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Kapitel 3 (Das Manuskript)

»Wie war das Wochenende?«, fragte Astrid wie jeden Montagmorgen.

»Nichts besonderes«, antwortete Kim, die lustlos an ihrem Schreibtisch sass und zum Fenster hinausschaute. Draußen regnete es in Strömen.

Das Telefon auf Astrids Schreibtisch klingelte. Sie hob ab. Kim hörte sie sprechen, achtete aber nicht darauf, was ihre Arbeitskollegin sagte. Am liebsten wäre sie wieder nach Hause gegangen, um von dort aus diesen Agenten anzurufen. Doch das konnte sie sich nicht leisten. Sie hatte schon letzte Woche einen Tag gefehlt.

»Kim – wir sind hier bei der Arbeit!« Astrid, die das Telefongespräch beendet hatte, holte sie aus den Gedanken. Und in einem ernsthafteren Ton kam dann die Frage: »Hast du Probleme mit Nino?«

Kim schaute Astrid an. »Mit Nino?«, sagte sie, als gäbe es da etwas nachzudenken. »Nein, mit Nino ist nichts.«

Die Tür ging auf, und Lehner, der Personalchef, trat ein. Wie immer war er korrekt in einem dunkelgrauen Anzug, mit weißem Hemd und Krawatte, gekleidet. »Guten Morgen«, grüßte er mit klarer, fester Stimme.

Kim erwiderte dies mit Murmeln und Kopfnicken. Astrid gab sich mehr Mühe.

Lehner blieb neben Kims Schreibtisch stehen, bemüht, mit der einen Hand in der Hosentasche locker zu wirken.

Kim fing auf der vor ihr liegenden Tastatur zu tippen an und warf ab und zu einen Blick auf den Bildschirm.

»Ich möchte Sie später sprechen«, sagte Lehner. »Um zehn in meinem Büro.«

»Ja«, sagte Kim knapp und ohne die Tipperei zu unterbrechen.

Lehner verließ den Raum.

»Der geht aber ganz schön forsch mit dir um«, sagte Astrid. Kim stützte ihren Kopf auf beiden Händen ab. Nun fühlte sie sich erst recht schlecht.

»Du hättest ihn damals eben nicht so kalt abblitzen lassen sollen.«

Kim reagierte nicht darauf. Da Astrid das Thema auch nicht weiter verfolgte, wurde einige Zeit konzentriert gearbeitet.

»Ich geh mal schnell zur Haselmann rüber«, sagte Astrid nach einiger Zeit.

Kaum war Astrid draußen, überkam Kim eine eigenartige Unruhe. Natürlich: die Sache mit diesem Anton Rozeck. Jetzt hatte sie doch Gelegenheit, ihn anzurufen. Schon holte sie ihr Notizbuch aus der Handtasche. Aufgeregt wählte sie die Nummer, presste den Hörer ans Ohr.

»Agentur Rozeck«, meldete sich eine Frauenstimme.

Kim verlangte, mit Herrn Rozeck zu sprechen, und wurde weiterverbunden.

»Rozeck«, sagte eine tiefe Stimme.

Kim nannte ihren Namen und erklärte dem Mann ihr Anliegen. Er hörte ihr aufmerksam zu – zumindest hatte sie diesen Eindruck. Als sie ihm vorschlug, in den nächsten Tagen bei ihm vorbeizukommen, reagierte er zurückhaltend. Er sei an neuen Stoffen zwar grundsätzlich interessiert. Daher solle sie ihm das Manuskript zur Prüfung zusenden. Das ganze Gespräch dauerte kaum zwei Minuten.

Als Kim aufgelegt hatte, schlich sich ein Lächeln um ihren Mund. Das war doch nicht schlecht gewesen! Zumindest wollte sich der Agent die Sache mal ansehen. Doch Kim begriff plötzlich, dass das auch mit Schwierigkeiten verbunden sein könnte. Das Manuskript, so wie es momentan vorlag, durfte sie ihm keinesfalls zuschicken.

Sehr schnell wurde Kim klar, was sie zu tun hatte: Den ganzen Roman neu einzutippen. Und einen neuen Titel musste sie finden.

Astrid kam zurück.

»Vielleicht werde ich ein paar Tage Urlaub nehmen«, sagte Kim.

»Urlaub?«, fragte Astrid erstaunt. »Bei diesem Wetter?« Sie nickte in Richtung Fenster. Draußen regnete es.

»Ich habe viel zu erledigen«, erklärte Kim. »Private Dinge, die mir sonst über den Kopf wachsen.«

Astrid schmunzelte. »Arbeitest du wieder als Model für diesen Fotografen?«, wollte sie neugierig wissen.

