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Mitte April 2016 - Dubai: Kanzlei von Taib Riad - Fitness statt Waffen

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Gut gelaunt und voller Zufriedenheit über das, was er in den letzten Wochen erreicht hatte, trat Kasib aus dem Aufzug in die moderne Anwaltskanzlei, die das komplette obere Stockwerk des pompösen Bürogebäudes einnahm. Wie jeden Morgen grüßte er freundlich Claudia, die englische Assistentin, die ihren Schreibtisch direkt gegenüber den Lifttüren hatte und die keinen Menschen je an sich vorbei lassen würde, den sie nicht kannte. Der junge Tarmane hatte sich bisher nie getraut, mehr als einen schüchternen Gruß an die attraktive Brünette zu richten. Schon des Öfteren hatte er mitbekommen, wie sich seine Kollegen Anwaltsgehilfen insgeheim Geschichten ausdachten, was Claudia mit einem Eindringling anstellen würde. Als ehemaliger Krieger grinste er für sich über die doch übertriebenen Schilderungen, doch hatte er schon erlebt, wie kratzbürstig die Engländerin tatsächlich sein konnte, wenn jemand glaubte, sie übertölpeln zu können. Sie erschien ihm dann wie eine Wölfin, die ihr Rudel verteidigte. Da Kasib sich vorgenommen hatte, absolut unauffällig die ihm zugewiesenen Aufgaben zu erfüllen, vermied er jeglichen Kontakt zu ihr, obwohl er insgeheim eine tiefe Bewunderung für die resolute Frau empfand. Nie hätte er zugegeben, dass er sich zu ihr hingezogen fühlte. Noch nicht einmal vor sich selber. Denn er war auf keinen Fall zu seinem Amüsement hier in Dubai, soviel stand fest. Zwar fiel es ihm von Tag zu Tag etwas leichter, die Schmach seiner Verbannung aus Zarifa zu ertragen, doch würde er sich selbst nicht erlauben, sich von seiner Arbeit auch nur eine Sekunde ablenken zu lassen. Er brauchte nur seine linke Hand anzusehen, um sich in aller Deutlichkeit an den Tag seiner Gerichtsverhandlung zu erinnern. Genau wie sein Herr Rayan es ihm vorausgesagt hatte, war der fehlende kleine Finger, den man ihm als Teil seiner Strafe abgeschnitten hatte ein Mahnmal, nie wieder seine Pflichten zu vernachlässigen!

Sein Vater hatte ihn zum Abschied im großen Tal mit den Worten getröstet, dass er die Reise nach Dubai als Chance sehen solle, etwas Neues anzufangen - etwas mehr von der Welt zu sehen. Die Worte waren gut gemeint, doch war ihm die Situation wie Ironie erschienen. Denn hätte er seine Aufgabe, die Scheicha zu schützen, korrekt erfüllt, hätte er seine Position in ihrem Gefolge nie verloren und zusammen mit ihr weitere Reisen unternehmen können. Der Trip nach München war ihm schon wie ein Abenteuer erschienen - er, der Junge aus Zarifa, in einer Großstadt! Voller Erstaunen und Neugierde hatte er die bayerische Landeshauptstadt erlebt. Vermutlich war er deshalb an diesem Tag auf einmal so müde gewesen. Doch anstatt sich durch Bewegungen munter zu machen, wie er es gelernt hatte, hatte er beschlossen, dass die Bewachung eines Raumes - genaugenommen der Suite, die sein Herr gemietet hatte - unter seiner Würde war. Er war schließlich zu einem der persönlichen Leibwächter der Scheicha ernannt worden. In seinem Alter! Kasib war erheblich jünger, als alle anderen Krieger, denen diese Ehre je zuteil geworden war. Und das nicht nur, weil er gut aussah. Sondern, weil er besser war, als viele seiner Stammesbrüder. Jassim hatte in ihm Potential gesehen und ihn aus einer größeren Gruppe an weiteren Bewerbern auserwählt. Das war ihm zu Kopf gestiegen und er hatte sich von seiner eigenen Arroganz blenden lassen. Leichtsinnig hatte er seinen Posten verlassen. Heute wusste er, wie dumm das gewesen war. Allein der Gedanke an seinen Egoismus ließ ihn wieder in aller Deutlichkeit die Scham empfinden. Er machte sich klar, dass er gründlich versagt hatte. Zum Glück war es nur ein neugieriger Reporter gewesen, der sich an diesem Abend eingeschlichen hatte, um Stoff für eine Story zu finden und kein Mörder. Sonst wäre die Scheicha Carina nun tot - das war Kasib klar. Dass er also schlichtweg Glück gehabt hatte, trug nicht dazu bei, sich besser zu fühlen. Wie alle anderen Krieger hatte er von klein auf gelernt, dass mit Ausführung der Strafe seine Verfehlung vergessen war. Entsprechend könnte er theoretisch jederzeit jedem seiner Stammesbrüder - und selbst seinem Scheich - offen in die Augen sehen. Aber eben nur theoretisch, denn, auch wenn die anderen es längst getan hatten - er konnte sich selbst seine Dummheit nicht verzeihen. Er hatte Chancen auf eine Karriere bei den Kriegern gehabt. Alles, was er seit er ein kleiner Junge war sein wollte, war einer der Leibwächter seines Herrn. Als es dann so weit gewesen war, hatte er durch seine eigene Schuld versagt. Insofern hatte er nichts anderes verdient, als dass der Scheich ihn aus dem Kader der Krieger geworfen hatte. Es war ihm verboten, je wieder eine tarmanische Waffe zu tragen oder am Kampftraining teilzunehmen. Wie sehr ihm die täglichen Übungen fehlten!

