Читать книгу Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder, Christian Friedrich Hebbel - Страница 153

XX.

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Ich will nicht sagen, daß Hr. Leßing nicht, dem Hauptzwecke seines Buches nach, gegen Caylus, und gegen Caylus Affen an Unterscheidung Recht behalte: nur nicht immer an Gründen der Unterscheidung, und am wenigsten im Hauptgrunde. Er dünkt mich immer noch auf dem halben Wege, als wenn die Poesie durch Succession auf ein Werk arbeiten sollte, und nicht schon eben in der Succession ihr Werk liefere.

Der Dichter, z.E. der uns Schönheit malen wollte, es sei nun ein Constantinus Manasses, oder Ariost, gieng nicht darauf aus, um hinten nach zu fragen: wie sahe Helena, wie sahe Alcina aus?1 uns mit seiner Beschreibung ein vollständiges Bild zu hinterlassen, u.s.w. Er führt uns durch die Theile, um jeden derselben als schön anschauend zu machen, um, wenn wir alle Theile vergessen hätten, so viel anscheinend zu wissen: Helena, Alcina war reizend. Hat Ariost auf Hrn. Leßing damit keine Wirkung gemacht, so wird er vielleicht auf diejenigen seiner Landesleute Eindrücke machen, die die Schönheit in einer Alcina wie in einer gehauenen Venus theilweise anzuerkennen gewöhnt sind: oder wenn Ariost selbst eine Alcina sähe, würde er vielleicht auf solchem Wege – Und überhaupt kann man hier aus einer Vergleichung wenig folgern. Homer malt seine Helena nicht;2 warum? weil sie ihn nicht angehet, weil er von Anfange bis zu Ende seines Gedichts nicht zu der Frage Zeit hat: wie sahe sie aus? sondern immer, was trug sich hier und damit zu? Helena kommt, die Greise sehen sie: wie anders, als daß sie fühlen und sagen mußten, was sie fühlten und sagten; nicht aber läßt Homer sie das fühlen und sagen, um »durch Wirkung anzuzeigen, daß Helena schön sey;« – Ariost hingegen, der Homer Italiens, der aber vom Griechischen Homer Alles eher, als dies beständige Fortschreiten der Handlung hat, Ariost, der sein ganzes Gedicht durch nicht das Werk zu seiner Manier macht: »Es ward, es ward, es ward,« sondern auch »es war,« und »wie war es?« Ariost hätte entweder so nicht fragen sollen, oder er mußte uns durch die Theile führen. – Nicht, daß wir nachher die Theile sammlen, zusammensetzen; nicht, daß nachher die Phantasie streben soll, sich das Ganze Eines Kunstwerks zu denken; im Schildern selbst, im Durchführen durch seine Theile hat er seinen Zweck erreichen wollen – ob er ihn erreicht? Davon mag jeder denken was er will; gnug, er wollte ihn während der Energie erreichen.

Wenn der Dichter die Schönheit lieber in Wirkung, in Bewegung, d.i. reizend vorstellet, so thut ers nicht, damit diese sich bewegende Schönheit dem sich bewegenden Verse entspreche; nicht als wenn jeder Zug der Schilderung, der Form, Gestalt, und nicht Wirkung, nicht Bewegung ist, deßwegen unpoetisch würde:3 sondern ich generalisire den Satz lediglich so: »jede Schilderung der Schönheit wirke energisch« d.i. zu dem Zwecke des Dichters, zu dem sie da ist, und denn während jedem Zuge, den sie liefert. Hiernach möge sich Ariost verantworten: aber das Leßingsche Gebot: »Schönheit des Körpers zeige sich bei dem Dichter blos durch Wirkung, blos durch Bewegung,«4 räumt zu viel auf.

Zu viel selbst in Homer; denn ich weiß wohl nicht, ob bei der ganzen Juno, wenn er sie nicht körperlich, wenn er sie nur durch ein Beiwort schildern wollte, kein wirksamerer, kein reizenderer Zug sey, als der, die weißellbogichte Juno, (man erlaube mir das ungeheure Wort!) ob dieser eine Zug der sei, durch den sie an der Handlung Theil nehme, der durch ihren Körper Handlung bezeichne, u.s.f. So seine schönknieichte Briseis, und seine blauäugichte Pallas, und sein breitschulterichter Ajax, und sein geschwindfüßiger Achilles, und seine schönhaarige Helena – wo ist hier Wirkung, Bewegung, Reiz, Handlung? – Immer ein schöner Zuruff an die Dichter:5 »Malet uns das Wohlgefallen, die Zuneigung, die Liebe, das Entzücken, welches die Schönheit verursachet« – (wenn dies nämlich die Energie eures Gedichts will!) so habt ihr die Schönheit selbst geschildert, (nämlich so fern ihr sie nach der vorigen Parenthese schildern müsset:) Nicht aber umgekehrt: ihr Dichter, schildert keine körperliche Schönheit; könnet ihr sie nicht durchgängig in Reiz, in Wirkung schildern; der Form nach müsse euch kein Zug entwischen: der Gestalt nach schildert sie nicht. – So umgekehrt habe ich auf den Satz wenig Zutrauen.

