Читать книгу Das Dorf Band 13: Schwamm drüber - Karl Olsberg - Страница 3

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1. Ein Topf Pilzsuppe

Stille herrscht im Dorf am Rand der Schlucht. Die Hammerschläge, die einst aus Porgos Schmiede erklangen, sind ebenso verstummt wie das Gackern der Hühner, die durch die Straßen liefen. Auch das Gebell des Wolfs Paul und das Fauchen der Katze Mina, wenn sie von ihm gejagt wurde, sind nicht mehr zu hören. Sogar die Streitereien der Dorfbewohner haben aufgehört. Nur hin und wieder hört man schlurfende Schritte, wenn einer der Dorfbewohner, begleitet von seinem persönlichen Golem, dem „großen Bruder“, ziellos die Dorfstraße entlangwandert, vom einen Ende zum anderen und wieder zurück. Denn nirgendwo sonst kann man noch hingehen, seit das Dorf von einer hohen Mauer umgeben ist.

„Antimonströser Schutzwall“ nennen die Golems dieses scheußliche Bauwerk aus grauem Stein. Sie behaupten, es diene nur der Sicherheit der Dorfbewohner. Doch Golina wünscht sich schon lange zurück in die Zeit, als man in der Dunkelheit noch Angst vor Nachtwandlern und Knochenmännern haben musste, die sich hin und wieder ins Dorf wagten. Damals herrschte zwar keine absolute Sicherheit, aber dafür lebten die Dorfbewohner in Freiheit. Gegen die Schrecken der Nacht schützten sie sich, indem sie in ihren Häusern blieben. Außerdem gab es Asimov, den Golem, der zwar oft schlecht gelaunt, aber längst nicht so aufdringlich war wie die großen Brüder, die nun jeden Dorfbewohner auf Schritt und Tritt verfolgen und bewachen. Und schließlich konnten Kolle mit seiner Nachtwandlerkraft und Golinas geliebter Primo, der offizielle Dorfbeschützer, gemeinsam auch die größten Gefahren bezwingen.

Alle bis auf die Letzte jedenfalls. Als ein Riesenschleim das Dorf angriff, ging Primos Versuch, ihn mit TNT auf den Mond zu schießen, gründlich schief. Der Schleim explodierte in tausend Stücke, die wiederum zu wachsen begannen, so dass das Problem nur noch schlimmer wurde.

Als letzte Rettung blieb nur noch Asimov. Doch als Golina ihm den Befehl gab, Primo, Kolle und den alten Lausius zu retten, egal, was dazu nötig war, ahnte sie nicht, welche Konsequenzen diese Anweisung haben würde. Denn der Golem schuf noch mehr Golems, die wiederum selber neue Golems bauten, mit dem Ergebnis, dass es nun mehrere hundert von ihnen gibt. Asimov selbst machte dabei etwas, das der alte Lausius einen System-Reset nannte. Dadurch wurde sein Gedächtnis gelöscht, und mit ihm auch die drei Golemregeln, die ihn zuvor zwangen, zu tun, was die Dorfbewohner von ihm verlangten, solange es ihnen nicht schadete. Aus Asimov wurde Nummer Null, und die drei Regeln wurden durch eine einzige ersetzt: „Beschütze die Dorfbewohner“.

Dass diese einfache und auf den ersten Blick sinnvolle Regel dazu führen würde, dass die Dorfbewohner ihre Freiheit verlieren und wie Gefangene unter ständiger Aufsicht ihrer großen Brüder stehen würden, hätte wohl niemand voraussehen können.

Immerhin hat Golina mit ihrem Befehl ihr eigentliches Ziel erreicht: Primo, Kolle und Lausius wurden gerettet und das Dorf vom Schleim befreit. Doch nachdem Primo aus dem Dorf entkam und versuchte, Nummer Null davon zu überzeugen, dass die Mauer wieder abgerissen werden sollte, hat sie nichts mehr von ihm gehört. Auf alle diesbezüglichen Fragen an ihren Golem erhält sie immer nur dieselbe Antwort: „Primo befindet sich in Sicherheitsverwahrung. Wann diese aufgehoben wird, entscheidet Nummer Null. Dies dient der Sicherheit.“

Traurig rührt sie in dem Topf mit Pilzsuppe, die sie zum Mittagessen kocht. Was für einen Sinn hat das Leben, wenn sie ihren geliebten Primo nicht wiedersehen kann? Manchmal möchte sie vor Verzweiflung nur den ganzen Tag im Bett liegen und weinen. Doch sie darf die Hoffnung nicht aufgeben und muss stark sein, wenn schon nicht für sich selbst, dann für Nano.

