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Fünfter Brief.
An Julie.

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Inhaltsverzeichnis

Himmlische Mächte! Ich hatte eine Seele für den Schmerz, gebt mir eine für die Seligkeit, Liebe, des Lebens Seele, komm, stärke die meine, denn ich fühle, sie vergeht. Unaussprechlicher Zauber der Tugend, unüberwindliche Macht der Stimme der Geliebten, Glück, Freude, Entzücken, o wie scharf sind eure Pfeile! wen durchbohrten sie nicht! Oh, wie widersteh' ich diesem Strom von Wonne, der mein Herz überflutet? Wie büße ich die Herzensangst einer schüchternen Geliebten? Julie .... nein! meine Julie auf den Knieen! meine Julie Thränen vergießend! Sie, der das Weltall huldigen müßte, zu dem Mann, der sie anbetet, flehend, daß er sie nicht beschimpfe, nicht sich selbst entehre! Wenn es mir möglich wäre, dir zu zürnen, so thäte ich es um deine Befürchtungen, die uns erniedrigen. Erkenne besser, reine, himmlische Schönheit, welcher Art deine Herrschaft ist. Siehe! Wenn ich deine persönlichen Reize anbete, ist es nicht vorzüglich um des Abdrucks dieser fleckenlosen Seele willen, die in ihnen lebt und deren göttlichen Stempel alle deine Züge tragen? Du fürchtest meinen Verfolgungen zu erliegen. Aber welche Verfolgungen kann Die zu fürchten haben, welche kein Gefühl einflößt, das nicht Achtung und Rechtschaffenheit schützten? Ist ein Mensch so niedrig auf Erden, daß er an dir zum Frevler werden könnte?

Laß mich, o laß mich schwelgen in dem ungeahnten Glück, geliebt zu sein .... geliebt von Der .... Weltenthron, wie tief liegst du unter meinen Füßen! Lesen, tausendmal wiederlesen, den anbetungswürdigen Brief, in welchem deine Liebe und dein gefühlvolles Herz mit Flammenzügen geschrieben stehen, in welchem ich, bei allem Sturme des bewegten Herzens, mit Entzücken sehe, wie in einer keuschen Seele auch den lebhaftesten Leidenschaften noch das heilige Gepräge der Tugend aufgedrückt bleibt. Welches Ungeheuer wäre im Stande nach diesem rührenden Briefe, deine Lage zu misbrauchen und durch die bezeichnendste Handlung seine tiefe Verachtung seiner selbst an den Tag zu legen? Nein, du meine Liebe, fasse Vertrauen zu einem treuen Freunde, der unfähig ist, dich zu betrügen. Wiewohl meine Vernunft auf ewig dahin ist, wiewohl die Verwirrung meiner Sinne mit jedem Augenblick wächst, deine Person ist mir hinfort das lieblichste, jedoch geheiligteste Pfand, das jemals einem Sterblichen anvertraut wurde. Meine Flamme und ihr Gegenstand sollen mit einander in unwandelbarer Reinheit bleiben. Mich schaudert vor dem Gedanken, Hand an deine züchtigen Reize zu legen, mehr als vor dem der Blutschande, und du bist bei deinem Vater nicht in unantastbarerer Sicherheit als bei deinem Geliebten. Oh, wenn jemals dieser glückliche Geliebte sich einen Augenblick vor dir vergäße …. Der Liebhaber Juliens sollte eine gemeine Seele haben? Nein! wenn ich aufhöre die Tugend zu lieben, so liebe ich dich nicht mehr; bei meiner ersten Schlechtigkeit sollst du mich nicht mehr lieben.

Beruhige dich daher, ich beschwöre dich bei der zärtlichen und reinen Liebe, welche uns vereint; sie soll dir für meine Scheu und Zurückhaltung Bürgschaft sein, sie dir für sich selbst einstehen. Und warum sollten deine Befürchtungen weiter gehen als mein Verlangen? Nach welchem anderen Glücke könnte ich trachten, wenn mein ganzes Herz kaum hinreicht, das zu fassen, welches es jetzt empfindet? Wir sind beide noch jung, es ist wahr: wir lieben zum ersten und einzigen Male im Leben und haben keine Erfahrung in den Leidenschaften: aber ist die Ehre, die uns leitet, ein betrüglicher Leiter? Bedarf sie einer verdächtigen Erfahrung, welche man nur auf dem Wege des Lasters erwerben könnte? Ich weiß nicht, ob ich mich täusche; aber es scheint mir, daß alle redliche Gesinnung im Grunde meines Herzens wohnt. Ich bin kein schändlicher Verführer, wie du mich in deiner Seelenangst nennst, sondern ein schlichter fühlender Mensch, der leicht verräth, was er fühlt, und der nichts fühlt, worüber er erröthen müßte. Um Alles mit Einem Worte zu sagen, ich verabscheue noch mehr die Missethat als ich Julien liebe. Ich weiß nicht, nein, ich weiß gar nicht, ob die Liebe, der du in mir Leben giebst, sich damit verträgt, daß man der Tugend vergesse, und ob eine Seele, die nicht ganz rein ist, so ganz deinen Werth empfinden kann. Ich wenigstens, je mehr ich mich von ihr durchdrungen fühle, desto erhabener fühle ich mich. Was für Gutes, das ich um seiner selbst willen nicht gethan hätte, würde ich nicht jetzt thun, um mich deiner werth zu machen! Ach vertraue doch der Glut, die du in mir entzündest und die du so schön zu läutern weißt; glaube mir, es reicht hin, daß ich dich anbete, um ewig das kostbare Pfand, das du meiner Obhut übergeben hast, in Reinheit zu bewahren. Oh, welch ein Herz soll mein sein! Wahres Glück, Ruhm dessen, das man liebt, Triumph einer Liebe, die sich selber ehrt, wie viel mehr bist du werth, als alle ihre Freuden!

Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe)

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