Читать книгу Das Dorf Band 13: Schwamm drüber - Karl Olsberg - Страница 6

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4. Die Mauer muss weg

Die Sonne geht bereits auf, als Primo, Willert und Ruuna zur Hütte zurückkehren. Sie haben den ganzen Wald abgesucht, doch keine Spur von Golina und Nano gefunden. Auch Paul, der Wolf, konnte diesmal nicht helfen.

„Hoffentlich ist ihnen nichts passiert!“, sagt Primo voller Sorge.

„Ach was“, meint Ruuna. „Golina ist schließlich eine Frau.“

„Was hat das denn damit zu tun?“, fragt Willert.

„Frauen sind nun mal vernünftiger“, behauptet Ruuna. Als Willert sie nur schweigend mit hochgezogener Augenbraue ansieht, fragt sie: „Was denn? Stimmt das etwa nicht?“

Primo zieht es vor, sich in diese Diskussion nicht einzumischen.

„Was machen wir denn jetzt?“, fragt Willert.

„Frühstücken!“, antwortet Ruuna und stellt frisches Brot und Pilzsuppe auf den Tisch.

Primo hat nicht viel Appetit, isst aber trotzdem etwas. Währenddessen denkt er darüber nach, wie sie sich aus der hoffnungslosen Lage, in die sie geraten sind, befreien könnten. Doch ihm fällt nichts ein.

„Wir müssen die anderen Dorfbewohner befreien“, meint Willert. „Wir könnten zum Beispiel einen Tunnel unter der Mauer hindurch graben, der in einem der Häuser endet. Dann könnten die anderen dadurch entkommen. Wenn die Golems das Dorf unbewohnbar machen, dann müssen wir eben woanders ein neues Dorf bauen.“

„Au ja“, sagt Ruuna. „Mit einer doppelt so großen Kreisbahn!“

„Ich fürchte, das wird nicht funktionieren“, widerspricht Primo. „Die Golems wollen uns Dorfbewohner beschützen, ob es uns gefällt oder nicht. Sie werden uns überall hin folgen. Und es steht zu befürchten, dass es immer mehr werden. Nummer Null hat etwas von einer Produktionsstätte gesagt, und wenn ich mich nicht täusche, dann werden dort noch mehr Golems hergestellt.“

„Aber es muss doch irgendeine Möglichkeit geben, der Golem-Plage Herr zu werden!“

„Klar gibt es die“, sagt Ruuna.

Primo und Willert drehen sich überrascht zu ihr um.

„Ach ja?“, fragt Primo. „Welche denn?“

„Ganz einfach: Man muss den Golems Vernunft beibringen. Sie müssen begreifen, dass sie die Dorfbewohner nicht auf Schritt und Tritt bewachen und sie erst recht nicht einsperren dürfen. Sie können von mir aus gegen Nachtwandler und Knallschleicher kämpfen, aber die Würde der Dorfbewohner ist unantastbar!“

„Und wie willst du das machen?“, fragt Willert.

Ruuna zuckt mit den Schultern. „Weiß ich doch nicht. Ich verstehe nicht viel von Golems. Mein Spezialgebiet sind Zaubertränke.“

„Na toll!“, grummelt Willert. „Was nützt es, wenn du Vorschläge machst, von denen du nicht weißt, wie man sie umsetzen soll?“

Doch Ruunas Vorschlag hat Primo auf eine Idee gebracht.

„Ich muss mit Lausius sprechen“, sagt er. „Er hat vorausgesehen, dass die Golems zum Problem werden könnten. Vielleicht weiß er, wie wir die Golem-Plage beenden können.“

„Aber Lausius ist doch im Dorf gefangen!“

„Richtig. Aber vielleicht kann ich zu ihm gelangen, ohne dass es die Golems merken. Ruuna, kannst du mir einen Unsichtbarkeitstrank brauen?“

„Klar kann ich das. Ich kann dir aber auch einfach einen geben. Ich hab immer ein paar griffbereit, für alle Fälle.“

„Willst du, dass wir dich ins Dorf begleiten?“, fragt Willert.

„Nein, ihr bleibt lieber hier. Falls die Golems mich erwischen sollten, seid ihr beide die einzigen, die noch etwas unternehmen können.“

„Okay. Hier, nimm auf alle Fälle eine Waffe mit.“

Willert drückt Primo ein Schwert in die Hand, während ihm Ruuna zwei Glaskolben mit dem Zaubertrank reicht.

