Читать книгу Das Zeichen seiner Liebe - Junia Swan - Страница 6

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1. KAPITEL

Fünf Jahre später

„Es ist eine wahre Tragödie“, erklärte der fünfte Earl of Somerset, in der Hand ein Schreiben zu dem er immer wieder mit seinen Augen zurückkehrte. Das Kuvert mit dem gebrochenen Siegel lag auf dem Arbeitstisch und bezeugte die Echtheit der Nachricht.

Thomas Beaufort, sein drittältester Sohn, lehnte sich nicht sonderlich beunruhigt in seinem Armsessel zurück und folgte seinem Vater mit den Augen. Er war dessen leicht erregbares Temperament und seinen Hang zur Übertreibung gewohnt, deswegen versetzten ihn die unheil-schwangeren Worte nicht in Alarmbereitschaft.

„Lasst hören, Vater, was ist es diesmal?“

„Diesmal?“, brauste der Vater auf und deutete mit dem ausgestreckten Zeigefinger nach Luft ringend auf die wenigen Zeilen in seinen Händen. „Diesmal ist es eine Katastrophe! Sie sind alle tot. Alle, bis auf einige der Dienstboten.“

Obwohl Beaufort nicht wusste, von wem genau sein Vater sprach, richtete er sich ein wenig auf.

„Vater, ich verstehe nicht. Wer ist tot?“

Der Earl griff sich an die Brust.

„Deine Verlobte“, stieß er hervor. „Ihre Eltern. Alle Geschwister.“

„Meine …?“

Während diese unglaubliche Meldung langsam in seine Gedanken sickerte, breitete sich in ihm eine bleierne Ratlosigkeit aus. Wenn alle tot waren, dann … Unwillkürlich schnappte er nach Luft.

„Du weißt, was das bedeutet?“

Der Earl spießte seinen Sohn geradezu mit den Augen auf.

„Ich versuche gerade, es zu erfassen“, murmelte Beaufort, stemmte sich schwerfällig aus dem Stuhl und ging zur Bar. „Auch einen Drink, Vater?“, fragte er, während er sich einen Whisky einschenkte.

„Nur zu! Einen doppelten.“

Mit bebenden Händen goss Beaufort auch seinem Vater ein und kehrte mit den Gläsern in der Hand zu ihm zurück. Schweigend stürzten sie gleichzeitig das Getränk hinunter.

„Das bedeutet, deine Zukunft ist wieder vollkommen offen.“

„Verdammt“, fluchte Beaufort und knallte das Glas auf den Tisch. „Verdammt, verdammt, verdammt!“

Er boxte sich mit einer Faust in die eigene Handfläche.

„Wie konnte das nur geschehen? Alle auf einmal!“

„Die Pocken“, murmelte der Earl. „Die verfluchten Pocken haben sie alle ausgelöscht.“

Thomas Beaufort ließ sich zurück auf den Armsessel fallen, vergrub sein Gesicht hinter den Händen. Mit der Hochzeit der ältesten Tochter aus dem Hause der Carmichaels wäre sein weiteres Leben in ruhigen Bahnen verlaufen. Da der Baron selbst keinen männlichen Erben vorweisen konnte, hätte Beaufort nicht nur eine ansehnliche Mitgift zur Hochzeit erhalten, sondern auch den Titel und die Besitztümer nach dem Tod Carmichaels geerbt – eine sehr unübersichtliche Angelegenheit, die ein findiger Advokat durch geschickte Winkelzüge möglich gemacht hatte. Alle betroffenen Parteien hatten die Verträge vor wenigen Wochen unterzeichnet.

All diese Pläne waren jetzt mit einem Schlag zunichte gemacht worden und irgendein entfernter Verwandter würde nun alles erben. Dass das Schicksal Beaufort auch so übel mitspielen musste! Die fünf Töchter der Carmichaels: alle tot. Wobei … Nachdenklich ließ er seine Hände sinken und runzelte die Stirn. Er kannte nur vier von ihnen. Hatte Sylvia nicht einmal erwähnt, dass ihre jüngste Schwester von einem Tag auf den anderen verschwunden wäre? Ja, er meinte sich zu erinnern, dass … Eine kleine Hoffnung keimte in ihm auf. Wenn er sie fände und zur Frau nähme, wäre vielleicht nicht alles verloren!

