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II.

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Inhaltsverzeichnis

W. schildert seinen Laokoon,1 mit dem Gefühl, als hätte er ihn selbst geschaffen: »Der Schmerz, welcher sich in allen Muskeln und Sehnen des Körpers entdecket, und den man ganz allein, ohne das Gesicht und andre Theile zu betrachten, an dem schmerzlich eingezognen Unterleibe beinahe selbst zu empfinden glaubt; dieser Schmerz, sage ich, äußert sich dennoch mit keiner Wuth in dem Gesichte und in der ganzen Stellung. Er erhebt kein schreckliches Geschrei, wie Virgil von seinem Laokoon singet; die Oeffnung des Mundes gestattet es nicht: es ist vielmehr ein ängstliches und beklemmtes Seufzen, wie es Sadolet beschreibt. Der Schmerz des Körpers und die Größe der Seele sind durch den ganzen Bau der Figur mit gleicher Stärke ausgetheilet und gleichsam abgewogen. Laokoon leidet, aber er leidet, wie des Sophokles Philoktetes: sein Elend gehet uns bis an die Seele; aber wir wünschten, wie dieser große Mann, das Elend ertragen zu können.«

»Laokoon leidet, wie des Sophokles Philoktet.« Von dieser Vergleichung gehet Hr. Leßing2 aus, und will, daß es keine Vergleichung sey: daß Sophokles Philoktet nicht blos ängstlich und beklemmt seufze, sondern klage, schreie, mit wilden Verwünschungen; das öde Eiland schrecklich anfülle, und auch das Theater von Tönen des Unmuths, des Jammers, der Verzweiflung durchhallen lasse. Winkelmann muß also zuerst wohl nicht recht gelesen haben, und zweitens also übel vergleichen, übel folgern.

Der Philoktet Sophokles mag entscheiden – wie leidet dieser? Es ist sonderbar, daß der Eindruck, den dieses Stück bei mir von lange her zurück gelassen, derselbe ist, den W. will: nämlich der Eindruck eines Helden, der mitten im Schmerz seinen Schmerz bekämpft, ihn mit holem Seufzen zurückhält, so lange, als er kann, und endlich, da ihn das Ach! das entsetzliche Weh! übermannet, noch immer nur einzelne, nur verstolne Töne des Jammers ausstößt, und das übrige in seine große Seele verbirgt. Lasset uns Sophokles aufschlagen, lasset uns lesen, als ob wir sähen, und ich glaube, wir werden den nämlichen Philoktet gewahr werden, den Sophokles schuf, und Winkelmann anführt, wie er geschaffen ist.

Mit Anfange des dritten Aufzuges überraschet ihn der Schmerz; aber mit brüllendem Geschrei? Nein: mit einem plötzlichen Stillschweigen, mit einer stummen Bestürzung, und da diese sich endlich lösen, mit einem holen verzognen ἆ ἆ ἆ, das sich auch kaum vom Neoptolem will hören lassen.3 Was ist dir? fährt dieser auf. »Nichts böses, gehe nur, mein Sohn;« antwortet Philoktet, und wie anders, als mit einem Gesicht voll Liebe, voll zurückhaltendes Heldenmuthe. So geht die Scene des stummen Schmerzes fort: der bekümmerte, der unruhige, der fragende Neoptolem, und Philoktet, der – nicht brüllet und tobet, der seinen Schmerz beklemmt, ihn eine große Zeit selbst dem Neoptolem verbergen will, und nur immer zwischen inne mit einem bangen ιω ϑεοι den Göttern klaget. Und eben diese stumme Scene des Schmerzes, von welcher, Wirkung muß sie auf den Zuschauer gewesen seyn? Er sieht Philoktet leiden, stumm, nur in einer verzognen Geberde, nur mit einem beklemmten Ach! leiden; und wer fühlt dieß beklemmte Ach! nicht mehr, als das brüllende Geschrei eines Mars, der in der Schlacht verwundet, wie zehn tausend Mann, oder warum nicht lieber, wie zehn tausend Ochsen? aufbrüllet? Hier erschrickt, dort fühlet man: mit Philoktet mitleidend bestürzt, als Neoptolemus, banget man, weiß nicht, woran man ist, was man thun, wie man helfen soll? Man tritt auf sein trauriges ἆ ἆ zu ihm: »Wie denn? du leidest! du redest nicht! Warum so verschlossen? du wirst gepeiniget? warum seufzest du zu den Göttern?« – Und ein Philoktet antwortet mit verzognem Lächeln, mit einem Gesicht, in welchem sich Schmerz und Muth und Freundlichkeit mischen: Ich? Nein! ich empfinde Erleichterung! ich flehe zu den Göttern um glückliche Schiffahrt. Welch ein Griechischer Garrik gehöret dazu, den Schmerz und den Muth, die menschliche Empfindung und die Heldenseele hier abzuwiegen!

