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Vierter Brief.
Von Julie.

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Inhaltsverzeichnis

Ich muß es also endlich gestehen das unselige Geheimniß, das ich zu schlecht verhehlt habe. Wie viel Male habe ich geschworen, daß es nicht aus meinem Herzen kommen sollte als mit meinem Leben! Die Gefahr, die dem deinigen droht, entreißt es mir; es entschlüpft mir und die Ehre ist dahin. Ach! ich habe mir nur zu sehr Wort gehalten. Giebt es einen grausameren Tod, als seine Ehre überleben?

Was sage ich? Wie breche ich ein so peinliches Schweigen? Oder vielmehr habe ich denn nicht schon Alles gesagt und hast du mich nicht zu gut verstanden? Ach, du hast zu viel gesehen, um nicht das Uebrige zu errathen: in die Fallstricke eines schändlichen Verführers Schritt für Schritt gelockt, sehe ich nun den schrecklichen Abgrund, in den ich unaufhaltsam renne. Verschlagener Mann! es ist wohl meine Liebe mehr als die deinige, die dich so kühn macht. Du siehst die Verirrung meines Herzens und machst sie dir zu nutze, um mich ins Verderben zu stürzen; und wenn du mich verächtlich machst, so ist das schlimmste meiner Leiden, daß ich gezwungen bin, dich zu verachten. Ha, Unseliger! ich achtete dich und du entehrst mich! Doch gewiß, wenn du ein Herz hättest, das diesen Sieg in Frieden genießen könnte, dann würde es ihn nie erlangt haben.

Du weißt es und es wird deine Gewissensbisse vermehren: ich hatte in meiner Seele keine bösen Neigungen, Sittsamkeit und Ehrbarkeit waren mir theuer; das einfache, arbeitsame Leben, in welchem ich sie nährte, hatte ich lieb. Was haben mir Dienste gefrommt, die von Gott verworfen sind? Seit dem ersten Tage, an welchem ich das Unglück hatte dich zu sehen, fühlte ich das Gift, das mir Sinne und Vernunft zerrüttet; ich fühlte es vom ersten Augenblick an, und deine Augen, deine Sinnesart, deine Worte, deine sündhafte Feder machen es jeden Tag tödtlicher.

Ich habe nichts unterlassen, um den Fortschritt dieser unseligen Leidenschaft zu hemmen. Da ich mich ohnmächtig zum Widerstand fiihlte, habe ich mich vor den Angriffen sichern wollen; deine Verfolgungen haben meine eitele Vorsicht getäuscht. Hundert Mal habe ich mich den Urhebern meines Lebens zu Füßen werfen wollen, hundert Mal habe ich ihnen mein strafbares Herz öffnen wollen: sie können nicht fassen, was darin vorgeht; sie werden gemeine Heilmittel anwenden wollen, um ein verzweifeltes Uebel zu bekämpfen; meine Mutter ist schwach und ohne Ansehen; ich kenne die unbeugsame Härte meines Vaters und ich werde nichts erreichen, als daß ich mich, meine Familie und dich entehre. Meine Freundin ist verreist; mein Bruder ist nicht mehr; ich finde keinen Beschützer auf der Welt gegen den Feind, der mich verfolgt; ich flehe vergebens den Himmel an, der Himmel ist taub für die Gebete der Schwachen. Alles nährt die Glut, die mich verzehrt; Alles weist mich auf mich selbst an, oder vielmehr Alles liefert mich dir aus; die ganze Natur scheint mit dir verschworen zu sein; alle meine Anstrengungen sind vergeblich, ich verehre dich wider meinen Willen. Wie könnte mein Herz, das in seiner ganzen Kraft nicht hat widerstehen können, jetzt nur zur Hälfte nachgeben? Wie könnte dieses Herz, das nichts verheimlichen kann, den Rest seiner Schwäche vor dir verbergen? Ach! den ersten Schritt, der am schwersten ist, den hätte ich nicht thun müssen: wie könnte ich jetzt die übrigen zurückhalten? Nein, mit diesem ersten Schritte fühle ich mich dahingerissen in den Abgrund und du kannst mich so unglücklich machen als du willst.