Mit einem Satz sprang er in die Höhe, was seinen Vater aus dessen Lethargie riss. Als zweifelte er am Verstand seines Sohnes, musterte er ihn forschend.

„Die Carmichaels hatten doch fünf Töchter, nicht wahr?“, wollte nun Beaufort wissen und als sein Vater fragend nickte, fuhr er fort: „Eine von ihnen ist, wenn ich mich nicht täusche, vor einigen Jahren verschwunden. Ist Euch das bekannt?“

Das Gesicht des Earls glättete sich, als ihm dämmerte, worauf sein Sohn hinauswollte.

„Du hast recht! Die Jüngste von ihnen wird noch immer vermisst.“

Als suchte der Earl nach einer Bestätigung senkte er den Blick auf das Schreiben und las es erneut.

„Bei allen Heiligen!“, stieß er hervor. „Es stimmt! Hier werden nur vier Töchter erwähnt. Ich nehme an, das liegt daran, dass man den Tod der Verschollenen bis heute nicht bestätigt hat!“

Beaufort ballte mit neuerwachtem Optimismus die Hände.

„Dann werde ich sie suchen, finden und heiraten!“, beschloss der junge Mann und lächelte zuversichtlich.

„Nun ich hoffe, dass keine Enttäuschung auf dich wartet. Denn, wenn sie noch nicht tot ist und du sie tatsächlich finden solltest, meine ich, mich daran zu erinnern, dass sie geistig eingeschränkt ist. Taubstumm, genau genommen. Unfähig zu sprechen, zu hören und zu denken. Demzufolge dumm und ungebildet und niemals in der Lage einen klaren Gedanken zu fassen. Du wirst keine rechte Freude mit ihr haben.“

Beaufort zuckte gleichgültig mit den Achseln.

„Und wenn schon? Kinder gebären wird sie wohl können und für mein restliches Leben gibt es Möglichkeiten, dieses angenehm zu gestalten. Ich werde mein Weib, sobald es mir einen Erben geschenkt hat, auf irgendein Anwesen auf dem Land verbannen und danach tun, was mir beliebt. Es ist kaum zu fassen, wie hold mir das Glück ist!“

Der Earl schmatzte ein paar Mal mit glasigen Augen, dann kräuselte er seinen Mund.

„Zuerst musst du sie finden.“

Beaufort warf ihm einen siegessicheren Blick zu.

„Bei Gott, das werde ich! Ich begebe mich sofort auf die Suche!“

Dorothy kniete am Flussbett, nur ein paar Fingerbreit vom Wasser entfernt, das träge an ihr vorbeirauschte. Angespannt hatte sie sich vorgebeugt und starrte in die Fluten, als gäbe es dort etwas Aufregendes zu sehen. Mit klopfendem Herzen wartete sie darauf, dass sich ein weiterer Fisch zeigte, der kraftvoll stromaufwärts schwamm. Diese Art hatte sie das letzte Mal vor ungefähr einem Jahr gesehen. Das war überaus interessant und sie fragte sich, weshalb die Tiere zu dieser Jahreszeit hier auftauchten, als strebten sie einem Ziel entgegen. Das war jedoch unmöglich. Tiere hatten keine Ziele. Sie konnten nicht denken.

Vorsichtig tauchte sie die Fingerspitzen ins Wasser, als sie plötzlich fühlte, dass sich die Stimmung hinter ihr änderte. Kälte kroch ihr über den Rücken und sie erstarrte. Die einzige Bewegung, zu der sie noch fähig war, war jene, die Hand aus dem Wasser zu ziehen und in ihren Schoß zu legen. Sonst fühlte sie sich wie gelähmt. Auch konnte sie sich nicht dazu aufraffen, einen schnellen Blick über die Schulter zu werfen, um herauszufinden, woher die Bedrohung kam.

