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1.2 Die lange Debatte um die Frage nach dem „lauten“ und „leisen“ Lesen in der Antike

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Die Erforschung des Phänomens „Lesen“ ist in der altertumswissenschaftlichen Forschung v. a. im 20. Jh. maßgeblich von der Frage nach dem „lautenLautstärkelaut“ und „leisenLautstärkeleise“ Lesen dominiert worden. Da hier wichtige methodische Implikationen und hermeneutische Grundfragen des Zugangs zum Thema deutlich werden, sind an dieser Stelle einige Bemerkungen zu dieser Debatte notwendig. Den locus classicus, von dessen Interpretation die Diskussion maßgeblich geprägt ist, bildet ein Bericht von Augustinus über die LesepraxisLese-praxis von AmbrosiusAmbrosius von Mailand in seinen Confessiones. Ein Auszug daraus sei zur besseren Verständlichkeit der Debatte vorweg abgedruckt:

„Ich [scil. Augustinus] seufzte noch nicht im Gebet, dass du mir zur Hilfe kommst, sondern mein Geist strengte sich an zu forschen und sehnte sich nach Disputation. […] Auch wußte er [scil. AmbrosiusAmbrosius von Mailand] nichts von meinen Unruhen noch von dem Abgrunde meiner Gefahr, weil ich ihn nicht nach Wunsch fragen konnte. Denn von seinem OhrOhr und Munde war ich abgesperrt durch ganze Haufen geschäftiger Leute […]. Und war er einmal von diesen Leuten nicht umgeben, was immer nur sehr kurze Zeit der Fall war, so stärkte er seinen Leib […] oder erquickte durch Lektüre [lectiolectio] seine Seele. Wenn er aber las, ziehen seine AugenAugen über die Seiten hin, und das Herz drang in ihr Verständnis, StimmeStimme und Zunge jedoch ruhten. (sed cum legebatlego, oculi ducebantur per paginas et cor intellectum rimabatur, uox autem et lingua quiescebant.) Oft, wenn ich zugegen war – denn niemandem war verboten, einzutreten, und es war nicht Brauch, ihm die Besuchenden zu melden –, hab ich ihn so gesehen, und nie anders, als schweigend lesend (sic eum legentem uidimus tacite). Dann saß ich lange schweigend bei ihm – denn wer hätte es gewagt, dem so in sich Versunkenen zur Last zu werden? – und ging wieder weg und dachte mir, in jener kurzen Spanne Zeit, die er […] für sich und zur Erholung seiner Seele gewinnen könne, wolle er nicht zu anderen Dingen hingezogen werden. Und leiseLautstärkeleise las er, wohl deshalb, daß nicht ein wißbegieriger und aufmerksamer HörerHörer ihn zwingen könne, eine dunkle Stelle, die er eben las, ihm aufzuklären und ihm in irgendwelcher schwierigen Frage Rede zu stehen. Darüber wäre so viel Zeit verloren gegangen, dass er das BuchBuch nicht so weit hätte auseinanderrollen [also lesen] können (voluminum evolveretevolvo), wie er gewollt hätte. Auch wenn er durch das schweigende Lesen nur seine Stimme, die leicht heiser wurde, hätte schonen wollen, so wäre dies ein billiger Grund gewesen. In welcher Absicht er es auch getan, sicher tat er immer gut.“ (Aug.Augustinus von Hippo Conf. 6,3; Üb. angelehnt an HEFELE).

Die bis heute vorherrschende, maßgeblich auf der Grundlage dieser Quelle gebildeten communis opinio lässt sich mit dem folgenden Satz aus dem Aufsatz von J. Balogh, der die Grundlage für die Debatte legte, zusammenfassen: „Der Mensch des Altertums las und schrieb in der Regel lautLautstärkelaut; das Gegenteil war zwar nicht unerhört, doch immer eine Ausnahme.“1 „Leises“ Lesen sei sogar als etwas Ungewöhnliches wahrgenommen worden.2 Diese These ist in den altertumswissenschaftlichen Fächern in vielfältigen Varianten wiederholt und zur Bildung verschiedenster Hypothesen (insb. im Hinblick auf die Orality-Literacy-DebatteMündlichkeit) herangezogen worden, wie im Rahmen dieser Arbeit noch an unterschiedlicher Stelle deutlich wird.3 Und auch in der neutestamentlichen Wissenschaft ist diese Sicht weit verbreitet, wie oben gezeigt wurde.

