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II

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Die Elsinore, die Kohlen geladen hatte, lag sehr tief, als wir längsseits kamen. Ich verstand zu wenig von Schiffen, um ihre Linien bewundern zu können, und war außerdem durchaus nicht in der Stimmung. Ich konnte mich immer noch nicht entscheiden, ob ich die ganze Geschichte aufgeben und mit dem Schlepper zurückkehren sollte oder nicht. Daraus darf man indessen nicht schließen, dass ich von Natur wankelmütig sei. Ganz im Gegenteil!

Das Unglück war nur, dass ich auf diese Reise gar nicht versessen war. Wenn ich mich entschlossen hatte, so eigentlich nur, weil ich zu etwas anderem auch keine Lust hatte. Ich war nicht blasiert, und ich langweilte mich eigentlich auch nicht, aber das Leben hatte seinen Reiz für mich verloren. Ich interessierte mich nicht mehr für meine Mitmenschen und ihr dummes, kleinliches Streben, das sie selbst so ernst nahmen. Und schon seit langem war ich unzufrieden mit den Frauen. Ich hatte sie geduldet, war aber doch stets zu sehr geneigt gewesen, alle Mängel, die in der Primitivität ihres Wesens wurzelten, zu analysieren, als dass ich mich von ihnen hätte betören lassen. Endlich hatte ich mich auch in der letzten Zeit davon bedrückt gefühlt, dass selbst die Kunst mir belanglos erschien – als ob sie nur Scharlatanerie sei, die nicht allein ihre Anhänger, sondern sogar ihre Ausüber hinter das Licht führte.

Kurz – ich begab mich an Bord der Elsinore, weil das einfacher war, als es zu lassen; und dennoch war alles andere ebenso einfach ... und darin lag eben die Gefahr. Das war der Fluch der Situation, in die ich unversehens geraten war. Und das war auch der Grund, dass ich im selben Augenblick, als ich meinen Fuß auf das Deck der Elsinore setzte, schon halb entschlossen war, den Kapitän zu bitten, mein Gepäck an Bord des Schleppers zu lassen.

Was mich zum Bleiben bewog, war, so glaube ich fast, das gastfreie Lächeln, mit dem Fräulein West mich willkommen hieß, und vielleicht auch das Bewusstsein, wie herrlich warm es in der Kabine sein musste.

Den Steuermann, Herrn Pike, hatte ich schon kennengelernt, als ich das Schiff im Erie-Dock besichtigte. Er lächelte ein steifes Nußknackerlächeln, von dem ich den Eindruck hatte, dass es weh tun müsste. Er reichte mir aber nicht die Hand, sondern drehte sich sofort wieder um und begann einem halben Dutzend frierender Männer, die aus der Kuhl des Schiffes auftauchten, laute Befehle zu erteilen. Herr Pike hatte getrunken – das stand fest. Sein Gesicht war aufgedunsen und rot, und seine großen grauen Augen waren böse und blutunterlaufen.

Ich blieb stehen und sah sinkenden Mutes, wie mein Gepäck an Bord der Elsinore gebracht wurde, während ich meine Willensschwäche verfluchte, die mich hinderte, die paar Worte zu sprechen, denen zufolge Koffer und Kisten drübengeblieben wären. Die Männer, die jetzt das Gepäck nach achtern in die Kajüte trugen, wichen in jeder Beziehung von der Vorstellung ab, die ich mir von Seeleuten gemacht hatte.

Einer von ihnen, ein junger Mensch von achtzehn Jahren mit lebhaften Zügen, lächelte mich aus eigentümlichen Augen an, die ganz italienisch anmuteten. Er war aber leider ein wahrer Zwerg. So klein war er, dass er nur aus Seestiefeln und Südwester zu bestehen schien. Und er war auch kein reiner Italiener. So sicher fühlte ich mich in dieser Beziehung, dass ich den Steuermann fragte, der mürrisch antwortete:

»Der da? Knirps? Ist halber Dago. Die andere Hälfte ist malaiisch oder japanisch.«

Ein alter Mann – wie ich erfuhr, der Bootsmann – machte einen so gebrechlichen Eindruck, dass ich dachte, er müsse vor kurzem einen Unfall gehabt haben. Sein Gesicht war blöde und tierisch, und wenn er seine ungeschlachten Stiefel schlürfend über das Deck schleifen ließ, blieb er alle paar Schritte stehen, drückte die Hände gegen den Unterleib und machte eine komische Bewegung, als ob er die Därme zurechtdrücken oder heben wollte. Viele Monate sollten vergehen, bis ich lernte, dass gar nichts dahintersteckte, und dass diese Bewegung lediglich eine sonderbare Angewohnheit war. Er hieß, wie ich später erfuhr, Sundry Buyers. Und er war Bootsmann des amerikanischen Segelschiffes Elsinore, die als eines der feinsten Segelschiffe der Welt galt.