Als sich eine Hand um ihren Oberarm schloss und sie in die Höhe zog, meinte sie vor Angst in Ohnmacht zu fallen. Heute war der Tag gekommen, vor dem sie sich seit ihrer Flucht gefürchtet hatte: man hatte sie gefunden. Aber warum jetzt? Sie wollte sich nicht ausmalen, was das für sie bedeutete.

Starke Hände drehten sie herum und sie presste die Augen fest zusammen, um nicht sehen zu müssen, was um sie herum geschah.

Thomas Beaufort hielt betroffen die Luft an, als er auf das zarte Mädchen herabsah, das mit geschlossenen Augen in seiner Umklammerung hing. Er hätte nicht gedacht, dass sie so jung wäre. Sechzehn vielleicht, kein Jahr älter. Allerdings war sie die Jüngste und Sylvia bereits zweiundzwanzig Jahre alt gewesen. Er hätte daran denken können, wenn er nicht so sehr mit ihrer Suche beschäftigt gewesen wäre.

Da kein Mensch Dorothy in den vergangenen Jahren gesehen hatte, war ihm in den letzten Wochen nichts anderes übrig geblieben, als durch die Wälder zu streifen und sie hinter jedem Baum zu suchen. Wie er sich nun eingestand, hatte er nicht mehr damit gerechnet, sie zu finden. Es war seiner Gründlichkeit zu verdanken, dass er diesen Landstrich noch durchkämmen hatte wollen, bevor er gezwungen gewesen wäre, sich seine Niederlage einzugestehen. Doch das Glück war ihm hold geblieben. Eine Hasenfalle mit einem darin gefangenen Tier hatte ihm die Spur gewiesen und Beauforts Herz hatte schneller zu schlagen begonnen. Sie hatten weitere Spuren entdeckt und wenn dieses Mädchen nun ihre Identität bestätigte, würde er triumphieren können. Dann hatte er Dorothy tatsächlich gefunden.

Ihr erbärmlicher Zustand schreckte ihn nur ein wenig – er hatte damit gerechnet. Ihr Haar war lange und verfilzt, als wäre es vor Jahren das letzte Mal gekämmt worden, was vermutlich stimmte. Ihr Kleid war aus einfachem, verschlissenem Stoff, jedoch sorgfältig geflickt. Ihre Gesichtsfarbe hatte einen goldenen Schimmer, zu natürlich, um vornehm zu sein und Sommersprossen schienen geradezu zahlreich auf ihrer Nase zu gedeihen. Abgesehen davon wirkte sie zart und zerbrechlich, so, als hätte sie schon lange nichts Kräftiges mehr gegessen. Trotzdem ließ nichts an ihrer ärmlichen Erscheinung ihren minderbemittelten geistigen Zustand erahnen.

Um ihre Aufmerksamkeit zu erregen, schüttelte er sie leicht und ihre Augenlider zuckten, bevor sie diese schließ-lich zögernd öffnete. Die Klarheit ihres Blickes aus dunkelgrüner Iris überraschte ihn und er musterte sie forschend, wobei ihm ihre Angst nicht entging. Doch er hatte zu lange gesucht, um sie jetzt einfach freizugeben.

„Bist du Dorothy Carmichael?“, fragte er, obwohl er nicht damit rechnete, dass sie ihm antworten würde.

Trotzdem wusste er keinen anderen Weg, sich ihr mitzuteilen, denn er hatte keine Ahnung, wie man sonst mit einer Taubstummen kommunizieren könnte. Da nickte sie zaghaft, was ihn verblüffte. Konnte sie ihn verstehen? War das Gerücht, sie wäre dumm, womöglich falsch?

„Gut“, sagte er und räusperte sich. „Ich bringe Nach-richt von deiner Familie.“

Ihre Augen ruhten auf seinen Lippen und als er ihre Familie erwähnte, hob sie ihren Blick und sah ihn fragend an. Wieder nickte sie. Wie es aussah, hatte sie sich so weit gefasst, dass er nicht damit rechnen musste, sie würde im nächsten Augenblick zu fliehen versuchen.