Primo bedankt sich und bricht sofort auf. Paul lässt er in der Obhut von Willert und Ruuna zurück. Die Hexe verspricht, sich gut um den Wolf zu kümmern und ihn regelmäßig zu füttern. Auf eindringliche Mahnungen von Primo und Willert hin verspricht sie, dabei keinerlei Kraftfutter oder andere magisch verstärkte Futtermittel einzusetzen.

Als Primo das Flussufer erreicht, sieht er zu seinem Entsetzen, dass die Zellen, in denen Golina und Nano untergebracht waren, von mehreren Golems bewacht werden. Das kann nur bedeuten, dass Golina beim Versuch, Nano zu befreien, geschnappt und wieder eingesperrt wurde. Zu allem Überfluss blockieren die Golems den Zugang zu dem Knopf, mit dem die Zellentür geöffnet werden kann. Selbst unsichtbar kann Primo seiner Frau nicht helfen.

Er trinkt eine Flasche mit Zaubertrank aus und überzeugt sich, dass er wirklich unsichtbar ist, indem er eine Hand vor die Augen hält. Als er problemlos hindurchsehen kann, stapft er durch das Wasser. Einige Golems in der Nähe drehen die Köpfe, als sie das platschende Geräusch hören, doch da sie nichts entdecken können, wenden sie ihre Aufmerksamkeit wieder in eine andere Richtung. Primo schleicht quer über die Wiese neben der Schlucht. Doch wie soll er die Mauer überwinden, um ins Dorf zu gelangen?

Der einzige Zugang scheint die Tür zu sein, durch die er aus dem Dorf geschleppt wurde. Doch die ist geschlossen, und wenn er sie öffnet, würden die Golems das sicher bemerken und ihn vielleicht schnappen, unsichtbar oder nicht. Also stellt er sich neben die Tür an die Mauer und wartet.

Eine Weile geschieht nichts, und Primo fragt sich, was geschieht, wenn die Wirkung des Unsichtbarkeitstranks nachlässt. Er hätte Ruuna fragen sollen, wie lange der Trank wirkt. Doch dazu ist es nun zu spät.

Plötzlich hört er vielstimmige Rufe aus dem Dorf: „Die Mauer muss weg! Die Mauer muss weg! Die Mauer muss weg ...“

Immer wieder skandieren seine Freunde diese Worte. Doch dann scheint ein Tumult auszubrechen. Schreie ertönen. „Lass mich runter, du Grobian!“, brüllt jemand.

Die Tür öffnet sich, und ein Golem erscheint. Mit seinen Metallarmen hält er Olum umklammert, der ein Schild mit der Aufschrift „Wir sind die Dorfbewohner!“ hält.

„Lass mich runter!“, brüllt der Fischer. „Freiheit für das Dorf! Die Mauer muss weg!“

„Sei still!“, schnarrt der Golem, der ihn trägt. Doch Olum denkt gar nicht daran, sondern ruft weiter.

Bevor sich die Tür wieder schließt, huscht Primo rasch hindurch.

Auf dem Platz vor der Kirche herrscht Chaos. Golems rennen hinter den Dorfbewohnern her, die sie beschützen sollen, die aber nicht beschützt werden wollen und vor ihnen davonlaufen. Überall liegen Schilder herum, auf denen Parolen wie „Weg mit den großen Brüdern!“, „Freier Blick auf die Schlucht!“ und „Golem-Kraft, nein danke!“ stehen.

Primo huscht zur Bibliothek. Wie er vermutet, hat sich Lausius nicht an den Protesten beteiligt, sondern sitzt in einer Ecke und kritzelt auf der Wand herum.

„Warum schreibst du denn nicht auf Papier?“, fragt Primo.

Lausius zuckt zusammen und sieht sich verwirrt um. „Was? Wie? Wo?“

Primo fällt ein, dass Lausius ihn nicht sehen kann. „Ich bin’s, Primo“, sagt er.

„Ach, du“, gibt Lausius zurück. „Warum störst du mich? Ich arbeite gerade an einem schwierigen Problem.“

„Wir müssen etwas gegen die Golemplage unternehmen. Deshalb bin ich hier. Hast du eine Idee, wie wir die Golems loswerden?“

„Es gibt nur eine Möglichkeit“, erwidert Lausius.

Primo hofft, dass er jetzt nicht vorschlagen wird, die Golems auf den Mond zu schießen. Doch stattdessen sagt Lausius gar nichts, sondern kritzelt weiter auf der Wand herum.

„Und welche?“, fragt Primo ungeduldig.

