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Die Brüsseler Administration lehnt die Verhaftung von Juden ab

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Um weitere Juden aus Brüssel nach Nordfrankreich zu deportieren, forderte der Verwaltungschef der Oberfeldkommandantur Brüssel, Dr. Oesterhelt, den interimistischen Leiter der kommunalen Polizei, Van Autgaerden, Anfang Juli 1942 zur Verhaftung von Juden auf:

„Mehrfach ist von Juden die Vorladung des belgischen Arbeitsamtes zum Erscheinen zur ärztlichen Untersuchung oder zum Arbeitseinsatz nicht befolgt worden. Die Oberfeldkommandantur […] wird Ihnen eine Liste der betreffenden Juden übersenden mit dem Ersuchen, diese zur ärztlichen Untersuchung, bezugsweise [sic] zur Meldung zum Arbeitseinsatz zwangsweise vorzuführen. Unter Bezugnahme auf den Erlass des Militärbefehlshabers vom 24. 7. 1941 an den Herrn Generalsekretär des Innern wird darauf hingewiesen, dass solche Vorführungen durch die belgische Polizei unverzüglich auszuführen sind.“74

Der vorsorgliche Verweis auf einen Grundsatzerlass von Falkenhausens, der der belgischen Polizei die Durchführung der von deutscher Seite angeordneten Verhaftungen befahl, sollte der Militärverwaltung nichts nützen. Wenige Tage später beantwortete der Brüsseler Bürgermeister Jules Coelst – dem die städtische Polizei unterstand – die Aufforderung Oesterhelts mit einer eindeutigen Absage. Wie er bereits anderen Repräsentanten der Besatzungsmacht mitgeteilt habe, so Coelst an Oesterhelt, komme der kommunalen Polizei in Belgien lediglich die administrative Funktion zu, die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten. In diesem Rahmen könne sie gemäß der Vorschriften der Haager Konvention mit der Besatzungsmacht kooperieren. Insoweit weitergehende Belange berührt seien, dürfe sie nicht einschreiten, da der Bürgermeister als Oberhaupt der Kommunalpolizei sich andernfalls wegen willkürlicher Verhaftungen vor Gericht zu verantworten habe. Sofern es sich um die Verhaftung wegen Verbrechen oder Straftaten handele, so sei die Kriminalpolizei (Police judicaire) zuständig, die dem Oberstaatsanwalt (Procureur du Roi) unterstehe75.

Hob der Bürgermeister explizit auf die Organisation der belgischen Polizei und die Frage der Zuständigkeiten ab, so lief seine Argumentation implizit darauf hinaus, dass die von der Militärverwaltung geplanten Verhaftungen mit rechtstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar waren, da sie weder der Verfolgung von Straftätern noch der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung dienten76. Die Weigerung der Brüsseler Verwaltung, willkürliche Verhaftungen durchzuführen, richtete sich gegen ein zentrales Element der NS-Diktatur.

Dass belgische Funktionsträger die polizeiliche Freiheitsberaubung von ihrer Verfassungskonformität abhängig machten, hatte Reeders Militärverwaltungsstab bereits im Vorjahr als schwerwiegendes Hindernis erkannt. Er wertete „die starre Gebundenheit an das Gesetz“ als „Hauptmangel der hiesigen Polizei“ und berichtete nach Berlin: „Der belgische Polizeibeamte ist grundsätzlich nicht darauf geschult, auch dort einzugreifen, wo eine spezielle Legalisierung für seine Tätigkeit fehlt.“77 Was die Besatzungsmacht als typisch belgisches Problem begriff, war unter anderem für die Festnahme solcher Personen relevant, die die Deutschen ausschließlich deswegen ins Visier nahmen, weil sie als Juden galten.

Insofern ist die kategorische Weigerung des Brüsseler Bürgermeisters vom Juli 1942 sehr aufschlussreich für die Zusammenarbeit deutscher und einheimischer Polizeikräfte und für die Judenverfolgung im besetzten Belgien. Dies gilt umso mehr, als die Sipo-SD zwei Monate später mit einer vergleichbaren Ablehnung konfrontiert werden sollte, als sie die Brüsseler Polizei zur Mitwirkung bei der Deportation von Juden nach Auschwitz heranzuziehen versuchte. Daher lohnt sich ein kurzer Blick auf die näheren Umstände.

Die Shoah in Belgien

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