Читать книгу Die Insel - Jen Minkman - Страница 8

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„ALSO WAR sie hier.“ Colin wirft mir einen undeutbaren Blick zu.

„Ja.“

„Sie hat uns nicht vergessen.“ Er schließt für einen Moment die Augen. „Heißt es nicht, dass Eltern ihre Kinder immer vergessen?“

Meine Finger streichen über die Perlen an Mutters Hals­kette, die ich jeden Tag getragen habe seit wir gegangen sind. Ich denke an Newexter. Ich denke an die Eltern, die sich einfach wieder dem Alltag zuwenden, wenn ihre Kinder ausziehen. Sie müssen sich dann keine Sorgen mehr machen, ob sie genug zu essen haben. Menschen, die die Verantwortung für ihre Töchter und Söhne nie tragen wollten. Manche haben die Tage gezählt, bis ihre Kinder das Haus verlassen würden.

Aber es gibt auch andere. Einmal war da ein Mann, der nach dem Tod seiner Frau über das Alter seines Sohnes log, damit er noch ein bisschen länger bei ihm bleiben konnte. Jeder wusste, dass die Zahlen keinen Sinn ergaben, aber der Älteste von Newexter brachte es nicht übers Herz den Jungen wegzuschicken.

Die Frau von nebenan, die für Tage nachdem ihre Tochter gegehen war auf den Stufen saß und weinte als würde sie hoffen, ihr Kind käme zu ihr zurück.

„Ja, so heißt es“, antworte ich leise.

„Und Vater ist gestorben“, fährt Colin fort. „Wir haben die Beerdigung verpasst. Warum waren wir nicht dort?“ Er schlägt frustriert mit der Faust auf den Küchentisch. Das Messer, mit dem er Fische ausgenommen hat, macht einen Satz als hätte er es erschreckt.

„Die meisten Leute gehen nicht zu den Beerdigungen ihrer Eltern“, stammle ich.

„Tja, ich bin eben nicht ‚die meisten Leute‘. Ich hätte ihn gern ein letztes Mal gesehen“, gibt Colin barsch zurück. „Und noch viel lieber hätte ich ihn noch einmal gesehen, als er noch gelebt hat, aber hey, dafür ist es nun zu spät.“

Ich sehe meinen Zwillingsbruder an. Blitzend blaue Augen und pech­schwarzes Haar, genauso wie ich. Er ist groß und breitschultrig für sein Alter. Er mag Ami. Es würde mich nicht wundern, wenn er plötzlich beschließen würde, seine Sachen zu packen und mit ihr als seiner Braut zurück nach Newexter zu ziehen. Er hat es hier nie nützlich gefunden; immer stur davon überzeugt, dass Mutter und Vater ihm das Über­leben genauso gut hätten beibringen können.

„Ich weiß“, flüstere ich. „Ich versteh schon.“

„Nein, du verstehst es nicht. Du hattest niemals den geringsten Zweifel, dass es einem höheren Zweck dient, sie zu verlassen. Du vermisst sie nicht einmal.“

Meine Lippe zittert. „Du verstehst es aber auch nicht. Warum glaubst du wohl, trage ich das hier immer?“ Meine Hand schließt sich um den Anhänger an Mutters Halskette.

Mit einem Seufzen kommt Colin um den Küchentisch und zieht mich in eine grobe Umarmung. „Komm mit mir“, murmelt er in mein Haar, „wenn ich zurück nach Newexter gehe. Bleib nicht ohne mich hier zurück. Wir können uns zusammen um Mutter kümmern.“

Uns um Mutter kümmern. Eine verdrehte Welt.

„Ich kann nicht“, widerspreche ich. „Noch nicht. Ich habe keinen Freund. Wenn ich jetzt gehe, werde ich niemals heiraten. Ich werde den Rest meines Lebens allein sein.“

„Was ist mit Andy?“

„Er ist mit Mara zusammen.“

„Achso.“ Dabei belässt er es zum Glück.

Eigentlich kam ich her, um Colin von Andy zu erzählen und was er über die Schrift gesagt hat, aber mein Bruder ist gerade zu aufgewühlt. Besser ich gehe und suche erst einmal Andy. „Hör mal, wir reden nochmal beim Abend­essen. Ich habe noch ein paar Dinge zu erledigen“, beende ich unsere Unterhaltung schnell.

Ich drehe mich nicht um als Colin mir nachruft. Ich möchte den traurigen Ton in seiner Stimme nicht hören; der Beweis für den Schmerz, den er wegen Vaters Tod empfindet. Es würde mich nur verunsichern und an mir zweifeln lassen. Denn ganz tief drin bin ich genauso aufgewühlt wie mein Bruder.

***

Mara ist noch immer im Waschhaus, bis zu den Ellenbogen in trübem, seifigem Wasser. Sie wäscht grade ein Paar braune Hosen. Der Geruch von nasser Wolle und Lavendel­seife schwängert den Raum.

„Hey“, sage ich, während ich einen mitleidigen Blick auf den riesigen Haufen Wäsche werfe, den sie sich noch vorknöpfen muss. „Weißt du, wo Andy ist?“

Mara wischt sich über die Stirn. „Er hat meinetwegen Ben gegenüber das Maul zu weit aufgerissen und das nicht ohne Konsequenzen. Er muss heute Abend gegen Max und Cal kämpfen.“

Ich blinzle ungläubig. „Du meinst, gegen beide gleich­zeitig?“

„Ja.“ Maras Unterlippe beginnt zu zittern und sie bricht in Tränen aus als ich ihr meinen Arm um die Schultern lege. „Das ist nicht fair.“

Mir dreht sich der Magen um. Wir müssen endlich von hier verschwinden. Saul bricht jeden, der eine Seele hat. Aber wo sollen wir hingehen? Sollen wir uns bei den Eltern ver­stecken?

„Ist ja gut“, tröste ich sie. „Ich helf dir auch.“

Ich arbeite hart; verdränge den Gedanken, Saul zur Rede zu stellen, ganz nach hinten in meinen Kopf. Nachdem Cal und Max Andy heute Abend aufgerieben haben, wird er ganz sicher nicht mit mir über die Schrift, Saul und seine Lügen reden wollen.

Wir waschen alle Kleidungsstücke und Decken gründlich, dann hängen wir sie ohne ein Wort zu wechseln auf die Leine.

Schließlich bricht Mara jedoch die Stille. „Ich frage mich, wo Andy hin ist.“

Ich zucke die Achseln. „Keine Ahnung. Kräfte sammeln, nehme ich an?“

„Damit sie dann ein bisschen länger brauchen bis er nur noch ein blutiges Häufchen ist?“

Ich nicke zaghaft. „Ja, sowas in der Art.“

Meine beste Freundin beißt sich auf die Lippe. „Leia... irgendetwas stimmt mit diesem Ort nicht. Er macht mir Angst.“

Ich denke an meine Konfrontation mit Saul und nicke ohne etwas zu sagen. Ich weiß ganz genau was sie meint.

Die Insel

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