Wer kann leugnen, daß in mancher Gedichtart der erotischen Poesie körperliche Schönheit geschildert werden müsse, und wer muß nicht alsdenn auch zugeben, daß manche Theile dieser körperlichen Schönheit in Reiz, in Bewegung, nicht geschildert werden können? Einmal vorausgesetzt, daß Ariost ein Gemälde seiner Alcine liefern sollte und wollte: wie konnte er wohl ihre Nase, Hals, Zähne, Arme in Wirkung schildern? Hr. L. fragt:6 was eine Nase sey, an welcher der Neid nichts zu bessern findet: und ich frage: was eine Nase sey, die sich in Reiz, in schöner Bewegung zeige? – Ariost mußte also entweder solche Theile auslassen, und da ers nun einmal auf Schilderung angesetzt: so würde die Auslassung einem Italiener so geschienen haben, als jene seine Lobsatyre, auf ein schönes aber großnasichtes Mädchen, die alle Theile ihres Gesichts zum Himmel erhob, und bei Schilderung der Nase ohnmächtig aufhörte. Oder er mußte solche Züge, die sich nicht an ders, als durch die Form anschauend machen ließen, schon so schildern, und sich desto mehr an andern Reizvollen geistigen Zügen erholen. Ich halte diese Vermischung auch zu sehr nach dem Geschmacke der Italiener, als daß sie sich durch die vorstehende Leßingsche Critik diese und dergleichen Schilderungen, von denen ihre Dichter voll sind, würden rauben lassen. Noch minder gilt die Ursache,7 warum Ariost mit seiner Schilderung Unrecht haben soll: »was für ein Bild geben diese allgemeinen Formeln? In dem Munde eines Zeichenmeisters, der seine Schüler auf die Schönheiten des akademischen Modells aufmerksam machen will, möchten sie noch etwas sagen; denn ein Blick auf dieses Modell, und sie sehen Stirn, Nase, Hand u.s.w. Aber bei dem Dichter sehe ich nichts.« Eben als wenn der Dichter die Figuren, die er schildert, auch im Kupfer müßte vorstechen lassen? Wer hat nicht eine Nase, Hand, Stirn gesehen, und wem kostet es Anstrengung, sich eine Stirn, in den besten Schranken, den schönsten Schnitt einer Nase, die schmale Breite einer niedlichen Hand zu denken, jedesmal, da sie der Dichter nennet. Ich empfinde hierbei nicht so, wie Hr. L. mit Verdrusse die Vergeblichkeit meiner besten Anstrengung, so etwas einzeln sehen zu wollen; nachher aber jedes zusammen zu setzen, mir Alles in Einem, und Eins in Allem zu denken, die Alcina mir mit jedem dieser Theile im Ganzen, deutlich, wie ein Zeichenmeister, zu denken – o die Anstrengung fodert ja nicht der Dichter von mir! er führte mich theilweise, zeigte mir in jedem Theile die Schönheit: da energisirte seine Muse, und warum nicht? da sie kein akademisches Model von Schönheit, das man auf einmal in allen seinen Theilen sehen sollte, zu liefern unternahm.

Und soll die Dichtkunst keine schöne Gestalt schildern, weil ihre Theile coexsistent sind; so sollte Homer auch keine häßliche Gestalt, keinen Thersites geschildert haben, weil ihre Mißtheile eben so coexsistent sind, und auch coexsistent gedacht werden müssen, wenn ein Bild der Häßlichkeit werden soll. Leßing hat Homer durch sein Gewebe von kritischen Regeln selbst verwickelt, und nun will er mit ihm hinaus, wo er kaum durchkommt. »Eben weil die Häßlichkeit in der Schilderung des Dichters zu einer minder widerwärtigen Erscheinung körperlicher Unvollkommenheiten wird, und gleichsam, von der Seite ihrer Wirkung, Häßlichkeit zu seyn aufhöret, wird sie dem Dichter brauchbar.«8 Mich dünkt, Hr. L. thue einen Fehlstreich, um die Verlegenheit zu zerstücken. Wäre die Frage: wie kann der Griechische Dichter einen Häßlichen schildern, da ihn doch der Griechische Künstler nicht schildern mochte? so mag die Antwort gelten: die Figur tritt uns nicht mit einmal vors Auge: in der Schilderung des Dichters ist sie minder widrig: sie höret von der Seite der Wirkung auf unsern Anblick auf, häßlich zu seyn. Aber was soll das hier? Es wird einmal eine körperliche Gestalt geschildert, successive geschildert, da ihre Theile und Mißtheile doch zusammen exsistiren, da sie doch in Verbindung gedacht werden müssen, wenn der Begriff der Häßlichkeit aufkommen soll – weg also, mit dem Thersites, nach L. Grundsätzen, nicht weil er häßlich, sondern weil er ein Körper ist, weil er als körperliche Gestalt, und doch successiv, geschildert werden muß.

»Aber der Dichter kann ihn nutzen! er nutzt ihn zu9 – –« so kann er doch also Formen, körperliche Schilderungen nutzen? und wenn er sie nutzen kann, sind sie ihm erlaubt? worüber streiten wir denn? Kann er häßliche Formen nutzen, wie weit eher schöne? und sind ihm jene erlaubt, wie weit eher diese? So kann er doch also, wenn er Energie in sie legt, auch körperliche Gegenstände schildern – was wollen wir mehr? Die Schärfe des Bogens hat nachgelassen: erschlaffet liegt er da! Mit einer solchen Zugabe hat Hr. L. den größten Theil seines Buches wiederlegt.

1 Laok. p. 204.

2 p. 201. 215.

3 p. 217.

4 Laok. p. 214.

5 Laok. p. 215.

6 p. 210.

7 p. 211.

8 p. 232.

9 Laok. p. 232.

Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang

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