Vor dogmatischen Vorfestlegungen, es habe in der Antike kein „leises“ Lesen gegeben, warnt jedoch der geistesgeschichtliche Kontext der Forschungstradition, aus der diese These stammt: Baloghs Forschungsfrage, die ihn zu oben zitiertem Urteil führt, ist nämlich von einer kulturkritischen und z. T. modernitätskritischen TraditionTradition des 18. und 19. Jh. beeinflusst, die normativ am Vorbild der Antike ausgerichtet ist.4

Beispielhaft formuliert C. M. Wieland in seiner Übersetzung zu Lukian.Lukian von Samosata adv. ind. 2:5 „Diese Stelle beweiset […], daß die Alten (wenigstens die Griechen) alle BücherBuch, die einen Werth hatten, lautLautstärkelaut zu lesen pflegten, und daß es bey ihnen Regel war, ein gutes Buch müsse laut gelesen werden. Diese Regel ist so sehr in der NaturNatur der Sache gegründet, und daher so indispensabel, daß sich mit diesem Grunde behaupten lässt, alle Dichter […] von Talent und Geschmack müssen laut gelesen werden, wenn nicht die Hälfte ihrer Schönheit für den LeserLeser verlohren gehen sollen.“6

Die Fortschreibung dieser kulturkritischen, an die Kulturkritik der Antike anknüpfenden Sicht im Zeitalter des industriellen Buchdruckes wird auch in einem ebenfalls in den 20er Jahren des 20. Jh. erschienenen, englischsprachigen Artikel deutlich:

„… from Homer – a world without books and written records – down to Plato, where books are stillLautstärkestill new, though plentiful, is but a step, and so to our own day which groans beneath their burden. Almost within the memory of men now living the printed page has brought about the decline, if not the death, of oratory, whether of the parliament, the bar, or the pulpit; the newspaper and the review, anticipating every subject of comment, have killed conversation and debate; the learned archive or scientific journal renders the gatherings of scholars insignificant for purposes other than convivial; and books have in large degree displaced the living voiceStimmelebendige (viva vox) of the teacher. Books have created, as Plato prophesied, an art of forgetfulness, in that no one longer gives his mind to remembrance of that which can be consulted at leisure. The art of writing was to be sure in Plato’s time nothing new; but the Greek book, the accessible and convenient repository of other men’s thought, was scarcely yet a century old.“7

Stutzig macht zudem, schaut man Disziplinen übergreifend auf die Forschungsliteratur zur Geschichte des Lesens, die in aller Regel als Fortschrittsgeschichte geschriebenSchriftGeschriebenes wird, dass das „leiseLautstärkeleise“ Lesen in der europäischen Geistes- und Kulturgeschichte mindestens fünfmal „erfunden“ wird.

(1) So vertritt der klassische Philologe J. Svenbro8 die These, das „leiseLautstärkeleise“ Lesen sei im 5. Jh. v. Chr. entstanden. Die Entwicklung vom „lautenLautstärkelaut“ zum „stillenLautstärkestill“ Lesen kann Svenbro in diachroner Hinsicht an Veränderungen im Selbstverständnis von InschriftenInschriften zeigen. Während die früheren Inschriften, insbesondere aus der archaischen Zeit, darauf angewiesen waren, dass der LeserLeser „seine StimmeStimme der stummen Inschrift leiht“9, findet man seit dem 5. Jh. das Phänomen von sprechenden Objekten oder Gegenständen sowohl in Bezug auf Inschriften als auch in der Reflexion dieses Phänomens in den Quellen:10 Insbesondere die Korrelation dieses Wandlungsprozesses mit der Entwicklung in der Theorie der visuellenvisuell Wahrnehmung im 5. Jh. v. Chr., die bei EmpedoklesEmpedokles, LeukippLeukipp und DemokritDemokrit deutlich wird, ist ein sehr starkes Argument. So wird hier die Vorstellung, dass das SehenSehen durch einen Strahl aus dem AugeAugen möglich wird, durch die atomistische Theorie ersetzt, in der die Möglichkeit des Sehens auf die Emission von kleinsten Teilchen durch den gesehenen Gegenstand zurückgeführt wird – in Bezug auf die Frage nach dem Lesen also „das Geschriebene seine Bedeutung zum Auge hin aussendet.“11 Zudem findet Svenbro im kulturellen Kontext des 5. Jh. die Vorstellung einer inneren Stimme, einer Stimme im Kopf;12 also eine Vorstellung die eine notwendige Voraussetzung für das „stille“ Lesen darstellt. Auf diese innere StimmeStimmeinnere (inner reading voice), die in der neueren LeseforschungLese-forschunginner reading voice genannt wird, wird später zurückzukommen sein.

Svenbro zeigt damit, dass sowohl die InschriftenInschriften als auch die direkten Zeugnisse für das „leiseLautstärkeleise“ Lesen im 5. Jh. v. Chr., die schon B. Knox gegen die maßgeblich von J. Balogh geprägte communis opinio in Stellung gebracht hatte,13 „ein und dieselbe Interiorisierungsbewegung [belegen], die im Verlauf des 5. Jahrhunderts vollzogen wurde […] [–] die Interiorisierung der StimmeStimme des LesersLeser, der nunmehr in der Lage ist, ‚in seinem Kopf zu lesen‘.“14 Die Grundlage für die Entwicklung hin zum „stillenLautstärkestill“ Lesen sei in pragmatischerPragmatik Hinsicht die Notwendigkeit größere Textmengen zu bewältigen;15 stärker wiege aber noch eine qualitative Veränderung in der HaltungHaltung gegenüber GeschriebenenSchriftGeschriebenes, die maßgeblich durch die Erfahrungen im TheaterTheater induziert gewesen sei. Denn durch die Transformation des dramatischen Textes auf der Bühne entsteht eine größere Differenz zwischen dem dramatischen Text, der „vokalen Kopie“ auf der Bühne und dem hörenden und sehenden (!) PublikumPublikum (s. auch Lesepublikum) als zwischen dem selbst oder anderen vorgelesenen Text in der lautlichen Realisierung beim „lautenLautstärkelaut“ Lesen. Durch diese Trennungserfahrung zwischen Geschriebenem und Leser sei die neue Haltung gegenüber Texten und damit das „leise“ Lesen ermöglicht worden.16

