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III

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Reichlich durchfroren, wie ich war, überraschte mich die Wärme und Behaglichkeit in der Kajüte. Alle Türen standen offen, so dass man eine lange Zimmerflucht vor sich zu haben schien. Der Eingang von Deck auf Backbord führte in eine breite Diele, die mit schönen Teppichen ausgelegt war. Von hier aus gelangte man – ebenfalls auf Backbord – in fünf Räume: dem Eingang am nächsten lag die Kabine des Steuermanns, daneben befanden sich die beiden Räume, die für mich in ein einziges großes Zimmer umgeändert waren, ferner die Kabine des Stewards und schließlich, unmittelbar daneben, ein Reserveraum, der für das Gepäck diente.

Die Räume auf der anderen Seite der Diele kannte ich noch nicht, aber ich wusste, dass dort der Speisesaal war, die Badezimmer, die »große Kajüte«, die wirklich ein richtiger Salon war, die Kapitänskabine und zweifellos die Kabine Fräulein Wests. Ich konnte sie singen hören, während sie mit ihrem Gepäck herumhantierte. Die Pantry des Stewards, die durch einige Kreuzgänge und durch die zum Navigationshaus auf der Kampanje führende Treppe mehrfach geteilt wurde, war mit strategischem Weitblick in die Mitte gelegt, so dass sie das Zentrum bildete.

Ich ging vorsichtig durch die Diele achteraus und sah, dass sie unmittelbar in die Achterpieck der Elsinore führte. Das war ein einziger großer, fünfunddreißig Fuß breiter und fünfzehn bis achtzehn Fuß langer Raum, dessen Seitenwände den geschwungenen Linien des Achterstevens folgten. Sie wurde offenbar als eine Art Vorratskammer verwendet – ich sah dort Aufwascheimer, ganze Rollen von Segeltuch, viele Kisten, auch Schinken und Speckseiten in Mengen. Eine Leiter führte durch ein enges Luk zur Kampanje hinauf. Im Fußboden war noch ein Luk zu sehen.

Ich redete den Steward an – er war ein alter Chinese, mit glattem Gesicht und schnellen Bewegungen. Seinen Namen habe ich nie lernen können. Nach der Musterrolle war er fünfundsechzig Jahre alt.

»Was ist da unten?« fragte ich und zeigte auf das Luk.

»Das Lazarett«, antwortete er.

»Und wer isst hier?« Ich wies auf einen Tisch mit zwei Stühlen, die am Boden festgenagelt waren.

»Dies zweiter Tisch. Hier Untersteuermann und Zimmerbaas essen.«

Als ich Wada die nötigen Anweisungen zur Ordnung meiner Sachen erteilt hatte, sah ich auf meine Uhr. Es war noch ganz früh nachmittags, erst wenige Minuten nach drei. Ich ging deshalb wieder auf das Deck, um die Ankunft der Mannschaft zu beobachten. Leider kam ich zu spät, um sie aus dem Schlepper an Bord klettern zu sehen, traf aber vor dem Mittschiffhaus einige Nachzügler, die sich nach der Back begaben. Sie hatten offenbar reichlich Schnaps getrunken, und in keinem Verbrecherviertel habe ich je eine runtergekommenere, elendere und abstoßendere Gesellschaft gesehen. Ihre Kleidung bestand nur aus Lumpen. Ihre Gesichter waren aufgedunsen, blutbeschmiert und dreckig. Ich will nicht gerade behaupten, dass sie wie Verbrecher aussahen, aber sie waren unbeschreiblich verwahrlost und widerlich.

»Na, los, ein bisschen dalli! Schmeißt euern Dreck ins Vorderkastell, aber schnell!«

Herr Pike rief diese Worte scharf von der Laufbrücke herunter. Leicht und elegant aus Stahl und Holz erbaut, lief diese durch die ganze Elsinore, von der Kampanje über das Mittschiffshaus und die Back bis zum Bug.

