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XII.

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Inhaltsverzeichnis

Von Seiten der Dichtkunst kann es keine nöthigere Lehre geben, als die:1 der Dichter mache sich die Bedürfnisse der Malerei nicht zu seinem Reichthume: er staffiere die Wesen seiner Einbildungskraft nicht Malerisch aus, lasse sie handeln, und auch die Attribute, womit er sie bezeichnet, müssen handelnd, Poetisch, nicht Malerisch seyn. So dichten die alten Dichter: die neuern malen.

Unter den Römern in ihrer besten Poetischen Zeit ist vor Allen Horaz ein Liebhaber von Moralischen Wesen, von personifirten Abstraktis; diese Personendichtung ist mit ein Hauptstrich seines Genies, und hat seine Oden sehr verschönert. Da eine solche Moralische Person bei ihm gemeiniglich schnell, mit wenigen, aber lebendigen Attributen, und recht in die Handlung der Ode auf einmal hineintritt: so lieben wir den angenehmen Sylphen, die schöne Sylphide, die uns so gelegen vorüber rauschet. Wie süß ist sein Bild der lächelnden Venus, die der Scherz und die Amors umflattern:

Erycina ridens

quam Jocus circumvolat et Cupido –

Welch ein Bild! wenn Furcht und Sorge ihren Herrn auch zu Schiffe verfolgen, auch hinter ihm zu Pferde sitzen, auch des Nachts um die Dächer der Reichen flattern: wenn der Tod mit seinem Fuß an die Hütten der Armen, und an die Palläste der Mächtigen mit gleichen Schlägen anpochet: wenn das Glück –

Ich komme jetzt auf die Ode Horazens, die an solchen Personen-Dichtungen die reichste ist, und wo die personifirten Abstrakta den Auslegern manche saure Viertelstunde gemacht haben. Das Glück selbst, die Nothwendigkeit, die Hoffnung, die Treue u.s.w. sind als Moralische Wesen in diese Ode zusammengruppirt, und das Ganze des Gesanges selbst ist einem personifirten Abstrakto gewidmet. – Man erräth es, daß ich von der Ode aus Glück2 rede. Baxter sucht hier, wie gewöhnlich, in ihr seine lieben Dilogien,3 und Geßner4 geht vielleicht auf der andern Seite zu weit, daß er sie für eine Abhandlung über den Artikel Glück erklärt: doch wir wollen ohne vorgefaßte Meinung lesen.

Gleich zu Anfange rufft Horaz nicht eigentlich das Glück, als ein Abstraktum an, um nach Geßners Meinung einen locum darüber durchzuhandeln; sondern die Göttin des Glücks, und zwar zunächst die, so zu Antium verehret wurde. Die ganze Ode tritt also gleich aus dem Lichte eines allgemeinen Begriffes weg; und wird ein Römisches, ein Familienstück der Stadt Anzo: ein Altarstück in dem Tempel dieser Stadtgöttin. Ein Einwohner von Anzo sollte aufleben, um uns diese Ode aus seiner Vaterstadt zu erklären, und wie würde der uns mit manchem ehrlichen locus communis auslachen, den wir dem Glücke überhaupt aus dieser Ode andichten, weil wir nicht die Ehre haben, die Göttin zu kennen, der die Ode als ein Individualstück gewidmet ist.

Welches sind nun die Attribute dieser Göttin? »Sie kann erniedrigen und erhöhen!« So gesagt, wäre dies Attribut freilich nichts als locus communis; allein, wie es Horaz sagt, wird es Römisch. Dies Glück in Antium ist eine Römergöttin: sie beschäftigt sich mit den Revolutionen des Staats, die Horaz vielleicht eben damals vor sich sahe: sie giebt und stürzet Triumphe um. So wenig der Afrikanische Jupiter eben der Römische Jupiter, und die Madonna in Loretto völlig die Madonna in Parma ist: so ist nicht so ganz diese Fortuna jedwede andere: sie ist Antium eigen, und Römisch gesinnet.