„Wann kommt Papa zurück?“, fragt er jeden Morgen, jeden Mittag und jeden Abend.

Alles, was Golina darauf antworten kann, ist „bald“.

„Wie bald?“, will Nano dann jedes Mal wissen.

„Ich weiß es nicht genau“, ist Golinas Standardantwort. „Aber es dauert bestimmt nicht mehr lange. Und jetzt iss deine Pilzsuppe!“

Nano gehorcht. Seit Primo weg ist, isst er seine Pilzsuppe ohne Murren. Doch das ist für Golina kein Grund zur Freude. Es scheint, als habe auch er alle Lebensfreude verloren, und es sei ihm völlig egal, was er isst.

Früher hatte sie Spaß am Kochen und hat mit verschiedensten Kochrezepten experimentiert: Hühnchen mit Pilzen, Apfelkuchen mit Pilzen und sogar Pilzragout mit Pilzen. Doch in letzter Zeit hat sie einfach keine Lust mehr dazu. Und obwohl ihr Golem ihr auf Wunsch alles bringt, was sie möchte, kocht sie einfach nur immer die gleiche Pilzsuppe.

Golina hört auf, in der Suppe zu rühren. Ein paar Tränen tropfen hinein und machen die ohnehin schon fade braune Brühe noch wässriger. Plötzlich nimmt sie den Suppentopf und wirft ihn wütend aus dem Fenster, so dass er gegen die Mauer prallt und Pilzsuppe in alle Richtungen spritzt.

„Ich will nicht mehr auf diese verdammte Mauer starren!“, schreit sie. „Ich will meinen Primo wiederhaben!“

Sofort entsteht draußen vor dem Haus Aufregung. Golinas großer Bruder, der Golem mit der Nummer Zweiundvierzig, schlägt lautstark Alarm: „Ein Angriff auf den Antimonströsen Schutzwall wurde durchgeführt!“

Zwei Golems eilen herbei. Einer spritzt Wasser aus einem Eimer gegen die Mauer, so dass die Pilzsuppe weggespült wird, während der andere untersucht, ob die Mauer beschädigt wurde.

Schließlich kommt ein weiterer Golem hinzu. Da sich die metallenen Kolosse äußerlich nicht unterscheiden, merkt Golina erst, um wen es sich handelt, als er zu sprechen beginnt: „Was ist hier los, Zweiundvierzig?“

„Mein Schützling hat einen Topf Pilzsuppe gegen den Antimonströsen Schutzwall geschleudert, Nummer Null“, berichtet Golinas großer Bruder.

„Warum wurde das nicht verhindert?“

„Ich hatte keinen Zugriff, da sie sich im Inneren des Hauses befand.“

„Nehmt dieses Individuum in Sicherheitsverwahrung. Und dann postiert ihr vor jedem Fenster eine Wache, die permanent in jedes Haus hineinsieht und die Bewohner genau beobachtet, so dass uns nichts entgeht und uns ein solcher Fehler nicht noch einmal unterläuft!“

„Jawohl, Nummer Null.“

Golina erschrickt. Sicherheitsverwahrung, das bedeutet bestimmt, dass sie in irgendeinen Raum gesperrt wird. Doch dann fällt ihr ein, dass Primo ebenfalls in Sicherheitsverwahrung ist. Vielleicht kann sie ihn auf diese Weise endlich wiedersehen! Andererseits, wenn sie eingesperrt wird, kann sie sich nicht um Nano kümmern.

Ihr kommt eine Idee.

„Nano, wirf einen Teller mit Suppe gegen deinen großen Bruder!“, ruft sie. „Schnell!“

„Aber ich hab doch noch gar keine Suppe bekommen.“

„Dann wirf eben den leeren Teller. Nun mach schon!“

„Warum denn?“

„Damit du bei mir bleiben kannst, wenn ich in Sicherheitsverwahrung komme.“

Nano nimmt den Teller, der vor ihm auf dem Tisch steht, und schleudert ihn aus dem Fenster. Durch die Armbewegung erhält der Teller eine Drehung und segelt erstaunlich elegant auf einer gekrümmten Flugbahn, bis er Nummer Null am Kopf trifft.

