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Michael

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Der Tag in der JVA Willich begann, wie jeden Morgen gegen 6.20 Uhr, mit der sogenannten Lebendkontrolle. Die Zelle wurde aufgeschlossen, der oder die Gefangenen gaben ein Lebenszeichen von sich, der Müll wurde rausgestellt und die Zelle wieder verschlossen. Um 6.45 Uhr kam per

Durchsage: B Flügel, fertigmachen zum Ausrücken in die Betriebe. Wer Arbeit hatte betätigte die sogenannte Ampel, einen Lichtknopf, der im Gang über der jeweiligen Zelle ein Licht aufleuchten ließ, so dass, der Beamte sah, welche Insassen zur Arbeit wollten.

Kurz vor sieben waren dann alle Arbeiter auf die Betriebe verteilt. Für alle die keine Arbeit hatten oder wollten, war an zwei Tagen pro Woche duschen, zweimal pro Woche 90 Minuten Sport in einem Kraftraum und für alle Gefangenen optional, eine Stunde Hofgang pro Tag. Arbeiter durften fünfmal die Woche, nach dem Arbeitsende um 16 Uhr duschen. Wer sich wegen Krankheit morgens zum Sanitäter oder dem zweimal pro Woche erscheinenden Arzt gemeldet hatte, wurde im Laufe des Vormittages von einem JVA Bediensteten geholt und durch den sogenannten Spiegel, an dem sich alle Flügel trafen, durch den gesamten B Flügel, in den dahinter angrenzenden Sanitätsbereich gebracht.

Einer der 88 Gefangenen auf B3 war Michael Karutz. Er war seit kurzem ohne Arbeit, 26 Jahre alt und hatte sich nicht gemeldet, erfuhr aber, er sei zur Visite beim Doktor angemeldet. Er war ein ruhiger Typ, der Unangenehmem gerne aus dem Weg ging und der es, falls irgendwie möglich vermied, dem Tag nüchtern zu begegnen.

Ohne sich gemeldet zu haben, zum Arzt zu müssen, das konnte eigentlich nichts Gutes bedeuten.

Mist.

Michael war seit elf Monaten hier und hatte, diesmal, noch drei Jahre vor sich. Auf eine Entlassung nach Verbüßung von Zwei Drittel, durfte er nicht hoffen, denn es war seine dritte Haftstrafe in acht Jahren und seine Urinkontrollen wiesen regelmäßig Spuren von THC, Morphin, Amphetamin und oder Benzodiazepinen auf. Letzte bekam er allerdings vom Haus. Viel zu wenig, wie er fand. Seine Arbeit in der JVA Buchbinderei, hatte er durch den Drogenkonsum bereits kürzlich verloren. Obwohl er im Methadon Programm war, konsumierte er alles, was er bekommen und bezahlen konnte. Er hoffte, nach der Entlassung etwas länger draußen zu bleiben, aber eine Idee, was er mit seinem Leben anfangen könnte, hatte er nicht. Strategie oder Taktik waren ihm so fremd, als möglich. Wie so viele andere, war er nie auf die Idee eines einigermaßen selbstbestimmten Lebens, gekommen. Die Dinge passierten und er passierte mit. Da er selbst fast nie Entscheidungen traf, machten andere dies für ihn. Und wenn man das Denken den anderen überließ, war man allzu oft der verarschte, dachte er in einem lichten Moment. Michael war weder kriminell, noch ein schlechter Mensch. Er rasselte nur immer wieder am Rande mit anderen in irgendetwas hinein. So hatte er einem Knastfreund erlaubt, sich in Michaels Wohnung mit jemandem zu treffen. Das dabei ein Drogendeal ablief, war ihm weder richtig bewusst, noch hatte er davon finanziell profitiert. Doch etwas ging schief, der Käufer stellte sich als Kronzeuge zur Verfügung und der verdatterte Micha wurde mit zwei anderen wegen bandenmäßigem Handel angeklagt und verurteilt. 3 Jahre 4 Monate….Bei Drogen wurde mit Jahren um sich geworfen, wie bei keinem anderen Delikt. Verurteilt wurden dabei nur die allerletzten der Versorgungskette, die nahtlos ersetzt wurden. Aber der Bürger hatte den Eindruck man tue etwas gegen die Drogen. Das ich nicht lache. Der Riegel krachte und die Türe schwang auf.