»Rings, um ihr Bild geht der stehende Landmann, und der Schiffer des Karpathischen Meers mit seiner Bitte.« Ich weiß nicht, warum Baxter hierüber bis in den Mond reiset, und da sortem fortunae sucht; auch ist mir die Geßnersche Erklärung: daß die Stürme des Meers aus unbekannten Ursachen kommen, nicht vorausgesehen werden können, also dem Glücke zuzuschreiben sind, u.s.w. zu allgemein; und endlich die Klotzische Erläuterung,5 daß das Glück auf Münzen mit Kornähren, mit Schiffankern, und wer weiß womit mehr? gebildet werde, ist für mich und für Horaz noch gelehrter. Vermuthlich hat Horaz, der Einfältige! an Nichts gedacht, als daß Antium, die Wohnung der Fortuna, Landeinwohner habe, und nahe an der See liege: der Tempel des Glücks also von beiderlei Art Leuten Besuch erhalte.

»Dich fürchtet der rauhe Dacier, und die flüchtigen Scythen: Städte und Völker: und das wilde Latium: die Mütter der Barbarischen Könige, und die bepurpurten Tyrannen.« Allein genommen wäre nichts leichter zu erklären, als diese Strophe: sie schilderte nämlich die Göttin des Glücks Römisch gesinnet: vor ihr müssen die Feinde, die Rebellen, die Tyrannen Roms zittern; aber nun der Zusatz:

iniurioso ne pede proruas

stantem columnam; neu populus frequens

ad arma cessantes ad arma

concitet imperiumque frangat.

So sind über nichts so leicht artigere Dinge gesagt worden, als über diese stehende Säule: Baxtern6 dünkte sie sehr emphatisch August zu seyn, ohne zu bedenken, ob auch die Feinde, die rebellischen Vasallen Roms, vor dem Sturze Augusts so bange seyn würden. Geßner verstand, dem locus communis: de Fortuna, den er in dieser Ode fand, gemäß, »jeden Menschen, auf den sich andere, wie auf eine Säule stützen,« ohne uns zu sagen, wie sich dieser Allgemeinsatz zwischen Dacier und Scythen, Barbarn und Tyrannen schicke. Meine Wenigkeit findet in dieser stehenden Säule – nun? nichts als eine stehende Säule: eine Säule, die, vielleicht in Anzo, mit dem Namen Roms bezeichnet, vor der Fortuna stand, wie ja sonst dem Glücke, der Ruhe, der Sicherheit solche Säulen pflegen hingestellt zu werden.7 Nun fiel Horazen das Bild ihres Unwillens ein: wie? wenn sie ihren Fuß ausstreckte, und die Säule stürzte? So wäre dieser Sturz, ein Sinnbild, dem Poeten ein Losungszeichen von dem Sturze Roms. In Haufen würde das Volk zu Waffen eilen: zu Waffen auch die noch Säumenden ruffen, und das Reich, diese ungeheure Weltsäule, zerbrechen. Die ganze Ode läßt muthmaßen, daß manche zur Zeit Horaz sich regende Welle ihm diesen Sturm prophezeiet, oder mit seinem Bilde, daß Fortuna schon damals ihren großen Zeh zu regen schien, um an die Säule zu treffen. – Wie aber fürchten sich davor Dacier und Scythen, Barbarn und Tyrannen – keine Römer, keine Patrioten? Horaz sagt nicht: daß jene sich davor, vor diesem Umsturze fürchten; sondern, daß sie die Göttin des Glücks fürchten und scheuen: sie, die über Rom wache, und die Säule desselben vor sich habe; die aber auch mit einem Fußstoße dasselbe stürzen könne: diese Allmächtige fürchten und scheuen Scythen und Barbarn, (denn was könnten ihr diese für ein anderes Opfer bringen, als Furcht?) und warten auf den Augenblick ihres Entschlusses, der damals sich schien zu nähern.

