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Anfang Mai 2016 - Alessia: Flughafen - Der Auftrag des Familienrats

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Als Alexander Hartmann zusammen mit den anderen Passagieren das Flugzeug verließ, konnte er eine gewisse Unruhe nicht verleugnen. Auch wenn er sich wie üblich äußerlich gelassen gab, plagten ihn nun Zweifel. War es nicht lächerlich, einfach so hierher zu kommen? Doch sein Plan war relativ einfach und seiner Meinung nach gut ausgeklügelt: Er würde hier in Alessia den Touristen mimen, sich einige Tage lang umhören und wenn er so viel wie möglich in Erfahrung gebracht hatte, einfach wieder abreisen. Er würde bestimmt nicht seine Schwester nachahmen und irgendwem hinterherlaufen. Dass es in der Wüste gefährlich war, hatte sie schließlich am eigenen Leib erfahren. Hätte „sein Schwager“ - Alex ließ sich das Wort auf der Zunge zergehen - nicht so schnell reagiert, könnte Carina jetzt tot sein. Typisch seine kleine Schwester! Wer außer ihr bekam schon einen Blinddarmdurchbruch ausgerechnet mitten in der Einöde, weitab von jeglicher Zivilisation? Alex schüttelte bei der Vorstellung lächelnd den Kopf. Sie war schon immer darin gut gewesen, sich und andere in Schwierigkeiten zu bringen.

Nein, Alex Hartmann war nicht auf Abenteuer aus. Ihm ging es darum, sich mit eigenen Augen einen Eindruck von der neuen Welt seiner Schwester zu verschaffen. Nach dem Besuch der beiden Frischvermählten auf dem Bauernhof ihrer Eltern war er derart neugierig geworden, dass er es in München nicht länger ausgehalten hatte. Weil er auf seinen Job in der Autowerkstatt ohnehin keine Lust mehr gehabt hatte, war es ihm gerade recht, einen Grund zu haben, diesen hinzuschmeißen und sich einem neuen Projekt zu widmen: mehr über „Carinas Scheich“ herauszufinden. Also hatte er als erstes genauestens das Buch seiner Schwester gelesen. Daher wusste er auch, dass er niemals eine Chance haben würde, zu ihr und ihrem Mann nach Zarifa zu gelangen. Doch das wollte er gar nicht. Ihm war von vornherein klar, dass er sich an einem derart „friedvollen“ Ort, wie Carina ihre neue Heimat beschrieben hatte, nicht wohlfühlen würde. Er konnte nicht reiten und Pferde waren ihm schon immer zuwider gewesen. Wenn seine Schwester in ihrer Jugend aus dem Stall nach Hause gekommen war, hatte er sie immer mit dem „Gestank der Gäule“ aufgezogen. Alex war neugierig, ob Kamele wohl auch einen derart intensiven Geruch hatten? Auf keinen Fall würde er sich einem der Tiere mehr als zwei Meter nähern - egal ob Pferd oder Kamel. Reiten war etwas für Mädchen, soviel stand fest. Was sollte er dort sonst den ganzen Tag machen? Er bezweifelte, dass es Partys mit Bier und spärlich bekleideten Mädchen geben würde. Vermutlich würde es in diesem ganzen verdammten Gebirge nicht eine einzige Flasche Alkohol geben! Nein, da wollte er bestimmt nicht hin. Aber die Tatsache, dass sein Schwager sich als echter Scheich, als Fürst der Wüste entpuppt hatte, war hochinteressant!

Als er seiner Mutter von seinen Plänen berichtet hatte, nach Alessia zu reisen, hatte er erwartet, dass sie versuchen würde, ihm die Idee auszureden. Doch Eva-Maria war überraschend interessiert gewesen. Seine Tante Martha hatte ihm sofort online Geld für den Flug überwiesen. Offenbar war auch bei den beiden Damen gehörig die Neugierde entbrannt. Also hatte Alex nun sogar den „offiziellen Auftrag des Familienrats“, sich selbst ein Bild vor Ort zu machen. Zwei Wochen sollten reichen, sich unauffällig umzuhören, was man sich so über diesen Rayan mit dem unaussprechlichen Nachnamen erzählte. Und natürlich auch über dessen frischgebackene Ehefrau.

Im Internet hatte er unbefriedigend wenig über Alessia herausfinden können, offenbar war die Stadt nicht interessant genug. Oder sie war keines der typischen Touristenziele.

