Читать книгу Die Insel - Jen Minkman - Страница 7

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„WAS - was machst du denn hier?“ stammle ich.

Mara schaut meine Mutter an als hätte sie einen Geist gesehen. Tatsächlich ist die Begebenheit fast schon genauso ungewöhnlich: Eltern besuchen ihre Kinder niemals auf dem Landgut. Warum sollten sie? Wir brauchen sie nicht. Wir können uns sowieso nicht auf sie verlassen.

Mutter streckt die Hand nach mir aus und legt sie auf meine Schulter. „Leia. Du bist so groß geworden.“ Ihr Blick landet auf der Halskette, die ich trage. Tränen schwimmen in ihren Augen. „Wie geht’s dir?“

„Gut“, antworte ich steif.

„Und wie geht’s Colin?“

„Auch gut.“

Ihre Augen weichen nicht von meinem Gesicht. „Ich hab dich so vermisst“, wispert sie. „Ich hätte euch beide nie gehen lassen dürfen.“

Ich blinzle. „Was meinst du damit? So ist das nun mal.“

Sie schüttelt den Kopf. „Das glaube ich nicht mehr“, murmelt sie kaum hörbar.

„Was meinst du damit, dass du das nicht mehr glaubst?“

„Es ist nicht richtig.“ Sie wringt ihre Hände. „Es kann nicht richtig sein, seine Kinder schon so früh loszulassen.“

„Und was ist mit Vater?“, frage ich perplex.“Steht er als nächstes auf der Matte?“

„Dein Vater ist tot“, antwortet sie monoton.

Ich schlucke den Kloß in meinem Hals während sich die Stille zwischen uns in die Länge zieht.

„Tot?“, wiederhole ich benebelt.

Meine Mutter nickt nur.

Damit habe ich nicht gerechnet. Ich habe damit gerechnet, meinen Eltern in einen paar Jahren wieder über den Weg zu laufen. Ich hätte sie von weitem gesehen, am anderen Ende des Marktplatzes. Ich hätte mich höflich mit ihnen im Dorf­laden unterhalten. Sie hätten mich niemals besucht. Sie hätten meine Kinder niemals kennengelernt, aber sie wären wenigstens in der Nähe gewesen.

Ich werde meinen Vater niemals wiedersehen.

„Was ist passiert?“, frage ich vorsichtig.

„Die Grippe hat ihn erwischt. Er hatte hohes Fieber und der Heiler wusste einfach nicht weiter. Es war nichts zu machen.“

„Tut mir leid“, bringe ich gebrochen heraus. „Mein Beileid.“

Ich bin meinen eigenen Weg gegangen. Ich stehe auf meinen eigenen Beinen. Ich brauche meine Eltern nicht und sie werden nicht für mich da sein. Die Macht ist das einzige, auf das wir uns verlassen können. Aber warum fühle ich mich dann so unglaublich traurig und leer als ich von dieser Neuigkeit erfahre?

„Danke,“ nuschelt meine Mutter. „Ich hoffe, du wirst bald nach Hause kommen.“

Ich nicke widerstrebend. „Sobald ich bereit bin zu heiraten, komme ich zurück. Nicht einen Moment eher.“

Meine Mutter sieht von mir zu Mara und wieder zurück. „Sagt mal: zieht Saul immer noch die Fäden auf dem Landgut? Er unterschreibt seine Berichte nie.“

„Ja“, antwortet Mara mit einem angeekelten Gesicht. „Zusammen mit Ben.“

Mutter runzelt die Stirn in Sorge. „Dann ist es also wahr.“

„Was denn?“, frage ich.

Sie schaut mich ernst an. „Süße, Saul ist schon ein­und­zwanzig. Er hätte schon vor langer Zeit gehen sollen. Irgendwas stimmt nicht.“

Einundzwanzig? Die ältesten von uns, die das Landgut verlassen, sind neunzehn und bilden dann auch eher die Ausnahme als die Regel.

„Es wird Zeit, dass Newexter eingreift“, fährt meine Mutter fort. „Ich werde es dem Ältesten erzählen.“

„Was?“, fahre ich auf. „Eine Intervention? Vergiss es!“ Der Älteste mag zwar hohes Ansehen genießen, weil er am längsten überlebt hat, aber das gibt ihm noch lange nicht das Recht, für uns auf dem Landgut Entscheidungen zu treffen.

„Wir wollen euch doch nur helfen.“

Ich gebe einen deutlich abwertenden Laut von mir. „Wir brauchen eure Hilfe nicht. Wir können uns um uns selbst kümmern.“ Bevor sie noch weiteren Unsinn von sich geben kann, öffne ich das Tor und schleife Mara mit hinein. Innerlich koche ich vor Wut. Wenn Saul wirklich schon zu alt ist, um noch länger hier zu bleiben, dann werden wir ihn dafür zur Rechenschaft ziehen. Die Eltern aus Newexter sollten schön dort bleiben und uns das selbst regeln lassen.