„Der traditionelle LeserLeser, der seine StimmeStimme braucht, um die graphische Sequenz ‚wiederzuerkennen‘ [=ἀναγιγνώσκωἀναγιγνώσκω], unterhält mit dem GeschriebenenSchriftGeschriebenes auf der Ebene der Verlautlichung eine spürbar aktive Beziehung (obwohl er gegenüber dem Schreiber, dessen Programm er ausführt, die Rolle des ‚passiven Partners‘ einnehmen kann). Um seine instrumentelle Funktion auszuüben, muß er eine geistige und physische Anstrengung vollziehen, sonst blieben die BuchstabenBuch-stabe ohne Bedeutung. […] Die Aktivität des stillLautstärkestill Lesenden wird nicht als eine Anstrengung zur Dechiffrierung erlebt, es ist eine Aktivität, die als solche nicht bewußt ist (so wie die interpretative Aktivität des ‚Ohrs‘, das eine bedeutungstragende Lautsequenz hört, eine sich als solche ignorierende Aktivität ist […]). Ihre ‚Wiedererkennung‘ des Sinns ist unmittelbar; ihr geht kein opaker Moment voraus. Der in seinem Kopf Lesende braucht das Geschriebene nicht durch seine Stimme zu aktivieren oder zu reaktivieren. Die Schrift scheint ganz einfach zu ihm zu sprechen. Er hört seine Schrift – so wie der Zuschauer im TheaterTheater die Vokalschrift der Schauspieler hört. Das visuellvisuell ‚(wieder)erkannte‘ Geschriebene scheint die gleiche Autonomie zu besitzen wie die Theateraufführung. Die Buchstaben lesen sich – oder vielmehr: sagen sich – von selbst. […] Die Buchstaben, fähig zu ‚sprechen‘, können auf das Eingreifen einer Stimme verzichten. Sie besitzen bereits eine. Es ist am Leser, bloß ‚zuzuhören‘ – im Inneren seiner selbst.“17

(2) Laut G. A. G. Stroumsa liegt der Ursprung des „leisenLautstärkeleise“ Lesens, dessen Durchsetzung allerdings einen langen Zeitraum in Anspruch genommen habe, in der Bibellektüre christlicher Mönche in der Spätantike, stehe auch im Zusammenhang mit dem Medienwechsel von der RolleRolle (scroll) zum KodexKodex und habe erstmals zu einer Internalisierung der heiligen SchriftHeilige Schrift(en) geführt und ein neues religiöses System etabliert:

„Side by side with the passage from roll to CodexKodex, our period saw the development of silent reading, a development (rather than a discovery) for which Augustin offers our best testimony […;] the development of silent reading, which would take a very long time, as it is not before the thirteenth century that it is well established […] seems to be directly linked to privateÖffentlichkeitnicht-öffentlich/privat reading of the Bible in the monastic milieus (in particular of the Psalms […]), in meditation and oration. The ability to read the holy text in silence and to memorize it brought to its internalization. […] In other words, the development of silent reading among early Christian elites reflect the transformed status of the individual in the new religious system, and it must have been as closely related to it as was the use of the codex.“18

(3) P. Saenger führt in seinem viel zitierten Buch „Space between Words“ die Möglichkeit der Entwicklung des „leisenLautstärkeleise“ Lesens auf die Innovation von WorttrennungWort-trennungen (s. Schrift) und Wortzwischenräumen in den Texten zurück, die erstmals in den HandschriftenHandschrift/Manuskript von iroschottischen Mönchen im 7./8. Jh. belegt sind. Saenger entwickelt seine Entwicklungstheorie vor dem Hintergrund der unhinterfragten Interdependenz von scriptio continuaSchriftscriptio continua und der generellen Praxis in der Antike, lautLautstärkelaut bzw. vokalisierendStimmeinsatzvokalisierend oder subvokalisierend zu lesen, wobei er die Argumente und Quellenbelege aus dem hier skizzierten altertumswissenschaftlichen Forschungsdiskurs übernimmt.19 Die Annahme eines kausalen Zusammenhangs zwischen der Verwendung von scriptio continua in den antiken Manuskripten und der Praxis des „lauten“ bzw. vokalisierenden Lesens wird unten unter 4 ausführlich zu problematisieren sein.