Unter all diesen Männern und Jünglingen sah ich nur einen einzigen, namens Henry, einen Knaben von sechzehn Jahren, der annähernd dem Bilde entsprach, das ich mir von Seeleuten gemacht hatte. Er kam denn auch – wie mir der Steuermann erzählte – von einem Schulschiff, und diese Reise war seine erste selbständige. Sein Gesicht war scharf geschnitten und gescheit, und seine Bewegungen waren rasch und lebhaft. Wie ich später erfahren sollte, war er tatsächlich der einzige vorn und achtern, der etwas von einem Seemann hatte.

Der größte Teil der Mannschaft war noch nicht an Bord gekommen, musste aber – wie mir der Steuermann knurrend und in einem Ton, der böse Vorahnungen enthüllte, versicherte – jeden Augenblick eintreffen. Die bereits an Bord Befindlichen waren mehr zufällige Leute, die in New York ohne Vermittlung eines Heuerbaas angemustert hatten. Und wie die eigentliche Mannschaft sein würde, das wüsste Gott allein, sagte der Steuermann. Knirps, der japanisch- (oder malaiisch-) italienische Mischling, erzählte der Steuermann, sei ein tüchtiger Seegast, obgleich er bisher nur auf Dampfschiffen gefahren und dies seine erste Reise auf einem Segler wäre.

»Richtige Seeleute!« schnaufte Pike höhnisch, als ich ihn fragte, »die kriegen wir überhaupt nicht. Nur Landratten! Jeder Bauerntölpel und Kuhtreiber nennt sich heutzutage Seemann. Das ist der Dreh, womit sie ihre Ansprüche begründen und sich bezahlen lassen. Der Kauffahrteidienst ist zum Deibel gegangen. Es gibt überhaupt keine Seeleute mehr.«

Ich merkte, dass der Atem des Steuermannes stark nach Whisky roch. Aber er taumelte nicht und schien überhaupt nicht berauscht zu sein. Erst später sollte ich erfahren, dass seine Gesprächigkeit bei dieser Gelegenheit etwas Außergewöhnliches war, und dass nur der Alkohol ihm die Zunge gelöst hatte.

»Aber ich hörte doch«, meinte ich, »dass die Elsinore als eins der besten Segelschiffe gilt.«

»Ist sie auch. Aber was ist sie schließlich? Nur eine verfluchte Warenkiste. Herrgott! Ja, die guten alten Klipper – das war noch was anderes! Wenn ich an die denke! Und wenn ich an die Flotten der Teeklipper denke, die in Hongkong zu laden pflegten und durch die Ostpassagen liefen! Ein schöner Anblick! Herrlich!«

Ich lauschte mit lebhaftem Interesse. Hier war tatsächlich ein Mensch, ein lebender Mensch. Ich hatte es durchaus nicht eilig, in die Kajüte zu kommen, wo Wada meine Sachen auspackte. Deshalb setzte ich meinen Spaziergang mit Herrn Pike an Deck fort. Er war ein Riese, breitschultrig, von schwerem Knochenbau. Trotz seiner schlechten Haltung maß er reichlich seine sechs Fuß. Ich warf einen verstohlenen Blick auf seine knochigen Hände. Jeder von seinen Fingern wog drei von den meinen auf. Sein Handgelenk war dreimal so stark wie das meine.

»Wieviel wiegen Sie?« fragte ich.

»Hundertneunzig. Aber in alten Tagen, in meiner besten Zeit, da kam ich beinahe auf zweihundertzwanzig.«

»Und die Elsinore kann also nicht laufen?« sagte ich, auf das Thema zurückkommend, das ihn so sehr interessiert hatte.