Immerhin hatte das Apartmenthaus, in dem er untergebracht war, einen Fitnessraum mit Sauna und sogar ein Schwimmbecken. Als er im Oktober letzten Jahres hier angekommen war, war er so sehr mit der beindruckenden Größe der Stadt und seiner neuen Tätigkeit beschäftigt gewesen, dass er einfach nur froh gewesen war, abends wieder heil in seiner Wohnung angekommen zu sein, ohne sich zu verlaufen. Der Lärm, der Pomp und die grellen Lichter von Dubai waren anfangs wirklich beängstigend und nervig gewesen! Wie hatte er die Ruhe des großen Tals vermisst. Würde man ihn inmitten der Wüste aussetzen, so hätte er weniger Probleme, sich anhand der Sterne zu orientieren und zurück zu finden. Die Straßenschluchten der Großstadt waren ihm anfangs jedoch alle gleich erschienen. Zum Glück hatte ihm sein Handy wertvolle Dienste geleistet, bis er gelernt hatte, einen Sinn dafür zu bekommen, wie man sich im Asphaltdschungel orientierte. Der Gedanke, dass es eine Art Test war, hatte ihm geholfen und er hatte sein neues Leben als Herausforderung angesehen. Ähnlich, wie wenn man sich einer neuen Übung im Kampftraining stellte. Schon nach wenigen Tagen war das Gefühl des Verlorenseins gewichen und er hatte sich gefreut, immer besser zurecht zu kommen. Da er ein grundsätzlich sehr aufgeschlossener Mensch war, hatte bald die Neugier gesiegt und er hatte angefangen, weitere Dinge kennen zu lernen. An seinen freien Tagen erkundete er die Stadt immer intensiver.

Und noch einen positiven Punkt gab es: Kasib war froh, dass er eines Abends zufällig im Aufzug auf den Fitnesstrainer gestoßen war, der seine durchtrainierte Gestalt mit erfahrenen Augen gemustert hatte und ihn daraufhin zu einem Probetraining im hauseigenen Fitnessraum eingeladen hatte. Der junge Tarmane hatte nicht lange gebraucht, bis er die Anwendung der einzelnen Geräte verstanden hatte. Seitdem stand er genau wie vorher in Zarifa bei Sonnenaufgang auf und ging trainieren. Die Geräte waren kein Ersatz für die Wettkämpfe mit seinen Stammesbrüdern. Er vermisste das Waffentraining, aber es war zumindest eine körperliche Betätigung, mit der er seinen Bewegungsdrang befriedigen konnte. Alles in allem war das Leben in Dubai gar nicht so schlecht.

Rayan - Im Licht der Rache

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