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EINFACH MACHEN!

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Während meiner Weltreise entdeckte ich eine Wahrheit, von der ich bis dahin keine Ahnung gehabt hatte. Und ich glaube, dass die meisten von uns nichts davon wissen oder sie zumindest erfolgreich unter Konventionen begraben: Das Leben beginnt außerhalb der Komfortzone.

Ich kann mich nicht oft genug bei mir selbst bedanken, dass ich mich letztendlich getraut habe, diese große Reise anzutreten. Sie war der Auftakt in ein neues Leben. Ein Leben, das ich heute für nichts in der Welt eintauschen würde. Und alles ist ins Rollen gekommen nur wegen dieses ersten Schritts. In das Unbekannte. In die Unsicherheit. Trotz meiner Ängste. Ohne ihn hätte ich nie erfahren, welche magischen Momente das Leben für mich bereithält …

Dafür musste ich mich aus der Deckung wagen und »Ja« zu all dem Neuen und Unbekannten sagen, um an der Erfahrung wachsen zu können. Bereits damals inspirierte mich die Idee, dass man am Ende seines Lebens ausschließlich die Dinge bereut, die man nicht getan hat.

Es muss ja nicht gleich der große Umsturz sein, manchmal helfen kleine Schritte: zum Beispiel jeden Tag irgendetwas tun, vor dem man Angst hat. Eine fremde Person ansprechen, sich in der Dunkelheit allein in der Natur aufhalten, am Freitagabend ohne Begleitung in einen Klub gehen.

Ich habe versucht, die Widerstände in mir zu erkennen und Stück für Stück hinter mir zu lassen. Wenn ich jeden Tag eine kleine Hürde überwinde, habe ich nach einem Jahr 365 Dinge getan, die ich mir zuvor nicht zugetraut hätte. Im Vergleich zum Verharren in der Komfortzone resultiert daraus ein unfassbares Wachstum.

Schlussendlich ermöglichte mir dieses Mantra »Einfach machen!«, dass ich heute meinen Traum von einem unabhängigen Leben führe und meine Musik an den schönsten Orten der Welt zu den Menschen bringen kann.

Dazwischen lagen jedoch tausend kleine »erste Male«, an denen ich unglaublich wuchs und jedes Mal mehr zu mir selbst fand: In Thailand lernte ich tauchen, schwamm in Australien mit Haien und beobachtete Bären in freier Wildbahn in Kanada – direkt vor meiner Nase. Ich trampte durch atemberaubende Landschaften, lernte Motocross-Motorrad in den Bergen von Laos, begegnete den aufregendsten Frauen, verirrte mich in Bezirken mit ausschließlich in asiatischen Schriftzeichen verfasster Straßenbeschilderung und fand neue Freunde – manchmal für ein paar Tage, manchmal für ein paar Wochen, manchmal fürs Leben.

Ich hatte so große Sehnsucht danach, meine eigenen Wunder zu erfahren. Und mit jedem inneren Widerstand, den ich überwand, fühlte ich mich freier und glücklicher, bis ich eines Tages feststellte, dass ich tatsächlich so leben kann, wie es sich für mich richtig anfühlt. Ich gab dem Universum die Chance, mich zu überraschen und zu leiten. Dafür versuchte ich, nach und nach die Dinge, die meinen Kopf in Beschlag nahmen und meine Kreativität unterdrückten, ziehen zu lassen: feste Strukturen, das Aufstehen mit dem Wecker, Nine-to-five-Tage im Büro. Stattdessen schuf ich Raum für Leidenschaft, Mut, Neugier und unvergessliche Begegnungen.

Jeden Tag aufs Neue fand ich heraus, wie ich meine Träume erkenne – und wie ich es vermeide, sie zur Seite zu schieben. Statt mich von unbegründeten Ängsten bremsen zu lassen, begann ich zu überlegen: »Wer unterstützt mich?«

Die Weltreise war ein erster Schritt, um ein vollkommen neues Lebensmodell auszutesten. Die Biografien der anderen Reisenden, die ich unterwegs traf, faszinierten und inspirierten mich, und die Unterschiedlichkeit der einzelnen Lebenskonzepte so hautnah mitzuerleben, war entscheidend für alles, was danach kam.

Das wurde mir bewusst, als ich nach zehn Monaten nach Deutschland zurückkehrte: Allein der Gedanke daran schnürte mir die Kehle zusammen, und ich verschob meinen Rückflug dreimal, bis ich schließlich doch in den Flieger stieg, der mich von Boston Richtung Europa bringen würde. Ich saß in der engen Reihe aus Flugzeugsitzen, starrte aus dem Fenster und beobachtete, wie der Flughafen unter mir immer kleiner und kleiner wurde. War mein Abenteuer nun wirklich schon vorbei? Das In-den-Tag-hinein-Leben und die Frei- und Unbeschwertheit, die das mit sich brachte? Mehrmals musste ich gegen einen dicken Kloß in meinem Hals anschlucken.