»Ich wette, was Sie wollen – von einem Pfund Tabak bis zu einer Monatsheuer –, dass sie mindestens ihre hundertfünfzig Tage um Kap Horn herum braucht«, antwortete er. »Aber mit der Flying-Cloud habe ich die Fahrt in achtundneunzig Tagen gemacht ... achtundneunzig Tage, mein Herr, von Sandy Hook bis Frisco. Und sechzig Mann vor dem Mast, sechzig Mann, die Männer waren, und acht Jungens! Dreihundertvierundsiebzig Meilen an einem einzigen Tage unter Bramsegel, und in den Böen genügten achtzehn Knoten der Logleine nicht zum Messen. Achtundneunzig Tage – ein Rekord, der nie geschlagen und auch nur einmal erreicht wurde, neun Jahre später, von dem alten Andrew Jackson. Ja, ja, das waren Zeiten!«

»Wann hat dieser Andrew Jackson denn den Rekord erreicht?« fragte ich. Denn ich begann den Verdacht zu hegen, dass er mich gründlich aufziehen wollte.

»Achtzehnhundertsechzig«, antwortete er prompt.

»Und Sie segelten mit der Flying Cloud neun Jahre früher? Und jetzt haben wir 1913. Dann wäre es also zweiundsechzig Jahre her –«

»Und ich war erst sieben Jahre alt«, sagte er und lachte. »Meine Mutter bediente die Passagiere auf der Flying-Cloud. Ich kam auf hoher See zur Welt. Mit zwölf Jahren wurde ich Schiffsjunge auf der Herald of the Moon, als sie Kap Horn in neunundneunzig Tagen machte ... die halbe Mannschaft lag die meiste Zeit in Eisen, fünf Mann gingen über Bord, drei Mann wurden an einem Tage von den Offizieren niedergeknallt, der Untersteuermann totgeschlagen, und kein Mensch ahnte, von wem. Aber die Mannschaft wurde angetrieben und gehetzt, unaufhörlich, neunundneunzig Tage von Land zu Land, eine Fahrt von siebzehntausend Meilen, und zwar Ost zu West um das verfluchte Kap herum!«

»Dann wären Sie ja aber neunundsechzig Jahre alt«, wandte ich ein.

»Bin ich auch«, erklärte er stolz. »Und doch ein anderer Kerl als die Waschlappen von heute. Die würden samt und sonders verrecken bei dem, was ich durchgemacht habe.«

Ich trottete neben diesem mächtigen Überbleibsel vergangener Zeiten an Deck auf und nieder und lauschte seinen Erinnerungen aus jenen Tagen, da man noch Männer getötet und wie Vieh zur Arbeit angetrieben hatte. Es war kaum zu glauben – und doch, wenn ich seine schlechte Haltung und die Art, wie er beim Gehen die riesigen Füße nachschleppte, betrachtete, war ich geneigt zu glauben, dass er so alt war, wie er sagte. Er sprach jetzt von Kapitän Sonurs.

»Das war ein großer Seemann –«, sagte er. »Und in den beiden Jahren, die ich mit ihm fuhr, gab es nicht einen einzigen Hafen, den wir anliefen, ohne dass ich von Bord ging und mich versteckte ... wenn das Schiff aber den Hafen verlassen sollte, schlich ich mich wieder an Bord ...«

»Aber warum in aller Welt taten Sie das?«

»Na, der Mannschaft wegen ... die Mannschaft hatte blutige Rache geschworen und drohte mit Haufen von Anzeigen gegen mich, weil ich meine eigene Art habe, die Leute zu Matrosen zu erziehen. Ich weiß nicht mehr, wie oft ich auf frischer Tat gefasst bin, und wie viele Strafen der Schiffer meinetwegen hat zahlen müssen ... aber ich hatte doch dafür zu sorgen, dass das Schiff so viel Geld verdiente ...«

Er hielt seine riesigen Pranken in die Höhe, und als ich die zerkämpften und missgestalteten Knöchel sah, wusste ich, welcher Art seine Arbeit gewesen war ...

»Aber jetzt ist es aus damit«, klagte er. »Heutzutage ist der Seemann ein feiner Herr. Man darf keine Hand, nicht mal die Stimme gegen ihn erheben.«

In diesem Augenblick wurde er vom Kampanjebogen aus angerufen. Vom Untersteuermann – einem starkknochigen, glattrasierten, blonden Mann von Mittelgröße.

»Schlepper mit der Mannschaft in Sicht, Steuermann!« meldete er.

Der Steuermann grunzte bestätigend; dann fügte er hinzu: »Kommen Sie mal, Herr Mellaire, ich möchte Sie mit unserm Fahrgast bekanntmachen.«

Es war auffallend, wie der Untersteuermann, Herr Mellaire, die Kampanjetreppe herunterkam, um sich an unserer Unterhaltung zu beteiligen. Er war von einer altmodischen Höflichkeit, seine Stimme war sanft und angenehm. Seiner Sprache nach stammte er unzweifelhaft aus der Gegend südlich von Mason und Dixon.

