Читать книгу Die Geschichten von Knuud und Ksavver anno 2069 - Jochen Nuding - Страница 13

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[ 4 ] Aus der Traum am Gartenzaun

Erholt wacht Knuud trotz allem am neuen Morgen auf. Nach dem alltäglichen familiären Morgenritual, dessen Krönung dann darin endet, dass alle anderen aus dem Haus sind, kann er direkt zu seiner Lieblingsbeschäftigung, einem ausgiebigen Frühstück, übergehen. Die Freude am Leben kommt so immer direkt in sein Leben zurück. Genau das liebt er an der Heimarbeit, das ist einer der entscheidenden Vorteile, weswegen er die Schocks immer wieder weiter erträgt: Diese Ruhe und ‚freie‘ Zeit der Bereitschaft, die tut ihm persönlich so gut! Auch nach dem Frühstück hat die ‚Heiße Leine‘ heute noch keinen Muckser gemacht. Das Wetter verspricht sich zudem schön und trocken zu entwickeln, so dass er beschließt, diese Gelegenheit beim Schopf zu packen und im Garten heute einige Dinge gerade zu rücken. Der Chef-Klingel sei Dank, kann ihm ja kein noch so kleines Kundenproblem entgehen. Sicherheit ist das höchste Gebot. Das verspricht seine Firma ihren Kunden, das ist das Firmenleitmotto. Dafür muss auch er mit allem was er hat gerade stehen.

Mit einigen Handgriffen hier und ein paar dort, wurstelt er sich durch die angefallenen Todos seines Gartenparadieses, bis er schließlich am Zaun landet, in dessen Angesicht er gestern Abend den letzten Schockmoment erleiden musste. Glücklicherweise ist davon keine Spur mehr übrig. Weder in seiner Gefühlswelt noch in seiner Umgebung ist davon irgendetwas zu entdecken. Alles ist ruhig und friedlich. Einfach herrlich am Rand der Metropole zu wohnen, immer und immer wieder freut er sich darüber. Hierher zu ziehen war sicher die richtigste und beste Entscheidung, die sie je gemeinsam vor nur wenigen Jahren getroffen hatten. Es war einfach unglaublich, in diesem ländlichen Flair noch vor dem eigentlichen Speckgürtel der Metropole, zu leben. Seine ganze Familie genießt diese Lebens-Lage inzwischen. Nicht allen fiel es leicht, diese Entscheidung mit zu treffen. Es bedeutete auch die vorige Wohnung, die so ideal mit den öffentlichen Verkehrsmitteln angebunden war, zu verlassen, zudem die gewohnte Umgebung aufzugeben. Aber bereuen tut es inzwischen keiner mehr.

Was sehen da seine entzückten Augen? Direkt am Zaun, unten aus der Erde:

„Hurra, ja! Wie schön, mein grüner Zaun beginnt zu wachsen! Jippie yeah yeah! Welch' Wonne in der Morgensonne!“

reimt Knuud vor sich hin und bückt sich schnell bis er schließlich vor dem hässlichen Zaun seines Nachbarn kniet. Wobei er sich irgendwie auch wundert, warum man sich noch nicht früher begegnet war oder sich sonst wie kennengelernt hatte. Metropole kann halt auch sehr unpersönlich sein. In ihrem konkreten Fall ist ja der Zaun dazwischen, der zu hoch ist um drüber gucken zu können und zu blickdicht ist, um durch ihn hindurch sinnvoll zu kommunizieren. So bleibt es einfach aus, obwohl man so nah nebeneinander wohnt, dass man sich begegnet und Beziehungen knüpft, oder sich solche entwickeln können. Selbst wenn man sich treffen würde und es nicht direkt vor der Haustüre passiert, wüsste man ja nicht, wer diese Person wäre. Zumal ihre beiden Türen von einander abgewandt sind uns so diese Begegnung unmöglich machen. Zurückhaltende Persönlichkeiten gehen gewöhnlich ihren eigenen Dingen nach und dabei bleibt es oft auch. Jedenfalls so lange, wie nicht etwas passiert, was das Unpersönliche aufsprengt. Oft wird diese Anonymität noch verstärkt durch empfundene oder grundsätzliche Abneigung dem Fremden oder Anderem gegenüber. Eine ‚erzwungene‘ Begegnung aus äußeren, faktisch ungewollten oder ungeplanten Umständen heraus, könnte so eine Sprengung auslösen und eine Art Hoffnungsschimmer am Ende des Unpersönlich-Tunnels aufblitzen lassen. Dessen Schein auf die Betroffenen dann vielleicht eine anziehende Wirkung ausübt, so dass sie, vielleicht auch aus verschüttetem Frust über ihre Beziehungslosigkeit heraus, intuitiv entgegen gehen.