„Was isn los? Ich habe mich nicht gemeldet?“ fragte er den Beamten.

„Keine Ahnung. Offenbar will der Doc dich sehen. Oder hast du was anderes vor?“

„Ne lass man. Ist schon ok. Wenn man mich so höflich bittet.“

Der Arzt saß ihm schweigend gegenüber und starrte auf seinen PC. Dann nahm er die Brille ab, lehnte sich zurück und sah Michael freundlich an.

„Wie geht es Ihnen Herr Karutz“?

„ Keine Klagen“.

„ Na ganz so ist es doch wohl nicht. Wie ich sehe, haben sie regelmäßigen Beikonsum von Drogen aller Art. Trotz Methadon und dem Maximum an Benzodiazepinen, die wir Ihnen geben dürfen, scheinen wir sie nicht zu erreichen. Ständig versuchen sie mehr Tabletten zu bekommen. Was macht sie so unruhig?“.

„ Ganz ehrlich? Vom Methadon merke ich überhaupt nichts, außer heftigem Schwitzen und Schlafstörungen. Und ich kann nicht mal richtig wichsen, äh Entschuldigung, onanieren. Da werde ich eher noch depressiv. Und die paar Drogen, die ich mir leisten kann, helfen mir gerade über drei oder vier Tage im Monat.“

Der Arzt nickte und notierte etwas. Dann fragte er den neben ihm sitzenden Sanitäter:

„ wann könnten wir denn anfangen?“

„ab morgen Früh. Das Methadon sollte nur 24 Stunden vorher abgesetzt werden“.

Der Doktor notierte etwas, sah wieder zu Michael.

„Herr Karutz. Haben sie schon einmal von Euphorin gehört?“

„ Ja klar. Aber das gibt es ja nur für Edelsubstituierte, die einen Arbeitsplatz haben. Draußen.“

„ Da sind sie nicht ganz richtig informiert. Euphorin gibt es nur für Teilnehmer am Rentadep Programm. Das ist die Firma, die, natürlich staatlich kontrolliert, Euphorin entwickelt hat. Für Menschen, wie sie. Für Abhängige aller Art, die im Gegenzug dafür bereit sind, gewisse vertragliche Regeln einzuhalten und ehrenamtlich leichte Arbeit zu verrichten. Das Land NRW testet momentan zusammen mit der Fa. Rentadep , in wieweit Euphorin auch für Häftlinge geeignet ist. Haben sie das soweit verstanden?“

„Habe ich“.

„ Wir könnten, mit ihrem Einverständnis, einige Probetage mit Euphorin machen. Erste Versuche zeigen, dass Abhängige unter Euphorin viel weniger, bzw. keinen Beikonsum mehr haben, außer THC und dagegen habe ich auch nichts. Vielleicht erreichen wir damit, dass sie sich besser fühlen und nicht noch einmal aus disziplinarischen Gründen die Arbeit verlieren. Sie kämen zweimal am Tag hierher und abends bringt ihnen der Sanitäter die Nachtration auf die Zelle. Euphorin muss dreimal täglich eingenommen werden. Es wurde ganz speziell auf die Bedürfnisse von Opiat abhängigen Menschen zugeschnitten. Nach einer Testphase von 5 Tagen, überlegen wir dann gemeinsam, wie es weitergeht. Sollten sie mit dem Programm zufrieden sein, dürfen sie in 14 Tagen spätestens wieder arbeiten. Sind sie damit einverstanden? Sie brauchen keine Umstellungsprobleme befürchten, keine Entzugserscheinungen und bleiben im normalen JVA Alltag auf ihrer Zelle und Abteilung.“

Micha war ein erfahrener Häftling und biss nicht sofort an.

„Na ja. Wenn ich dann nicht mit Entzug auf Zelle liege? Wenn es mir plötzlich mies geht, will ich nicht drei Tage auf die nächste Visite warten müssen!“

„Bestimmt nicht“. Dann zum Sani. „Wir fangen morgen früh an, 8.20 hier bei mir. Er kommt in die B-Zelle. Zum Mittagessen ist er wieder auf B3. Ich bin morgen bis 16 Uhr im Haus und falls etwas sein sollte, kann Herr K. ohne Voranmeldung in meine Sprechstunde. Notieren sie das bitte.“ Er lächelte Michael freundlich an.