„Alarm!“, ruft der Golem. „Ein hinterhältiger terroristischer Angriff auf die Sicherheitskräfte! Sofort den Täter ermitteln und in Sicherheitsgewahrsam nehmen!“

Golina tritt mit Nano vor die Tür.

„Ich war das!“, sagt ihr Sohn stolz.

„Bringt sie in den Hochsicherheitstrakt!“, ruft Nummer Null, dessen rote Augen böse funkeln.

Golina und Nano werden von ihren großen Brüdern zu der einzigen Tür in der Mauer eskortiert, die von zwei weiteren Golems bewacht wird.

„Dorfbewohnern ist das Verlassen des Dorfs verboten“, sagt einer der beiden.

„Mach auf, Einundachtzig“, erwidert Golinas großer Bruder. „Wir bringen die beiden in Sicherheitsverwahrung.“

Der Golem öffnet die Tür und tritt zur Seite, und zum ersten Mal seit vielen Tagen sieht Golina wieder die Welt auf der anderen Seite der Mauer. Die Tür führt auf die Wiese neben der Schlucht. Eine schwarze Stelle im Gras ist zu sehen, wo vor einigen Wochen der Tisch mit den Geburtstagsgeschenken stand, die sich die Dorfbewohner gegenseitig schenken wollten. Durch eine Unachtsamkeit von Priester Magolus explodierte tragischerweise das Überraschungsfeuerwerk, das die Hexe Ruuna vorbereitet hatte, und die Geschenke verbrannten ebenso wie die Bibliothek.

Neben der Schlucht ragt eine Reihe von würfelförmigen Gebäuden aus Metall auf. Jedes hat eine Tür aus Metall, jedoch keine Fenster. Golinas Herz sinkt, als sie begreift, dass genügend dieser Gebäude vorhanden sind, um jeden Dorfbewohner einzeln einzusperren. Ihre Hoffnung, dass sie mit Primo zusammen sein kann, wird sich also nicht erfüllen.

„Los, weiter!“, sagt Nummer Zweiundvierzig unfreundlich und schubst Golina vorwärts.

Sie macht einen Schritt, stolpert über etwas, das am Boden liegt, und schlägt hin.

„Hast du eine Fehlfunktion, Zweiundvierzig?“, ruft Nanos großer Bruder, der die Nummer Neunzehn trägt. „Du kannst doch die Dorfbewohnerin nicht umwerfen! Sie könnte sich dabei verletzen!“

„Führe Systemüberprüfung durch“, erwidert Zweiundvierzig. „Resultat negativ. Keine Fehlfunktion gefunden. Ich habe das Individuum nicht umgeworfen. Sie ist gestolpert.“

Während die beiden reden, rappelt sich Golina auf. Dabei berührt sie mit der Hand etwas Weiches. Merkwürdig: Es fühlt sich so an, als läge dort ein Stück Stoff. Es muss der Grund dafür sein, dass sie hingefallen ist. Doch es ist nichts zu sehen!

Sie hebt den unsichtbaren Stoff auf, während sie aufsteht.

„Bist du verletzt?“, fragt ihr großer Bruder.

„Negativ“, antwortet Golina. „Ich meine, nein.“

Während sie weiter auf die Metallhäuser zugehen, betastet Golina den merkwürdigen Stoff in ihrer Hand. Er fühlt sich an wie ein Kleid. Aber wieso kann sie es nicht sehen?

„Golina!“, ruft plötzlich eine vertraute Stimme.

„Primo!“, erwidert sie überglücklich. „Wo bist du?“

„Ruhe!“, kommandiert Nummer Zweiundvierzig. „Den Sicherheitsverwahrten ist das Sprechen untereinander verboten!“

Primo ignoriert die Anweisung. „Wie geht es dir, Golina? Und wie geht es Nano?“

„Uns geht es gut“, erwidert Golina. „Na ja, einigermaßen jedenfalls. Das Leben im Dorf ist ...“

Weiter kommt sie nicht, denn ihr großer Bruder packt sie und hält ihr mit einem metallenen Arm den Mund zu.

„Lass meine Mama los!“, schreit Nano, doch das führt nur dazu, dass auch er gepackt und zum Schweigen gebracht wird. Schließlich werden sie in zwei der Häuser gebracht, die am anderen Ende der Reihe liegen, so weit wie möglich entfernt von Primo.

„Los, rein da!“, sagt Nummer Zweiundvierzig und stößt Golina in den metallenen Raum.

Krachend fällt hinter ihr die Tür ins Schloss.

Das Dorf Band 13: Schwamm drüber

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