Was rede ich, Knuud hat es ja auch gut, er hat jetzt ein Haus, dazu eine große Familie - doch dazu später mehr.

Seine Augen glänzen, er freut sich jedes Jahr riesig über seinen oder besser gesagt ihren grünen Zaun aus Jumbogras. Einst im Internet entdeckt, entschieden sie gemeinsam, diesen haben zu wollen und bestellten ihn in Form von 50 Wurzelknollen, um dem hässlichen Zaun des Nachbarn etwas entgegen zu setzen. Das ist notwendig, um sich von Herzen daran erfreuen zu können, was vor ihren Augen wächst, gedeiht und grünt. Die Gartenzeit wird so zu einer zusätzlichen Natur-Erlebniswelt, auch in der inzwischen hoch technischen Alltagswelt. Für Augen und Ohren ist es ein herrlicher Anblick, wenn der Wind durchs Jumbogras weht. Darunter biegt es sich und gibt ein so beruhigendes Rauschen in Wellenform von sich, welches sich mit zunehmender Höhe und Dichte steigert, bis es dann im Spätsommer mit seiner höchste Wachstumsgrenze von rund vier Metern sein Maximum-Level erreicht hat. Die Kanten der Blätter sind sehr rau. Sehr leicht kann man sich daran verletzten. Sicher tragen sie ihren Beitrag zum Wohlklang des Rauschsounds mit bei.

Da es seine Kinder letzten Sommer mit Ballspielen im Garten doch geschafft hatten, dem grünen Schmuck trotz der scharfen Blätterkanten ihr teilweise eigenes löchriges Gepräge aufzudrücken, um nicht zu sagen durch-zu-schießen, ermahnte er sich selbst daran erinnernd:

„Oh, diesen Jahr muss ich gleich die Spitzen schützen, nicht dass die Kids diese beim Im-Garten-Spielen unachtsam zertreten und die wachsende Schönheit so schon im Keim ersticken! Oh oh, und was mach ich nur gegen den Fußball?“

So ist Knuud in seinen Gedanken versunken und freut sich dankbar über das Stück Land, das sie ihr eigen nennen können. Es ist es Wert, gehegt und gepflegt zu werden und sich sooft es eben geht, darum zu kümmern.

Da nimmt er hinter sich ein seltsames Geräusch wahr. Eben klang es noch leise und sehr entfernt. Überraschend schnell scheint es sich ihm zu nähern. Bevor er es recht begreifen, erfassen, geschweige denn sich kniend danach umdrehen kann, ist es bedrohlich laut angeschwollen und scheint bereits fast schon über ihm zu schweben. Nein nicht weit oben im Himmel, sondern direkt über ihm, als sei es greifbar nahe. Es drängt sich ihm die Ahnung auf: „Gleich zerschellt es an meinem Kopf! Oder gleich zerschellt sein Kopf daran! Da durchzuckt ihn eine Panik, in der er in sehr lang gezogenen, deutlich von einander abgesetzten Worten zu schreien beginnt:

„Uah! Hilfe! Mein Garten! Meine Spitzen! Mein Leben! Uah!“

Es ist Reflex, panische Angst und Selbsterhaltungstrieb in einem. Ruckartig, wie von Geisterhand bewegt, weicht er in die einzig mögliche Richtung, nämlich nach unten hin, aus. Er wird regelrecht zu Boden gedrückt. Mitten rein in die harten Spitzen des jungen Jumbograses. Dieses ist nur ganz zu oberst ein klein wenig nachgiebig. Nur an der Spitze der Spitzen ist etwas Weiches. Das direkt über ihm, scheinbar rotierende, sehr gefährlich klingende Geräusch, einer Kreissäge durchaus nicht unähnlich, kommt noch näher, noch dichter an seinen Kopf heran.