Uebermannet endlich vom Schmerz unterliegt er; er bricht aus – aber in Töne der brüllenden Verzweiflung, des wütenden Geschreies? Nichts! in ein trauriges ἀπόλωλα τέκνον. βρύκομαι τέκνον. παπαῖ. ἀπαππαπαῖ, παπαῖ, παπαῖ, παπαῖ, παπαῖ: das sind seine gezognen Klagetöne! Er bittet um die Heldencur, seinen Fuß abzuhauen: er winselt. – Nichts mehr? Nein, nichts mehr! Er war ausgebrochen, wie Neoptolem sagt, nur in ἰυγὴν καὶ ςόνον in Aechzen und Seufzen, und Ach! wie muß dieß rühren! Sein gekrümmter Fuß, sein verzognes Gesicht, seine vom Seufzer erhobene Brust, die vom Aechzen hole Seite, sein halbes Ach! – – Weiter geht der Dichter nicht: und um zuvor zu kommen dem Uebertreiben des Ausdrucks, läßt er Philoktet vor Schmerz in Unsinn fallen! So sehr hat er gelitten, so sehr seine Kräfte zusammen gefasset, daß er raset.

Er kommt wieder zu sich! er erholt sich! aber die Krankheit kommt, wie ein verirrter Wandrer wieder: schwarzes Blut sprüht hervor: sein ἀπαππαπαῖ fängt an: er bittet, ächzet; ein Fluch auf Ulysses, ein Zorn mit den Göttern, ein Ruff an den Tod, aber alles nur ruckweise, nur Augenblicke! der Schmerz läßt nach; und siehe! den Augenblick der Erholung wendet er an, um den dritten Anfall zu erwarten. Er kommt, und da der Theatralische Ausdruck nicht höher steigen kann, so läßt ihn Sophokles – alles, was er ihn thun lassen kann, um ihn nicht schreien zu lassen: schwärmen, ächzen, bitten, zürnen, athemlos zu sich kommen und – – einschlafen. Peinlicher Auftritt! der höchste am Ausdrucke, den vielleicht je ein Tragisches Stück gefodert, und nur ein Griechischer Schauspieler erreichen konnte.