»Ja, da steht auch noch ein Termin an«, flunkerte sie, weil sie wusste, dass ihre Kollegin auf diesen Nebenjob immer ein wenig eifersüchtig war.

»Dann bring das mal Lehner bei!«, sagte Astrid.

Punkt zehn Uhr klopfte Kim an die Tür des Personalchefs. Lehner reagierte mit einem kräftigen »Herein!«

Kim trat ein. Lehner spielte den Arbeitenden, hob dann den Kopf und meinte: »Ach, Sie sind's.«

»Sie wollen mich sprechen«, sagte Kim und ging auf den Personalchef zu.

»Richtig.« Lehner fuchtelte kurz mit dem Kugelschreiber vor sich herum und hielt ihn dann wie eine Zigarette zwischen seinen Fingern. »Und zwar geht es um ihre Versetzung nach Freising.«

»Davon weiß ich ja noch gar nichts.« Kim fühlte sich überrumpelt.

»Ja, es ist ein kurzfristiger Entscheid, aber unumgänglich«, sagte Lehner.

Wollte er sie loswerden? Oder hatte man auch in der Direktion bemerkt, dass er sich zu viel um Kim kümmerte – zuerst im Guten und dann im Schlechten – und daraus die Konsequenzen gezogen?

»Ab wann soll ich versetzt werden?«, fragte Kim.

»Vom nächsten Monat an.« Er dachte nach, ließ den Kugelschreiber fallen. »Ja, es ist schade, dass wir uns nicht besser verstanden haben.«

»Ich benötige dringend einige Tage Urlaub«, sagte Kim. »Möglichst bald, wenn das ginge?«

Lehner nahm zuerst wieder den Kugelschreiber in die Finger, bevor er darauf reagierte. »Warum tragen Sie den gewünschten Urlaubstermin nicht ein?«, fragte er. Nur, er hatte sie schon richtig verstanden. Und doch setzte er hinzu: »Sie sind doch lange genug bei uns, um zu wissen, wie das funktioniert.«

»Ich will die Tage gleich einziehen, ab sofort.«

»Ab sofort?«, wiederholte er. »Das ist gar nicht üblich. Wir sind momentan ziemlich im Druck.«

»Es ist sehr wichtig für mich«, betonte sie.

»Fototermine?«, fragte er, wobei er ein teilnahmsloses Gesicht machte.

»Nein, natürlich nicht«, antwortete sie. »Es geht um eine Familienangelegenheit.«

»Gut«, sagte er zu ihrem Erstaunen. »Wenn Sie sich mit Frau Seiler absprechen können, von mir aus.« Frau Seiler war Astrid.

Wieso verhielt sich Lehner plötzlich so? Hatte das mit Kims Versetzung zu tun? Gab er auf, endlich, nach all den Jahren? Lehner, der Mann, der ihr anfänglich viel mehr Freiheiten eingeräumt hatte als allen anderen Mitarbeiterinnen. Der dann schon bald einmal damit anfing, auch sein persönliches Interesse an ihr zu zeigen. Der versteckte Einladungen ausgesprochen und schließlich versucht hatte, sie in seine Wohnung zu locken!

Kim war nie auf ihn eingegangen. Typen wie Lehner konnte sie nicht ausstehen.

»Teilen Sie es mir mit, wenn Sie sich mit Frau Seiler einigen konnten!«, fügte Lehner hinzu.

Für Kim war die Sache schon klar. Trotz der angekündigten Versetzung. Nun fühlte sie sich gut.

Montag und Freitag widmete sich Pauly immer einem ausgiebigen Krafttraining. Er blieb dann jeweils noch ein bis zwei Stunden länger im Fitness-Center.

Heute war Montag. Pauly lag in der Bauchpresse, drückte die Knie gegen die gepolsterte Rolle. Sein nackter, muskulöser Oberkörper glänzte vor Schweiß. Die enge Turnhose schnitt in die durch die Anstrengung aufgeblähten Oberschenkel ein. Sein Puls raste an der Grenze von hundertsiebzig Schlägen in der Minute – für sein Alter die optimal bevorzugte Trainings-Frequenz. Durch die zusammengebissenen Zähne drückte er Luft, vermischt mit einigen kurzen Lauten, aus sich heraus. Die gut geölten Ketten der verchromten Maschine rollten über fast widerstandslose Zahnräder. Gewichtplatten hoben und senkten sich. Muskeln und Adern schwollen an.

