen, freilich nur am Rande. Ich habe hingegen vor ein paar Tagen auf 3sat eine sehr interessante Diskussion gesehen, moderiert von Gert Scobel, und da fiel das Zitat „Rassismus ist Vorurteil und Macht“.

Du hast es gestern schon so schön in der Talkshow gesagt, dass natürlich für dich als weißer Mann das Ganze, diese ganze Welt gemacht ist, dass du durch alle Türen gehen kannst. Natürlich ist nicht jeder gleich und es gibt Leute mit Vorteilen und eben Leute, die benachteiligt sind, das hast du wirklich treffend gesagt, das hat mich sehr berührt, dass du da deine Position kennst und damit auch deine Verantwortung. Ich glaube, dass ich mit dem Rassismus immer schon zu kämpfen hatte. Viele von meinen Freundinnen sehen das ganz anders, weil sie gemerkt haben, dass ich öfter im Mittelpunkt stand, aber ich würde mich heute wirklich anders betrachten. Ich habe das eingeatmet wie Luft oder wie so eine Atmosphäre, eigentlich aber wie einen Gestank. Diese Blicke, die Belustigungen, die kleinen Witze. Und dann wirst du natürlich konditioniert und bist einfach irgendwann müde, wenn du jahrelang darüber erzählst, aber es ist tatsächlich eine Aufgabe. Und bis nicht alle mitgenommen werden und nicht mehr in der Ecke stehen, werde ich darüber sprechen.

Wir müssen definitiv darüber sprechen. Ich glaube, der Rassismus begleitet diese Welt im Grunde seit der Antike. Aristoteles hat den griechischen Bürgern die Vernunft attestiert, aber den Sklaven diese Vernunft nicht zugesprochen, sie galten als minderwertig. Ich frage mich auch, wie man dem Rassismus endgültig Einhalt gebieten kann. Mächtige Gruppen schreiben schwachen Gruppen Eigenschaften zu wie: „Juden können gut mit Geld umgehen“, „Schwarze können gut tanzen …“

Singen und tanzen. Bitte das Singen nicht vergessen.

» Ich habe mich immer gefühlt, als würde ich nicht wirklich dazugehören. «

Du bist aber trotz allem optimistisch. Du lebst in Amerika und kommst oft nach Deutschland. Hast du das Gefühl, dass es sich ein bisschen verbessert, dass es sich in eine gute Richtung bewegt? Wir achten ja zum Beispiel das erste Mal sehr auf unsere Sprache, wir reden beispielsweise nicht mehr vom Zigeunerbaron oder vom Mohrenkopf.

Auf jeden Fall. Es gibt allerdings Leute, die in dieser sogenannten Cancel Culture sagen, es geht nicht darum, was man wo überhaupt noch sagen darf. Ich denke, dass da auch anderen Leuten wehgetan wird, denen wir zuhören müssen, wo wir lernen müssen, auf unsere Sprache zu achten. Ich finde es auch schön, dass du darauf hinweist, wie lange das schon her ist, dass man meint, es gäbe unterschiedliche Intelligenzgruppen unter den Menschen. Und das ist tatsächlich nach wie vor gerade in Amerika so gewollt, dass education, also Bildung, etwas kostet und damit dann dieses System systematischen Rassismus betreiben kann, damit es schwierig wird, aus diesem gewollten Ghetto heraustreten zu können. Das ist für mich ein großes Problem, da ich ja aus einer Welt gekommen bin, die für mich frei war. Ich durfte alles, wenn ich es wollte und wenn ich mich angestrengt habe. Und ich merke nun – ich lebe bereits seit 20 Jahren in Amerika –, dass es eben nicht so ist, dass du die gleichen Rechte hast von Anfang an, wenn du als schwarzes Kind in Amerika geboren bist. Und ja – darüber kann man sich den ganzen Tag aufregen.

Eine Definition von Rassismus lautet: absichtsvolles Verletzen. Ich verletze dich mit Absicht, nicht versehentlich. Du hast wunderbare Großeltern gehabt in einer etwas wirren Kindheit. Deine Mutter ist Lehrerin gewesen an Waldorfschulen, dein Vater war der berühmte Ross Feltus, ein großartiger Fotograf, den ich hier einmal deutlich erwähnen möchte. Ich habe ihn als junger Werber noch kennengelernt.

Er hat auch die ersten Bilder von Claudia Schiffer gemacht.

Er hat für „People“ und im Prinzip für alle großen Magazine gearbeitet. Ich habe ihn in Düsseldorf im Rahmen einer Zusammenarbeit erlebt und erinnere mich wirklich sehr gern an Ross Feltus. Aber die Frage sei eine andere: Welche Erinnerung verbindest du mit deinen Großeltern?