Dessen ungeachtet fragte er sich, wie wohl ein Mädchen, das vor seiner Familie geflohen war, reagierte, wenn es von deren Tod erführe. Einerlei. Er würde es in wenigen Sekunden wissen.

„Sie erlagen vor wenigen Wochen den Pocken. Allesamt.“

Dorothy blinzelte und starrte weiterhin auf seine Lippen. Wartete, ob er noch etwas sagen würde. Dann runzelte sie die Stirn, suchte erneut seinen Blick.

„Hast du verstanden, Mädchen? Sie sind alle tot.“

Da zuckte sie etwas zusammen und machte einen Schritt zurück. Tränen glitzerten in ihren Augen, während sie ungläubig den Kopf schüttelte.

„Doch, du kannst mir glauben. Du bist die letzte lebende Carmichael und ich bin hier, um dich zurückzubringen.“

Verwirrt hob sie abwehrend eine Hand, als verstünde sie ihn nicht.

„Hör zu“, versuchte es Beaufort noch einmal, „ich sollte in einem Monat deine Schwester Sylvia heiraten. Dazu wird es, aus offensichtlichen Gründen, nun nicht mehr kommen. Deswegen wirst du ihren Platz einnehmen und meine Frau werden.“

Entsetzen blitzte in ihren Augen auf, und sie schüttelte wieder den Kopf. Diesmal wirkte sie überraschenderweise ein wenig stur.

„Natürlich wirst du das tun! Es ist deine Pflicht! Dein Vater wollte, dass ich seinen Titel und die Güter nach seinem Tod erbe. Es ist sein Wille, dass du mir angetraut wirst. Kannst du das verstehen?“

Wieder schüttelte sie den Kopf. Da riss ihm der Geduldsfaden und er umfasste ihr Handgelenk, noch bevor sie es ihm hätte entziehen können. Ein leiser Schrei löste sich von ihren Lippen, während ihr die Hitze seiner Hände unter die Haut drang.

Nein!, schrie alles in ihr, nein! Ich will das nicht! Bitte nicht!

Ohne auf ihren Widerstand zu achten, zog er sie mit sich. Mit Entsetzen bemerkte sie weitere Männer zwischen den Baumstämmen auf die Lichtung treten. Es war der reinste Albtraum!

„Hast du etwas, das du mitnehmen möchtest?“, fragte Beaufort, ihr wieder zugewandt.

Da nickte sie hektisch und er blieb stehen.

„Wo ist dein Zeug?“, wollte er ein wenig abfällig wissen.

Schnell deutete sie in eine Richtung und versuchte, ihn mit sich zu zerren. Er gab nach und ließ sich von ihr führen. Sie mussten nicht lange gehen, bis sie eine Behausung erreichten, die zwischen zwei Felsen errichtet worden war. Machte sie Scherze oder war dies wirklich ihr Heim der letzten Jahre gewesen? Er wollte sich nicht vorstellen, wie sehr sie im Winter gefroren haben musste.

Mit ihrer freien Hand schob Dorothy eine Decke beiseite, welche das Innere vom Wald abtrennte. Augenblicke später stand er in einem dunklen Raum, wenn man das überhaupt so nennen konnte. Ein kleines Feuer brannte innerhalb eines Steinkreises und als sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, bemerkte er eine weitere Person, welche auf einem provisorischen Bett aus Steinen und Brettern lag und sich langsam aufrichtete. Überrascht gab Beaufort Dorothy frei, die sich schnell über die Stelle rieb, an der er sie berührt hatte. Dann begann sie, mit ihren Händen zu gestikulieren, weshalb ihm Angst und Bange wurde. Sie sah wirklich wie eine Geistesgestörte aus!

„Wer sind Sie?“, fragte plötzlich eine müde Stimme, die wirkte, als hätte man sie seit Jahren nicht mehr benutzt.

„Thomas Beaufort“, erwiderte er knapp. „Ich bin hier, um Dorothy nach Hause zu bringen.“

Nach und nach konnte er die Konturen einer alten Frau ausmachen, deren Haar wirr um ihr Gesicht stand.

„Will sie das denn?“

Beaufort zuckte gleichgültig mit den Achseln.

