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Achter Brief.
An Julie.

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Inhaltsverzeichnis

[Man wird bemerken, daß hier eine Lücke ist; man wird dergleichen weiterhin noch öfter finden. Mehre Briefe sind verloren gegangen, andere vernichtet worden, andere beschnitten; aber es fehlt nichts Wesentliches, das man sich nicht mit Hülfe des Erhaltenen leicht hinzudenken könnte.]

Wie wunderlich, schöne Julie, sind der Liebe Launen! Mein Herz hat mehr, als es je hoffen durfte, und es ist doch nicht zufrieden. Sie lieben mich, Sie sagen es mir, und ich seufze! Dieses ungerechte Herz erkühnt sich noch zu wünschen, da nichts mehr zu wünschen ist; es straft mich mit seinen Phantasien und peinigt mich im Schoße meines Glückes. Glauben Sie nicht, daß ich die Gebote, die mir auferlegt sind, vergessen, oder den Willen verloren habe, sie zu halten; nein! aber ein geheimer Verdruß quält mich, da ich sehe, daß nur mir diese Gesetze schwer fallen, daß Sie, die Sie sich für so schwach ausgeben, jetzt so stark sind und daß ich so wenige Kämpfe gegen mich selbst zu bestehen habe, weil Sie allen Fleiß anwenden, ihnen zuvorzukommen.

Wie verändert Sie seit zwei Monaten sind! und doch hat sich nichts verändert außer Ihnen. Ihr Schmachten ist verschwunden; keine Rede mehr von Misgefühl und Abspannung; alle Grazien haben ihre Stelle wieder eingenommen; alle Ihre Reize haben sich neu belebt; die aufbrechende Rose ist nicht frischer; Ihre Munterkeit ist wieder da; Sie haben gute Einfälle für alle Welt; Sie scherzen selbst mit mir, ganz wie ehedem; und was mich mehr aufbringt als alles Uebrige, Sie schwören mir ewige Liebe mit so lachender Miene, als ob Sie die spaßhafteste Sache von der Welt vorbrächten.

Sage, sage, Flattergeist! ist dies das Wesen einer heftigen Leidenschaft, die mit sich zu kämpfen hat? Und wenn Ihnen im Geringsten darum zu thun wäre, sich selbst zu besiegen, würde der Anstrengung nicht wenigstens die Fröhlichkeit weichen? O, wie viel liebenswürdiger waren Sie, als Sie weniger schön waren! Wie leid ist es mir um diese rührende Blässe, die dem Liebenden ein kostbares Unterpfand seines Glückes ist! und wie verhaßt ist mir die unberufene Gesundheit, die Sie wieder gewonnen haben auf Kosten meiner Ruhe! Ja ,ich möchte Sie lieber noch krank sehen, als mit dieser heiteren Miene, diesen strahlenden Augen, dieser frischen Farbe, die mir Hohn spricht, Haben Sie es so bald vergessen, daß Sie nicht so waren, als Sie mein Mitleid anriefen? Julie, Julie, wie schnell ist diese glühende Liebe so kalt geworden!

Aber was mich am meisten kränkt, ist, daß Sie meinem Ehrgefühl und meiner Pflichtliebe, denen Sie sich zuerst rückhaltlos anheimgaben, jetzt zu mistrauen scheinen und sich vor Gefahren in Acht nehmen, als ob Sie etwas zu fürchten hätten. Lassen Sie so meiner Zurückhaltung Gerechtigkeit widerfahren? Und verdiente meine unverbrüchliche Ehrerbietung diesen Schimpf, den Sie mir anthun? Weit entfernt, daß die Abreise Ihres Vaters uns mehr Freiheit verschafft hätte, kann man Sie kaum allein sehen. Ihre unvermeidliche Cousine weicht nicht von Ihrer Seite. Unvermerkt kommen wir wieder in unser erstes Verhältnis und in die alte ängstliche Vorsichtigkeit hinein, nur mit dem Unterschiede, daß diese Ihnen damals auferlegt war, jetzt aber Ihnen selbst beliebt.

Welcher Lohn kann denn einer so reinen Ergebenheit zu Theil werden, wenn es nicht Ihre Werthschätzung sein soll? Und was hilft es mir, daß ich freiwillig immer und ewig Allem, was auf der Welt süß ist, entsage, wenn Die, der ich dieses Opfer bringe, es nicht einmal anerkennt? O wahrlich, ich bin es müde, vergeblich zu leiden und mich zu den härtesten Entbehrungen zu verdammen, ohne daß sie mir auch nur angerechnet werden. Wie! Sollen Sie ungestraft sich alle Tage verschönen, während Sie mich verachten? Sollen immer und immer nur meine Augen Reize verschlingen, denen nie mein Mund zu nahen wagt? Soll ich endlich auf jede Hoffnung verzichten und nicht einmal die Ehre erlangen, daß ich das saure Opfer gebracht habe? Nein! Da Sie meinem gegebenen Worte nicht vertrauen, will ich es nicht so unnöthiger Weise eingesetzt haben: das ist eine unbillige Sicherheit, die Sie aus meinem Wort und aus Ihrer Vorsicht zugleich gewinnen wollen; Ihr Undank ist zu groß oder meine Gewissenhaftigkeit und ich will meinem Glück jede Gelegenheit bezahlen, die es Ihnen nicht gelingen wird ihm zu rauben. Genug, was auch mein Schicksal sei, ich fühle, daß ich eine Last über meine Kräfte auf mich genommen habe. Julie, übernehmen Sie wieder die Hut Ihrer selbst, ich stelle Ihnen ein Pfand zurück, das zu gefährlich für die Treue das Verwahrers ist und dessen Vertheidigung Ihrem Herzen weniger schwer fallen wird, als Sie zu fürchten sich das Ansehen gaben. [Man kann in Bezug auf diese Gefühlssophistik vergleichen, was Rousseau in den „Bekenntnissen" von Erfahrungen mittheilt, die er in seinem eigenen Herzen (gerade in der Zeit, da er die N. Heloise schrieb) gemacht hat; s. Bekenntnisse: Th. 6. S. 64. 65. 74. 97; besondere Th. 7, S. 95. D. Ueb.]

Ich sage es Ihnen ernstlich: rechnen Sie auf sich selbst oder verbannen Sie mich, d. h. tödten Sie mich. Ich habe ein leichtsinniges Versprechen gegeben. Ich wundere mich, wie ich es so lange habe halten können; ich weiß wohl, daß ich es immer zu thun schuldig wäre, aber ich fühle, daß es mir unmöglich ist. Man hat seine Niederlage verdient, wenn man sich so gefährliche Pflichten auferlegt. Glauben Sie mir, zärtlich geliebte Julie, glauben Sie diesem gefühlvollen Herzen, das nur für Sie schlägt; Sie sollen meine Ehrerbietung nie vermissen: aber es könnte mir einen Augenblick die Vernunft den Dienst versagen und die Trunkenheit der Sinne mich zu einem Verbrechen hinreißen, wovor man bei kaltem Blute schaudert. Glücklich genug, Ihre Hoffnung nicht zu täuschen, habe ich mich zwei Monate lang besiegt und Sie sind mir den Dank für zwei Jahrhunderte Qual schuldig.

Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe)

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