Ich bin tatsächlich sehr viel bei meinen Großeltern gewesen und verbinde damit ganz unterschiedliche Sachen. Ich war mit meinem Großvater viel in großen Gärten, wie in Würzburg im Schlossgarten, und wir haben dort, gerade im Rosengarten, die Jahreszeiten betrachtet. Daher kommt wahrscheinlich auch meine Liebe zum Wald. Ich war dann später mit meiner Mutter auch sehr viel im Wald, da wir nicht in Urlaub fahren konnten. Oder meine Großmutter hat Kartoffelknödel gemacht und sie in der Wäscheschleuder geschleudert – diese Geräusche höre ich immer noch. Dann haben sie Sand auf den Balkon geschüttet, damit ich mit meiner Schwester darin spielen konnte. Wir hatten grundsätzlich Sachen zum Anziehen, die sie selbst gemacht hatten und die immer irgendwie zusammenpassten, wie bei Zwillingen. Sie haben mir auch das Dirndl genäht, in dem ich später eingeschult wurde. Ich verbinde also ganz normale Sachen mit den beiden.

Ich höre sehr deutlich raus, dass sie sich unglaublich Gedanken gemacht haben, was deiner Seele guttut.

Ja, ich glaube, dass man mich sehr unterstützt hat. Ich war bei den beiden wie in einer kleinen Bubble aus Liebe, denke ich. Dass ich dort so aufgehoben war, war tatsächlich auch ein großer Safe Space für mich.

Die sichere Blase, in die du dich immer wieder zurückgezogen hast. Ich beobachte, dass Menschen, die sich diskriminiert fühlen, häufig in Performanceberufe gehen, in der Hoffnung, dass sie dort mehr Applaus, mehr Anerkennung bekommen. Vielleicht glauben sie auch, sich für irgendwas entschuldigen zu müssen, und fangen dann an, in Entertainmentberufe zu gehen.

Es ist wohl so. Du kannst sicher tanzen, du kannst sicher singen und wir brauchen noch eine, die entsprechend aussieht, um das Ganze ein bisschen international zu gestalten. Das war sicher auch bei mir der Fall. Damals, ich weiß nicht, ob du dich an „Hathaway“ erinnerst, „Shoutout“, mit dem haben wir früher gemodelt, er und ich in der Gruppe, um die ganze Sache ein bisschen internationaler zu gestalten. Das gab es im Osten auch, wir haben vorhin schon mal darüber gesprochen mit meiner Freundin Ariane, die mich hierhin begleitet hat. Und es ist tatsächlich so, dass man uns so ins Bild gesetzt hat, um vielleicht auch ein anderes Bild nach außen zu tragen.

Du bist auf der Waldorfschule gewesen. Deine Mutter war ja auch Lehrerin an einer Waldorfschule. Und da ich selbst damals eine Freundin hatte, die auf einer solchen Schule war, weiß ich, dass Waldorfschüler sehr kreativ angeleitet werden – kannst du deinen Namen tanzen?

Eurythmie meinst du. Ich muss sagen, ich hab’ all das gerne gemacht und hatte vor allem sehr gute Lehrer. Und ich weiß wirklich um die Bedeutung, was das mit einem Kind machen kann, wenn es einen guten Lehrer hat, das kann dann nämlich irgendwann eine Leidenschaft werden. Ich habe wahnsinnig gerne Eurythmie gemacht. Das finden manche Leute unglaublich komisch, aber ich mache teilweise heute noch zur Konzentration meine Heileurythmie oder manchmal einfach zu klassischer Musik. Viele Sachen sind ja auch ähnlich, eben tänzerisch. Ich mache gerade eine App, die heißt „Fasziale Schwungbewegung“ und ist für Menschen, die sich gerne ein bisschen tänzerisch und rhythmisch bewegen möchten.

Die Faszien sind Muskeln?

Nein, Faszien hat jeder Mensch überall im ganzen Körper als sogenannte Faszienketten, die alle Organe und Muskeln umhüllen. Die müssen, bevor du dich überhaupt bewegen willst oder eine Bikinifigur bekommen möchtest, mit Bauch-Beine-Po-Übungen gedehnt werden, und das machst du am besten mit dem Gummibandeffekt, nämlich mit den Schwungbewegungen. Dadurch wird zusätzlich auch noch Serotonin ausgeschüttet und du bist glücklich, weil du dir wieder selbst die Schuhe zubinden kannst, ganz normal vom Sofa aufstehen kannst oder den sogenannte Schürzengriff machen kannst.

Frau Becker, ich hab’ es mir gemerkt. Ich lege aber Wert darauf, dass ich die Schuhe noch selbst zubinden kann. Liebe Barbara, wir machen ein kleines Spiel. Ich sage dir nacheinander zehn Begriffe und du antwortest bitte sehr spontan, was dir dazu einfällt. Wenn dir dazu nichts einfällt, sagst du einfach: weiter.

Weiter.

Familie. Die Besten. Freiheit. Ist das Einzige, was zählt. Heimat. Mit den Besten. Gott. Ist überall. Essen. Alles. Trinken. Mehr. Söhne. Die Besten. Männer. Die Zweitbesten. Musik. Die gesamte von … bis.

Es ist guter Brauch bei Meyer-Burckhardts Frauengeschichten, dass wir immer einen Song von Rod Stewart spielen, und der ist heute sehr amerikanisch. Wir spielen „Great Day“.

Zehn Frauen

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