Bisher ist die Ode ein Römisches National- und ein Antiatisches Familienstück gewesen; sie fängt an, symbolischer zu werden:

te semper anteit serva (salva) Necessitas

Clavos trabales et cuneos manu

Gestans ahena; nec serverus

Vncus abest, liquidumqne plumbum.

Seit dem es Kunstrichter von Geschmacke giebt, ist mehr als einer mit diesem Bilde Horaz nicht zufrieden gewesen. Sanadon zuerst unterstand sich, zu sagen, daß dies Gemälde in seinem Detail genommen, schöner auf der Leinwand, als in einer Heroischen Ode, wäre. Ich weiß nicht, ob Sanadons Gefühl hierinn nicht fein und richtig bleibe, ob ich gleich den Spott über ihn gelesen:8 quod haec imago non placuit bono Sanadonio, sui ingenii homo est, delicatus mehercle! et venustulus. Ich weiß nicht, ob dieser sui ingenii homo, delicatus mehercle et venustulus mit der mächtigen Widerlegung zufrieden seyn könnte: neque enim intellexisse videtur, quam divina sint: ahena manus, severus uncus. Ich, der nicht fein gnug ist, das Göttliche in einem ahena manus, in einem severus uncus zu erblicken, fühle mit Sanadon gleich, und glaube, daß jeder, der die Ode in einem Strome fortlieset, bei diesem Bilde es fühlen werde, daß er vestgehalten wird, daß er vor einer bemalten Leinwand stehen bleibe: und das will niemand in der Ode.

Mögen also alle diese Werkzeuge attirail patibulaire, oder Bevestigungswerke, oder Symbole der höchsten Macht Fortunens seyn: die eherne Hand und der serverus uncus mögen Hrn. Klotz so Göttlich scheinen, als sie wollen: die Stelle bleibt eine der frostigsten im Horaz.

Ob aber deßwegen, weil »diese Attribute für das Auge und nicht für das Gehör gemacht sind, und alle Begriffe, die wir durch das Auge erhalten sollten, wenn man sie uns durch das Gehör beibringen will, eine größere Anstrengung erfordern, und einer geringern Klarheit fähig sind.«9 Hr. L. thut mir mit diesem Grunde, wenigstens so wie er ihn ausdrückt, so wenig ein Gnügen, als Sanadon oder Klotz: denn wäre ein Begriff, den man ursprünglich durch das Auge erhält, deßwegen nicht für das Gehör, weil sich mit dem Ohre nicht sehen läßt; so verlöre die Poesie ihren ganzen Antheil an sinnlichen Gegenständen des Auges: und was bleibt ihr da übrig? Nicht also, weil die Attribute: Nägel, Klammern, Blei, sich sehen und nicht hören lassen, nicht deßwegen machen sie die Stelle frostig: denn wer wird nicht gleich, wenn er uncus, plumbum, clavos höret, nicht sogleich mit seiner Einbildungskraft uncum, plumbum, clavos sehen? wem wird Anstrengung nöthig sein, sich diese Dinge, wenn er sie durch das Gehör empfängt, so klar zu denken, als wenn er sie sähe? Wegen der Attribute selbst also kann wohl die Stelle Horaz nicht frostig werden; aber wohl wegen der Composition dieser Attribute zu einem Bilde. Die Necessitas geht vor der Fortuna voraus – wohl! und wir erwarten, wozu sie gehen, was sie ausrichten wolle? Sie trägt Keule und Nagel – wohl! wozu trägt sie sie? – Es fehlt ihr auch nicht Klammer und fließend Blei – hier wird der Poetische Leser ungeduldig – was brauche ich alles das zu wissen, was ihr fehlt, oder nicht fehlt? was sie hat oder nicht hat? ich höre ja nicht, was sie damit will, oder soll? ich stehe vor einem todten Gemälde. Was sie damit soll? antwortet Hr. Klotz:10 »sie soll damit die Macht des Glücks anzeigen, die Göttin anzeigen, der nichts widerstehet, der alles weichen muß, die Göttin von unwandelbarem Willen. Wie schön alles passet! Das Gemälde muß allen gefallen, die Poetischen Geist haben.« Hätte Hr. Kl. gesagt, die Malerischen Geist haben, so recht! – aber die Poetischen Geist haben? ich wüßte nicht, was in der Wirkung des Gemäldes Poetisches wäre. Der Dichter hat einen andern Pinsel, die Göttin zu charakterisiren, der nichts widersteht, der alles weichen muß, die von unwandelbarem Willen ist, als daß er ihr ein Stück Blei, und Eisen in die Hand gebe, und sie damit traben lasse: die mindeste Handlung, ja das bloße Wort: sie ist die Göttin, der nichts widersteht, der alles weichen muß, ist besser, als eine mit Mordgewehren wandelnde Figur. Kurz: nicht die Beschaffenheit der Attribute selbst, daß sie fürs Auge sind, auch nicht eben die Gehäuftheit der Attribute, ist der Fehler des Bildes, sondern die Komposition derselben zu einer bloßen Symbole: zu einer Symbole, die nichts thut, die mit ihrem Prosaischen nec abest, blos da steht, damit ihr nichts an ihrem Umgehänge fehle, damit sie als eine völlige Symbole in einem Gemälde paradire – dies beleidigt den Leser, insonderheit in einer Horazischen Ode. Er rufft ihr gleichsam zu, an der Handlung der Ode mit Theil zu nehmen, oder sich weg zu machen, auf eine Leinwand, an eine Wand, in ein Gemälde der Fortuna.