„Das tut nichts zur Sache. Ich werde sie zu meiner Frau nehmen. Das ist vertraglich so vereinbart. Jetzt soll sie ihre Habseligkeiten zusammenpacken und mit mir kommen.“

Nun gestikulierte die Alte ebenfalls und als Antwort schüttelte Dorothy den Kopf.

„Sie will nicht.“

„Sie wird.“

Beaufort verschränkte die Arme vor der Brust und stellte sich breitbeinig vor den Ausgang. Da drehte sich Dorothy zu ihm und deutete auf die alte Frau.

„Hör sofort auf damit!“, herrschte er sie an. „Dieses Gefuchtel will ich niemals wieder sehen!“

Er konnte beobachten, wie sich der Ausdruck in ihren Augen veränderte. Sie sah ihn an, als würde sie nun kein Entgegenkommen mehr von seiner Seite erwarten und als wäre ihre Hoffnung, auf was auch immer, vernichtet.

„Sie möchte mich mitnehmen“, erklärte da die alte Frau.

„Unter keinen Umständen! Ich sprach von Dingen, nicht von Menschen!“

Da wirbelte Dorothy zu der alten Frau herum und stürzte zu ihr. Vor ihr ließ sie sich auf die Knie herab und schlang die Arme um ihren Hals. Dabei schüttelte sie immer wieder den Kopf. Die Alte drückte sie ein wenig von sich weg, griff nach ihrem Kinn und musterte sie streng.

„Du musst dir um mich keine Sorgen machen, Liebes. Du weißt, dass ich gut allein zurechtkomme.“

Wieder Gesten und die Bettlägrige schüttelte den Kopf, während sie Dorothy sanft eine Haarsträhne aus der Stirn strich.

„Doch, ich werde wieder gesund“, versprach sie. „Und nun geh mit ihm! Soweit ich das beurteilen kann, gehörst du ihm.“

Verzweifelt schüttelte Dorothy den Kopf und Beaufort fühlte seine Geduld schwinden. Er machte einen Schritt auf die junge Frau zu und diese klammerte sich noch fester an die Alte.

„Geh mit ihm“, beschwor die Alte das Mädchen, ohne einen Ton zu sagen, aber mit der Bewegung ihrer Lippen. „Er mag zwar streng erscheinen, doch er hat gute Augen. Du musst keine Angst haben.“

Da begann Dorothy bitterlich zu weinen und schüttelte verzweifelt den Kopf. Als Beaufort sie an den Oberarmen packte und in die Höhe zog, begann sie zu schreien. Es kreischte derart schmerzhaft in seinen Ohren, dass er sie losließ und einen Schritt nach hinten machte.

„Herrgott, was ist das?“

„Sie schreit und wenn sie das tut, macht sie es laut und unmelodiös. Deshalb sollte man es sich gut überlegen, bevor man sie derart aus der Fassung bringt.“

„Vielen Dank für den Hinweis“, meinte Beaufort ungerührt, packte Dorothy von hinten und hielt ihr mit einer Hand den Mund zu.

Als er sie hochhob, zappelte sie außer sich.

„Seid gut zu ihr“, bat die alte Frau, während er den Vorhang zur Seite schob. „Sie ist ein wirklich liebes Mädchen.“

Beaufort warf nicht einmal mehr einen Blick zu der Alten, sondern verließ den Verschlag, darauf konzentriert, nicht die Kontrolle über Dorothy zu verlieren. Diese machte allerdings nicht den Eindruck, als wollte sie jemals damit aufhören, sich ihm zu widersetzen.

Keiner seiner Männer wagte etwas zu sagen, als er wutschnaubend zu ihnen zurückkehrte. Ohne ein Wort zu verlieren, hob er Dorothy vor dem Sattel auf den Ansatz des Pferdehalses, die sich sofort wieder auf den Boden fallen lassen wollte. Doch einer seiner Männer hinderte sie daran, während sich Beaufort hinter ihr in den Sattel schwang und einen Arm um ihre Taille legte. Mittlerweile hatte sie zu schreien aufgehört, doch Tränen sprudelten ununterbrochen über ihre Wangen.