Bei den gebieterischen Worten des Steuermanns drehten die Männer sich taumelnd um und glotzten zu ihm hinauf. Ein paar von ihnen versuchten mit ungeschickten Bewegungen zu gehorchen. Die andern starrten den Steuermann feindselig an. Einer, dessen Gesicht ein übermütiger Gott bei der Schöpfung zerschlagen zu haben schien, lachte roh und spie höhnisch aufs Deck – später erfuhr ich, dass er Larry hieß. Dann wandte er sich in aller Ruhe zu den Kameraden und sagte laut und mit heiserer Stimme:

»Wer, zum Deubel, ist der alte Schuft da oben, Kameraden?«

Ich sah, wie der gewaltige Körper des Steuermanns sich unwillkürlich straffte und seine riesigen Hände sich um das Brückengeländer krallten. Im Übrigen aber bewahrte er seine Selbstbeherrschung.

»Los, da unten« sagte er. »Ich habe nicht die Absicht, so was zu dulden. Marsch, ins Vorderkastell!«

Und zu meinem Befremden drehte er sich dann ruhig um und schlenderte achteraus über die Brücke bis zu der Stelle, wo der Schlepper gerade die Leine einholte. Mehr steckt also nicht hinter seinen großmächtigen, gewaltigen Worten von Töten und Hetzen, dachte ich. Erst als ich von achtern an Deck zurückkehrte, erinnerte ich mich, bemerkt zu haben, dass Kapitän West, an den Kampanjebogen gelehnt, nach der Back geblickt hatte.

Der Schlepper wollte gerade loswerfen, und ich beobachtete das Manöver, bis er klar geschert war. Im selben Augenblick entstand eine babylonische Verwirrung von Johlen und Brüllen, und eine Menge schnapsheiserer Stimmen schrie, ein Mann sei über Bord gegangen. Der Untersteuermann sprang die Kampanjetreppe herunter und lief hinter mir her über das Deck. Der Steuermann, der immer noch auf der schlanken, weißgestrichenen Laufbrücke stand, die leicht wie ein Spinngewebe wirkte, überraschte mich durch die Schnelligkeit, mit der er über die Brücke bis zum Mittschiffshaus lief, auf die Segeltuchdecke des großen Bootes sprang und sich von dort außenbords schwang, um besser sehen zu können, was es gab. Ehe die anderen Männer auf die Reling geklettert waren, hatte der Untersteuermann schon eine Leine über Bord geworfen.

Was solchen Eindruck auf mich machte, war die geistige und körperliche Überlegenheit dieser beiden Offiziere. Trotz ihrem Alter – der Steuermann war neunundsechzig und der Untersteuermann wenigstens fünfzig – hatten ihre Gehirne und ihre Körper mit der Schnelligkeit und Genauigkeit von Stahlfedern funktioniert. Sie schienen von ganz anderer Art als die übrigen Seeleute, die ihnen unterstellt waren. Die hatten in ihrer Ratlosigkeit nur um Hilfe gerufen, ihren langsamen Gehirnen und ihren noch langsameren Körpern war es nicht einmal gelungen, auf die Reling zu klettern. Der Untersteuermann hingegen war die Treppe von der Kampanje heruntergesprungen, zweihundert Fuß weit über Deck gelaufen und auf die Reling geklettert. Er hatte sofort die Lage erfaßt und die Leine ins Wasser geworfen. Und was Pike getan, konnte sich damit messen. Er und Mellaire meisterten diese Taugenichtse von Seeleuten durch ihre ungeheure Überlegenheit an Tatkraft und Willen.

