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VI

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Ich erstieg die Treppe zum Vorschiff (das, wie ich feststellte, das Vorderkastell, die Kombüse und den Donkey-Maschinenraum enthielt) und ging über die Laufbrücke bis zum Fockmast, von wo ich sehen konnte, wie die Mannschaft den Anker lichtete. Die Britannia lag längsseits, und wir begannen zu laufen.

Ein großer Teil der Mannschaft ging im Kreise um das Spill herum oder war anderweitig auf der Back beschäftigt. Die eigentliche Mannschaft war in zwei Wachen eingeteilt, deren jede fünfzehn Mann zählte. Dazu kamen noch Segelmacher, Schiffsjungen, Bootsmänner und Zimmerbaas. Im ganzen waren es also nicht weniger als vierzig Mann – aber was für welche! Sie waren schlechtgelaunt und schwerfällig. Sie hatten keinen Mumm, kein Feuer, keine Spur von Energie. Jede Bewegung, die sie machen mussten, jeder Handgriff schien sie Mühe zu kosten, man hatte den Eindruck, dass sie Schwerkranke waren, die man aus Krankenhausbetten herbeigeschleppt hatte.

Und krank waren sie ja wirklich – krank vom Suff, denn alle litten an gehöriger Alkoholvergiftung. Viel schlimmer aber war, dass sie entweder schwachsinnig oder verrückt waren.

Ich betrachtete das komplizierte Tauwerk, die stolzaufragenden Masten mit den mächtigen Rahen, die immer höher emporwuchsen, bis die stählernen Masten und Rahen durch schlanke Spieren aus Holz ersetzt wurden. Die mannigfachen Taue und Stags der Takelung hoben sich wie das feinste Spinngewebe vom Himmel ab. Daß eine solche Gesellschaft von Jammergestalten imstande sein sollte, dieses wunderbare Schiff durch Sturm, Finsternis und Gefahren zu lenken, erschien mir jenseits aller Wahrscheinlichkeit. Ich dachte an die beiden Offiziere, an die geistige und physische Überlegenheit Pikes und Mellaires – aber sollten selbst die aus diesen Schwächlingen soviel herausholen können?

Ich sah mir die verkrüppelte, verhungerte, verwelkte Schar von kranken Männern an, die ihren traurigen Trott im Kreise um das Spill machte. Pike hatte wirklich nicht unrecht: Diese Leute hatten nichts gemein mit den feurigen, kräftigen, verteufelten Seeleuten, die die Schiffe in den guten alten Tagen bemannten. Warum in aller Welt sangen sie nicht beim Ankerlichten, wie sich's gehört? In alten Tagen – das hatte ich tausendmal gelesen – wurde der Anker stets gelichtet, während die Männer ihre heiteren Lieder dazu sangen.

Bald wurde es mir langweilig, diese geistlose Vorstellung länger anzusehen, und ich ging auf meiner Forschungsreise wieder achteraus über die schlanke Laufbrücke. Die Kampanje, die in Wirklichkeit das Dach der gesamten Hütten bildete und den ganzen Achterteil des Schiffes einnahm, war sehr groß. Hier befanden sich das halbrunde und zur Hälfte überdeckte Ruderhaus und das Navigationshaus, dessen Türen auf jeder Seite in einen schmalen Gang führten. Ich guckte neugierig hinein und wurde von Kapitän West mit einem freundlichen Lächeln begrüßt. Er saß bequem zurückgelehnt auf einem Schlingerstuhl und hatte die Füße auf das Pult vor sich gelegt. In einem großen Sessel saß der Lotse. Beide rauchten gemütlich ihre Zigarren.

Als ich die Treppe zur Kajüte hinunterstieg, hörte ich Fräulein West leise singend in ihrer Kammer umhergehen. Ich ging an der Pantry vorbei und benutzte die Gelegenheit, den Steward zu begrüßen. Hier in seinem kleinen Reich herrschte wirkliche Tüchtigkeit. Jeder einzelne Gegenstand war sauber und auf seinem Platz, und man hätte vergeblich einen Diener gesucht, der lautloser sein konnte als er. Als er mir sein Gesicht zuwandte, war es ebenso ausdruckslos – oder ausdrucksvoll – wie das einer Sphinx. Aber seine schiefen, schwarzen Augen leuchteten vor Intelligenz.

