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Kapitel 9 ungehobelter Gentleman

Der Campus lebte. Aus allen Richtungen eilten Studenten über den Platz und verschwanden in den Fakultätsgebäuden. Vielen von den Umhergeisternden sah man an, dass sie zu den Erstsemestern gehörten, denn sie drehten sich planlos im Kreis oder stürzten von einer Tür zur nächsten. Wenigstens waren sie schon eingeschrieben und mussten nur den richtigen Hörsaal finden.

Etwas, das mir nicht vergönnt war. Doch das würde sich jetzt ändern.

Selbstsicher drückte ich die Tür des Verwaltungsgebäudes auf und trat ein. Die Inneneinrichtung wirkte alt, aber dennoch hochwertig und hatte Charakter. Farblich harmonisierten die dunklen Holztüren perfekt mit den roten Kachelfliesen. Dieser komische Geruch nach Staub, vermischt mit Politurmittel und Bleiche, brachte in mir die Erinnerung an meine alte Highschool hervor. Dort hatte es genauso gerochen. Scheinbar gehörte dieser unverkennbare Duft zu Bildungsinstituten dazu. Er verschaffte mir ein Gefühl der Sicherheit.

Ich lief weiter. Vor einer Tafel, auf der der Gebäudeplan abgebildet war, blieb ich stehen und suchte den passenden Raum für mein Vorhaben.

Studiendezernat, zweites Obergeschoss.

Na bitte, erste Hürde geschafft.

Ich nahm zwei Stufen auf einmal und kam leicht aus der Puste im entsprechenden Stockwerk an.

Nach dem Anklopfen bat mich eine freundlich klingende Stimme herein.

*

Vor der Mensa wartete Camy bereits auf mich. In den Händen hielt sie zwei Kaffeebecher. Koffein, das ich jetzt dringend nötig hatte.

Unter meinem Arm rückte ich mir den Stapel Unterlagen zurecht und rannte die letzten Meter.

»Hey«, begrüßte sie mich und hielt mir einen Becher entgegen. »Wie lief es denn?«

Zunächst nahm ich einen großen Schluck. »Nicht so, wie erwartet.«

Der Kaffee war viel zu süß und mit einer Extraportion Milch. Genauso wie ich ihn mochte.

Verdattert sah Camy mich an.

»Ich hol später meine Sachen aus deiner Wohnung und mach mich vom Acker. Das war’s für mich«, erklärte ich mit gedrückter Stimme. Erst fror Camys Gesicht ein, danach formte sie ein stummes ›O‹ mit den Lippen und schüttelte ungläubig den Kopf. »Du verarschst mich jetzt, oder?«

Ich seufzte und ließ die eingetretene Stille zwischen uns einen Moment lang wirken.

»Jap, das mache ich!«

»Du Miststück! Wie kannst du es wagen!«, echauffierte sie sich und knuffte mich in den Oberarm.

Ich hingegen lachte lauthals. »Ich konnte mich in fünf Orientierungskursen eintragen und habe sogar einen Wohnheimplatz ergattert. Jetzt wohne ich ebenfalls im Vaughn, allerdings eine Etage unter dir. Ist sogar ein Einzelzimmer. Das einzige Manko ist, das ich eine horrende Strafgebühr zahlen muss, weil ich die Einschreibfrist nicht eingehalten habe«, erklärte ich immer noch lachend. Ich war glücklich, dass es dennoch geklappt hatte, auch wenn die dreihundert Dollar nur schmerzlich zu verkraften waren. Mit den Kosten für das Wohnheim würde das Geschenk meines Vaters nicht so lange anhalten, wie gehofft.

»Das sind großartige Neuigkeiten. Die Einzelzimmer sind heiß begehrt. Wen hast du bezirzen müssen, um an so eins heranzukommen?«, riss mich Camy aus meinen Gedanken, die zu meinem Kontostand abgedriftet waren.