„Du kannst schreien, so viel du willst, doch wird es meine Meinung nicht ändern. Du kommst mit mir!“, murmelte er ihr ins Ohr, wohl wissend, dass sie ihn nicht hörte.

Im nächsten Moment setzte sich sein Pferd in Bewegung und ihr Kopf streifte seine Schulter. Als er kurz auf das verwahrloste Mädchen hinunterblickte, fragte er sich, ob es der ganze Reichtum wert war, sich an eine Frau wie sie zu binden.

Dorothy meinte, von Panik überwältigt zu werden. Die Nachricht vom Tod ihrer Familie hatte sie erschüttert und sich wie eine dunkle Wolke über sie gelegt. Doch Susan krank in ihrem Verschlag zurücklassen zu müssen, brachte Dorothy schier um den Verstand. Wie sollte die geliebte Frau auch nur eine Woche ohne sie überleben? Sie war alt und krank! In all den Jahren hatte sie sich wie eine Mutter um Dorothy gekümmert und jetzt, da sie auf Hilfe angewiesen war, brachte man ihre einzige Unterstützung von ihr fort.

„Bättä!“, schluchzte sie leise und hoffte, dass der Mann hinter ihr verstand, was sie zu sagen versuchte. „Bättä! Bättä!“

Doch er reagierte nicht, trieb sogar sein Pferd noch mehr an, was ihre Angst vermehrte. Dies war der erste Ritt ihres Lebens und sie befürchtete, von dem hohen Tier zu fallen. Panisch schlang sie ihre Arme um Beauforts Rumpf und krallte ihre Finger in sein Jackett. Plötzlich packte er sie fester, beugte sich vor und drängte sie so tief, dass sie fast auf dem Pferdehals zu liegen kam. Sie riss ihre Augen weit auf, als sie nur knapp unterhalb eines tiefhängenden Astes hindurchjagten. Entsetzt krallte sie sich nun mit einer Hand an seinem Kragen und Jackett fest und barg mit zusammen-gepressten Augen ihr Gesicht an seiner Brust, während er sich wieder aufrichtete und sie dabei mit sich zog. Schützend schlang er seinen Arm fester um sie und senkte gleichzeitig seinen forschenden Blick auf sie, nur um sich im nächsten Augenblick wieder auf den Weg vor sich zu konzentrieren. Nun war sie ihm so nah, dass er das Zittern ihres Leibes verspürte. Wenn er sich nicht sicher gewesen wäre, dass ihr Verstand nicht größer als der eines Tieres war, hätte er angenommen, sie würde ihre Situation tatsächlich erfassen. Doch aufgrund des offensichtlichen Mangels an Gehör und Sprache, somit also auch an Verstand, war seine Beobachtung wohl ein Irrtum. Wahrscheinlich hatte er bis zu diesem Augenblick heimlich gehofft, sie wäre trotz ihrer Einschränkung eine normal handelnde Frau. Er musste sich sofort verbieten, solchen träumerischen Gedanken nachzuhängen!

Durch den Stoff seines Kragens fühlte er deutlich, wie kalt ihre Finger trotz der spätsommerlichen Temperaturen waren. Sie war so dünn, dass ihn ihr Frieren nicht wunderte. Deshalb zügelte er sein Pferd, entledigte sich seiner Jacke und hielt sie ihr auffordernd hin. Überrascht studierte sie seine Gesichtszüge und als er nickte, griff sie schnell danach und schlüpfte hinein. Dann setzten sie ihren Ritt fort.

Während der nächsten Stunden bewegte sich Dorothy kaum und Beaufort fragte sich, ob sie in dieser Haltung erstarrt war. Als er und seine Männer vor einem Gasthof ihre Pferde zügelten, hob sie zögernd den Kopf und ließ die Augen über ihre Umgebung schweifen, während sie die Hand von ihm löste und ihn schließlich direkt fragend ansah.

„Wir werden hier übernachten, da wir noch einen halben Tagesritt von Somerset Abbey entfernt sind“, erklärte er, schwang sein Bein über den Sattel und sprang zu Boden, wobei sie fast das Gleichgewicht verlor.