Aber in diesem peinlichen Auftritte, was ist da das Höchste am Ausdruck, was ist der Hauptton desselben? Etwa Geschrei? So wenig, daß Sophokles ja auf nichts sorgfältiger scheint, als zu vermeiden, daß dieß nicht Hauptton würde. Wo sind »die Klagen, das Geschrei, die wilden Verwünschungen, mit welchen sein Schmerz das Lager erfüllte, und alle Opfer, alle heilige Handlungen störte, die schrecklich durch das öde Eiland erschollen;«4 wo sind sie? auf dem Theater? Ja! aber in der Erzälung,5 in der Erzälung seines Feindes Ulysses, der sich darüber rechtfertigen will, daß man ihn ausgesetzt, und verlassen; nicht aber in der Aktion, nicht als ob dieß Geschrei Hauptausdruck wäre. Ein andrer Dichter, ein Aeschylus z.E. würde freilich hieraus mehr Hauptton gemacht, und vielleicht, wie durch seine Evmeniden eine Schwangere erschreckt haben, zu misgebähren: bei einem übertriebenen neuen Tragikus würde Philoktets Gebrülle gewiß schon hinter den Scenen anfangen, und er sich mit wüstem, wildem Geschrei aufs Theater stürzen, wie z.E. Hudemanns Kain durch den schönsten und neuesten Coup de Theatre sich vor dem Eintritt mit seiner Keule meldet, sie vor sich hin wirft, und ihr nach, Länge lang aufs Theater hinfällt. Aber bei dem weisen Sophokles? – Wie hat er den Ton der Angst abgewogen? wie sorgfältig auf ihn bereitet! wie lange unterdrückt! wie oft unterbrochen! wie sehr durchgängig gemildert! Der ganze Auftritt kann ein Gemälde des Schmerzes heißen durch alle seine Grade vom stummen, bis zum betäubenden Schmerze, der sich selbst gleichsam ertödtet; aber im Ganzen, doch das Gemälde des zurückgehaltenen und nicht des ausgelassenen Schmerzes, dieß ists unstreitig bey Sophokles vom Anfang zu Ende.