„Geht es noch näher?“ fragt er sich panisch.

Es kommt ihm so dicht davor vor, dass er das Gefühl nicht mehr losbekommt, dass ihm gleich das Herz stehen bleibt. Das Geräusch, was immer es auch für ein Bedrohungs-Gerät sein mag, er kann es nicht sehen, da sein Gesicht ins Jumbogras sticht - genau genommen sticht ihn das Jumbogras in seiner misslichen Lage ins Gesicht. Und da er seine Brille durch die ganze Aktion nicht mehr auf der Nase hat, würde er mangels Sehschärfe es auch nicht richtig erkennen können, wenn er sich durch eine leichte Bewegung der Bedrohung zuwenden würde. Wegen der Dichte der Bedrohung traut er sich schon gar nicht, sich überhaupt zu bewegen. Denn würde er sich bewegen, scheint es ihm unausweichlich, dass der letzte Schimmer Hoffnung irgendwo in sich drin, dieses hier zu überleben, dadurch zunichte gemacht werden würde. Das ist alles so sehr furchterregend für ihn, dass er jeden Moment erwartet, dass es ihn am Kopf trifft und er dadurch sein Leben aushaucht. Dabei hat er doch noch so viel vor. Er will leben! Hilfe!

Wie in allerletzter Sekunde hebt sich der unerklärliche Sound der Bedrohung etwas von ihm empor, ohne ihn noch zu berühren. Trotzdem wird der Geräuschpegel irgendwie noch intensiver, so kommt es Knuud vor. Das Bedrohungsgeräusch scheint sich wie mit letzter Kraft schließlich über den hohen Zaun auf das Grundstück des Nachbarn zu entfernen. Nach kurzem Abwarten, um sicher zu sein dass er seinem Hörorgan noch trauen kann, hebt er dann vorsichtig etwas den Kopf. Tatsächlich, das Geräusch ist zwar noch deutlich aber doch auch entfernter und nur noch durch den Zaun hindurch zu hören. Mit dem Satz:

„Ziel erreicht!“, den er auch durch den Zaun monoton wahrnimmt, kann er zu dem Zeitpunkt nichts anfangen. Denn zeitgleich begreift er: Jetzt ist die Chance zu entkommen! Wer weiß, ob die Gefahr gebannt ist? Davon gepackt, kommt Bewegung in ihn. Wie benommen, hektisch entschlossen und doch fast ohnmächtig mit schlotternden Gliedmaßen, greift er nach seiner Brille, kommt wackelig hoch auf seine Knie und krabbelt schließlich auf allen Vieren über die Terrasse ins Haus. Dort bleibt er erst mal wieder erschöpft aber auch etwas erleichtert auf dem Boden kurz hinter der Terrassentür liegen.

Erst nachdem sich sein Atem dann dort etwas beruhigt hat, steht er vorsichtig auf, geht unsicher ins Bad und lässt sich ein Badewasser in die Wanne ein. Setzt sich immer noch völlig erschöpft auf den Hocker, der im Bad steht. Er will nichts mehr sehen oder hören um sich herum. Will sich einfach nur noch beruhigen, entspannen, um wenigstens einen klaren Gedanken im Kopf fassen zu können. Irgendwie muss er ja das, was ihn da eben so stark bedrängte, verarbeiten und analysieren, um es dann schnellstmöglich ganz weit hinter sich zu lassen - alles andere ist ihm in diesem Moment völlig egal. Froh, heilfroh ist er, entkommen zu sein und doch noch überlebt zu haben!

Die Geschichten von Knuud und Ksavver anno 2069

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