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Ende April 2016 - Zarifa: Oberhalb des großen Tals - Ein böses Omen

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Heute nahm sich Carina Zeit für die vielen Gefühle, die sich in ihr in den letzten Wochen angestaut hatten und über die sie hier oben am Wasserfall nachdenken wollte. Sie ließ ihren Blick in die Ferne schweifen, wo sie weit hinten am Horizont die gelblich-beige Farbe der Wüste sehen konnte. Der Anblick beruhigte sie. Sie erinnerte die Deutsche an ihre erste Reise nach Zarifa, an die Begeisterung, mit der Rayan sie auf jedes noch so kleine Detail in der Wüste hingewiesen hatte, bis auch sie von seiner Faszination restlos ergriffen worden war.

Ihre Gedanken kehrten erneut zurück zum Tag der Hinrichtungen und Carina rief sich die Erleichterung in Erinnerung, die sie empfunden hatte, als das schier endlose Zischen, mit dem die Peitsche durch die Luft sauste, und das erschütternde klatschende Geräusch, mit dem das Leder sein Ziel auf dem Rücken des Mannes sein Ziel fand, endlich aufgehört hatte. Die gellenden Schreie des zu Bestrafenden waren bereits einige Minuten vorher verstummt. Es hatte Carina all ihre Kraft gekostet, sich nicht die Ohren zuzuhalten. Sie hatte gewusst, dass ihr Mann die fünf Gefangenen zu Tode verurteilt hatte und hatte sich daher auf die Enthauptungen eingestellt – soweit ihr das möglich gewesen war. Erstaunt hatte sie festgestellt, dass die Deutsche in ihr die Hinrichtungen zwar verurteilte, die Scheicha in ihr jedoch empfand eine eigenartige Genugtuung, die sie nie für möglich gehalten hatte. Aber von dem qualvoll langsamen, blutigen Ende des fünften Angreifers hatte sie nichts geahnt. Als es endlich vorbei war, hatte sie am ganzen Körper gezittert. Nur undeutlich hatte sie durch ihren Tränenschleier wahrgenommen, dass man den Unglücklichen danach noch weiter an dem Gestell hatte hängen lassen. Erst am nächsten Tag war ihr klar geworden, dass zu diesem Zeitpunkt vermutlich noch Leben in dem geschundenen Körper gewesen sein musste. Kein einziger Tarmane hatte ihn noch eines Blickes gewürdigt. Noch nicht einmal Wachen hatte man aufgestellt. Ihm würde mit Sicherheit niemand zu Hilfe eilen. Selbst Doktor Scott, der sonst ein unermüdlicher Mahner für Gnade und Menschlichkeit war, hatte sich mit hartem Gesicht abgewendet. Es waren wohl zu viele Freunde gewesen, die er durch die aggressiven Taten von Sedats Männern in den letzten Wochen hatte behandeln müssen – teilweise erfolglos. Nur daran, dass der Körper gegen Mittag endlich entfernt worden war, erkannte sie, dass das Leiden letztlich ein Ende gefunden hatte. Wobei Carina bezweifelte, dass der Mann noch viel mitbekommen hatte. Er war während der schweren Auspeitschung bewusstlos geworden und sicherlich nicht mehr aufgewacht. Zumindest hoffte sie das. Zwei der Krieger hatten die Aufgabe erhalten, den Leichnam unter die Erde zu bringen. Und dann hatte das ganze Tal aufgeatmet. Von einer schweren Zeit der Furcht befreit, war man überraschend schnell zur Normalität zurückgekehrt.

Die Scheicha war eine der wenigen gewesen, die sich Gedanken über den Verbleib ihres Feindes Sedat machte. Alle anderen wollten die Zeit der Angst so schnell wie möglich vergessen. Carina spürte, dass sich ihr Ehemann ebenfalls sorgte, und auch, dass er das Thema mit seinen Vertrauten und dem Ältestenrat besprach.