Und daher auch die Kürze des Akts, der kurz in Worten, aber lang in der Vorstellung ist. Käme es hier auf das Schreien, auf die jammervollen Ausrufungen, auf das ausgestoßne und »abgebrochne häufige ἆ, ἆ an,« wie Hr. L.6 will: so weiß ich nichts was entweder schneller auf einander folgen, oder den Zuschauer unwillig machen muß. Aber das Zurückhalten, das peinliche Verschmerzen, die langen Kämpfe mit dem Weh im Stillen, die endlich mit einem verstohlnen ὠ μοι! μοι! geschlossen werden; diese dehnen, diese schleichen, und sie sind der Hauptton des ganzen Auftritts. Nun setzen Sie noch den dämmernden Chorus hinzu, der dem entschlafnen Philoktet sein Schlaf- sein Ruhelied, in sanften langsamen Zügen singet, und hier nicht bloß den Akt beschließet, sondern selbst im Akte ist; denn der schlafende Philoktet lieget dem Zuschauer vor Augen; diesen, sage ich, setze man hinzu, und es ist ein langer, ganzer, vollendeter Akt, der meine Seele füllet: aber nicht durchs Ausstoßen, sondern eben durch das Rückhalten des Ach! Und so kann Winkelmann mit Recht sagen: Laokoon leidet, wie Sophokles Philoktet: nur jener, als Bildsäule, bei welcher ein Seufzer ewig dauret, ewig die Brust beklemmet, und dieser als Tragische Person, die den langen Seufzer endlich mit einem Ach! schließen, und den wieder kommenden Schmerz mit einem Ach! empfangen muß, die zwar auf einer Saite des Jammers herum irret, aber mit abgesetzten, mit langsam wiederkommenden, mit etwas auf- und absteigenden, mit Zwischentönen des unterdrückten Schmerzes. Sophokles war also derselbe weise Meister in seinem Philoktet, wie Polydorus in seinem Laokoon, und bei beiden zeigt sich, nur nach der Verschiedenheit ihres Vorwurfs, einerlei Weisheit, den stillen, den prägnantsten Ausdruck, zu suchen, und dem übertriebnen Ausdruck zu entweichen. Und das sagt Winkelmann! Allerdings ist Schreien der natürliche Ausdruck des körperlichen Schmerzes:7 nur jede Kunst der Nachahmung, und so darf ich auch sagen, jede Gedichtart, hat in Nachahmung dieses Ausdruckes ihre eigenen Gränzen. Wie abwechselnd ist Homer in der Art, wie seine Krieger, seine Helden niederfallen, und wie wiederholend in dem, was den Niederfallenden und Sterbenden gemein ist; aber weder jene Abwechselung, noch diese Wiederholung macht mir das leßingsche Wort verständlich: »Homers Krieger fallen nicht selten mit Geschrei zu Boden!«8 Sehr selten, möchte ich sagen, (wenn mich nicht mein Gedächtniß aus Homer trügt) und fast gar nicht, außer wenn eine nähere Bestimmung dieses Charakters es fodert. So gewöhnlich ihm ist, das sein Krieger mit klirrenden Waffen, mit bebendem Boden u.s. w. fällt und stirbt indem ihm Dunkelheit die Augen deckt;9 so ungewöhnlich fällt und stirbt einer mit Geschrei, mit Heulen: und alsdenn ist dieß »nicht der natürliche Eindruck des körperlichen Schmerzes,« sondern ein Charakterzug seines Verwundeten. So heult z.E. bei seiner Verwundung ein Pherekles;10 aber dieser Pherekles ist ein Trojaner, ein unkriegerischer Künstler, ein feiger Flüchtling, der auf der Flucht eingeholt wird; und freilich ein solcher kann sich durch ein Geheul auf seinen Knieen unterscheiden; aber offenbar »nicht der leidenden Natur ihr Recht zu lassen,« sondern vermöge seines Charakters. Vermöge dieses, schreiet die Venus laut;11 denn sie ist die weichliche Göttin der Liebe: ihre zarte Haut ist kaum gestreift, kaum wird sie den rothen Ichor, das Götterblut, gewahr, so entsinken ihr die Hände; sie verläßt die Schlacht, sie weint vor Bruder, Mutter, Vater und dem ganzen Himmel: sie ist untröstlich. Wer will nun sagen, daß mit diesem allen Homer sie charakterisiere, »nicht um sie als die weichliche Göttin der Wollust zu schildern, sondern vielmehr um der leidenden Natur ihr Recht zu geben?« Wäre dieß, wie würde er so genau die Seite des Weichlichen12 mit jedem Bilde, mit jedem Worte, mit jeder Bewegung zeichnen? wie würde er sie noch oben drein, von Pallas verspotten lassen, als hätte sie sich bei einem Liebeshandel vielleicht geritzt? wie würde selbst ihr lieber Vater Jupiter über sie lächeln? Lachet dieser, spottet jene, um der leidenden Natur ihr Recht zu geben? und welche leidende Natur ist ein Ritz der blendenden Haut? – Eben so wenig schreiet der eherne Mars13 aus einer andern Ursache, als eben – weil er der eherne, der Eisenfressende Mars ist, der im Getümmel der Feldschlacht raset, und eben so wild bei der Verwundung aufschreiet. Nichts ist ungezweifelter, als dieß, wenn wir Homer sagen lassen, was er sagt; denn wäre es ihm auch nur je eingefallen, das Schreien, als »einen natürlichen Ausdruck des körperlichen Schmerzes« und nicht mit höhern Absichten zu gebrauchen, so wäre der Ausdruck: »Er ward verwundet und schrie!« ihm so geläufig, als der »er fiel, und schwarze Nacht bedeckte seine Augen.«

So weit sind wir also, daß Homer »das Prädikat des Schreiens, nicht als einen allgemeinen Ausdruck des körperlichen Schmerzes,« nicht als eine absolute Bezeichnung, der leidenden Natur ihr Recht wiederfahren zu lassen gebrauche; es muß in dem Charakter eben dessen, den er schreien läßt, eine nähere Bestimmung dazu liegen, daß eben dieser schreiet und kein andrer. Und da dünkt es mich jetzt unbestimmt, von seinen Helden allgemein zu reden,14 was sie nach ihren Thaten und Empfindungen sind; denn keiner derselben ist an Empfindungen so wenig, als an Worten, Geberden, Körper, Eigenschaften dem andern gleich; jeder ist eine eigne Menschenseele, die sich in keinem andern äußert.