»Aus dem Süden?« fragte ich.

»Aus Georgia, Herr.« Und er verbeugte sich und lächelte, wie nur ein Mann aus dem Süden katzbuckeln und lächeln kann.

Sein Gesicht und seine Manieren waren liebenswürdig und nett – und doch hatte ich nie einen solchen Mund gesehen! Dieser Mund war ein klaffender Spalt. Es gibt einfach kein anderes Wort, womit man diesen herben, verzerrten Mund mit den dünnen Lippen, die so liebenswürdig sprachen, hätte bezeichnen können. Unwillkürlich sah ich mir seine Hände an – sie ähnelten denen des Steuermanns. Auch sie waren derb und missgestaltet, und ihre Knöchel waren zerschlagen. Dann sah ich ihm tief in die blauen Augen. Auf ihrer Oberfläche lag eine leuchtende Schicht, ein strahlender Überzug von sanfter Liebenswürdigkeit. Aber ich spürte, dass hinter dieser Oberfläche etwas anderes liegen musste, etwas, das weder Wahrheit noch Gnade kannte. Hinter diesem sanften Glanz barg sich etwas Katzenhaftes, Feindliches, Mörderisches. Hinter dieser Schicht von liebenswürdigem Lächeln und gesellschaftlichem Schein lebte das Furchtbare, das diesen Mund zu dem klaffenden Spalt gemacht hatte.

Als ich so Angesicht zu Angesicht mit Mellaire stand und mich freundlich mit ihm unterhielt, hatte ich das Gefühl, das uns ergreift, wenn wir im Walde oder im Dschungel merken, dass wilde Tiere uns beobachten, ohne dass wir selbst sie sehen. Offen gestanden fürchtete ich mich vor diesem Etwas, das tief im Schädel Mellaires auf der Lauer lag.

Ich sah Wada in der Kajütentür. Offenbar wartete er auf eine Gelegenheit, mich um Anweisungen zu bitten. Ich schickte mich an, zu ihm zu gehen. Pike warf mir einen schnellen Blick zu und sagte: »Nur einen Augenblick, Herr Pathurst!«

Er gab dem Untersteuermann einige Aufträge. Der drehte sich um und ging voraus. Ich blieb stehen und wartete, was Pike mir mitzuteilen hätte. Aber er schien nicht sprechen zu wollen, ehe der Untersteuermann außer Hörweite war. Dann beugte er sich zu mir herüber und sagte:

»Bitte erzählen Sie keinem, was ich Ihnen über mein Alter gesagt habe. Bei jeder Anmusterung habe ich mich um ein Jahr jünger gemacht. Ich bin jetzt vierundfünfzig – nach der Musterrolle.«

»Und Sie sehen auch nicht um einen Tag älter aus«, warf ich hin, und ich meinte wirklich, was ich sagte.

»Und ich fühle mich auch nicht älter. Ich kann mit den kräftigsten jungen Burschen um die Wette arbeiten. Aber lassen Sie bitte keinen Menschen etwas von meinem Alter ahnen. Die Schiffer sind nicht besonders scharf auf Steuermänner, die um die Siebzig sind. Und die Reeder auch nicht, Herr Pathurst! Ich hatte mir ja Hoffnung auf dieses Schiff gemacht, und ich glaube, ich hätte es auch gekriegt, wenn der Alte sich nicht plötzlich entschlossen hätte, wieder in See zu stechen. Als ob er noch Geld nötig hätte, der alte Geizkragen!«

»Hat er denn soviel?« fragte ich.

»Na, und ob! Wenn ich nur ein Zehntel von seinem Geld hätte, könnte ich mich zurückziehen, mir eine Hühnerfarm in Kalifornien kaufen und wie ein Fürst leben –, ja, wenn ich nur ein Fünfzigstel hätte. Er hat Anteile von der Blackwood-Reederei, und die hat immer Schwein gehabt und viel Geld verdient. Ich fange an, alt zu werden, und es wird Zeit, dass ich ein Kommando kriege. Aber nein – der Alte musste es sich in den Kopf setzen, wieder zu fahren, gerade als die Koje für mich gemacht war! Sie sagen also nichts von meinem Alter, Herr Pathurst – kein Wort, nicht wahr?«

»Kein Wort, Herr Pike!«

Meuterei auf der Elsinore

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