Читать книгу Die Insel - Jen Minkman - Страница 6

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ALS ICH nach dem Regenguss zum Camp zurückkehre, wartet nur noch Mara auf mich, ein Bündel Camping­aus­rüstung zu ihren Füßen.

„Da bist du ja endlich“, ruft sie erleichtert. „Was ist denn mit dir passiert?“ Ihre Hand greift nach meinen tief­schwarzen Haaren, die mit Meersalz verklumpt und vom Wind ganz zerzaust sind.

Ich zucke mit den Achseln. „Eigentlich gar nichts. Ich bin bis zum Strand gelaufen und bin dann eine Weile dort geblieben, um mich abzuregen. Ich musste wirklich weg von Ben.“

„Wem geht das nicht so?“, seufzt Mara. „Er sollte zur Ordnung gerufen werden, aber wer soll das machen?“

„Du“, necke ich sie. „Ich wette, ihm tut immer noch die Nase weh.“

Mara starrt stur auf ihre Füße. „Ja, wegen dieser Sache... möchte ich gerade wirklich nicht zum Haus zurück. Saul wird mir wahrscheinlich die denkbar beschissenste Aufgabe auftragen, weil ich seinem Bruder einen linken Haken verpasst habe. Ich wette, ich werde die nächsten drei Wochen im Waschhaus dreckige Bettlaken scheuern.“

Zusammen packen wir mein Zelt ein und machen uns auf den Weg nach Hause. Mara läuft still neben mir. „Ich muss echt weg von hier“, bricht sie schließlich die Stille. „Bevor Saul auf die Idee kommt, mich mit seinem Bruder zu verheiraten nur damit er seine Ruhe vor ihm hat.“

„Eine arrangierte Ehe?“ Mir klappt die Kinnlade runter. „Jetzt mach mal einen Punkt, das gibt es nicht mehr! Wir haben die Freiheit zu wählen.“

„Falls du es noch nicht mitgekriegt hast: Saul ist wirklich kein großer Fan von Freiheit. Der Kerl spinnt doch. Vielleicht stammt er von Narren ab?“

Ich kichere. „Bist du über die Mauer geklettert und auf den Kopf gefallen? Niemand hier stammt von Narren ab.“

Mara schlägt ihre Augen nieder. „Bist du denn niemals neugierig, Leia? Auf die Menschen auf der anderen Seite der Mauer?“

„Natürlich nicht“, wehre ich schnell ab. „Wir wissen doch wie diese Leute sind.“

„Warum? Weil Saul es so sagt?“

„Nein, weil unsere Eltern es uns so beigebracht haben. Und sie haben es von ihren Eltern gelernt. Davon abgesehen steht es auch in der Schrift.“

„Zumindest in dem Teil, den wir lesen dürfen“, murmelt Mara.

Ich bleib mitten auf dem Weg stehen und starre meine beste Freundin an. „Mara, wovon redest du? Wer hat dir denn solche Sachen erzählt?“

„Andy“, bekennt Mara. „Er sagt...“

„Was sagt er?“, bohre ich nach, als Mara sich auf die Lippe beißt und auf den Boden starrt. Meine beste Freundin errötet leicht unter meinem fragenden Blick.

„Ich und Andy hatten ein Date,“ stammelt sie. „Bevor wir auf diese Wanderung gehen mussten. Wir waren den ganzen Abend zusammen. Und er hat mir ein Geheimnis anvertraut. Über die Schrift. Er sagt, dass Saul uns Dinge vorenthält.“

Andy und Mara? Mein Herz bekommt einen kleinen Riss. Ich gebe zu, dass ich eigentlich niemanden wirklich mag, aber wenn ich mir jemanden aussuchen müsste, wäre es Andy. Der achtzehnjährige Andy mit seinen freundlichen, braunen Augen, dem schwarzen Haar und den breiten Schultern. Aber er mag Mara. Meine beste Freundin mit ihrem schlanken, bieg­samen Körper, den kastanien­braunen Haaren und ihren fünfzehn Jahren. Für eine kurze Sekunde schmecke ich bittere Eifer­sucht auf der Zunge, doch dann bemerke ich den Ausdruck von Unsicherheit in Maras Augen. Sie will mich nicht wegen dieser Sache verlieren.

„Also, was hat Andy denn genau gesagt?“, frage ich und bohre nicht weiter wegen der Verabredung nach.

„Dass Saul Dinge weiß, die er uns nicht verrät. Wichtige Dinge.“

„Und woher will Andy das so genau wissen?“

Maras Stimme wird zu einem Flüstern: „Er hat es in der Schrift gesehen.“

„Wann?“

„Er konnte nicht lange lesen. Saul hat die Schrift nach einer seiner Reden auf dem Tisch liegen gelassen. An dem Abend, als wir uns den Kampf zwischen Max und deinem Bruder anschauen mussten. Andy konnte sich nicht zurück­halten, einen Blick zu riskieren.“

„Tatsächlich.“ Ich schaue sie verdutzt an. Dabei habe ich immer geglaubt, Saul könne nur die Kapitel für bestimmte Tage aussuchen. Anscheinend wurden einige Kapitel niemals ausgesucht.

Wovor hatte er Angst?

„Die Schrift besagt, dass Zusammenarbeit die wichtigste Über­lebens­regel ist,“ fährt Mara fort. „Wenn wir zusammen arbeiten, haben wir den besten Zugriff auf die Macht. Wir brauchen gar keinen Anführer.“

„Aber... das ist nicht richtig,“ stammle ich. „Es ist das Gesetz des Anpassungsfähigsten was zählt.“

„Nein, das stimmt nicht. Eine Gruppe ist am stärksten, wenn wir alle etwas beitragen. Wenn jemand nur alle Kraft aus der Macht für sich selbst abschöpfen will, wird er böse. Und alle, die einem solchen Anführer folgen, werden ebenfalls das Licht verlieren.“

„Wenn das so ist, müssen wir was tun!“, zische ich leise, obwohl niemand in der Nähe ist, der uns belauschen könnte. „Wenn Saul uns anlügt...“

Mara seufzt abwehrend. „Es wäre an uns Beweise aufzutreiben. Aber wir können gar nichts beweisen. Andy konnte nur einen kurzen Blick auf die Seite werfen, aber sie nicht herausreißen, damit wir sie herumzeigen können.“

Den Rest des Rückwegs setzte ich nur benommen einen Fuß vor den anderen ohne überhaupt hinzusehen. Ich kriege Maras Geschichte einfach nicht aus dem Kopf. Es würde bedeuten, dass wir von einem machthungrigen Typen belogen wurden, der uns in die Wildnis schickt, um nach der Macht zu suchen, damit er sie uns stehlen kann. Vielleicht sollte ich Colin davon erzählen.

***

Am Tor im Zaun, der um das Grundstück des Landguts herum läuft, wartet eine Frau. Jemand aus dem Dorf. Vielleicht ist sie hier, um uns Neuigkeiten aus Newexter zu bringen oder um einen Brief von Saul abzuholen.

Erst als sie sich umdreht, erkenne ich sie. Braunes Haar. Müde, blaue Augen, die mich anstarren. Vor sechs Jahren konnten diese Augen mich nicht ansehen, als ich mein Elternhaus verließ.

Die Frau ist meine Mutter.

Die Insel

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