»Niemanden. Glücklicherweise sind einige in diesem Semester abgesprungen, wodurch etliche Plätze freigeworden sind.«

Ich nickte in Richtung Mensa, damit wir uns endlich in Bewegung setzten. Mein Magen knurrte wie der einer ausgehungerten Löwin. Camy verstand, lief los, während ich mich neben ihr einreihte.

»Umso besser. Schön, dass wir im selben Wohnheim untergebracht sind. So können wir uns öfter sehen. Dieses Semester ist mein Lehrplan brechend voll, dazu die Fußballspiele. Ich werde kaum Freizeit haben, da ist es toll, nicht weit laufen zu müssen, wenn ich jemanden zum Reden brauche.«

»Ich find’s auch klasse.«

Vor der Essensausgabe hatte sich eine lange Schlange gebildet. Der Geräuschpegel war hoch. Es war ungewohnt für mich, trotz allem fand ich es hervorragend. Jetzt war ich ein Teil dieser Masse. Offiziell eine Studentin der University of Tampa. Es war berauschend zu wissen, dass ich dazugehörte.

Da ich noch keinen Studentenausweis hatte, bezahlte Camy mein Mittagessen mit, anschließend suchten wir uns einen freien Tisch. Wir fanden einen Vierertisch neben den Toiletten. Nicht der beste Platz, aber besser als im Stehen zu essen.

Überraschenderweise war der Nudelauflauf ausgesprochen lecker. Weitaus besser als der Fraß, den ich aus der Highschool-Cafeteria gewöhnt war.

Während wir aßen, quatschten wir. Camys Kurse waren eng getaktet, wodurch sie gleich nach dem Essen wieder losmusste. Ihre Kurse endeten erst am frühen Abend, darum übergab sie mir vertrauensvoll ihren Zimmerschlüssel, damit ich schon damit beginnen konnte, meine Sachen zu holen, um sie in mein neues Heim zu bringen.

Auf einmal klapperten neben uns Tabletts und die leeren Stühle wurden lautstark nach hinten gezogen.

»Na, Schwesterherz, wie war dein Tag?« Clayton setzte sich verkehrt herum auf den Stuhl neben Camy und stützte die Arme auf der Lehne ab. Seine schwarzbraunen Haare standen wild von seinem Kopf ab und wellten sich an den Spitzen. Durch die dunklen Schatten, die unter seinen Augen lagen, und die eindeutig vom Wochenende stammten, wirkte er reichlich verpeilt.

»Hey, Clay! Professor Dorton hat uns gleich heute eine Hausarbeit aufgebrummt. Abgabetermin bereits nächste Woche.« Sie verdrehte die Augen, was Clayton zum Schmunzeln brachte.

»Du weißt doch, wie er ist. Gleich in die Vollen gehen, damit euch ja nicht langweilig wird.«

Camy schnaubte abfällig. Professor Dorton war schon mal nicht ihr Lieblingsdozent.

»Hallo, Sweetie!« begrüßte mich eine kehlige Stimme von links. In Zeitlupe drehte ich den Kopf in seine Richtung. Diesmal gelang es mir, nicht gleich in eine Stockstarre zu verfallen, trotzdem klang meine Stimme dünn, als ich antworte: »Hallo.«

Tobias schielte auf den Stapel Papiere, der feinsäuberlich neben meinem Tablett lag. Obenauf befand sich der Stundenplan meiner Orientierungskurse.

»Wie mir scheint, gehörst du jetzt auch zu unserem Klub?«

Stumm nickte ich und stopfte mir die nächste Ladung Auflauf in den Mund. Wenn ich kaute, konnte ich nicht antworten, demnach auch nichts Falsches sagen.

Genau wie gestern glitzerten seine Augen amüsiert, während er mich beobachtete, wie ich gemächlich auf meinem Essen herumkaute.

Plötzlich fühlte sich der Auflauf zwischen meinen Zähnen wie zäher Schleim an und es fiel mir schwer, die Masse hinunterzuschlucken, ohne zu würgen. Irgendwie gelang es mir dennoch.