Ich wollte nicht zurück nach Deutschland. Ich wollte nicht zurück in einen Rhythmus, den das Ticken der Uhr und das Klingeln des Weckers bestimmen. Nicht zurück in Räume, die man nicht mit Flipflops und Sonnenhut, sondern ausschließlich in unbequemen Lederschuhen und schweißtreibenden Jacketts betreten darf.

Wenigstens hatte ich die Aussicht, einen Neustart als Student an der Uni zu wagen und damit noch mal einen ganz anderen Lebensabschnitt zu beginnen – jenseits von Bürohierarchien und Businessgehabe. Von hundert auf null konnte ich dann aber doch nicht mit dem Reisen abschließen, sodass ich noch im Flugzeug beschloss, die verbleibenden vier Wochen bis zum Semesterstart weiterhin unterwegs zu sein. Immerhin ist Deutschland ja auch Teil der Welt – warum also nicht genauso durch den Schwarzwald oder das Allgäu reisen wie durch Chile oder Madagaskar?

Der Unterschied zu früheren Reisen durch’s eigene Land: Mit genau demselben Entdeckergeist, den ich mir auf der Weltreise angeeignet hatte, und mit derselben Neugier, mit der ich in die internationale Fremde gezogen war, machte ich mich nun auf, vier Wochen lang die Fremde im eigenen Land zu erkunden. Mit vielen Zwischenstopps reiste ich von Berlin über Köln bis nach Freiburg und München, wo ich Freunde besuchte, die ich während meiner Weltreise kennengelernt hatte. Das Alleinreisen hatte mein Selbstbewusstsein signifikant gestärkt und ich ging nun viel offener auf fremde Menschen zu. Egal ob bei Lidl in Hamburg oder in einer Eckkneipe in Leipzig – ich hatte die tollsten Begegnungen im eigenen Land, betrachtete meine eigene Kultur aus einem neuen Blickwinkel und lernte Menschen kennen, die mir ihre Stadt von ihrer ganz persönlichen Seite zeigten.

Der Entschluss, am Ende meiner eigentlichen Weltreise die Straßen Deutschlands zu erkunden, führte mich zu einer der lehrreichsten Erfahrungen meines Lebens: Wenn man mit dem richtigen Spirit unterwegs ist, warten überall intensive Begegnungen und wunderbare Orte. Reisender zu sein, ist nichts, was man sich zwingend mit einem Around-the-world-Ticket und jeder Menge angesparter Urlaubstage erkaufen muss. Es ist eine innere Einstellung zum Neuen an sich.

Allein wenn ich daran denke, spüre ich wieder dieses Kribbeln in mir, und ich will die beiden Worte »Einfach machen!« in die Welt hinausrufen, um noch viel mehr Menschen dazu zu bringen, die Gestaltung ihres Lebens selbst in die Hand zu nehmen.

Natürlich klappt auch bei mir nicht immer alles, gehen Dinge schief, gibt es Situationen, in denen ich mich ärgere. Das gehört dazu. Aber auch wenn ich stellenweise gegen Windmühlen kämpfe und längst nicht alle meiner Ideen zum Erfolg führen: Aufgeben ist nie eine Option. Schwierigkeiten betrachte ich als Einladung, daraus neue Motivation zu gewinnen. Und ich glaube, dass erfolgreiche oder zufriedene Menschen öfter in ihrem Leben das Wort »Nein« gehört haben beziehungsweise dass sie sich von den Neins, die uns allen immer wieder begegnen, nicht von ihrem Weg abbringen lassen und weniger schnell aufgeben. Und nicht nur das: Ich behaupte, dass glückliche Menschen auch selbst häufiger »Nein« sagen und damit gleichzeitig »Ja« zu sich, ihrer Zeit und ihren eigenen Grenzen.

Mit dieser Einstellung wurde ich, der ehemalige »Auto-Fuzzi«, zum Aussteiger und Freigeist. Wann immer ich in meinem Leben den Status quo hinterfragt habe, hat es mich am Ende zu einem neuen Kapitel gebracht: Zuerst war ich der Verrückte, heute bezeichnen mich manche als »Visionär«.

Doch egal wie mich andere betrachteten, ich blieb immer, und das ist für mich entscheidend, auf der Spur meines eigenen Traums.

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