(4) Sodann findet sich nicht nur in der Frühneuzeitforschung noch immer die maßgeblich durch M. McLuhans These einer primär oralMündlichkeit geprägten mittelalterlichen Kultur20 forcierte Sicht, dass der Übergang vom „lautenLautstärkelaut“ zum „leisenLautstärkeleise“ Lesen mit der Erfindung des Buchdrucks zusammenhänge.21

(5) V. a. in der germanistischen Forschung wird der Übergang ins 18. Jh. datiert, wie z.B. in der Kapitelüberschrift „Das Ende des lautenLautstärkelaut Lesens“ in E. Schöns „Verlust der Sinnlichkeit oder Die Verwandlungen des LesersLeser“ anschaulich zum Ausdruck kommt.22

Diese Übersicht verdeutlicht, dass die Quellen einer linearen Fortschrittsgeschichte des Lesens entgegenstehen. So ist dann die maßgeblich von J. Balogh geprägten Sichtweise, in der Antike habe man generell lautLautstärkelaut gelesen, das „leiseLautstärkeleise“ Lesen sei eine Abnormität gewesen, im altertumswissenschaftlichen Diskurs des 20. Jh. dann auch nicht unwidersprochen geblieben. Wie schon oben angedeutet, hat B. M. Knox 1968 in einem profilierten Aufsatz die allgemeine Gültigkeit der Schlussfolgerungen Baloghs angezweifelt.23 Seine Gegenargumente lassen sich wie folgt zusammenfassen: a) Die Menge an Werken und Büchern/RollenRolle (scroll), die z.B. Aristarchos, KallimachosKallimachos oder der produktive griechische Grammatiker Didymos Chalkenteros, dessen Gesamtwerk 3000–4000 Rollen umfasst haben soll,24 für die Abfassung ihrer Werke gelesen haben müssen, macht es unwahrscheinlich, dass diese nicht das effizientere nicht-vokalisierendeStimmeinsatznicht-vokalisierend Lesen praktiziert hätten.25 Die Liste der antiken AutorenAutor/Verfasser, die eine Vielzahl von Büchern für die Abfassung ihrer Werke gelesen haben, ließe sich noch um eine große Anzahl vermehren. b) Die Quellen, die Balogh als positive Evidenz für seine These anführe, seien vor allem römisch bzw. aus der Spätantike; aus dem griechisch-sprachigen Bereich bringe er hingegen wenig Evidenz vor. Zudem reichte c) die Evidenz der angeführten Quellen nicht aus, eine generalisierende Schlussfolgerung im Sinne Baloghs abzuleiten, wie er anhand einer Einzelbesprechung der einzelnen Quelle deutlich macht.26 Knox führt dann d) zahlreiche Belege an, die zeigen, dass man in der Antike nicht nur literarische Texte „leise“ lesen konnte, sondern dass vor allem nicht-literarische Texte „leise“ gelesen wurden.