Schnell streckte er seine Arme nach ihr aus, um ihr Stabilität zu geben. Als ihre Füße den Boden berührten, schwankte sie erschöpft, verzog aufgrund ihrer schmerzenden Kehrseite das Gesicht und schlang die Arme hilflos um ihren Oberkörper. Dabei senkte sie ihr Haupt und starrte auf ihre nackten Zehen. Seine Jacke hing an ihr wie ein übergroßer Mantel. Ihr Anblick war kaum zu ertragen und er wusste, dass er heute tief in die Tasche würde greifen müssen, um eine Schar Dienerinnen dafür zu bezahlen, sich ihrer anzunehmen und sie in einen präsentablen Zustand zu verwandeln. Auch hoffte er, eine Magd zu finden, die dazu bereit war, ihm ihr bestes Kleid zu verkaufen. Um diese Angelegenheit sollte sich sein persönlicher Diener kümmern. Er betraute seine Männer mit ihren Aufgaben, dann griff Beaufort nach Dorothys Arm und zog sie mit sich. Willenlos ließ sie sich von ihm ins Innere führen, wartete zusammengesunken in der Schankstube bis er mit dem Wirt einig geworden war, um dann neben ihm die Treppen in den zweiten Stock empor zu steigen.

Außer auf dem Anwesen ihrer Eltern war die junge Frau noch niemals in einem Haus dieser Größe gewesen. Mit bebendem Herzen fragte sich Dorothy, was nun auf sie zukommen würde. Was wollte dieser Mann nun mit ihr anstellen? Sie schlagen? Oder ihr diese schrecklichen Zangen in den Mund stoßen?

Als Beaufort eine Tür aufstieß, Dorothy nach innen schob und diese wieder hinter ihnen schloss, steigerte sich ihre Angst ins Unermessliche. Fest presste sie die Augen zusammen und barg ihr Antlitz hinter ihren Händen, von denen nur die Fingerspitzen aus den Jackenärmeln hervorblitzten. Da fühlte sie eine Berührung und schrie erschrocken auf, während sie gleichzeitig einen Satz nach hinten machte. Dabei knallte sie mit einer Seite ihrer Hüfte hart gegen einen schweren Tisch und sie wimmerte vor Schmerz. Dann riss sie die Augen auf und bemerkte, dass sie der Mann, der sie entführt hatte, mit gerunzelter Stirn beobachtete. Er wirkte tatsächlich ein wenig überfordert.

„Es werden gleich ein paar Dienerinnen kommen“, erklärte er schließlich. „Ich möchte, dass du dich ihnen fügst.“

Fügen? Was meinte er damit?

Als er Ratlosigkeit in ihrem Gesicht erkannte, seufzte er. Natürlich. Wie hatte er auch nur annehmen können, dass sie irgendetwas von dem verstand, was er ihr mitteilte?

„Sie werden dich baden, deine Haare kämmen – du bekommst sogar ein neues Kleid.“

Bei seinen Worten strichen ihre Hände unwillkürlich über ihre Hüften, als könnte sie sich daran erinnern, wie es war, nicht so dreckig zu sein. Dann glitt ihr Blick forschend zum Fenster und wieder zu ihm zurück. Beaufort verengte seine Augen misstrauisch. Sie wirkte viel zu bereitwillig und er meinte, sie hecke einen Plan aus, was natürlich unmöglich war.

Plötzlich trat sie zu ihm, umfasste ihn mit beiden Händen am Oberarm und schob ihn in Richtung Tür. Als ihm bewusst wurde, was sie plante, lehnte er sich gegen sie und es war ihr unmöglich, ihn noch eine Handbreit weiterzubewegen. Stattdessen löste er ihre Finger von seinem Arm und legte seine Hände auf ihre Schultern. Ihre Gegenwehr ignorierend, drängte er sie zum Fenster, öffnete es und deutete hinaus. Nervös warf Dorothy einen Blick ins Freie, nur um Beaufort im nächsten Moment mit großen Augen anzusehen.