Und wie kam Horaz zu der todten Figur? Wahrscheinlich, daß er sie von einem solchen Gemälde kopirte, daß er sie mit den Zügen kopirte, mit denen sie vielleicht im Tempel zu Antium anzutreffen war. Was also in einer Ode Horaz auf den locus communis des Glücks ein befremdender Fehler seyn würde, das findet in einer Ode auf die Fortune von Anzo wenigstens eine entschuldigende Deutung. Es verewigte ein Gemälde, ein schönes Symbolisches Gemälde, das ein Schatz des Tempels seyn konnte, in welchen diese Ode, als ein Schatz, auch hingehörte. Man kritisire Horazen nicht als Dichter, sondern hier als Dichter für Anzo.

Ich glaube hiemit auch den folgenden Moralischen Wesen Licht und Deutung gegeben zu haben, die man so sehr verkannt hat:

Te Spes & albo rara Fides colit

Velata panno –

Spence hat Unrecht, daß er in dieser Stelle eine dünngekleidete Figur findet:11 allein er hat Recht, daß es eine Malerische Figur sey, wie aus dem Zusätze weiß gekleidet erhellet, und die Ursache weiß gekleidet darf ich nicht erst mit dem Scholiasten, in der alten Gewohnheit suchen, daß die Priester der Treue ihr Opfer mit weißverhülltem Haupte brachten; ich habe sie näher: welche Kleidung käme in einem Gemälde der Treue zu, als die Kleidung der Unschuld? Ist aber die Figur aus einem Gemälde: wie unnütz zerbricht sich Bentley den Kopf darüber, daß Hoffnung und Treue dem Glücke als Begleiterinnen beigegeben werden? Wenn dieß Gemälde des Glücks in Anzo war: wie reich und schön wäre die Vorstellung desselben!

Nun fängt Horaz an, über diese reiche Deutung zu Allegorisiren: Hoffnung und Treue sind dem Glücke zu Begleiterinnen gegeben – zu Begleiterinnen? »so werden sie dasselbe auch immer begleiten! auch wenn es sein Kleid ändern, auch wenn es die Palläste der Großen feindlich verlassen sollte. Das ist nur der treulose Pöbel, das ist nur eine meineidige Hure, die alsdenn zurück tritt: nur hinterlistige Freunde zerstieben, wenn die Weinbecher leer sind: so sind nicht Hoffnung und Treue.« Ich sehe hier so wenig Wiederspruch,12 als bei einer erbaulichen Allegorischen Deutung, und zwar einer Figur, die ihrem Namen nach doppelsinnig ist, nur immer seyn kann.