Der Übersicht halber seien die bisher diskutierten Quellen an dieser Stelle kurz aufgeführt: Knox verweist zunächst auf eine Szene in den Tusculanae disputationes, auf die 1931 schon W. P. Clark in einem kurzen Artikel aufmerksam gemacht hat:27 Im Zusammenhang eines Diskurses über Taubheit wird hier festgestellt, dass das Lesen von Liedtexten (cantus) mit größerer Lust verbunden ist als das Hören derselben (deinde multo maiorem percipi posse legendislego his quam audiendisaudio voluptatem; Cic.Cicero, Marcus Tullius Tusc. 5,116); „leises“ Lesen sei hier eindeutig vorauszusetzen. Knox betont, dass CaesarCaesar definitiv „leiseLautstärkeleise“ lesen konnte und insb. Briefe „leise“ gelesen hat;28 zudem dekonstruiert er den Versuch von Balogh, einzelne Stellen, an denen „leises“ Lesen explizit in den Quellen erwähnt wird, „wegzudiskutieren“ und sieht in ihnen umgekehrt Belege dafür, dass „leises“ Lesen durchaus praktiziert wurde:29 Aus Suet.Suetonius Tranquillus, Gaius Aug.Augustinus von Hippo 39, wo dokumentiert ist, dass Augustus als Ehrmahnung SchreibtafelnTafel/Täfelchen in der ÖffentlichkeitÖffentlichkeit „leise“ lesen lies (quos taciti et ibidem statim legerent), lasse sich nicht schlussfolgern, dass es sich hier um eine Ausnahme des „leisen“ Lesens handle.30 Bezüglich Hor.Horaz sat. 2,5,51–55; 66–69 wirft Knox Balogh zu Recht vor, dass er hier zwei LeseszenenLese-szene in unzulässiger Weise vermische – an der ersten Stelle ginge es darum, dass ein Testament „leise“ mit den AugenAugen gelesen wird, weil es unbemerkt geschehen muss; tacitus legerelego (2,5,68) an der zweiten Stelle meine nicht wörtlich das „leise“ Lesen, sondern sei zu verstehen im Sinne von by himself, in peace. Auch die InschriftInschriften auf dem Apfel in der Geschichte von der Liebe des Akontios zu Kydippe (vgl. Aristain.Aristainetos 1,10,35–42), die Kydippe (bis auf das letzte Wort!) „lautLautstärkelaut“ liest und damit schwört, Akontios zu heiraten, sei gerade kein Beleg dafür, dass man generell „laut“ gelesen habe – das „laute“ Lesen ist hier der Inszenierung geschuldet, also eine narrative Notwendigkeit, zudem wird Kydippe explizit zum VorlesenRezeptionkollektiv-indirekt aufgefordert (λέγε μοι, φιλτάτη, τί τὸ περίγραμμα τοῦτο Aristain. 1,10,35f); dass sie dann das letzte Wort nicht vollständigUmfangvollständig stimmlich realisiert, belegt die Fähigkeit, Texte auch ohne stimmlicheStimme RealisierungStimmestimmliche Realisierung verstehen zu können.31 Vielmehr zeige gerade die Verarbeitung dieser Erzähltradition bei OvidOvidius, P. Naso (vgl. insb. epist. 20,1–5; 21,1–5.109–114.145–155), dass die Kompetenz, Briefe „leise“ zu lesen (sine murmure legilego, Ov. epist. 21,3), durchaus nicht ungewöhnlich war. Für methodisch höchst problematisch hält Knox zu Recht die Schlussfolgerung Baloghs, Plut.Plutarch Brut. 5 belege, dass Briefe selbst in Versammlungen laut vorgelesen worden seien. Nichts in der Geschichte deutet darauf hin, dass es das „leise“ Lesen des kleinen BriefesBrief (… τὸν μὲν ἀναγινώσκεινἀναγιγνώσκω σιωπῇ) ist, den Caesar zugesteckt bekommt, was CatoCato der Ältere, Marcus Porcius in Aufruhr bringt. Plut. Cat. min. 24, wo die gleiche Szene ohne die Information des „leisen“ Lesens geschildert wird, zeige zudem, dass es sich um ein narrativ nicht entscheidendes Detail handle. Sodann führt Knox noch einige Beispiele aus attischen DramenDrama aus dem 5. u. 4. Jh. v. Chr. an, die eindeutig „leises“ Lesen implizieren: Eur.Euripides Hipp.Hippolytos von Rom856–890; Aristoph.Aristophanes Eq. 117–128 (s. u. S. 202); Antipanes, Sappho (fr. 194): Athen.Athenaios deipn. 10,73 (451a/b).32

Daneben hat M. Slusser die Diskussion um eine weitere Quelle bereichert: Kyrill von Jerusalem spricht in seinen Katechesen von einer Gruppe Frauen, die bei ihrem Treffen (σύλλογος) „stillLautstärkestill“ lesen (ἢ ἀναγινώσκων ἡσυχῇ), weil sie ἐν ἐκκλησίᾳ nicht reden dürfen, wenn sich hingegen Männer treffen, liest der eine ein nützliches BuchBuch (βιβλίονβιβλίον χρήσιμον) vor, während ein anderer zuhört (καὶ ὁ μέν τις ἀναγινωσκέτω, ὁ δέ τις ἀκουέτωἀκούω; Kyr. Hier.Kyrill von Jerusalem Procatechesis 14).33 Hier ist eindeutig belegt, dass „leises“ Lesen möglich war. Da es sich um eine normative Aussage handelt, ist es schwierig zu entscheiden, ob die Ausführungen zu den Männern die Regel darstellte oder ob die Normativität nicht dafür spricht, dass auch Gegenteiliges vorauszusetzen ist. Wie im Folgenden zu besprechen sein wird, gab es allerdings durchaus die soziale Erwartung, dass Texte in Gemeinschaft nicht „leiseLautstärkeleise“ gelesen werden sollten, um die Partizipation aller zu gewährleisten. Insofern kann man vorsichtig vermuten, dass „leise“ Lektüre in Gemeinschaft mit einem spezifischen Bedürfnis, in diesem Fall spezifischen Vorgaben, verknüpft war; das „lauteLautstärkelaut“ Lesen hingegen den Zweck erfüllte, andere partizipieren zu lassen. Aber auch Knox bleibt am Ende seines Aufsatzes bei der quantifizierenden Feststellung: „Ancient books were normally read aloud, but there is nothing to show that silent reading of books was anything extraordinary exept the famous passage from Augustine’s Confessions“34 – eine Stelle, die im Forschungsdiskurs auch nach dem Aufsatz von Knox einen zentralen Kristallisationspunkt gebildet hat.

