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2. Kapitel

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Das Haus des Herrn Berber war das letzte und isolierte Haus hinter einer kleinen Reihe von Villen im Speckgürtel von Hamburg. Es lag abgelegen, und es hatte keine unmittelbaren Nachbarn. Büsche und Bäume grenzten das Grundstück ein, und der große Garten glich eher einem Park. Herr Berber ging täglich, morgens zu früher Stunde, die Straße hinab, die von seiner Villa an einem kleinen Waldstück vorbei zu den Nachbarhäusern und dann zur Hauptstraße führte. Dort angekommen, kehrte er um und ging zurück, schnellen Schrittes. Nur selten begegnete ihm einer der Nachbarn. Im Sommer gab es hier und da sogar Spaziergänger aus der weiteren Umgebung. Man grüßte sich, mehr aber auch nicht. Nachbarn, die ihn schon recht oft gesehen haben, hielten ihn für unnahbar.

Auf diesen morgendlichen Spaziergängen beschäftigte sich Max Berber mit vielerlei Themen. Manche Themen hatten etwas mit der Wirtschaft und der Wirtschaftsentwicklung zu tun. Seiner Meinung nach war der gesamte Finanzsektor krank, auch wenn die Finanzkrise allem Anschein nach überwunden war. Aber das war nur ein Thema. Er beschäftigte sich auch mit dem ersten Weltkrieg, der vor einhundert Jahren die damalige Welt in großes Unglück stürzte und rund 17 Millionen Menschenleben gekostet hatte. Der zweite Weltkrieg war seiner Meinung nach eine logische Folge des ersten Krieges. Wieder ein anderes Thema war die Zeit, die im Sekundentakt tickt und die nicht aufzuhalten ist.

Wenn Max sich mit diesen Themen beschäftigte, sah er keine Menschen, oder er sah sie, bemerkte sie aber nicht. Das war nicht immer so gewesen, erinnerte sich ein Herr Gimmel, der der nächste Nachbar war. Seine Frau und die verstorbene Frau Berber hatten einen recht guten Kontakt mit Nachbarn gehabt, der jedoch abgebrochen war, als sie gestorben war. Der alte Berber, allein geblieben, lud niemanden zu sich ein, und er wurde auch nicht eingeladen. Herr Gimmel hatte einmal versucht, auf der Straße ein Gespräch anzufangen, aber das Gespräch endete, bevor es überhaupt so richtig begonnen hatte. Der schrullige Alte, so nannte er ihn, hatte ihn geradezu unhöflich abblitzen lassen. Jetzt mied er den Alten. Man hatte sich nichts zu sagen.

Seine Frau traf von Zeit zu Zeit Frau Ilse Kranig, die Haushälterin des Alten, im Supermarkt, der sich in der Nähe befand. Man kannte sich, man grüßte sich, man wechselte auch Worte miteinander, und so fragte Frau Gimmel eines Tages, was denn Herr Berber so mache, denn man sehe ihn kaum noch. Frau Kranig zuckte mit den Schultern und entgegnete:

„Ja, er hat sich etwas zurückgezogen, aber sonst – was soll er tun?“ Frau Kranig sprach nicht besonders gern über ihren Chef. Sie wusste, dass er ein Einzelgänger war, dass er schroff sein konnte, aber sie verehrte ihn. Ihr gegenüber war er immer korrekt, gelegentlich auch liebenswürdig, und das Gehalt war sehr großzügig bemessen. Mehr noch, war sie in Not, so half er.

Er zahlte auch Ferdinand, das war der Gärtner, der auch als Chauffeur diente, ein sehr gutes Gehalt, und die beiden Putzfrauen arbeiteten gern bei ihm.

„Neulich wollte sich mein Mann erkundigen, wie es ihm gehe, aber Herr Berber hat ihn – nun, er hat eigentlich nicht geantwortet,“ sagte Frau Gimmel, und sie verzog ihr Gesicht.

„Meine Güte, der Chef wollte vielleicht seine Ruhe haben,“ antwortete Frau Kranig. „Er ist eben so. Man darf nicht vergessen, dass er kein junger Mann mehr ist. Er geht so langsam auf die 80 zu.“

Frau Kranig hatte sich in den beiden vergangenen Jahren große Sorgen gemacht, denn ihr Chef hatte sich mehr und mehr zurückgezogen. Erst in letzter Zeit hatte sich an dem Zustand etwas geändert: einmal pro Woche ging er aus. Jeden Dienstagnachmittag verließ ihr Chef das Haus und fuhr mit der S-Bahn – bitte sehr: mit der S-Bahn – nach Hamburg. Frau Kranig konnte sich nicht vorstellen, warum ihr Chef die S-Bahn nahm. Er hatte einen großen Wagen in seiner Garage, mit Ferdinand hatte er einen Chauffeur, warum sollte er mit der S-Bahn fahren? Na ja, sagte sie sich, der Chef hatte eben so seine Eigenarten. Die aber wollte sie nicht mit Frau Gimmel besprechen, denn das ging sie nichts an.

Frau Gimmel erfuhr tatsächlich nicht sehr viel von Frau Kranig. Ihrem Mann konnte sie nichts sagen, und so malte sich das Ehepaar Gimmel aus, dass der Alte vielleicht ein Verhältnis mit seiner Haushälterin haben könnte. So etwas existiere eben, sagte Frau Gimmel, und wenn man so viel Geld hat wie der Alte, dann fragte man nicht nach Schönheit, Jugend oder Alter.

Der Alte spinnt

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