So schrecklich ist der Zustand, in welchem ich mich finde, daß ich zu keinem Andern weiter Zuflucht nehmen kann als zu Dem, der mich hinein versetzt hat, und daß zu meiner Rettung vom Verderben du mein einziger Beschützer gegen dich sein mußt. Ich konnte, ich weiß es wohl, dieses Geständniß meiner Verzweiflung noch hinausschieben; ich konnte noch einige Zeit meine Schande verbergen und Schritt für Schritt weichen, um mir selbst einen Schein vorzumachen. Eitele Kunst, die meiner Eigenliebe schmeicheln, aber meine Tugend nicht retten konnte! Fort, ich sehe zu gut, ich fühle zu sehr, wohin der erste Fehltritt führt, und was ich wollte, war nicht, meinem Verderben eine Bahn zu machen, sondern ihm zu entrinnen.

Wenn du aber nicht der schlechteste der Menschen bist, wenn ein Fünkchen Tugend in deiner Seele war, wenn noch eine Spur von der Ehrliebe darin ist, wovon du mir durchdrungen schienst, darf ich dir dann die Niedrigkeit zutrauen, daß du Mißbrauch machest von dem unseligen Geständniß, welches mir mein Wahnsinn entreißt? Nein, ich kenne dich, du wirst meiner Schwachheit aufhelfen, du wirst mein Schutz werden. du wirst mich gegen mein eigenes Herz vertheidigen. Deine Tugend ist die letzte Zuflucht meiner Unschuld, meine Ehre wagt es, sich der deinigen anzuvertrauen, du kannst die eine nicht ohne die andere bewahren: großmüthige Seele, o, bewahre sie beide, und mögest du, wenigstens um der Liebe deiner selbst willen, dich meiner erbarmen.

O Gott, bin ich gedemüthiget genug? Ich schreibe dir knieend; ich bade mein Papier mit meinen Thränen, ich erhebe zu dir meine ängstlichen Bitten. Und glaube nur nicht, ich wüßte nicht, daß ich meinerseits sie hätte empfangen können, und daß ich, um meinen Willen zu haben, mich nur mit Kunst wegzuwerfen brauchte. Freund, nimm diese eitle Herrschaft, und du läßt mir dafür meine Ehrbarkeit: ich will lieber deine Sklavin sein und in Unschuld leben, als deine Knechtschaft mir um den Preis meiner Ehre erkaufen. Wenn du mich erhörst, wie viel Liebe, wie viel Achtung hast du dann von Der zu erwarten, die es dir dankt, daß sie dem Leben wiedergegeben ist! Welcher Reiz in der süßen Vereinigung zweier reinen Seelen! Der Sieg über deine Begierden wird die Quelle deines Glückes sein und die Freuden, die du schmecken wirst, werden des Himmels selbst würdig sein.

Ich glaube, ich hoffe, daß ein Herz, welches mir alle Anhänglichkeit des meinigen zu verdienen schien, die Großmuth nicht verleugnen wird, welche ich von ihm erwarte; ich hoffe aber auch, daß, wenn es nichtswürdig genug wäre, meine Verirrung und die Geständnisse, die es mir entlockt, zu misbrauchen, dann Verachtung und Unwille mir die Vernunft wiedergeben würden, welche ich verloren habe, und daß ich selbst nicht so nichtswürdig sein würde, einen Liebhaber zu fürchten, über den ich zu erröthen hätte. Du wirst tugendhaft sein, oder verachtet; ich werde mit Rücksicht behandelt oder geheilt sein. Das ist die einzige Hoffnung, die mir noch bleibt, außer der zu sterben.

Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe)

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