Und mit dieser Deutung eben bahnet sich Horaz den Weg, seinen August, und den damaligen Zustand des Römischen Reichs der Glücksgöttin zu empfehlen – eine Materie, die seine Ode schließet. Ich finde also nichts minder, als ein Abstraktum, das Glück, in ihr abgehandelt: wie man etwa, wenn man sich die Ueberschrift aus einem Wörterbuche erklärt, meinen könnte; es ist die Glücksgöttin in Anzo, eine Römischgesinnte Glücksgöttin, die auch nach den damaligen Umständen sich Roms annehmen soll. Aus Antium also, aus Rom, und aus der damaligen Zeit müssen auch die personifirten Ideen dieser Ode Licht nehmen; oder man schielet. Auch Hr. Klotz scheint mit seinen Erläuterungen aus Steinen und Münzen13 wohl nicht den Endzweck gehabt zu haben, sich selbst von dem Poetischen Baue dieser Horazischen Ode Rechenschaft zu geben: wie es doch bei ihr vorzüglich angienge. Wenn überhaupt der Gebrauch personifirter Geschöpfe aus einem Lyrischen Dichter erklärt werden sollte; so ist der Erste dazu – Horaz, Er, der diese schönen Gespenster ungemein liebt, und in Einführung derselben sehr charakteristisch ist; ein Kenner Horaz zeige uns diese Seite!

Aber auch der Epische Dichter hat personifirte Ideen nöthig, die man gemeiniglich Maschinen zu nennen gewohnt ist – wie soll er sie erschaffen? Als symbolische Wesen des Künstlers, als Allegorien, oder als handelnde Subjekte? Wenn ein Dichter es nöthig hat, sich vom Künstler zu unterscheiden, so ists der Dichter der Epopee, insonderheit in seinen Maschinen – ich wollte, daß Hr. L. darauf gekommen wäre!

Ich weiß, daß manche sich Leidenschaften, Tugenden und Laster und ein ganzes Heer Moralischer Personen zu Maschinen personifirt haben: allein, ich weiß auch, wie frostig, wie überflüssig diese Maschinen oft ganze Gedichte herunter erschienen sind, blos weil sie als personifirte Abstrakta erschienen, weil ihnen Individualität fehlte. Ein wirkliches Abstraktum in Person zu malen, ihm äußere Gestalt zu geben, um es Dichterisch bekannt zu machen, geht ohne Symbole nicht an; denn im Innern, im Wesen eines Abstrakten Begriffes liegen nicht Farben und Gestalten. Der Dichter läuft also Gefahr, daß, wenn er uns eine lange Seite herab, die Unschuld, den Neid, die Naturlehre u.s.w. symbolisch gemalt hat, wir hinterher fragen: wie sah das Ding aus? Alle einzelne charakterisirende Züge sind vergessen: wie kann ich sie zusammen nehmen, daß ein ganzes Bild vor mir stehe? Er hat die Arbeit der Danaiden gehabt, immer neue Züge zu schöpfen, die aber augenblicklich wieder wegschlüpfen, und jetzt stehe ich, und habe in meinem löcherichten Siebe – nichts.

Nun soll diese Abstrakte Person als Maschine handeln; natürlich nicht anders, als aus ihrem Wesen, wie die Unschuld, der Neid, der Zorn handeln muß. So sehe ich ja jeden ihrer Tritte voraus: jede ihrer Reden verrathe ich schon aus ihrem Namen; nur diesen brauche ich, nur die Idee selbst, und das Uebrige wird Poetische Einkleidung, ein Redezierrath. Das ganze Wesen ist aus einem Begriffe geschaffen, und in ein Wort eingehüllt: kann es mich also rühren? Epische Bewunderung in mir erregen? mir einen ungewohnten großen Anblick gewähren? Eine solche Schöpfung durch ein Wort, das jeder nachsagen, das jeder voraus ausdenken kann, ist – Spielwerk.

