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Zerstörung

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Wir Menschen sind eine Spezies, die derzeit wie der schicksalhafte Meteoriten-Einschlag lebewesen-mörderisch und klima-zerstörerisch agiert. Wir sind sozusagen selbst die Umweltkatastrophe für die meisten Lebewesen auf Erden, sowie für uns selbst.

Derzeit haben wir uns an die alltägliche Zerstörung gewöhnt. Die meisten sehen nicht die Auswirkungen, die wir bereits in den Wäldern, unter den Vögeln und Insekten erleben könnten. Viele Menschen auf der Erde fühlen sich aufgrund ihrer und meiner Lebensweise genötigt, ihre Heimat und Familie zu verlassen. Sie nehmen eine hoch gefährliche Flucht in Kauf, um in einem anderen Land eine grundlegende Existenzmöglichkeit zu finden. In den meisten Stunden des Tages entgleitet mir das Bewusstsein, dass unsere Lebensweise in Verbindung steht mit diesen Schicksalen.

Meine Eltern waren zur Zeit des zweiten Weltkrieges Kinder. Mein Vater musste mit seiner Familie fliehen, meine Mutter verbrachte mit anderen verängstigten Kindern und Müttern ein Jahr auf einem Berg. Ihre Kindheit erlebten sie mit all den kriegstraumatisierten Erwachsenen, die sich um das Überleben kümmerten. Lebensqualität, Beziehungsqualität, Intimität, seelische Wünsche und Bedürfnisse, Gesehen-, Gewertschätzt-, Gehört-Werden, authentisch werden, wer man wirklich ist — für all das waren verständlicherweise weder Aufmerksamkeitskapazitäten noch innere, seelische Möglichkeiten vorhanden. Wenn das Überleben bedroht ist, konzentriert sich alle Aufmerksamkeit auf das Lebensnotwendige, das Existenzielle.

Generationen wie die meiner Eltern oder meiner Großeltern wissen aus Erfahrung, was Lebensfeindseligkeit, Zerstörung und Grausamkeit bedeutet.

Für uns nachfolgende Generationen ist diese Realität sehr weit weg und kaum vorstellbar. Wir haben uns an ein Leben gewöhnt, in dem es in der Hand eines jeden Einzelnen zu liegen scheint, was man daraus macht. Die Erfüllung von Wünschen scheint nur von der Durchführung eines jeden Einzelnen abhängig zu sein: Entweder führt das eigene Zutun zu dieser Erfüllung oder andernfalls »muss die innere Einstellung, die Art und Weise des Wünschens erlernt werden«. Schicksalhafte Einengungen können mit verschiedensten wunderbaren Therapiemethoden gelöst, gar aufgelöst werden. Die Errungenschaften von Traumatherapie, Psychotherapie, Körpertherapie, systemischer Familienaufstellung und vielem mehr lassen erscheinen, als ob Einschränkungen nur in der Vergangenheit liegen. Wir haben sie in der Gegenwart nur noch aufzuräumen. Dies macht den Weg frei für freie Selbst-Entfaltung, für die Erfüllung aller Wünsche. Und wenn wir dann »richtig« wünschen, geht es natürlich auch in Erfüllung. All diejenigen, denen das, genau wie mir, so nicht möglich ist, strengten sich vielleicht eine Weile an und erlebten sich als darin versagend.

Sie können sicher heraus lesen, dass ich diese Haltung als unangemessen erachte. Die Entwicklungen des Lebens, des Klimas, der Gesellschaft, der Zeitgeschichte, der politischen Gesinnung haben eine derart intensive und tiefe Auswirkung auf uns, dass wir nur bedingt unser eigenes Leben in unserer Hand autonom steuern. Wenn dem doch so erscheint, dann haben wir wunderbare stärkende Rückenwinde in den Segeln geschenkt bekommen, leben in einer speziellen Zeit, an einem privilegierten Ort. Ja, viele von uns haben auch viel für ihr Lebensglück getan. Doch dass dies auch wirklich aufgeht, ist wahrlich »unverdient« — es ist ein Geschenk, das wir uns nicht verdienen können.

Genauso unverdient ist es, wenn die globale Entwicklung anfängt, uns offensichtlich wieder stärker zu beeinflussen, einzuschränken, den Lebensstandard zu gefährden. Unsere Kinder, Enkel, Urenkel haben es ebenso nicht verdient, in einer Welt der Wasserknappheit, der Hitze, der Klimakatastrophen zu leben, wie unsere Eltern, Großeltern, Urgroßeltern es nicht verdient hatten, in einer Zeit der Kriegskatastrophen zu leben.

Wenn wir in dieser Art und Weise auf sieben Generationen — also auf Menschen, die zwischen 1910 und 2085 geboren sind und geboren werden — blicken, dann sehen wir, dass wir es auf unterschiedliche Weise mit Auswirkungen von Destruktivität zu tun haben. Wir könnten anfangen zu lernen, auf unterschiedliche Weise unserer Destruktivität des Lebens zu begegnen. Es ist aufgrund der existenziellen und bedrohenden Dimension der Destruktivität eine riesige Herausforderung, gemeinschaftlich klug und besonnen, konstruktiv und klar zu denken, zu fühlen, sprechen und zu handeln, um gute Lösungen zu finden.

An dieser Stelle möchte ich anmerken, dass natürlich nicht ausschließlich Destruktivität unser Leben beeinflusst. Viele wunderbare, inspirierende, konstruktive Bewegungen in all den Generationen haben sehr viele Menschen beeinflusst. Wunderbare Ideen und auch Umsetzungen für ein besseres, gesundes, nachhaltiges Leben sind entstanden. Viele Menschen setzen sich für ein lebensqualitatives Leben für alle ein.

Ich möchte mit meinen Ausführungen anerkennen, dass die unter uns Menschen wirkende Destruktivität nicht in der Form aufzulösen war und ist, wie wir uns das gewünscht haben in den letzten Jahrzehnten.

Wir können überwältigend Schönes in die Welt setzen.

Wir können übermenschlich Grausames erschaffen.

Dies sind zwei Arten und Weisen, wie wir an der Evolution, der Schöpfung mitwirken:

Mal Neues, Wunderbares erschaffend,

mal Bestehendes, Lebensgrundlagen sowie Lebensnotwendiges zerstörend.

Versuchen wir eine zerstörerische Seite unserer Spezies zu verleugnen, gerät sie noch mehr aus dem Ruder, weil niemand mehr sich verantwortlich fühlt für diese machtvolle Fähigkeit von uns.

Wir können anhand der persönlichen Destruktivitäten und dem bewussten Umgang oder eben unbewussten Nicht-Umgang damit in unserem alltäglichen Leben sehen, welche Auswirkungen dies entfalten kann.

Für ein tieferes Verstehen möchte ich an dieser Stelle mit Ihnen einen kleinen Ausflug in die Dynamik von Destruktivität anhand persönlicher Lebensgeschichten machen.

Menschlichkeit und Zerstörung

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