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Als ich wieder an Deck kam, war der Schlepper Britannia bereits in Sicht. Er sollte uns durch die Chesapeake-Bucht ins offene Meer hinausschleppen. Als ich vorausschlenderte, sah ich, wie Sundry Buyers die Matrosen aus dem Vorderkastell trieb. Ein anderer Mann half ihm, die Leute aus der Back zu holen. Ich fragte Pike, wer das sei.

»Nancy – mein Bootsmann. Ein Prachtkerl, nicht wahr?« lautete die Antwort. Aus der Art, wie der Steuermann sprach, konnte ich seinen Spott heraushören.

Nancy konnte kaum mehr als dreißig Jahre alt sein, sah aber viel älter aus. Er hatte keine Zähne, machte einen trübseligen Eindruck und hatte müde Bewegungen. Seine Augen waren schiefergrau und matt, sein glattrasiertes Gesicht hatte eine gelbe, ungesunde Farbe. Mit den schmalen Schultern, der eingefallenen Brust und den tief ausgehöhlten Wangen glich er einem Schwindsüchtigen im letzten Stadium. Und solche Leute waren Bootsmänner – Bootsmänner des schönen amerikanischen Segelschiffes Elsinore!

Es war mir ganz klar, dass diese beiden einfach die Männer fürchteten, die sie leiten und antreiben sollten. Und die Mannschaft selbst? Ein Doré wäre nicht imstande gewesen, ein lieblicheres Höllengesöff zu brauen. Es war das erste Mal, dass ich sie in ihrer Gesamtheit kennenlernte, und ich kann die beiden Bootsmänner tatsächlich nicht einmal tadeln, wenn sie Angst hatten. Diese Seeleute schlichen und schlotterten, einzelne schwankten und taumelten sogar, mochte es nun aus Schwäche oder Trunkenheit sein.

Aber das Schlimmste waren doch ihre Gesichter. Unwillkürlich musste ich daran denken, was Fräulein West mir soeben gesagt hatte: dass alle Schiffe einzelne Verrückte oder Schwachköpfe unter ihrer Mannschaft hätten. Diese aber sahen aus, als ob sie alle verrückt oder schwachsinnig wären ... Unwillkürlich musste ich mich fragen, wo man überhaupt eine solche Sammlung menschlicher Wracks hatte ausfindig machen können! Irgendein Gebrechen hatte jeder von ihnen. Einer – ein großer Bursche, offenbar irischer Abstammung – war unverkennbar verrückt. Er sprach und murmelte beständig vor sich hin. Ein kleines, buckliges Männlein, das immer den Kopf schief hielt, fahle blaue Augen und das pfiffigste und bösartigste Gesicht hatte, das mir je vorgekommen war, erzählte dem verrückten Iren, den er O'Sullivan nannte, einen gemeinen Witz. Aber O'Sullivan nahm keine Notiz davon, sondern murmelte weiter. Dicht hinter dem Männchen erschien ein übergroßer, dicker, junger Trottel, und nach ihm ein anderer junger Bursche, so lang aufgeschossen und ausgehungert, dass man sich nur wundern konnte, wie sein bisschen Fleisch noch die Knochen zusammenhielt. Nach diesem wandelnden Skelett aber kam das seltsamste Geschöpf, das ich je im Leben gesehen. Gesicht und Körper waren wie von tausendjährigen Martern verzerrt. Er glich einem misshandelten und blödsinnigen Faun. Seine großen schwarzen Augen leuchteten mit einem merkwürdig eifrigen und schmerzlichen Ausdruck: sie glitten fragend von Gesicht zu Gesicht, von einem Gegenstand zum andern. Sie waren schmerzhaft wach, diese Augen, als suchten sie stets den Schlüssel zu einem überwältigenden und verhängnisvollen Rätsel. Erst später lernte ich den Grund dieses merkwürdigen Blickes kennen – der Mann war stocktaub, sein Trommelfell war bei der Kesselexplosion geplatzt, die auch sonst seinen Körper verunstaltet hatte.

Ich bemerkte den Steward, der in der Kombüsentür stand und die Männer aus der Ferne beobachtete. Sein scharfes, asiatisches Gesicht mit dem lebhaften und gescheiten Ausdruck war ein wahres Labsal für das Auge; und ebenso das des Knirpses, der jetzt mit einem heiterem Lachen aus dem Vorderkastell kam. Und dennoch stimmte auch bei ihm nicht alles. Er war ein Zwerg, und ich erfuhr allmählich, dass seine strahlende Laune in Verbindung mit seinem allzu geringen Verstand ihn zu einem wahren Clown machte.

