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Elfter Brief.
Von Julie.

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Inhaltsverzeichnis

Mein Freund, ich fühle, daß ich mich mit jedem Tage inniger an Sie schließe, ich kann mich nicht mehr von Ihnen trennen; die kleinste Abwesenheit ist mir unerträglich und ich muß Sie sehen oder Ihnen schreiben, damit ich unaufhörlich mit Ihnen beschäftigt bin.

So wächst meine Liebe mit der Ihrigen; denn ich erkenne jetzt, wie sehr Sie mich lieben, an der wirklichen Furcht, die Sie haben, mir zu misfallen, während Sie sie erst nur zum Scheine hatten, um besser zu Ihrem Ziele zu gelangen. Ich kann in Ihnen ganz gut die Herrschaft, welche sich das Herz über Sie erworben hat, von dem Rausche einer erhitzten Einbildungskraft unterscheiden und ich finde hundert Mal mehr Leidenschaft in dem Zwange, den Sie sich anthun, als in Ihrer ersten stürmischen Heftigkeit. Ich weiß auch wohl, daß Ihr Zustand, wie lästig er sein möge, nicht ohne Genuß ist. Es ist Dem, der wahrhaft liebt, etwas Süßes, Opfer zu bringen, die ihm alle angerechnet werden und deren keines im Herzen der Geliebten verirren ist. Wer weiß, ob Sie nicht sogar, weil Sie mein gefühlvolles Wesen kennen, eine besser berechnete Geschicklichkeit anwenden, mich zu verführen? Doch nein! ich bin ungerecht, und Sie sind nicht fähig, Künste gegen mich zu gebrauchen. Indessen wenn ich klug sein will, so werde ich mich vor dem Mitleid noch weit mehr hüten als vor der Liebe. Ich fühle mich tausend Mal tiefer bewegt von Ihrer zurückhaltenden Scheu als von Ihrem stürmischen Dringen, und ich fürchte sehr, daß Sie mit dem ehrbareren Wege zugleich doch den gefährlicheren erwählt haben.

Ich muß mein Herz ausschütten, ich muß Ihnen eine Wahrheit sagen, die es lebhaft fühlt und von der Sie auch das Ihrige überzeugen muß: nämlich dem Stande, den Eltern und uns selbst zum Trotz ist unsere Bestimmung auf ewig vereint, und wir können nie anders als mit einander glücklich oder unglücklich sein. Unsere Seelen haben sich, so zu sagen, an allen Punkten berührt und wir haben überall dieselbe Cohärenz empfunden (verbessern Sie, Freund, wenn ich Ihre physikalischen Lehren falsch anwende). Das Schicksal wird uns wohl trennen, aber nicht uns von einander lösen können. Wir werden nur noch die nämlichen Freuden und Leiden haben; und gleich jenen Magneten, von denen Sie mir sagten, die, wie es heißt, an verschiedenen Orten dieselben Bewegungen machen, werden wir an den beiden Enden der Welt die gleichen Gefühle haben.

Machen Sie sich also von der Hoffnung los, wenn Sie sie jemals hegten, sich ein ausschließliches Glück zu bereiten und es auf Kosten des meinigen zu erkaufen. Hoffen Sie nicht, daß Sie glücklich sein könnten, wenn ich entehrt wäre, noch daß Sie mit zufriedenem Auge meine Schmach und meine Thränen ansehen könnten. Glauben Sie mir, mein Freund, ich kenne Ihr Herz weit besser, als Sie es selbst kennen. Eine so zärtliche, so wahre Liebe muß den Begierden gebieten können; Sie sind zu weit gegangen, um bis ans Ende zu gehen, ohne sich zu Grunde zu richten, und Sie können mein Unglück nicht mehr steigern, ohne sich selbst unglücklich zu machen.

Ich wollte, daß Sie fühlen könnten, wie wichtig es für uns beide ist, daß Sie sich wegen der Sorge für unser gemeinsames Loos auf mich verlassen, Zweifeln Sie, daß Sie mir ebenso theuer sind als mein eigenes Ich? Und glauben Sie, daß für mich ein Glück denkbar ist, welches Sie nicht theilen? Nein, mein Freund, ich habe einerlei Interessen mit Ihnen und ein wenig mehr Ueberlegung, um dieselben wahrzunehmen. Ich räume ein, daß ich die Jüngere bin; aber haben Sie nie bemerkt, daß die Vernunft bei den Frauen, wenn sie auch gewöhnlich schwächer ist und eher erlischt, sich doch auch früher entwickelt, gerade wie eine schwanke Sonnenblume rascher wächst und wieder vergeht als eine Eiche? Wir finden uns von frühester Jugend an mit einem so gefährlichen Pfande betraut, daß die Sorge, es zu hütend unsere Urtheilskraft frühe erweckt; und es ist ein treffliches Mittel, die Folgen der Dinge wohl ins Auge fassen zu lernen, wenn man alle Gefahren, denen sie uns aussetzen, lebhaft fühlt. Ich für mein Theil finde, je mehr ich mich mit unserer Lage beschäftige, desto mehr, daß die Vernunft von Ihnen dasselbe fordert, was ich von Ihnen im Namen der Liebe fordere. Folgen Sie also willig ihrer sanften Stimme und lassen Sie sich leiten, ach! von einem andern Blinden, der aber wenigstens einen Stab hat.

Ich weiß nicht, mein Freund, ob unsere Herzen das Glück haben werden, sich zu verstehen, und ob Sie beim Lesen dieses Briefes die zärtliche Stimmung theilen werden, welche ihn eingegeben hat; ich weiß nicht, ob wir jemals in der Art die Dinge zu betrachten eben so wie in unserer Art zu fühlen übereinstimmen werden; aber das weiß ich, daß die Meinung desjenigen Theiles, der am wenigsten sein Glück von dem Glücke des andern trennt, die Meinung ist, welche den Vorzug verdient.

Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe)

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