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14. Kapitel

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Max zahlte, gab dem Kellner ein recht gutes Trinkgeld und ließ ein Taxi kommen. Nur zwanzig Minuten später betraten sie das bedrückend nüchterne Krankenhaus. Heinrich führte Max an der Rezeption vorbei zum dritten Stock, wo sie nach einem langen Marsch über einen hellen Korridor vor dem Krankenzimmer standen.

„Erschrecken Sie nicht,“ warnte Heinrich. "Mein Vater sieht nicht gut aus."

Max nickte nur. Er fühlte sich auf einmal sehr alt. Wie oft hatte er Tote gesehen? Und wie oft war ihm der Tod eines lieben Menschen sehr nahe gegangen? Noch war Franz nicht tot, aber Max wusste ganz einfach, dass jetzt die Zeit des Abschieds gekommen war. Es machte ihn traurig.

Sie betraten das Krankenzimmer. Franz lag in diesem Zweibettzimmer allein, das zweite Bett war leer. Max bemerkte gleich zweierlei: dass erstens Franz eine Infusion bekam, und dass zweitens Mia und Friedrich im Raum waren. Sie standen am Fenster und starrten Max und Heinrich an. Max grüßte sie mit einem Kopfnicken, dann wandte er sich zum Krankenbett. Von Franz waren nur die dürren Arme und der Kopf zu sehen, der nur aus Knochen, Haut und riesengroßen Augen zu bestehen schien.

Die blassen, dünnen Lippen von Franz verzogen sich zu einem Grinsen, das die Zähne, die übergroß wirkten, freilegte. Franz hatte bereits das Gesicht eines Toten, dachte Max, und weiter: das ist das Ende. Eine große Traurigkeit überkam Max. Aber Weglaufen war keine Option. Zur Freundschaft gehört auch der Abschied, dachte Max weiter, und wenn es der Abschied für immer ist.

„Max,“ die Stimme von Franz klang heiser, aber sie war sehr deutlich zu verstehen. „Es ist gut, dass du gekommen bist. Es geht zu Ende mit mir, und ich wollte tschüss sagen.“

Max nahm die kraftlose Hand seines Freundes.

„Max, wenn die Kinder zu dir kommen und um Rat fragen, bist du dann da?“

Max nickte. Er meinte es auch. Sollten die Kinder Hilfe brauchen, würde er da sein, wie Franz sich ausgedrückt hatte. Hatten die Geschwister die Frage gehört? Hatten sie sein Nicken gesehen? Er schaute die Kinder nicht an, denn die Reaktion der Kinder war im Augenblick nicht wichtig. Sein Blick hatte sich auf Franz gerichtet, er konzentrierte sich jetzt auf ihn. Franz war wichtig.

„Gibt es sonst noch etwas, was ich tun soll?“ fragte Max leise. Franz hatte es gehört und verstanden, denn er blickte seinen Freund an und antwortete:

„Nein. Aber danke dir für die Dienstage, für die Tage, an denen ich reden konnte.“

„Ich habe zu danken, mein Freund,“ erklärte Max, ganz leise, nur für Franz bestimmt. „Wir haben uns erst vor einem halben Jahr kennengelernt, und doch habe ich jede Stunde, die wir in dem Restaurant verbrachten, genossen. Das Gespräch mit dir war auch immer so etwas wie ein Abenteuer, das mich aus meiner Einsamkeit herausgezogen hatte. Und noch etwas: wir sind Freunde geworden. Franz, du bist mein Freund.“

„Und jetzt gehe ich, Max,“ hörte Max den Sterbenden sagen.

„Unsere Freundschaft bleibt.“

Franz hatte glänzende Augen. Ganz leise kam noch ein „Danke schön.“

Franz wandte sich jetzt ans Fenster, wo seine drei Kinder, die keine Kinder mehr waren, standen. Mit einer Handbewegung winkte er sie heran und bat, sie möchten doch jetzt nach Hause gehen, denn er wolle schlafen. Morgen sei noch ein Tag.

„Papa, ich möchte noch bei dir bleiben,“ sagte Friedrich. Max sah jetzt erst, wie groß der Junge war, der Jüngste der Geschwister. Wie alt sollte er sein? 16 Jahre alt hatte Franz gesagt. Die blonden Haare wirkten unordentlich, das fast quadratische Gesicht und das breite Kinn drückten eine Eigenwilligkeit aus, vielleicht sogar Sturheit. Der linke Arm fehlte, wie deutlich zu erkennen war, denn der Junge hatte einen Pullover angezogen, und der leere Ärmel war an dem Hosengürtel befestigt. Vermutlich trug er eine Beinprothese, denn Max wusste von Franz, dass der Junge auch ein Bein verloren hatte – bei was bloß? Max konnte sich nicht erinnern, was Franz neulich gesagt hatte.

Franz schüttelte den Kopf. Ganz leise sagte er nur, Friedrich solle gehen. Wenn er da sei, könne er nicht einschlafen. Der Junge ließ den Kopf hängen, dann aber nickte er.

„Komm, lasst und gehen,“ ließ sich Heinrich vernehmen. Er ging ans Krankenbett und küsste Franz auf die Stirn. Mia folgte ihm. Max sah sie sich genauer an, soweit das bei dem Licht überhaupt möglich war. Sie hatte sehr kurz geschnittene, dunkelblonde Haare, ein rundes Gesicht mit einem auffallen breiten Mund und einer geraden Nase. Sie trug, wie ihre Brüder Jeans, darüber hatte sie einen gut sitzenden Pullover, der ihre weibliche Figur besonders hervorhob. Sie war 20 Jahre alt, erinnerte sich Max. Hatte sie nicht neulich Geburtstag gehabt? Franz hatte davon erzählt.

Als die Geschwister das Zimmer verlassen wollten, sagte Max, er wolle noch ein wenig bei Franz bleiben. Er gab Heinrich seine Visitenkarte und bat um einen Anruf, falls es Neuigkeiten gebe. Heinrich nahm die Karte, nickte, dann folgte er seinen beiden Geschwistern. Max holte sich einen Stuhl heran und setzte sich ans Bett. Franz sah ihn an, sagte aber nichts. Wie lange sahen sie sich an? Sekunden? Minuten? Es war unwichtig. Die Zeit war einfach unwichtig.

Als Franz die Augen schloss und einschlief, erhob sich Max leise, stellte den Stuhl zurück und schlich sich aus dem Zimmer. Ja, morgen würde er wieder ins Krankenhaus kommen. Vielleicht – vielleicht könne man dann weiter reden, denn Max hatte noch so viel zu sagen. Ihm war bewusst, dass nicht viel Zeit blieb, um zu reden, und das bisschen Zeit sollte genutzt werden, um zu sagen, wie sehr der Sterbende die letzten Wochen und Monate das Leben von ihm, Max, schöner gemacht hatte, schöner und interessanter.

Der Alte spinnt

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