Noch minder scheinet mir »das Schreien« der wichtige unveränderliche Zug zu seyn, der zu der unveränderlichen Aeußerung eines Menschengefühls gehören müßte: denn einer kann seufzen, der andre ächzen, der dritte schreien, und ein Hannibal in seinem äußersten Kummer lachen. Am mindesten aber ists nothwendige Bestimmung des Helden, als Mensch betrachtet: so daß er ein Unmensch seyn müßte, wenn er nicht schrie. Wäre dieß: so hätte Homer lauter Unmenschen besungen. Sein Agamemnon, ein König der Völker, der herrlichste der Griechen vor Troja wird im tapfersten Gefecht verwundet: er fährt zusammen15 – aber aufzuschreien, zu weinen, vergißt er; er faßt sich, und stürzt mit seinem Spieße desto schärfer in die Feinde: sollte er deßwegen kein Mensch an Empfindung seyn, weil er nicht wie Mars, oder die Dame Venus aufschrie? Hektor, der tapferste Trojaner, wird von des Ajax großem Felsenstein niedergeworfen, und auf der Brust gequetscht: Spieß und Schild und Helm entfallen: rings um ihn klingen die ehernen Waffen16 – aber aufzuschreien vergißt er. Man muntert ihn auf, gießt ihm Wasser ein: er kommt zu sich: blickt auf; aber er sinkt in die Kniee, speiet schwarzes Blut – und doch denkt der Unmensch an eins nicht, über seine Brustschmerzen, über seine Seitenstiche zu schreien und zu weinen. – So mit allen Helden Homers, der auch in diesem Stücke Charakter beobachtet. Menelaus wird vom Pfeile Pandarus unvermuthet und im wichtigsten Zeitpunkte getroffen: sein Blut rinnt: Agamemnon fährt zusammen: Menelaus selbst;17 aber nichts mehr! da er den Pfeil in der Wunde sieht, zieht er ihn aus, und läßt seinen Bruder und seine Mitsoldaten um sich seufzen. Man weiß, daß Homer eine ordentliche Leiter der Tapferkeit habe, und er hat sie auch in dieser anscheinlichen Kleinigkeit sogar. Ulysses18 hält deßwegen seinen Schmerz zurück, weil er die Wunde nicht tödtlich fühlt; Agamemnon und Menelaus fahren19 bei der Verwundung doch noch zusammen; aber endlich der verwundete Diomedes »stand, rief dem Sthenelus, ihm den Pfeil aus der Wunde zu ziehen; und da das Blut quoll, so strömte seine Empfindung, statt in Thränen und Geschrei, in feurige Gebete wider die Feinde aus.20 Solche Unmenschen sind die Helden Homers, und je größerer Held, je größerer Unmensch: sein Achilles ist sogar am Körper unverletzlich.«

Ists also bei Homer, daß seine Helden schreien und weinen müssen, »um der menschlichen Natur treu zu bleiben, wenn es auf das Gefühl der Schmerzen, wenn es auf die Aeußerung dieses Gefühls durch Schreien oder durch Thränen ankommt?«21 Ich wollte nicht, daß ein alter Grieche, dessen Heldenseele, als ein seliger Dämon noch in der Welt unsichtbar wandelte, diese Behauptung läse. Was? würde er sagen, was ist wohl einem in die Schlacht ziehenden Helden natürlicher, als verwundet, getroffen werden; sich fürchten also kann er, wenn ihn ein unvermutheter Pfeil trifft; aber in der Schlacht schreien und weinen, das thut kein homerischer Held der Griechen; selbst kein Held der Trojaner, die doch immer Homer in kleinen Zügen herunter setzt. Einem Hektor22 in seinem Tode entsinkt, selbst bei seiner letzten sterbenden Bitte, keine Thräne, kein Ton des Geschreies: ein Sarpedon23 knirscht, da er stirbt, und je tapferer, um so gefaßter bei dem Schmerze. Nur die Feigen zittern und weinen und schreien: Pherekles, der feige Flüchtling, und die weichliche Venus, und der Eisenfressende Trojanische Mars. So dichtet mein Homer.