„Es freut mich, dass sie offen für etwas Neues sind. Sie brauchen keinerlei Unwohlsein befürchten. Sollten sie ängstlich sein, erhalten sie heute Abend 4 mg Flunitrazepam. Damit schlafen sie gut und gehen entspannt in den Tag. Das Diazepam morgens 10 abends 20 mg behalten wir vorerst bei. Sobald sie mir grünes Licht geben, schleichen wir das aus. Einverstanden? Bis morgen Früh Herr Karutz.“

„ Bis dann Doktor“- Er freute sich. Geil heute Abend zwei Flunnies. Da kannst du lange drauf warten, dass ich grünes Licht gebe. Du Vollpfosten. Ohne Beikonsum? Von was träumt der noch? Kopfschüttelnd ließ er sich wegsperren.

Am kommenden Morgen um 8.50 schaute der Sanitätsbeamte in die Beobachtungszelle, in der Micheal seit 20 Minuten untergebracht war. Er lag summend auf dem Bett und lächelte vor sich hin. Michael fühlte sich bombig gut. Wie verliebt und schön breit. So ließ sich sogar Knast gut aushalten. Er war um kurz vor halb neun in die B Zelle gekommen und Rolle, der Sani, hatte ihm einen Apparat hingehalten. Röhrchen in die Nase, anderes zuhalten und eins, zwei, drei, tief und nochmal tief inhalieren. Und los. Und nochmal. Los. Einen Augenblick später überflutete Michael ein Gefühl, das er gar nicht näher benennen konnte. Er dachte kurz an den Kindergarten. Er fühlte sich gehoben, geborgen, zuversichtlich und gleichzeitig so entspannt, dass er vergaß an seiner Selbstgedrehten zu ziehen. Es war anders wie Heroin, nicht so dumpf. Aber es war ganz eindeutig ein Opiat Gefühl, was er da spürte. Und zwar ein verdammt gutes. Was war das denn? So einen geilen Törn hatte er seit er 14 war, als er zum ersten Mal Thai H geschnupft hatte, nicht mehr erlebt. Und das sollte er nun vom Knast bekommen? Wo lag der Haken?

Gegen Mittag durfte er in seine Zelle, auf Abteilung B3 zurück. Nach zehn Tagen war er voll auf Euphorin eingestellt. Schon eine Stunde, bevor er die nächste Dosis bekam, freute er sich darauf und fieberte der Vergabe entgegen. Der Sanitäter kam mit einem Gerät das entfernt an eine E-Zigarette erinnerte. In einem kleinen Kolben befand sich eine ölig aussehende Flüssigkeit. Er hielt es ihm vor das Gesicht, Micha schob das Plastikröhrchen in die Nase, drückte das andere Nasenloch zu und inhalierte fest zweimal. Nach ca. 4-6 Sekunden kam die Wirkung in einer Welle, wie er es von ganz früher bei gutem Heroin kannte. Das war besser als jede ihm bekannte Droge.

Nach einer Woche saß er wieder dem Arzt gegenüber.

„ Hallo Herr Doktor.“

„Herr Karutz. Erzählen sie mir doch bitte, wie es ihnen ergangen ist.“

„Also die Umstellung ist gut gelaufen. Der Suchtdruck ist weg und ich glaube ich bin nicht mehr so unruhig. Aber morgens, nach der Nacht bin ich schon entzügig. Das geht dann aber weg, nach der Morgendosis.“

„Dann schlage ich vor, dass wir abends die Dosis um 10% erhöhen. Sonst noch etwas?“

Nein keine Klagen. Das Zeug würde er nehmen, solange er es bekommen konnte. Nach der Kalkulation von Rentadep maximal 30 Jahre, hoffentlich weniger… Er war der 4219. Gefangene, der sich freiwillig auf Euphorin umstellen ließ. Mit dieser chemischen Zwangsjacke, wurde er nach Verbüßung der Halbstrafe, gut zwei Jahre vor seinem offiziellen Haftende in die Obhut von Rentadep Deutschland entlassen. Er blieb für 8 Jahre bei Rentadep bis er bei einem Autounfall verstarb. Drüben in der Frauenabteilung der JVA Willich Anrath, verhießen die Zahlen noch bessere Ergebnisse.

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