Clayton flüsterte Camy etwas ins Ohr, was ich nicht verstand, sie aber zum Kichern brachte. Im Gegensatz zu meinem war ihr Teller schon leer. Bevor sie aufstand, leerte sie ihr Trinkglas in einem Zug. »Ich muss jetzt los, Evy. Sehen wir uns später?«

Clayton war auch aufgestanden. Nur Tobias saß weiterhin neben mir. Ich spürte, wie sein Blick weiter auf mir ruhte, als ich Camy antwortete: »Gerne, komm nach deinen Kursen einfach zu mir runter.«

Sie blickte misstrauisch von mir zu Tobias und wieder zurück. »Mach ich! Bis dann, Evy. Wir sehen uns, Tobias.« Die Art, wie sie seinen Namen sagte, so voller Abscheu, machte mich noch unsicherer, als ich ohnehin schon war. Sie rauschte mit Clayton von dannen und warf mir einen warnenden Blick über die Schulter zu, den ich mit einem zaghaften Lächeln beantwortete.

Ohne eine Ahnung zu haben, über was ich jetzt mit ihm reden sollte, entschied ich mich dafür, meine Sachen zusammenzupacken und den Rückzug anzutreten. Der Appetit war mir ohnehin vergangen.

»Ich muss jetzt auch los«, stammelte ich mit Blick zum Tisch.

»Gut, den nächsten Kurs haben wir zusammen. Ich zeig dir, wo es langgeht.«

Bitte lass das nicht wahr sein!

Mit Tobias durch die Uni zu irren, war das Letzte, was ich wollte. Selbst wenn ich heute deutlich gelassener auf seine Gegenwart reagierte, merkte ich, wie die nächste Panikattacke anrollte. Je länger er mich anstierte, umso stärker wurde das schwere Gefühl in meinem Magen. Bei mir bildeten sich schon kleine Schweißperlen auf der Stirn. Die kleinen Tropfen kitzelten an meinem Haaransatz. Zudem schlug mein Herz mit jedem Schlag ein Stückchen schneller.

Ich antwortete nicht, sondern schnappte mir das Tablett und brachte es zur Essensrückgabe.

Eine kurze Pause von seiner Präsenz, die ich nutzte, um ganz, ganz tief durchzuatmen.

Auf dem Rückweg zu unserem Tisch schaffte ich es trotzdem, zwei Studenten anzurempeln, weil sich in meinem Kopf die Gedanken überschlugen und ich unaufmerksam durch die Gegend taumelte.

Ich erreichte den Tisch. Tobias hatte die Beine übereinandergeschlagen und meinen Papierstapel vereinnahmt. Als wäre dieser ein Schatz, den es zu beschützen galt, ruhten seine Hände darauf.

»Können wir?«, fragte er mich, zog prompt die Blätter vom Tisch und klemmte sie sich unter den Arm.

»Darf ich das bitte wiederhaben?« Ungewollt flüsterte ich. Ich wirkte mit Sicherheit wie ein verängstigtes Tier. Dabei hatte ich überhaupt keine Angst vor ihm. Nur seine eingebildete Art verunsicherte mich …ein wenig.

»Ich glaube, ich behalte das noch eine Weile.« Er streichelte meine Unterlagen, als wären sie der Kopf eines Kätzchens und zwinkerte mir zu. »Wir müssen ins Nebengebäude. Der Einführungskurs in Psychologie findet in der geisteswissenschaftlichen Fakultät statt.«

Gentlemanlike ließ er mir den Vortritt. Erneut schielte ich zu seinem Arm, in dem er weiterhin meine Habe festhielt. Da er nichts der Gleichen tat, mir die Sachen wiederzugeben, beließ ich es vorerst dabei und stiefelte los.

Langsam merkte ich, wie meine anfängliche Unsicherheit in Wut umschlug. Er war ein ziemlicher Großkotz und arrogant … und keine Ahnung, was noch, auf jeden Fall wollte ich, dass er verschwand.