Gegen den Forschungskonsens haben sich dann W. Rösler35 und F. D. Gilliard mit Bezug auf das frühe ChristentumChristentum,36 aber vor allem A. K. Gavrilov gestellt. Letzterer hat eine bedenkenswerte Neuinterpretation der LeseszeneLese-szene in Augustins Confessiones vorgeschlagen. Diese Neuinterpretation stellt die Beweiskraft dieser Hauptbelegstelle für die communis opinio einer generellen „lautenLautstärkelaut“ LesepraxisLese-praxis in der Antike infrage. Ausgehend von den Ergebnissen der psychologischen LeseforschungLese-forschung der 2. Hälfte des 20. Jh. stellt Gavrilov zunächst fest, dass das „leiseLautstärkeleise“ Lesen in transkultureller Perspektive ein anthropologisches Phänomen ist, das durch die Kompetenz des jeweiligen LesersLeser und weniger durch das jeweilige SchriftsystemSchrift-system determiniert wird.37 Gavrilov übernimmt aus der modernen Leseforschung für die Beschreibung antiker Lesetechniken die Unterscheidung von a) lautem (=vokalisierendemStimmeinsatzvokalisierend) Lesen, b) subvokalisierendemStimmeinsatzsubvokalisierend Lesen (Lippen-, Zungen- und Kehlkopfbewegung ohne Lauterzeugung und „leisem“ (nicht-vokalisierendemStimmeinsatznicht-vokalisierend) Lesen, wobei nur letzteres als visuellvisuell-mentaler Prozess den Vorteil der schnelleren und diskontinuierlichenKontinuitätdiskontinuierlich Lektüre habe.38 Es sei falsch, diese Lesetypen als sich einander ausschließende Alternativen zu verstehen, vielmehr sei ein geübter Leser in der Lage, diese unterschiedlichen Typen je nach Bedarf zu variieren. Diesbezüglich rekurriert Gavrilov auf die in der experimentellen Lesepsychologie etablierten Kategorie der sog. eye-voice span (EVS), mit der die Lesekompetenz von Individuen in Bezug auf zusammenhängende Texte beschrieben werden kann. Die EVS bestimmt den Abstand zwischen dem gerade lautlich realisierten Wort und der vorausliegenden FixationFixation des Auges im Text. Sehr kompetente Leser können mit einer deutlich größeren eye-voice span lesen als weniger geübte Leser.39 Lukian.Lukian von Samosata adv. ind. 2 und Quint.Quintilian inst. or. 1,1,33f 40 zeigen, dass in der Antike das Phänomen ante nomen zumindest punktuell reflektiert wurde. Die EVS sei auch für das „leise“ Lesen relevant, da ein Zusammenhang zwischen einer Art inneren StimmeStimme und den Fixationspunkten der AugenAugen bestünde. Für das „leise“, schnellere Lesen (insb. von Texten geschriebenSchriftGeschriebenes in scriptio continuaSchriftscriptio continua) sei lediglich ein geübterer Leser mit einer größeren eye-voice span notwendig.41

Statt einer ausführlichen Beweisführung seiner vor allem durch die moderne LeseforschungLese-forschung gewonnenen Sicht, nutzt er diese in heuristischer Sicht exemplarisch zur Analyse des locus classicus bei Augustin – eine offene Flanke, die ihm im weiteren Forschungsdiskurs freilich angekreidet worden ist (s. u.), aber dem Format eines Aufsatzes geschuldet ist. Hingewiesen sei auf die sehr nützliche und entsprechend seiner Typologie von LesepraktikenLese-praxis sortierte Zusammenstellung von Quellenverweisen, die Gavrilov als Appendix beifügt.42

Gavrilov zeigt bei seiner ausführlichen Analyse der berühmten Beobachtungen Augustins zur LesepraxisLese-praxis des AmbrosiusAmbrosius von Mailand (Aug.Augustinus von Hippo Conf. 6,3; s. o.), dass der Text nicht als Beschreibung eines singulärenFrequenzsingulär Phänomens zu deuten sei und dass die gängige Schlussfolgerung, Augustin habe zum ersten Mal jemanden bei der „leisenLautstärkeleise“ Lektüre gesehen, methodisch problematisch ist. Der Bericht lasse sich kohärenter lesen und passe besser in den Kontext, wenn man annimmt, dass Augustinus weniger durch Ambrosius’ Lesetechnik irritiert worden wäre als vielmehr durch das Faktum, dass Ambrosius in seiner Anwesenheit daran festhalte und Augustinus sich als derjenige, der Belehrung sucht, exkludiert fühlt.43 Unabhängig von Gavrilov bestätigt H. Krasser44 diese Interpretation vor dem Hintergrund seiner Analyse der antiken Physiologie des Lesens und kommt zu dem Fazit, dass die Stelle im Kontext „intellektualer Rezeptionsformen“ in der Antike zu verstehen ist. Besonders deutlich wird die soziale Erwartung, dass ein Gelehrter bei Anwesenheit anderer diese in seine Lektüre einzubeziehen habe, an einer Stelle in den Noctes Atticae von Aulus GelliusGellius, Aulus. Dort nimmt der Ich-ErzählerErzähler das BuchBuch eines Freundes in die Hand, zieht sich in die Verborgenheit zurück, um es ohne (störende) Zeugen zu lesen: et recondo me penitus, ut sine arbitris legamlego (Gell. 14,6,2). Es wäre ein methodischer Fehlschluss, aus der Verwendung des Lexems arbiter abzuleiten, dass der Ich-Erzähler auch alleine lautLautstärkelaut gelesen hätte. Schon an dieser Stelle ist zu ergänzen, dass die Erwartung schon bei dem Komödiendichter Platon reflektiert wird (vgl. Athen.Athenaios deipn. 1,8 [5b; Plato Comicus]; s.u. 3.7) und sich auch in rabbinischenrabbinisch Quellen findet (s. u. S. 378 f).