Pike blieb einen Augenblick neben mir stehen. Während er die Männer beobachtete, beobachtete ich ihn. Er hatte den Ausdruck eines Viehhändlers, und es war klar, dass er mit der Qualität des gelieferten Viehs höchst unzufrieden war.

»Irgendwas hat jeder von den Kerlen –«, knurrte er. Immer neue kamen zum Vorderkastell heraus: Da war ein blasser Bursche mit lauerndem Blick, dem ich es gleich ansehen konnte, dass er dem Opium verfallen war. Da kam ein anderer, ein winziger, welker Greis mit einem runzligen, vertrockneten Gesicht und stechenden, boshaften blauen Augen. Ein Dritter tauchte auf – ein kleiner Mann in guter Form, der meinen unerfahrenen Augen als das normalste und intelligenteste Exemplar der ganzen Gesellschaft erschien. Aber die Augen des Steuermanns waren besser geschult als die meinen.

»Was ist denn mit dir los?« knurrte er den Mann mürrisch an.

»Gar nichts, Steuermann antwortete der Bursche, der sofort stehengeblieben war.

»Wie heißt du?« Wenn Pike sich an die Matrosen wandte, geschah es immer mit einem Fauchen.

»Charles Davis, Steuermann –«

»Warum humpelst du?«

»Ich humple nicht, Steuermann«, antwortete der andere respektvoll.

Als der Steuermann ihm durch ein Nicken mit dem Kopfe angedeutet hatte, dass er verschwinden dürfte, marschierte er flott über das Deck mit einem Schwung der Schultern, wie man ihn sonst nur bei Zuhältern sieht.

»Ein richtiger Seemann«, brummte der Steuermann; »aber ich wette ein Pfund vom besten Tabak oder ein Monatsgehalt, dass etwas mit ihm nicht stimmt.«

Die Back schien sich jetzt geleert zu haben, aber der Steuermann wandte sich zu den Bootsmännern und fauchte sie an:

»Was macht ihr denn, verflucht noch mal? Schlaft ihr? Bildet ihr euch vielleicht ein, dass dies ein Sanatorium ist? Marsch, hinein mit euch und jagt sie heraus!«

Sundry Buyers drückte bedächtig die Hände gegen den Unterleib und blieb zögernd stehen, während Nancy, dessen Gesicht störrische und leidende Hoffnungslosigkeit ausdrückte, sich widerwillig ins Vorderkastell begab. Dann hörte man drinnen gemeine, widerwärtige Flüche und von Nancy eindringliche und eifrige, in bittendem und demütigem Ton vorgebrachte Versicherungen.

Ich bemerkte die erboste Miene des Steuermanns und war darauf vorbereitet, Gott weiß was für Ungeheuer aus der Back auftauchen zu sehen. Zu meiner Überraschung erschienen drei Burschen, die erstaunlich besser wirkten als das Gesindel, das ich bisher gesehen hatte. Ich dachte, dass das Gesicht des Steuermannes sich nunmehr erhellen und eine gewisse Befriedigung zeigen würde. Aber nein – seine blauen Augen zogen sich zu schmalen Schlitzen zusammen, das fauchende Knurren schien zu einem Zähnefletschen zu werden, so dass er aussah wie ein Hund, der beißen will.

Die Burschen waren alle drei klein. Und jung, zwischen fünfundzwanzig und dreißig. Trotz ihrem derben Zeug wirkten sie gut gekleidet. Die Gesichter waren scharfgeschnitten und intelligent.

Sie gehörten nicht zu dem unterernährten, alkoholvergifteten Typ jener Seeleute, die ihre letzte Heuer versaufen und dann hungern, bis sie einen Vorschuss auf die neue Fahrt erhalten und wieder versaufen können. Die drei waren durchtrainiert und kräftig. Ihre Bewegungen waren von Natur lebhaft und sicher. Ich war überzeugt, dass sie gar keine Seeleute waren. Sie vertraten einen Typ, dem ich noch nie begegnet war. Vielleicht kann ich ein besseres Bild von ihnen geben, indem ich einfach schildere, was jetzt geschah.

Als sie an uns vorbeigingen, beehrten sie Pike mit demselben gleichgültigen, kühlen Blick wie mich.