Der Raum, in dem er trainierte, war groß. An der einen Wand gab es eine ganze Spiegelfront. Das Klima wurde gleichmäßig gehalten. Rote Backsteine und dunkelbraunes Holz sollte beruhigend wirken. Fenster gab es keine.

Hier trainierte jeder für sich. Hände umfassten gummierte Holme. Bizeps und Trizeps wurden entwickelt, Brustmuskeln verhärteten sich unter Belastung.

Pauly holte nochmals aus, stürzte sich in die erschwerten Kniebeugen, die seine Trainingsmaschine verlangte. Er wechselte oft willkürlich das Gerät, wollte sich einfach erschöpfen. »Ich werde mich besiegen«, schien sein Wahlspruch zu sein.

Plötzlich stand Kim vor Pauly, der seine Bewegungen unterbrach. »Was willst du?«, fragte er.

Sie trug eine weite Hose aus dünnem Stoff, dazu ein gelbes T-Shirt, einen roten Seidenschal und eine graue Jacke aus feinem Leder. Sie hatte sich eine schwarze Tasche über die Schuler gehängt.

»Was willst du?«, fragte er nochmals, denn es war nicht üblich, dass Kim im Fitness-Center auftauchte.

»Ich will dich abholen«, sagte sie. »Wir können ja etwas essen gehen.«

Pauly stieg von der Plattform herunter, rieb sich mit dem Handtuch das Gesicht ab. »Essen ist immer gut«, bemerkte er.

Kim machte einige Schritte und schaute sich um.

»Muss das denn sein?« Pauly regte sich plötzlich auf. »Ich habe dir doch schon mal gesagt, dass Leo es nicht gerne sieht, wenn du mit deinen hohen Absätzen den Boden ruinierst.«

»Entschuldige!« Sie schüttelte verständnislos den Kopf. »Ich habe ja ganz vergessen, wie heilig hier drinnen alles ist.«

»Was trägst du mit dir herum?«, fragte Pauly.

»Ein Laptop«, antwortete Kim.

»Wozu?« Pauly legte sich das Handtuch um den Nacken. Er hatte für Kim nur einen verständnislosen Blick übrig. »Ich gehe mich duschen«, sagte er und ging davon.

Kim verließ den Raum ebenfalls und wartete im Flur, gleich neben der Anmeldung, auf Pauly.

Die Tür neben ihr wurde geöffnet, und Leo trat heraus. Vermutlich hatte er Kim durch das Sichtfenster der Anmeldung gesehen. Die beiden kannten sich kaum, duzten sich aber.

»Wartest du auf Nino?«, fragte Leo.

Kim nickte.

»Und – wie geht's dir so?«

»Gut«, erwiderte Kim mit abwesendem Gesichtsausdruck.

»Schön.« Leo grinste. »Dann grüß mal Robert von mir«, sagte er, grinste nochmals und war weg.

Kim begriff sofort: Leo wusste, dass sie mit Robert, dem Fotografen, geschlafen hatte. Sie ging nach draußen an die frische Luft.

Zehn Minuten später kam Pauly. »Was ist? Gehen wir jetzt essen?«, fragte er.

»Natürlich«, antwortete Kim leicht gereizt.

»Mit dem neuen Laptop?« Pauly wollte sie provozieren.

Sie schwieg.

»Sag mal, willst du nicht endlich ins Bett kommen?« Pauly stand, nur mit einem engen Slip bekleidet, unter der Schlafzimmertür und blickte vorwurfsvoll zu Kim, die am großen Tisch im Wohnraum saß. Sie hatte den neuen Laptop vor sich, umgeben von Manuskriptseiten.

»Stör mich nicht!«, sagte Kim, ohne die Tipperei zu unterbrechen.

»Wozu schreibst du die ganze Sache ab?«

Kim unterbrach und schaute ihren Freund an. »Es wäre viel zu riskant, das gefundene Manuskript original an Rozeck zu schicken«, erklärte sie. »Also schreibe ich es ab, ändere auch den Titel und gebe dich als Autor an.

»Mal angenommen«, sagte Pauly, der noch immer dastand, »dieser Agent will denjenigen sehen, der den Mist hier an­geblich geschrieben hat. Ich meine damit: mich

Kim zündete sich eine Zigarette an. »Daher braucht es eben einen guten Plan«, sagte sie. »Vor allem musst du den Mund halten und nichts rumerzählen.«

»Das passt mir nicht«, sagte er. »Du verlangst etwas, das ich mir erst gründlich überlegen möchte. Was du vor hast, ist sowieso Betrug.«

»Wieso soll es Betrug sein, wenn man sich um etwas bemüht, das derjenige, der es ursprünglich geschaffen hat, nicht mehr haben will? Das kann dem dann egal sein. Sonst hätte er es ja nicht wegzuschmeißen brauchen.«

»Gut, die Sache hat tatsächlich im Abfall gelegen. Aber so einfach ist es auch wieder nicht. Es ist ein Ausdruck auf Papier. Das wurde sicher auf einem Computer geschrieben, also wird es auch irgendwo gespeichert sein. Früher oder später kommt man uns auf die Schliche. Und was dann?«

Sie schwieg, wollte von einer solchen Möglichkeit nichts wissen.