Und so hält also die so einnehmende Leßingsche Betrachtung24 über die Empfindbarkeit der Griechen, und den Kontrast derselben gegen rohe Barbarn, und seine Europäer nicht Stich? Die Empfindbarkeit zum Schmerzen bei einem körperlichen Schmerze nicht wohl, wenigstens nicht als homerischer Heldenzug, nicht allgemein, nicht als nothwendiges Kennzeichen der menschlichen Empfindung. Giebts aber keine andre Empfindbarkeit zu Thränen, und auch zu lauten, zu klagenden Thränen, als körperlicher Schmerz? Ohne Zweifel, und eben diese Empfindbarkeit, wenn sie ein Vorzug der Griechen wäre, macht ihnen zwar mehr Ehre; allein die Abhandlung darüber wäre offenbar eine Ausschweifung von dem Satze, den Hr. L. glaubt erwiesen zu haben,25 »daß das Schreien,26 bei Empfindung körperlichen Schmerzes, besonders nach der alten Griechischen Denkart, gar wohl mit einer großen Seele bestehen kann;« ein seltner Satz, der im ersten Abschnitt, auch eben so selten, mit einer Armee von weinenden Helden, die ich im Homer nicht kenne, bewiesen wird.27 Um also doch nicht leer auszugehen, lasset uns Leßingen auf seinem Abwege folgen.

1 Von der Nachahmung griechischer Werke. S. 22.

2 Less. im Laok. p. 3.

3 Νεω. ἑρπ’ εἰ ϑέλεις. τί δή ποϑ ὧδ’ ’δεν ὀυδενός

Λόγ[fremdsprachliches Material – Zeichen fehlt] σιωπᾷς, κᾀποπλήκτως ὧδ’ ἔχη

Φιλ. ἆ ἆ ἆ.

Νεο. τι ’στιν;

Φιλ. [fremdsprachliches Material – Zeichen fehlt]δ[fremdsprachliches Material – Zeichen fehlt]ν δεινόν. ἀλλ’ ἰδ ω τέκνον κ. τ. λ.

4 Laok. p. 3.

5 Sophokl. Philokt. Akt. 1. Auftr.

6 Laok. p. 4.

7 Laok. p. 4.

8 Laok. p. 4.

9 Αμφι δ’ οσσε κελαινη νυξ εκαλυψ[fremdsprachliches Material – Zeichen fehlt]

10Iliad. E. 68. ἔριπ’ οἰμώξας

11 Η δέ μέγ’ ἰαχ[fremdsprachliches Material – Zeichen fehlt]σα. Iliad. Ε. v. 343.

12 Αβληχηρην. Iliad. Ε. v. 337.

13 Iliad. E.v. 859.

14 Laok. p. 5.

15 Iliad. λ. v. 254. ΡἹΓΗΣΕΝ ν’αρ’ έπειτα ἄναξ ἀνδρωκ Ἀλαμεμνων.

16 Iliad. Ξ v. 418

17 Iliad. Δ. v. 148.

18 Iliad. Λ. v. 439.

19 Iliad. Δ. v. 148.

20 Iliad. Ε. v. 95.

21 Laok. pag. 5.

22 Iliad. X.v. 330.

23 Iliad. Π. v. 586.

24 Laok. p. 4–9.

25 Laok. p. 9.

26 Daß Homers Helden nicht bei andrer Gelegenheit das Schreien, ein tapfres Riesenmäßiges Geschrei, eigen gewesen, leugne ich nicht; wo gehört das aber hieher?

27 Hr. Klotz hat, wie Er Homer kennet, Leßingen hieß nachschreiben dörfen: clamor et eiulatus ex Graecorum opinione nihil detraxit magnitudini animi. Homeri heroes clamantes cadunt. Sunt quidem illi heroes Homeri natura mortali maiores, sed numquam tamen etc. Act. litter. Vol. III. p. 286.

Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang

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