Nein! Homers Maschinen sind keine Abstrakten Begriffe: es sind Subjekte, die aus sich handeln, vollstimmige Individua. Nicht kann ich es aus einer willkührlichen Idee errathen, wie hier und da Jupiter und Juno, und Minerva handeln werden, weil sie Einkleidungen dieser Idee sind. Alle seine Götter sind erdichtete Personen; aber Personen, mit vollständig bestimmter Denkart, mit Schwachheiten und Stärke, mit Fehlern und Tugenden, mit allem, was zu einem daseyenden Wesen gehört. Sie zeigen nicht blos Gedanken, Worte, Handlungen; sondern ich sehe auch aus der Art, aus dem Zusammenhange dieser Gedanken, Worte, Handlungen, daß sie aus dem Innersten eines Individuums fließen: der Poet bezaubert mich, daß, so lange ich lese, ich ein solches Wesen glaube. Ihr Herren Allegoristen, ihr Namenschöpfer von Maschinen, ihr Ideenbildhauer der Epischen Dichtkunst – das thut ihr nicht! ihr malet, ihr schildert; und so lese ich euch auch, als Maler, als Schilderer; nicht als Dichter, nicht als zweite Prometheus, nicht als Schöpfer unsterblicher Götter und sterblicher Menschen.

Auch die kleinen Wesen der Einbildung, welche die Bahn des Homerischen Gedichts gleichsam nur einmal querüber durchgehen, Furcht, Schrecken, und die unersättlich wütende Zwietracht erscheinen bei ihm14 persönlicher, als Allegorien erscheinen: die letzte z.E. als die Schwester und Gesellin Mars, des Menschenwürgers, mit ihm in Gesellschaft, mitten im Schlachtgetümmel. Dieß alles dämpfet das Allegorische in der hohen Idee, »daß sie, anfangs klein, sich erhebe, und, indem sie auf dem Boden der Erde einhergeht, ihr Haupt in den Wolken habe,« wir sehen immer doch mehr eine Person, als einen Begriff, unter einer Person vorgestellt.

Für personifirte Abstrakta, für Allegorische Maschinen, als solche betrachtet, hat Homer keinen Platz; nur den Reden seiner Helden15 läßt ers, die Gebete u.s.w. zu Allegorisiren, die also aus ihrem Munde, nicht aber eigentlich aus seiner Schöpferhand kamen, die also gesprochen und gedacht, nicht aber Dichterisch gebildet, gleichsam im Gedichte gesehen werden sollten. Aber auch selbst da sucht er sie, wo er kann, in das Licht eines bestehenden Wesens zu kleiden; er flicht sie in die Genealogie der Götter; er giebt ihnen einen Historischen Zug zu: er malt das Allegorische nicht aus mit Prädikaten, sondern läßt es kaum durch den Namen, durch die Historischen Züge, durch die Dichterischen Attribute durchblicken. So wenig ists bei Homer Hauptzweck zu Allegorisiren, und am mindesten zu Allegorisiren für Künstler. – –

Hier Winkelmanns Werk von der Allegorie: ich bleibe aber bei zween andern Gefährten auf dem Wege: wie der Künstler den Dichter, insonderheit der griechische Künstler Homer nachahmen könne? Diese Gefährten sind Caylus und Leßing.

1 p. 116.

2 Lib. I. Od. 35.

3 Horat. ed. Baxt. p. 49.

4 Eclog. Horat. edit. Gessner. p. 71.

5 Vindic. Horat. p. 152.

6 Baxt. Horat. p. 50.

7 Addisons Dialog. upon the Usefullness of ancient Medals, p. 47.

8 Klotz. Vindic. Horat. p. 154.

9 Laok. p. 118.

10 Vindic. Horat. p. 154. 155.

11 Dialog. X.

12 Den größten hat Bentlei gefunden. S. seinen Horaz über diese Ode.

13 Vindic. Horat.

14 Iliad. ∆. v. 441–42. Iliad. I.v. 2.

15 Z.E. Agamemnons Rede von der Göttin Ate T. 78. Phönix Rede von den Gebeten Iliad. I.v. 498.

Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang

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