»Was meinen Sie zu der Mannschaft?« fragte ich als Vorwand, um in seine Festung einzubrechen.

»Narrenhaus«, antwortete er ohne Zögern und schüttelte unzufrieden den Kopf. »Alle zusammen verrückt. Nicht gut. Gar nicht gut. Lauter Dreck. Alles in die Hölle.«

Das war alles, was er darüber zu sagen hatte, aber es bestätigte meine eigene Beobachtung.

Meine Kabine war entzückend. Wada hatte schon alles ausgepackt, meine sämtlichen Kleidungsstücke weggelegt und unzählige Regale mit den Büchern gefüllt, die ich mit an Bord gebracht hatte. Alles war schon an seinem Platz, von meinem Rasierzeug, das im Schubfach neben der Waschschüssel lag, meinen Seestiefeln und meinem Ölzeug, das zum sofortigen Anziehen bereit hing, bis zu meinem Schreibzeug auf dem Tisch. Vor diesem stand ein mit Leder bezogener Schlingersessel, der an den Fußboden festgeschraubt war. Meine Pyjamas waren bereitgelegt, mein Hausanzug ebenfalls, wie die Morgenschuhe, die auf ihrem gewohnten Platz neben dem Bett standen.

Ich war tief verstimmt über alles, was ich an Deck erlebt hatte. Und als ich mich jetzt in meinem Sessel zurücklehnte und ein Buch aufschlug, kam es wie eine Vorahnung über mich, dass diese Reise verhängnisvoll werden sollte. Als ich mich dann aber im Raum umsah und feststellen musste, dass ich auf keinem Personendampfer je so gut untergebracht gewesen war wie hier, da ließ ich alle dunklen Ahnungen wieder fahren und malte mir aus, wie ich Wochen und Monate all die wunderbaren Bücher lesen sollte, die ich so lange vernachlässigt hatte.

Bei Gelegenheit fragte ich Wada, ob er die Mannschaft gesehen hätte. Nein, aber der Steward hatte gesagt, dass es die schlechteste Mannschaft sei, die er je auf See getroffen hätte.

»Er sagen, alle verrückt«, erklärte Wada. »Er sagen, später großer Radau. Sie sehen, er sagen die ganze Zeit. Sie werden sehen, Sie werden sehen. Er guter alter Mann. Fünfundfünfzig Jahr, er sagen. Sehr kluger Chinamann. Eben jetzt, erstes Mal in viele Jahr, er gehen wieder zu See. Vorher sind er großer Geschäftsmann in San Francisco. Dann aber großer Krach. Sie sagen, er Opiumschmuggler. Er aber kommen nicht in Gefängnis, denn er nehmen guter Anwalt, aber langer Zeit Anwalt arbeiten, und als Krach vorbei, Anwalt nehmen all sein Geld. Sein ganz Geschäft. Alles. Sehr tüchtiger Anwalt! Dann er gehen zu See. Er verdienen großen Geld. Fünfundsechzig Dollar in ein Monat. Er aber nicht froh hier. Mannschaft alles verrückt. Wenn dieser Mal Reise Schluß, er gehen von Schiff und können machen großen Geschäft in San Francisco.«

Als Wada nachher ein Bullauge geöffnet hatte, um frische Luft hereinzulassen, hörte ich das Gurgeln und Schwappen des Wassers längsseits des Schiffes. Da wusste ich, dass wir den Anker gelichtet, dass die Britannia uns ins Schlepp genommen hatte und uns zur Chesapeakebucht hinausbugsierte. Unwillkürlich meldete sich bei mir der Gedanke, dass es noch nicht zu spät sei. Ich konnte noch sehr gut das Abenteuer aufgeben und mit der Britannia nach Baltimore zurückkehren. Aber da hörte ich ein leises Klappern von Porzellan aus der Pantry, wo der Steward sich anschickte, den Tisch zu decken, und außerdem war es so warm und gemütlich hier – und das Buch war so spannend.

Meuterei auf der Elsinore

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