»Wie heißt du ... du da?« kläffte der Steuermann den ersten des Trios an. Er war augenscheinlich ein jüdisch-irischer Mischling. Seine Nase war unverkennbar jüdisch. Ebenso unverkennbar war aber das irische Element in seinen Augen, seinem Kinn und seiner Oberlippe.

Die drei waren unwillkürlich stehengeblieben, und obgleich sie sich nicht etwa ansahen, hatte man doch den Eindruck, dass sie eine stumme Besprechung miteinander abhielten. Ein anderer des Trios gab ein Warnungszeichen. Oh, beileibe nichts so Derbes wie einen Wink oder ein Nicken, nur etwas wie der Schatten eines Ausdrucks war über sein Gesicht geflogen oder ein Leuchten plötzlich in seinem Antlitz aufgeflackert.

»Murphy –«, antwortete der andere dem Steuermann.

»Steuermann«, fauchte Pike ihn an.

Murphy zuckte die Achseln zum Zeichen, dass er nicht begriff, was der Steuermann meinte. Es war das sichere Auftreten dieser Leute, ihre kaltblütige, selbstsichere Haltung, die Eindruck auf mich machte.

»Wenn du einen Offizier hier auf dem Schiff anredest, hast du den Rang zu sagen«, erklärte Pike mit rauer Stimme. »Verstanden?«

»Jawohl ... Steuermann.« Murphy zog die Worte mit wohlberechneter Langsamkeit in die Länge. »Hab's verstanden.«

»Steuermann«, brüllte Pike.

»Steuermann«, antwortete Murphy so sanft und gleichgültig, dass es den Steuermann zu weiterem Poltern reizte.

»Gut ... aber Murphy passt mir nicht«, sagte er, »Nase ... das muss dir hier an Bord genügen. Verstanden?«

»Hab verstanden, Steuermann«, lautete die durch ihre sanfte Gleichgültigkeit unverschämte Antwort. »Nasen-Murphy also – Steuermann.«

Und dann lachte er. Alle drei lachten. Wenn man ein Lachen ohne Laut und ohne Bewegung des Gesichts Lachen nennen kann. Nur die Augen lachten. Ein Lachen ohne Heiterkeit, ein kühles, kaltblütiges Lachen.

Sicher ist, dass Pike keinen besonderen Gefallen an diesen seltsamen Persönlichkeiten fand. Er wandte sich an den Anführer, der das Warnungszeichen gegeben hatte. »Und wie heißt du?«

»Bert Rhine, Steuermann«, lautete die Antwort in einem Ton, der ebenso sanft, gleichgültig und seidenweich war wie der des anderen.

»Und du?« Diese Frage galt dem Letzten, dem Jüngsten des Trios – einem schwarzäugigen Burschen mit olivfarbener Haut und einem Gesicht, dessen bildhafte Schönheit verblüffte. Geboren in Amerika, stellte ich fest, von Emigranten aus Süditalien.

»Twist, Steuermann«, antwortete er in genau derselben Weise wie die beiden andern.

»Viel zu unbequem«, knurrte der Steuermann. »Bub genügt für dich ... verstanden?«

»Hab verstanden – Steuermann. Bub Twist genügt für mich – Steuermann.«

»Bub allein genügt!«

»Bub – Steuermann.«

Und die drei lachten ihr lautloses, freudloses Lachen. Der Steuermann war jetzt außer sich vor Wut, die umso schlimmer war, als ihm kein Vorwand zu einem Ausbruch gegeben wurde.

»Nun will ich euch mal was erzählen, euch dreien, und ihr tut gut daran, zuzuhören!« Seine Stimme knirschte förmlich vor unterdrückter Wut. »Ich kenne Leute euren Schlages. Dreck seid ihr! Verstanden? Ihr seid Dreck! Aber eure Arbeit werdet ihr tun wie Männer! Sobald auch nur einer von euch mit einem Auge blinzelt oder nur so tut, als ob er blinzeln wollte, werd' ich ihm was ... Verstanden? Und jetzt macht, dass ihr wegkommt. Voraus ans Spill!«

Pike drehte sich um, und ich blieb neben ihm, als er achteraus ging.

»Wie gefallen Ihnen die drei?« fragte ich neugierig.