Alex hoffte bloß, er würde ein halbwegs vernünftiges Hotel zu einem kleinen Preis finden. Reserviert hatte er nicht. Es war nicht seine Art, lange im Voraus zu planen. Schon im „echten Leben“ lebte er eher von einem Tag in den anderen hinein. Auf diese Weise war er bisher noch immer durchs Leben gekommen. Wozu sich allzu viele Gedanken machen? Das brachte einem nur graue Haare. Sein Plan war es, sich am Flughafen an der Information zu erkundigen.

Als er die Inneneinrichtung der Gepäckausgabe sah, verharrte er einen Moment lang erstaunt. Er war sich nicht ganz sicher, was er erwartet hatte, aber auf keinen Fall einen derart gepflegten Raum. Der dunkle Fliesenboden glänzte in makelloser Sauberkeit, und auch die hellen Wände ließen deutlich eine regelmäßige Reinigung erkennen. „Hier isses schnieker als in München!“, fuhr es ihm überrascht durch den Kopf. Unterstrichen wurde der elegante Eindruck durch messingfarbene Türgriffe, geschmackvoll angebrachte Spiegel und Wandleuchten aus demselben Material. Alex pfiff leise durch die Zähne. Die Zurschaustellung von Reichtum war unverkennbar, ohne jedoch allzu protzig zu sein.

Nachdem er seine Sporttasche vom Transportband geholt hatte, musste er sich erst einmal orientieren und gönnte sich die Zeit, sich umzusehen. Im Gegensatz zu seiner Schwester, die von früher Jugend an immer gerne die arabischen Länder bereist hatte, war er noch nie mit dieser Kultur konfrontiert worden. Schon bei seinem Zwischenstopp in Dubai hatte er die Zeit zwischen den beiden Flügen damit zugebracht, beeindruckt seine Umgebung zu studieren.

Er freute sich eine Weile an dem für ihn exotischen Anblick der vielen Menschen in traditionellen Gewändern und musste über den Gedanken lächeln, dass eigentlich er hier der Exote war. Mit seinen Turnschuhen, der abgewetzten Jeans und seinem schwarzen T-Shirt mit dem verwaschenen Aufdruck seiner Lieblingsband Metallica passte er überhaupt nicht in diese Umgebung. Nachdem Touristen hier offenbar eher rar waren, stach er mit diesem Outfit offensichtlich als Fremder ins Auge, wie ihm der ein oder andere Seitenblick verriet. Alex fluchte einen Moment lang, dass er nicht besser über seine Kleidung nachgedacht hatte, denn „unauffällig Erkundigungen einziehen“ sah anders aus. Aber das konnte er nun nicht mehr ändern. Jedoch waren die Blicke, die man ihm zuwarf, zwar eindeutig neugierig, keinesfalls aber feindselig. Also zuckte er die Achseln und machte sich auf den Weg zum Ausgang.

Als er sich der blickundurchlässigen, doppelflügeligen Milchglastüre näherte, durch die man den Sicherheitsbereich verlassen musste, stach ihm die schwere Bewaffnung der zu beiden Seiten postierten Wachmänner in Uniform ins Auge. Der Linke von beiden musterte ihn unverhohlen von oben bis unten und Alex musste schlucken. Als der Sicherheitsbeamte dann auch noch etwas zu einem neben ihm stehenden Mann sagte, den Alex zuvor gar nicht bemerkt hatte, war ihm klar, dass er jetzt Ärger bekommen würde. Aber was hatte er falsch gemacht? Ärgerlich unterdrückte er das schlechte Gewissen, das sich in ihm breit machte. Das war doch Unsinn! Aber tatsächlich kam der mit seiner runden Brille eigentlich mehr wie ein Student aussehende zweite Mann auf ihn zu. Höflich lächelnd lud er Alex in fließendem, weitgehend fehlerfreiem Englisch ein, - zumindest soweit Carinas Bruder dies beurteilen konnte - ihm in ein Nebenzimmer zu folgen, das zu ihrer Linken lag. Der kritische Blick des Sicherheitsmannes, der jede seiner Bewegungen genau im Auge hielt, täuschte den Deutschen nicht darüber hinweg, dass es keine Einladung war, die er hätte ablehnen können.


Rayan - Im Licht der Rache

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