Читать книгу Die Insel - Jen Minkman - Страница 4

Prolog

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ALS ICH mein Zimmer verlasse, warten Mutter und Vater schon im Flur auf mich.

Meine neuen Klamotten sind unbequem. Es sind Klamotten für Erwachsene: raues Material und praktischer Schnitt. Gefertigt, um eine lange Zeit zu halten.

„Ich gehe meinen eigenen Weg“, sage ich leise. Das sind die Worte, die den Mund jedes Kindes mit zehn Jahren verlassen – die mein Bruder heute noch nach mir sagen wird – aber ich klinge unsicher dabei. Doch ich bin mir sicher, denn ich weiß, dass es richtig ist. Ich räuspere mich und spreche lauter: „Ich stehe auf meinen eigenen Beinen. Niemand außer mir selbst kümmert sich um mich.“

Vater nickt feierlich. Mutter ist blass und schaut hinunter auf ihre Hände. Warum sieht sie mich nicht an? Ist das ihre Art zu sagen, dass sie nichts mehr mit mir zu tun haben will? Ich bin noch nicht einmal ausgezogen. Dumpfe Enttäuschung nistet sich wie ein schwerer Stein in meinen Magen.

Die Tür neben meiner öffnet sich und Colin, mein Zwillingsbruder, tritt zu uns auf den Flur. Er trägt eine braue Hose und ein einfaches Hemd. Über seine Schulter hat er eine Tasche geschlungen, die ein paar Habseligkeiten enthält, die er nicht zurücklassen will. So gut wie alle unsere Sachen werden nach unserer Abreise vernichtet; unsere Zimmer ausgeräumt, damit wir nicht in Versuchung geraten zurückzukehren. Nicht, dass ich das wollte. Ich habe hiermit abgeschlossen.

Colin räuspert sich ebenfalls. „Ich gehe meinen eigenen Weg“, sagt er mit einem leichten Zittern in der Stimme. Er sucht Blickkontakt zu unserer Mutter. „Ich stehe auf meinen eigenen Beinen.“ Eine Träne läuft ihm die Wange hinunter. Das ist sehr schwer für ihn. Naja, er ist schließlich der Jüngere. Zwischen uns liegt eine halbe Stunde.

„Niemand außer dir selbst kümmert sich um dich“, beendet Vater die Rede als Colin stockt.

Als ich an meiner Mutter vorbeilaufe, legt sie mir plötzlich eine Hand auf die Schulter. „Leia“, sagt sie und zieht eine einfache Perlenhalskette aus der Tasche ihres Kleides. Der Anhänger ist eine bemalte und glasierte Walnuss. „Für dich.“

Mein Herz macht einen Sprung. Das ist die Halskette, die meine Mutter von ihrer Mutter bekam, als sie auszog. Und jetzt gibt sie sie mir.

„Danke“, flüstere ich. Einen Moment lang stelle ich mir vor wie sie mir viel mehr gibt als das. Ich fühle mich, als kann das noch nicht das Ende sein, doch genau da öffnet mein Vater die Haustür für uns. Ich folge meinem Bruder hinaus, hinein ins frühe Morgenlicht, weg von meiner Mutter.

Colin wartet schon auf mich und greift nach meiner Hand. „Kommst du?“, murmelt er.

Wir gehen den Pfad entlang ohne zurückzublicken. Wir machen uns auf den Weg zum Landgut, wo wir leben werden bis wir selbst verheiratet sind und Kinder haben.

Die Haustür fällt hinter uns ins Schloss. Ein neues Leben hat begonnen.

Die Insel

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