Dann hatte der Scheich diesen ominösen Telefonanruf erhalten. Rayan hatte ihr nicht alles gesagt, das spürte die Scheicha. Nur, dass der Informant mit dem eigenartigen Spitznamen „Nosy Nutter“ ihn hatte wissen lassen, dass Sedat es irgendwie geschafft hatte, aus der Bergwelt um Zarifa zu entkommen. Woraufhin der Scheich ihr mitgeteilt hatte, dass er zu seinem Bedauern sofort nach Alessia müsse, um sich um Nachforschungen zu kümmern. Um sich abzulenken rief Carina sich die Szene in Erinnerung, als er sich von ihr verabschiedet hatte: Rayan hatte sie in den Arm genommen und sie eine ganze Weile einfach nur festgehalten. Dann hatte er seinen Finger unter ihr Kinn gelegt und es angehoben, damit er sie küssen konnte. Sie wünschte, dieser Kuss hätte ewig angehalten. Für einen Moment war alles um sie herum unwichtig geworden. Es gab nur sie und Rayan. Zuerst zärtlich, dann immer hungriger hatten sie einander ihrer Liebe versichert. Sie waren so ineinander versunken, dass Carina sich ganz schwindelig fühlte, als sie sich schließlich voneinander lösten. „Pass auf meine beiden Kleinen auf“, hatte er lächelnd gesagt und ihr einen letzten Blick aus seinen so wunderschönen, fast magischen blauen Augen geschenkt. Es war für Carina auch nach all der Zeit noch immer wie ein mystisches Geheimnis, wie diese Augen im einen Moment so voller Fürsorge und Liebe sein konnten und im nächsten Moment eiskalt. Da sie bereits einige Male erlebt hatte, wie beeindruckend die Ausstrahlung ihres Ehemanns war, wenn er wütend war, konnte sie die Furcht seiner Feinde vor ihm durchaus nachvollziehen. Sie selbst hatte jedoch noch nie Angst vor ihm gehabt. Es war einer der Gründe, warum Rayan von Anfang an von Carina fasziniert gewesen war - weil sie ihm absolut furchtlos erschien. Sie reagierte auf seine Wut meist gelassen, allenfalls ebenfalls wütend, doch gelang es ihm nie wirklich, sie einzuschüchtern. Dabei hätte er ihr mit einem einzigen Griff mühelos das Genick brechen können, schließlich kannte er genug Tricks sich ein für alle Mal eines Gegners zu entledigen. Doch die Deutsche hatte immer gewusst, dass er ihr niemals willentlich etwas antun würde. Dazu hatte er sich viel zu schnell rettungslos in sie verliebt.

Und nun war Rayan wieder einmal zu einer Mission aufgebrochen, von der Carina nur ahnen konnte, wo sie hinführen würde. Sie nahm es ihm nicht übel, dass er sie nicht vollständig einweihte. Früher wäre die Reporterin in ihr beleidigt gewesen. Aber die vergangenen Ereignisse hatten ihren Fokus verschoben und so wusste sie, dass ihr Ehemann sie mit dem Zurückhalten von Informationen nur schützen wollte. Aber genau das war es, was sie fürchtete. Denn da war noch mehr. Sie konnte fast riechen, dass die Bedrohung noch nicht vorbei war. Es war, als schnüre ihr eine undefinierte Angst die Luft ab. Manchmal war das Gefühl so stark, dass sie nur hoffen konnte, ihrem ungeborenen Kind nicht zu schaden. Stimmte es, dass der Fötus ihre Ängste mitempfand? Aber nicht nur Sedats Verbleib war es, der sie beunruhigte. Auch die Abwesenheit ihres Ehemanns bereitete ihr Unbehagen. Schon ihr erstes Kind – Sheila – hatte sie ohne Rayan zur Welt gebracht. Damals hatte sie sogar geglaubt, er sei tot. Die Kleine würde in wenigen Tagen ein Jahr alt werden. Würde sie den Geburtstag alleine feiern müssen? Carina fühlte sich schuldig, wenn sie so dachte. Es war egoistisch von ihr, weil ihr Herz ihr sagte, dass auch ihr Ehemann lieber bei ihr und ihrer Tochter wäre. Diese Tatsache konnte sie noch verschmerzen. Aber die Geburt ihres kleinen Sohns in wenigen Wochen erneut ohne ihn durchzustehen? Das kam ihr vor wie ein böses Omen, wie ein Schatten, der sich nach wie vor über sie und ihr Leben legte. Trotz der inzwischen schnell ansteigenden Temperaturen und dem scheinbar so friedlichen Anblick fröstelte Carina.

Rayan - Im Licht der Rache

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