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Vorwort

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Ein Bild kam mir in den Sinn, als ich überlegte, wie ich das Buch, das Sie jetzt in der Hand haben, vorstellen soll. Es ist das Bild einer Zen-Bogenschützin, die sich in alle Ruhe so lange auf das Ziel fokussiert, ohne jede unnötige Bewegung, ohne jeden überflüssigen, ablenkenden Gedanken, bis das Ziel klar anvisiert ist. Der Pfeil wird losgelassen, er fliegt gerade und trifft die Zielscheibe direkt in der Mitte. Im Bild herrscht die Stille des Wesentlichen, eine Schlichtheit, eine Mühelosigkeit, eine Konzentriertheit.

Sich auf das Wesentliche bei einem so komplexen Thema wie Klimawandel zu konzentrieren, ist beachtenswert. Manche Menschen verharmlosen die Gefahr. Sie erinnern daran, dass es immer wieder Klimaänderungen auf Erden gegeben hat. Und sie plädieren für die unreflektierte Fortsetzung des bekannten Handelns, als wäre es unnötig, irgendetwas zu tun, als wären die spürbaren Klimaänderungen natürlich. Sie laden zu Verleugnung und Resignation ein.

Die Zielscheibe hier ist aber nicht die natürliche Klimaänderung, sondern die anthropogene Klimaänderung: Der Klimawandel, der von Menschen verursacht wird. Wie der Titel des Buches andeutet, ist der Fokus die Menschlichkeit.

Viele Bücher, Vorträge und Podcasts beschreiben die katastrophalen Konsequenzen unseres Umgangs mit der Erde und mahnen uns zum Handeln. Sie erinnern daran, dass wir Menschen den eigenen Lebensraum Planet Erde zerstören. Auch hier ist die Zielscheibe nicht menschliche Zerstörung an sich. Zerstörung ist menschlich und dient dem Leben — wir leben, weil die Verdauung unsere Nahrungsmittel zerstört und das Immunsystem zerstört Krankheitserreger. Die Zielscheibe ist die ausgeblendete Zerstörung, die dem Leben nicht dient.

Zerstörung und Menschlichkeit beschäftigt sich mit dem gelernten Ausblenden unserer lebensfeindlichen Zerstörung und damit, wie wir lernen können wahrzuhaben, was wir tun.

Wie ist es überhaupt möglich, dass Menschen die Konsequenzen des eigenen Handelns ausblenden können? Ist das Ausblenden-Können von Genetik und der Evolution fixiert, fest bestimmt, oder ist es etwas Gelerntes, von Kultur und Familie Geprägtes? Hier wird argumentiert, dass ein wesentlicher Teil davon gelernt ist. Wir lernen fünf Menschen kennen, die beweisen, dass das Gelernte wieder umgelernt werden kann.

Es mag zuerst vereinfacht und vielleicht oberflächlich erscheinen, dass wir Menschen zu Problemen wie dem anthropogenen Klimawandel mit persönlicher Arbeit an unserem Selbst etwas beitragen können. Dieser Eindruck täuscht.

Denn noch viel mehr gilt: Diese Arbeit an sich selbst stellt eine fundamentale Voraussetzung für die Bewältigung unserer zerstörerischen Wirkung auf die Erde und für unsere Mitbewohner dar. In Menschlichkeit und Zerstörung werden wir eingeladen, uns daran zu erinnern, was das menschliche Potenzial im Guten und im Bösen bewirkt hat. Die uns erhebende Kunst und beseelende Musik, die unzähligen Taten von Generosität, Liebe und Güte, aber auch die Gräueltaten, Vernichtung, Gier und Geiz. Beide Seiten gehören in vollem Umfang zu unserer Menschlichkeit.

Karin Pixner vertritt die Position, dass beide Potenziale menschlich sind.

Aus psychotherapeutischer Sicht sind wir alle als Fötus, Baby und Kinder Reizen ausgesetzt, die wir noch nicht selbst regulieren können. Und die einzige Möglichkeit, damit umzugehen, ist, zu lernen sie auszublenden. Psychologen sprechen von Kindheitstrauma oder Entwicklungstrauma oder Spaltungen. Wir überleben die Kindheit, weil wir lernen, als Kinder Dinge auszublenden, mit denen wir noch nicht umgehen können.

Der angebotene Entwicklungsweg in Menschlichkeit und Zerstörung ist, zu erkennen, dass weder Zerstörung noch Aggression an sich negativ sind. Zerstörung gehört zum Sein, genau wie die Liebe und Wertschätzung von Vertrautem.

Wie das Bild von der Bogenschützin zeigt, bin ich von der Schlichtheit und dem fehlenden Prätentiösen des Buches beeindruckt. Statt apodiktischer Aussagen werden im besten Sinne des Wortes »simple« Fragen angeboten. Fragen, die zum Selbst-Reflektieren einladen. Statt von übergroßen theoretischen Themen und Forschungen zu reden, werden uns fünf Menschen vorgestellt, die uns einladen, ein Stück ihres Entwicklungsweges mitzugehen. Statt als Autorität von oben herab zu uns zu sprechen, lässt die Autorin uns auf äußerst diskrete Art an ihrem eigenen Weg teilhaben. So entsteht das Gefühl: »Wir sitzen alle im selben Boot«.

Wie gut wirkt es, zu erfahren, dass es andere Menschen gibt, die sich mit den eigenen Schwierigkeiten und Herausforderungen im Leben auseinandergesetzt haben und dabei auch weitergekommen sind.

Das Buch »Small is Beautiful« von E. F. Schumacher kommt hier in den Sinn. Die Ästhetik von Menschlichkeit und Zerstörung liegt in dieser Tradition, das Wesentliche auf ein Minimum zu reduzieren und dabei das Wesentliche zu vermitteln. So ist es Karin Pixner gut gelungen, die großen Fragen, wie z. B. die des Umganges mit der Umweltzerstörung, auf etwas Erlernbares und Entwickelbares zu reduzieren.

Wird es genügen, um die Klimakrise zu stoppen, wenn einzelne Menschen lernen, ihre internen Spaltungen zu integrieren? Das alleine wahrscheinlich nicht. Aber kann die Krise gestoppt werden, so lange so viele Menschen die eigene Destruktivität abspalten und verleugnen?

Das Bemerkenswerte an diesem Buch ist, dass die ganz großen Fragen als machbare Schritte für jedermann angeboten werden, ohne die Größe des Themas zu verharmlosen.

Das Machbare ist schön.

Dr. Hunter Beaumont, Juli 2021

Menschlichkeit und Zerstörung

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