Diese ganze neue Umgebung, die Kurse, die fremden Menschen um mich herum, war schon aufregend genug. Da brauchte ich keinen Schatten im Nacken, der mich verfolgte.

Was wollte er überhaupt im Einführungskurs für Psychologie? Der war doch für die Erstsemester? Außerdem war es höchst unwahrscheinlich, dass im Kursplan seiner Studienrichtung eine Psychologievorlesung auftauchte.

Vor dem Gebäude angekommen versuchte ich mich zu orientieren und das Fakultätsgebäude der Geisteswissenschaften ausfindig zu machen.

Tobias dauerte dies offenbar zu lange. Er lief an mir vorbei, natürlich nicht, ohne meinen Arm zu streifen. Auf der Stelle zuckte ich zurück und eierte einen Schritt zur Seite.

»Da geht’s lang.« Er deutete nach rechts. Nur wenige Meter von der Mensa entfernt stand ein flaches, weißes Haus. Diesmal ließ er mir nicht den Vortritt.

Mit zwei Schritten Abstand lief ich neben ihm her. Unauffällig musterte ich dabei seinen rechten Arm. Das erlaubte es mir, sein Tattoo aus nächster Nähre zu betrachten. Mein anfängliches Resümee musste ich widerrufen, die Schlange war eigentlich doch ganz ansehnlich und äußerst detailliert gestochen. Der Tätowierer, der dieses Kunstwerk erschaffen hatte, verstand etwas von seinem Handwerk.

Unzählige, teils winzige Schuppen, zierten den breiten Rumpf des Tieres und liefen in unterschiedlichen Grüntönen an den Enden aus. Das verlieh dem Motiv einen dreidimensionalen Effekt. Wie bereits auf dem Foto gesehen, ruhte der Schwanz der Schlange auf seinem Handrücken, die Spitze wickelte sich um seinen Ringfinger. Das war mir auf dem Bild nicht aufgefallen. Ein sehr außergewöhnliches Motiv.

Nach einigen Umdrehungen seinen Oberarm hinauf, endete das Tattoo mit dem herzförmigen Schlangenkopf direkt auf seinem Bizeps. Ich kannte mich mit Reptilien nicht sonderlich gut aus, aber der Form des Kopfes nach zu urteilen, könnte es sich um eine Viper handeln.

Noch so sehr damit beschäftigt, seinen Arm zu betrachten, merkte ich nicht, wie wir die Stufen des Gebäudes erreichten.

Ich verpasste den ersten Tritt, geriet aus dem Gleichgewicht und fiel vornüber auf die Treppe. Meinen Reflexen war es zu verdanken, dass ich mich in letzter Sekunde mit den Händen abfing, und nicht mit dem Gesicht abbremste.

»Vorsicht Stufe.« Tobias räusperte sich, dennoch hörte ich, wie er sich das Lachen verkniff. Warum war es mir nicht möglich, hundert Meter geradeaus zu laufen, ohne mich zu blamieren?

Ich rappelte mich auf und verbarg mein rotes Gesicht, indem ich die Haare, die nach vorne gefallen waren, nicht wieder nach hinten strich.

»Ist alles in Ordnung?«

Ach, erst auslachen und dann den Besorgten spielen?

»Alles bestens, danke der Nachfrage. Den Rest schaffe ich alleine.« Ohne ihn anzublicken, entriss ich ihm meine Unterlagen, rannte die Treppe nach oben und stürmte durch die Glastür hinein. Gestern hatte ich echt den Eindruck gewonnen, dass Camy mit ihrer Meinung über Tobias übertrieb. Klar, bei unserem Gespräch auf der Wiese wirkte er selbstverliebt und überheblich, trotzdem hatte er auf mich einen netten Eindruck gemacht.

Wie sehr man sich doch täuschen konnte.

Blödes Arschloch!

Dark Addiction

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