»Warum tust du das?«, fragte Pauly mit einer Ernsthaftigkeit, die bei ihm selten war. »Bestimmt nicht wegen des Geldes. Du weißt ja nicht einmal, ob damit überhaupt was zu holen ist.«

Die Zigarette im Mundwinkel, blickte Kim ihn an. Ja, warum tat sie das? Seit sie das Manuskript gelesen hatte, war in ihr viel aufgebrochen. Immer in der Gewissheit, dass es zu ihrer Verfügung stand, dass sie damit etwas in die Wege leiten konnte. Ehrgeiz? Hatte es damit zu tun? Wie sehr drängte es sie zum Ausbruch aus der Norma­lität. Als Fotomodel hätte sie diese Möglichkeit gehabt. Was war davon geblieben? Sie konnte doch nicht ihr Leben lang in einem Büro sitzen und Rechnungen, Offerten und dergleichen schreiben! Oder sollte sie Nino heiraten – einen Mann mit dem Lohn eines Hilfsarbeiters!

»Was ist los?«, fragte Pauly, weil Kim ihn nur anstarrte.

»Du glaubst nicht, dass man damit was machen kann, oder?«, fragte Kim und zeigte auf die Papiere auf dem Tisch.

»Keine Ahnung«, antwortete Pauly. »Zudem schreiben wir beide keine Bücher.«

»Das wissen nur wir«, erwiderte sie. »Aber das hier, dieses Buch, haben wir zu unserer Verfügung.«

»Mach, was du willst!« Er gab wieder mal auf. »Doch halte mich da raus!« Damit drehte er sich um und wollte ins Schlafzimmer zurück.

»Nino!«

Er wandte sich ihr wieder zu.

»Ich will nun ganz klar von dir wissen, ob du bei meinem Plan mitmachst«, sagte sie.

»Ich weiß es noch nicht.«

»Aber du vertraust mir doch?«

»Ja, sicher.«

»In Ordnung, Nino.« Sie versuchte zu lächeln, doch die Art, wie sie die Zigarette im Aschenbecher ausdrückte, verriet, wie nervös sie war.

Wenig später lag Pauly im Bett. Das leise und doch eindringliche Geräusch der Tipperei auf der Tastatur des Laptops dauerte noch die ganze Nacht.

Kim arbeitete die ganze Woche ununterbrochen an der Abschrift des Manuskripts. Sie war über sich selbst erstaunt, denn so viel Selbstdisziplin hatte sie sich nicht zugetraut. Sie tauchte dabei in den Stoff des Thrillers ein, was sie immer mehr von ihrem Vorhaben überzeugte.

Am Sonntagabend war es fast soweit. Was nun noch fehlte, war ein neuer Titel.

Pauly betrat das Wohnzimmer. Kim tippte, stoppte, tippte weiter und bemerkte erst jetzt, dass Pauly neben ihr stand. Er griff nach dem Stapel des neuerstellten Manuskripts, das neben dem Drucker lag, hob die Blätter am Rand mit dem Daumen hoch und ließ sie durch rascheln.

»Du hast noch keine Zeile davon gelesen«, hielt ihm Kim vor.

Als sie den Kopf wieder senken wollte, um sich der restlichen Arbeit zuzuwenden, spürte sie Paulys Finger unter ihrem Kinn. Er beugte sich langsam vornüber und flüsterte: »Fleißiges Mädchen.«

»Morgen bringe ich die Sache zur Post«, sagte Kim und schrieb auf das Deckblatt:

AUF DER LINIE DES TODES

Roman

von

NINO PAULY

Etwas gefiel ihr nicht. Sie starrte auf den Bildschirm und las die Worte immer wieder durch. AUF DER LINIE DES TODES. Dann bereicherte sie den Namen des Autors um einen – wie sie fand – entscheidenden Zusatz: Nicht mehr NINO PAULY, sondern NINO DE PAULY.

Ja, das klang gut, das war es, was sie gesucht hatte. Sie lehnte sich zurück.

»Und?«, fragte Pauly. »Was ist?«

Sie lächelte zufrieden und gab ihm keine Antwort.

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