Ich selbst war unterdessen auf ein großes hölzernes Betingsknie geklettert, so dass ich den Mann im Wasser sehen konnte. Er schwamm offenbar absichtlich vom Schiffe weg. Er war ein dunkelhäutiger Mann aus den Ländern des Mittelmeeres, und sein Gesicht, das ich nur flüchtig sah, war wie im Irrsinn verzerrt. Der Untersteuermann hatte die Leine so genau geworfen, dass sie über die Schulter des Mannes fiel und sich um seine Arme schlang, bis es ihm nach einigen Schwimmzügen gelang, sich klarzumachen. Als das geschehen war, begann er unter wildem Geschrei irgendein noch wilderes Lied zu grölen. Und als er einmal die Arme hob, um seinen Worten mehr Nachdruck zu verleihen, sah ich die Klinge eines langen Messers in seiner Hand blinken.

Glocken läuteten schrill an Bord des Schleppers, als er hindampfte, um Hilfe zu bringen. Ich warf einen verstohlenen Blick auf Kapitän West – er war auf die Backbordseite der Kampanje getreten, stand jetzt, mit den Händen in den Taschen, da und starrte bald voraus nach dem kämpfenden Mann, bald achteraus nach dem Schlepper. Er gab keine Befehle, zeigte nicht die geringste Erregung und erschien mir – das darf ich ruhig sagen – als der gleichgültigste Zuschauer, den man sich denken kann.

Der Mensch im Wasser wollte sich jetzt ausziehen. Ich sah zuerst den einen nackten Arm und dann den andern erscheinen. Infolge seiner Anstrengungen verschwand er zuweilen ganz unter Wasser, tauchte aber immer wieder auf, schwang sein blitzendes Messer, johlte und heulte.

Ich schlenderte nach vorn und kam gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie der Mann über die Reling der Elsinore gezogen wurde. Er war splitternackt, mit Blut beschmiert und vollkommen wild. Er hatte sich selbst an zahlreichen Stellen geschnitten und zerfleischt. Aus einer Wunde am Handgelenk spritzte das Blut bei jedem Pulsschlag. Er war ein widerliches, entmenschtes Ding ... Die Seeleute umringten ihn, packten ihn und zerrten an ihm, während sie lachten und Hurra brüllten. Die beiden Offiziere stießen sie beiseite, zogen den Verrückten über das Deck und verschwanden mit ihm in einem Raum mittschiffs. Unwillkürlich fiel mir die Kraft der beiden Offiziere auf. Ich hatte viel von der ungeheuren Kraft von Irren gehört, aber dieser Verrückte war wie ein Strohhalm in ihren Händen. Als sie ihn in die Koje geschleppt hatten, hielt Pike den strampelnden Mann ohne Mühe mit einer Hand fest, während er den Untersteuermann nach Marlien schickte, um dem Verrückten die Arme zu binden.

»Säuferwahnsinn« – sagte Pike grinsend zu mir –, »ich habe manchen von der Sorte kennengelernt, aber der hier schlägt doch jeden Rekord.«

»Was wollen Sie mit ihm machen?« fragte ich. »Der Mann verblutet ja.«

»Umso besser«, sagte er ohne Zögern. »Der wird uns noch genug zu schaffen machen, bis wir ihn loswerden können. Wenn er wieder vernünftig geworden ist, werde ich ihn zusammenflicken ... Selbst wenn ich ihm erst einen tüchtigen Kinnhaken geben muss, damit er stilliegt.«

Ich betrachtete seine übermäßig großen Hände und verstand, dass er imstande war, einen Mann mit ihnen zu betäuben. Dann ging ich wieder auf Deck. Da bemerkte ich Kapitän West auf der Kampanje, noch immer mit den Händen in den Taschen; ohne jedes Interesse für alles, was um ihn her geschah, starrte er auf eine blaue Lichtung im nordwestlichen Himmel. Mehr noch als die Steuerleute und der Verrückte, mehr als die Empfindungslosigkeit der besoffenen Mannschaft machte diese ruhige Gestalt mir klar, dass ich mich in einer Welt befand, die sich vollkommen von allem unterschied, was ich bisher kennengelernt hatte.

Wada riss mich aus meinen Gedanken. Fräulein West schickte ihn, um mich zu einer Tasse Tee in die Kajüte zu bitten.

Meuterei auf der Elsinore

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