»Das ist die Höhe«, murrte er. »Die Sorte kenne ich. Die haben schon hinter schwedischen Gardinen gesessen, die drei Burschen. Das ist der schlimmste Höllendreck ...«

Hier wurde er durch ein Schauspiel unterbrochen, das sich ihm vom Großluk aus bot. Auf dem Luk lagen fünf oder sechs Männer und machten sich's bequem, unter ihnen auch Larry, die Vogelscheuche, die den Steuermann einen »alten Schuft« genannt hatte. Offenbar hatte Larry dem Befehl nicht gehorcht, denn er lehnte sich jetzt an seine Schiffskiste, die längst im Vorderkastell hätte sein müssen. Außerdem hätten sie alle schon am Bratspill arbeiten sollen. Der Steuermann sprang auf das Luk und stellte sich dort, turmhoch, neben den Mann.

»Steh auf!« befahl er.

Larry machte einen Versuch und stöhnte. Aber es gelang ihm nicht, auf die Beine zu kommen.

»Ich kann nicht«, sagte er.

»Steuermann.«

»Ich kann nicht, Steuermann. Ich war heut Nacht besoffen und hab bei Jefferson gepennt. Und heut Morgen war ich ganz steifgefroren. Sie mussten mich mit 'm Hammer losschlagen.«

»Steifgefroren warst du? Alter Schuft!« grinste der Steuermann.

»Wird wohl so sein, Steuermann«, antwortete Larry. Er blinzelte mit seinen trüben, streitsüchtigen Affenaugen. Eine Ahnung begann sich in ihm zu regen, dass der, welcher neben ihm stand, ein Mann war, der Männer kommandieren konnte.

»Gut, ich will dir mal zeigen, was geschieht, wenn man ein alter Schuft ist.« Höhnisch ahmte der Steuermann den irischen Akzent des andern nach.

Und jetzt werde ich berichten, was ich mit eigenen Augen sah ... und bitte, vergesst nicht, was ich von den riesigen Flossen des Steuermanns erzählt habe. Mit einem einzigen nach oben gerichteten Schlag der offenen Hand (es waren nur die Finger, die Larrys Gesicht trafen) schleuderte er Larry hoch, dass er rücklings auf seine Kiste fiel. Der Mann neben Larry ließ ein drohendes Knurren hören und wollte kampfbereit aufspringen. Aber er kam gar nicht erst auf die Beine. Mit dem Handrücken gab Pike dem Mann eine ungeheure Backpfeife. Das laute Klatschen des Schlages wirkte einfach verblüffend. Die Kraft des Steuermanns war wirklich ungeheuerlich! Der Schlag sah so leicht, so mühelos aus – es erinnerte an den trägen Tatzenhieb eines gutmütigen Bären, aber es lag ein solches Gewicht von Knochen und Muskeln darin, dass der Mann auf das Deck kollerte.

In diesem Augenblick kam O'Sullivan zufällig vorbei. Er murmelte plötzlich etwas lauter als sonst. Herr Pike hörte es. Sofort wandte er sich kampfbereit wie ein Raubtier zu O'Sullivan um. »Was gibt's?«

Da sah Pike den blöden Ausdruck in O'Sullivans Gesicht und hielt den Schlag zurück. »Narrenhaus«, murrte er.

Unwillkürlich hatte ich nach oben geschaut, um zu sehen, ob Kapitän West auf der Kampanje war, und stellte fest, dass wir durch das Mittschiffshaus von der Kampanje getrennt waren.

Der Steuermann nahm keine Notiz weiter von dem Mann, der stöhnend auf dem Deck lag, sondern stellte sich über Larry, der ebenfalls wimmerte. Der Rest der Bande, die auf dem Luk herumgelungert hatte, stand schon auf den Beinen, überwunden, geknechtet, voller Respekt, und auch ich war von Bewunderung für diesen furchtbaren alten Mann erfüllt. Was ich gesehen, hatte mich völlig von der Wahrheit seiner Erzählungen aus seiner männerhetzenden und männertötenden Vergangenheit überzeugt.

»Wer ist jetzt ein alter Schuft?« fragte er.

»Ich, Steuermann«, jammerte Larry reuevoll.

»Aufstehen!«

Ohne Schwierigkeit kam Larry sofort auf die Beine.

»Und jetzt voraus ans Spill, Mann! Ans Spill!«

Und sie gingen mürrisch und mit schleppenden Füßen, geknechtete Tiere, die sie waren.

Meuterei auf der Elsinore

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