Die Deutung Gavrilovs und Krassers passt insofern besser in den Kontext, als es Augustin in dem gesamten Abschnitt darum geht, zu erklären, warum er mit seinem Anliegen (u. a. zu forschen und zu disputieren) nicht zu AmbrosiusAmbrosius von Mailand vordringen könne, und als sie sich mit Augustinus Rechtfertigungsversuchen von Ambrosius’ Verhalten deckten: Ambrosius will Rückfragen von Anwesenden vermeiden, die ihn durch eine Diskussion von der Lektüre abhalten; er wolle sein Lesepensum schaffen; er will seine StimmeStimme schonen. Die vermeintliche Singularität der „leisenLautstärkeleise“ Lektürepraxis wird sodann sogar im Rahmen des Gesamtwerkes der Confessiones relativiert, wozu Gavrilov auf zwei Stellen verweist:45

1) Aug.Augustinus von Hippo Conf. 8,13–15 enthält eine Erzählung des Ponticianus über das Leben des ägyptischen Mönchs Antonius. Im Rahmen dieser Erzählung berichtet Ponticius exkursartig von einem Gartenspaziergang mit drei Freunden in Trier, bei dem sie in einer Hütte einen KodexKodex mit der Vita des Antonius gefunden haben. Einer der Begleiter von Ponticius habe darin zu lesen begonnen, wodurch ein Bekehrungserlebnis ausgelöst worden sei; sein Lesen ist eindeutig als „leises“ Lesen markiert: „er heftete die AugenAugen wieder auf die Seiten (reddiditredeo oculos paginis); und er las und ward innerlich umgewandelt, da Du es sahst …“ (Aug. Conf. 8,15). Bevor Ponticius dies erzählt, hat er auf dem Spieltisch vor Alypius und Augustinus einen Kodex gefunden, den er geöffnet und darin den Apostel Paulus gefunden hat (tulit, aperuit, invenit apostolum Paulum [Aug. Conf. 8,14]). Die Formulierung quod eas et solas prae oculis meis litteras repente comperisset (Aug. Conf. 8,14) deutet auf „leises“ Lesen hin. 2) In der berühmten Gartenszene in Conf. 8,29 sagt Augustinus explizit, dass er den Kodex des Apostels öffnete und das Kapitel „leiseLautstärkeleise“ las,46 auf das seine Augen zuerst fielen (ibi enim posueram codicem apostoli, cum inde surrexeram. arripui, aperui, et legi in silentio capitulum, quo primum coniecti sunt oculi mei).47 3) Neben diesen beiden Stellen kann man auch noch weitere aus den Confessiones anführen, die „leises“ Lesen implizieren. Vgl. Aug. Conf. 6,6 und das Motiv des „inneren OhresOhrinneres“ (auris interior).48

Anders als Knox geht Gavrilov in seiner Beurteilung des Befundes noch weiter und konstatiert in Opposition zur communis opinio: „[S]ilent reading was a quite ordinary practice for wide circles of the free population of classical Athens, and possibly for earlier periods too.“49 Die von Knox angeführten Quellen, seine Analyse des locus classicus bei Augustinus und die in seinem Appendix genannten Quellen zeigten: „first, the ordinariness of reading to oneself from the classical Greek to the late Roman periods, and second, the idea that such reading is more concentrated and quicker.“50 Diese Sicht wurde dann auch von F. M. Burnyeat übernommen,51 der die Diskussion um einige weitere Quellen bereichert – u. a. mit dem Hinweis auf eine Stelle aus dem Werk des Mathematikers Ptolemaios (2. Jh. n. Chr.), der in Ptol.Ptolemaeus, Claudius krit. 5,1f eine generelle Aussage über die Praxis des „leisenLautstärkeleise“ Lesens (zumindest in Bezug auf ein Lesen mit Forschungsinteresse) macht.

Die entscheidenden Sätze in der englischen Übersetzung von HUBY und NEAL lautenLautstärkelaut: „… it tends to be in states of peace and quiet that we discover the objects of our inquiry, and why we keep quiet when engaged in the readings themselves [… ἔν τε ταῖς ἠρεμίαις καὶ ταῖς ἡσυχίαις μᾶλλον εὑρίσκομενεὑρίσκω τὰ ζητούμενα καὶ κατὰ τὰς ἀναγνώσεις αὐτάς; scil. die Lektüren als Gegenstand der Forschungen] if we are concentrating hard on the texts before us. What talk is useful for, by contrast, is passing on the results of our inquiries to other people.“

Außerdem weist er darauf hin, dass auch Stellen, an denen auf ein unbewusstes Lesen rekurriert wird, implizieren, dass diese LeserLeser „leiseLautstärkeleise“ gelesen haben müssen.