„Denke nicht einmal daran zu fliehen“, riet er ihr eindringlich. „Wie du sehen kannst, stehen meine Männer überall bereit. Im Hof vor deinem Fenster, im Gang vor der Tür. Ich habe zu lange nach dir suchen müssen, um dich jetzt aus den Augen zu lassen.“

Er gab sie frei, schloss das Fenster und drehte sich wieder zu ihr. Ihr Blick war von Kummer verhangen.

„Verstanden?“

Sie nickte hoffnungslos, wobei sie sich schon wieder von ihm abwandte. Da klopfte es an die Tür und auf seine Aufforderung hin, traten drei Dienstmägde ein.

„Gut“, sagte er, stupste Dorothy an, damit sie ihm noch einmal ihre Aufmerksamkeit schenkte. „Wenn du fertig bist, werden wir gemeinsam Abendessen. Sei nun brav!“

Sei brav. Wie lange war es her, seit jemand diese Worte das letzte Mal an sie gerichtet hatte? Heute wie damals fragte sie sich, was damit eigentlich gemeint war. Brav sein. Bedeutete es, man war schlimm, weil man eine eigene Meinung hatte oder etwas anders machen wollte, als derjenige, der einem befahl?

Als Hände nach ihrem Kleid griffen, fuhr sie zusammen und kehrte in die Gegenwart zurück. Wie sie sofort erkennen konnte, war ihr Entführer gegangen. Sehr gut!

Ohne Widerstand zu leisten, ließ sie es zu, dass man sie entkleidete und in einen mit warmem Wasser gefüllten Bottich setzte. Sie ertrug mit stoischer Miene, wie ihre Haare gewaschen und gekämmt wurden – letzteres war überaus schmerzhaft. Da, wo die Bürste versagte, griff man zur Schere und kürzte die Strähnen.

Als sie eine lange Weile später nackt im Zimmer stand und darauf wartete, in ein neues Kleid schlüpfen zu können, stellte sie fest, dass ihr Haar nicht mehr bis zum Ansatz ihres Pos reichte, sondern mindestens zwei Handbreit kürzer war. Dorothy zuckte mit den Achseln und bewegte sich nicht, als man das Kleid zuknöpfte. Dann wartete sie sehnsüchtig darauf, dass die Dienerinnen gingen und sie endlich allein war. Sie brauchte dringend ein paar Minuten Ruhe, um nachdenken zu können! Denn es musste einen Weg geben, um zu entkommen! Auch wenn es Tage dauern würde, um zu Susan zurückzukehren, sie würde den Marsch auf sich nehmen! Sie wollte sich nicht damit abfinden, der Frau, die wie eine Mutter für sie war, nicht helfen zu können und sie ihrem sicheren Tod zu überlassen.

Nachdenklich glitten ihre Augen zu dem wuchtigen Schrank, der an einer Wand stand. Ohne länger darüber nachzudenken, griff sie nach der Decke, die auf dem Bett lag, stürzte zu dem Möbel, riss eine Tür auf und glitt ins Innere. Schnell zog sie die Tür hinter sich zu und ließ sich auf den Boden sinken. Dann zog sie die Decke über sich, rollte sich zusammen, wobei sie sich so klein wie möglich machte und hoffte, dass ihr Entführer sie hier nicht suchen würde. Vielleicht wäre er von ihrem Verschwinden so überrascht, dass er sofort aus dem Zimmer stürmte, das Haus und den Hof durchkämmte und schließlich mit dem Pferd ihre Verfolgung aufnahm. In der Zwischenzeit, so dachte sie, könnte sie sich dann heimlich davonstehlen und so lange in der Nähe verstecken, bis sie sicher war, dass der Mann die Suche aufgegeben hatte.

Dorothy war es gewohnt, hart zu liegen und sie kuschelte sich behaglich in die Wärme der Decke. Gähnend schloss sie die Augen und wartete darauf, das Vibrieren seiner Schritte zu spüren. Konzentriert lauschte sie mit all ihren intakten Sinnen auf mögliche Bewegungen im Zimmer. Doch war sie so müde, dass sie nicht einmal bemerkte, wie sie von tiefem Schlummer übermannt wurde.

Das Zeichen seiner Liebe

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