Dann muss ich plötzlich wieder an sie denken. Mutter. Sie sah einsam und blass aus. Hat sie sich wirklich Sorgen um mich und Colin gemacht? Warum sollte sie?

Zögerlich schaue ich zurück, aber ich sehe sie nicht länger am Tor stehen.

***

Saul steht draußen vor dem Haus als wir vom Seiten­eingang auf ihn zukommen. Seine starken Hände hantieren mit einem Messer, um einen neuen Pfeil zu schnitzen. Er schaut nicht in unsere Richtung, aber mein Herz klopft schneller, je näher wir kommen. Ich kann seinen Blick auf uns irgendwie spüren. Er weiß, dass wir da sind.

Gerade als wir auf die Terrasse neben das Haus treten wollen, atmet er einmal tief ein. „Halt“, sagt er leise.

Ich bleibe wie angewurzelt stehen. Mara schaut weg und alle Farbe weicht aus ihrem Gesicht als Saul sich zu uns umdreht und sein Messer wegsteckt. Seine dunklen Augen, das dunkle Haar und die dunkle Kleidung sind wie ein Tintenfleck auf der weißen Wand des Herrenhauses.

Wir stehen da wie ein Paar Rehe in Erwartung auf den Sprung des wilden Hundes. Festgehalten von Sauls schwarzem Blick. Einer seiner Mundwinkel verzieht sich zu einem Lächeln.

„Du solltest dich besser nützlich machen,“ sagt er zu Mara. Seine Stimme ist noch immer so leise, dass ich sie über das Rauschen des Blutes in meinen Ohren kaum hören kann.

„Nü... nützlich?“, stammelt sie.

„Nützlicher, als du meinem Bruder warst“, erklärt er, noch immer mit diesem unheimlichen Lächeln auf den Lippen. „Wenn du nicht die wichtigste Pflicht einer Frau erfüllen kannst, solltest du dich besser um andere Aufgaben kümmern – die Wäsche, zum Beispiel. Zufällig weiß ich, dass es da so einiges zu tun gibt. Ich erwarte, dass es bis heute Abend sauber ist.“

„Okay“, wispert Mara, die Augen auf ihren Füßen. „Ich mach mich an die Arbeit.“

„Mach das.“ Sauls Augen wandern zu mir. Ich wünschte, ich könnte auch einfach auf meine Füße starren, aber der kämpferische Teil in mir lässt mich seinen Blick ohne zucken erwidern. Im Augenwinkel sehe ich, wie Mara geht. Ich bin auf mich selbst angewiesen.

„Leia.“ Der Ausdruck in Sauls Augen wurzelt mich fest. „Du siehst ein bisschen blass aus. Irgendwelche Probleme?“

„Nein, mir geht’s gut.“

Er schüttelt ungläubig den Kopf. „Hat es dich nicht aufgeregt, deine Mutter zu sehen?“

Er hat uns gesehen? Ich ziehe scharf die Luft ein.

„Warum sollte es?“

Er kommt einen Schritt auf mich zu. So nahe, dass ich seinen Atem riechen kann. „Warum ist sie her­ge­kommen?“, flüstert er.

Ich glaube nicht, dass es war um mir zu sagen, dass Vater gestorben ist. Vielleicht wollte sie mich einfach nur sehen. Ich bin ein Teil von ihm, den sie vermisst.

„Um einen Bericht abzugeben, denke ich“, murmele ich und fühle mich durch seine Nähe zunehmend bedroht.

Er lacht kurz auf. „Ach, ja. Die Neuigkeiten. Im letzten Bericht habe ich gelesen, dass dein Vater gestorben ist.“

Die Boshaftigkeit in seiner Stimme setzt mir zu. Ganz plötzlich muss ich blinzeln, um Tränen zurückzuhalten.

„Oh, tut mir leid, wie unsensibel von mir“, fährt Saul fort. „Hattest du dich nicht darauf gefreut, ihn wiederzusehen, sobald du von hier wegkommst?“

„Nein. Das war Colin.“ Meine Stimme hört sich erstickt an.

Er bleibt still, bewegt sich immer noch nicht von mir weg. Als er schließlich etwas sagt, wünschte ich, ich hätte den Schritt zurück gemacht.

„Dein Vater war nie für dich da, und jetzt wird er das auch nie mehr sein. Vergiss das nicht.“ Er schaut mir tief in die Augen und macht ein abwertendes Geräusch. „Du wirst doch nicht um ihn weinen, oder?“

Ich schüttle den Kopf. „Nein“, flüstere ich vorsichtig, denn ich habe Angst, dass meine Stimme bricht.

„Gut. Jetzt geh und hilf deinem Bruder in der Küche. Vielleicht weint er ja, wenn er es erfährt. Sag ihm Grüße von mir.“

Seine Schritte entfernen sich von mir und trotz der warmen Sommer­sonne fröstelt es mich in meinen noch immer feuchten Kleidern. Ich schaue nicht noch einmal zu seinen Augen auf als ich in Richtung Küche eile.

Die Insel

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