Vgl. insb. Plot.Plotin enn. 1,4,10: „So braucht der Lesende kein Bewusstsein davon zu haben, dass er liest, namentlich dann, wenn er angespannt liest.“ (Üb. MÜLLER; Οὐ γὰρ τὸν ἀναγινώσκοντα ἀνάγκη παρακολουθεῖν ὅτι ἀναγινώσκειἀναγιγνώσκω καὶ τότε μάλιστα, ὅτε μετὰ τοῦ συντόνου ἀναγινώσκοι·); diese Stelle ist insofern aufschlussreich, als Plotinos hier ausgerechnet das Lesen als Beispiel für eine unbewusste Handlung heranzieht, zudem impliziert die Formulierung μετὰ τοῦ συντόνου eine hohe IntensitätAufmerksamkeitvertieft der kognitivenkognitiv Aufmerksamkeit, semantisch kann es auch den Aspekt von GeschwindigkeitLese-geschwindigkeit enthalten;52 vgl. außerdem Plut.Plutarch soll. an. 3 (mor. 961a; s. u. S. 196 f); Aug.Augustinus von Hippo trin. 11,8,15 (s. u. Anm. 356, S. 197).

Daneben vertritt auch C. Burfeind in einer Miszelle in der ZNW die These, dass einsame LeserLeser in der Antike „für gewöhnlich leiseLautstärkeleise und nicht gewohnheitsmäßig lautLautstärkelaut“53 lasen. Er führt zusätzlich zu den schon von Knox und Burnyeat diskutierten Quellen ins Feld, dass die Stellen, die vom „lauten“ VorlesenRezeptionkollektiv-indirekt handeln, keine LesekulturLese-kultur des einsamen Lautlesers zeigten, sondern von einer Kultur des Vorlesens. Dies versucht er exemplarisch v. a. an Carm. Priap.Priapea 68,3f54 und Act 8,28–30Act 8,28–30 zu belegen. Beide Stellen seien so zu verstehen, dass sowohl der Kämmerer als auch der Herr der Priapenstatue nicht selbst laut lasen, sondern dass ihnen laut vorgelesen worden sei. Schon hier sei darauf hingewiesen, dass Burfeinds Interpretation von Act 8,28–30 unten kritisch zu diskutieren sein wird (s. u. 8.2.2). Darüber hinaus hat D. T. Benediktson auf einige Mahlszenen hingewiesen, bei der mit Liebesbotschaften „mit den Fingern, mit Wein notiert“ (vgl. Ov.Ovidius, P. Naso am. 1,4,19f)55 ohne stimmlicheStimme RealisierungStimmestimmliche Realisierung gelesen werden,56 und damit die Quellenbasis der Diskussion etwas verbreitert.

Trotz bedenkenswerter Argumente und einer breiten Quellenevidenz sind die Positionen von Knox (es wurde nicht grundsätzlich nur „laut“Lautstärkelaut gelesen), aber vor allem von Rösler, Gavrilov, Burnyeat und Burfeind (der einsame LeserLeser hat in der Regel „leiseLautstärkeleise“ gelesen) Außenseiterposition geblieben.57 Zwar zeichnet sich mittlerweile ab, dass die Extremposition, in der Antike habe man grundsätzlich „laut“ gelesen, von der sich Knox und die anderen distanziert haben, in einigen Publikationen ebenfalls kritisch gesehen wird.58 Aber vor allem die Pendelbewegung in das andere Extrem, in der Antike habe der einsame Leser prinzipiell „leise“ gelesen, hat großen Widerstand ausgelöst. So hat S. Busch in einem 2002 veröffentlichenPublikation/Veröffentlichung Artikel auf einer Durchsicht der bekannten und einiger, der Diskussion neu hinzugefügten Quellen ausführlich zu zeigen versucht, dass „[d]as laute Lesen […] der Antike als Normalfall gegolten“59 hat, wobei „in der Antike jeder Leser grundsätzlich in der Lage [war], beim Lesen das Sprechen zu unterdrücken.“60 Szenen des „leisen“ Lesens seien aber immer eine situationsgebundene und aus einer spezifischen Notwendigkeit erwachsene Abweichung vom Regelfall.61 Es bleibt festzuhalten, dass sich an der communis opinio, das „laute“ Lesen wäre in der Antike der Normalfall, das „leise“ Lesen die markierte Ausnahme gewesen, eigentlich nichts geändert hat.62 An der Argumentation von Busch lassen sich im Folgenden anschaulich die methodischen Grundprobleme der Debatte um das „laute“ und „leise“ Lesen aufzeigen.

Lesen in Antike und frühem Christentum

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