„Wir müssen sie neu programmieren.“

„Progra... was?“

„Golems sind Maschinen. Sie führen komplizierte Programme aus. Man kann diese Programme ändern. Aber das ist nicht so einfach, und man muss vorsichtig sein. Du siehst ja, was dabei rauskommt, wenn man schlampig ist.“

„Aha. Und wie geht das?“

„Das ist ganz einfach. Man muss bloß ... Ach, Mist. Ich brauche unbedingt einen Schwamm!“

„Einen was?“

„Einen Schwamm. Besorg mir einen, dann kümmere ich mich um die Golems.“

„Und woher bekomme ich einen Schwamm?“

„Aus dem Meer natürlich. Man findet sie in speziellen Kammern in Ozeanmonumenten. Und jetzt lass mich weiterarbeiten, ich muss mich konzentrieren.“

Primo versucht, aus Lausius weitere Informationen herauszubekommen, doch der Alte beachtet ihn gar nicht mehr. Also verlässt er die Bibliothek und macht sich auf den Rückweg.

Gerade wird Margi von ihrem großen Bruder in Richtung der Tür geschleppt. Kolle, der grün angelaufen ist, kann nur von vier Golems gebändigt werden. Primo beschließt, den Tumult zu nutzen, um sich davonzustehlen, und schleicht hinter Margis großem Bruder her.

Doch gerade, als sie die Tür erreichen, hört er hinter sich einen schnarrenden Ruf: „He, da ist ja noch einer! Wo kommt der denn auf einmal her?“

„Das ist ja der Entflohene! Nummer fünfzig, schnapp ihn dir!“

Als Primo sich umdreht, sieht er mehrere Golems auf sich zu rennen. Er blickt an sich herab und sieht seine Befürchtung bestätigt: Die Wirkung von Ruunas Unsichtbarkeitstrank hat nachgelassen!

Rasch holt er die zweite Flasche hervor und trinkt sie in einem Zug aus. Doch seltsam: Der Trank schmeckt ganz anders als beim ersten Mal, und zu seinem Entsetzen muss Primo feststellen, dass er keineswegs unsichtbar geworden ist.

Schon hat einer der Golems ihn erreicht und will ihn packen, doch da passiert etwas Seltsames: Primo schwebt in die Luft empor! Der Golem versucht, ihn mit seinen langen Metallarmen festzuhalten, doch er ist bereits außer Reichweite.

Verblüfft sieht Primo sich um. Das Dorf unter ihm wird rasch kleiner. Golems und Dorfbewohner starren zu ihm hinauf. Ruuna muss ihm aus Versehen statt eines zweiten Unsichtbarkeitstranks einen Flugtrank mitgegeben haben. Aber das ist ein Glück, denn so kann er den Golems gerade noch entkommen.

Doch als er immer höher emporschwebt, wird ihm klar, dass ihn das nur in noch größere Schwierigkeiten bringt. Zwar können ihn die Golems jetzt nicht mehr erreichen, aber er kann hier oben auch nichts ausrichten. Und wenn die Wirkung des Flugtranks nachlässt ...

Höher und höher steigt er auf. Bald durchstößt er die Wolken, und es wird um ihn herum neblig. Das Dorf unter ihm sieht von hier oben winzig aus. Er muss hilflos mitansehen, wie die Dorfbewohner von den Golems gepackt und zu den Sicherheitszellen geschleppt werden. So sehr er auch mit den Armen wedelt, es gibt nichts, was er tun kann.

In diesem Moment fällt ihm auf, dass er nicht auf der Stelle schwebt, sondern sich langsam zu bewegen scheint. Ein leichter Wind weht ihn langsam in Richtung Westen, über die Mauer hinweg und auf die Schlucht zu. Mit ein bisschen Glück schafft er es vielleicht bis zum Fluss. Nein, dafür braucht er nicht ein bisschen Glück, sondern ganz, ganz viel, denn von hier oben sieht das blaue Band des Flusses winzig aus, so schmal wie eine der krummen Linien, die Lausius auf seine Wände malt.

„Bitte, lieber Notch, lass doch den Wind ein wenig stärker wehen, so dass ich es noch bis zum Fluss schaffe!“, fleht er.

Doch kaum hat er das Gebet ausgesprochen, spürt er, wie er tiefer sackt, erst langsam, dann immer schneller. Es scheint fast, als hätte Notch noch die eine oder andere Rechnung mit Primo offen. Hätte er doch bloß damals nicht das Huhn in der Kiste mit dem Heiligen Buch versteckt ...

Unaufhaltsam stürzt Primo in die Tiefe. Die Schlucht liegt genau unter ihm, dunkel und breit wie das Maul eines riesigen Monsters, das gierig nach ihm schnappt. Die Golems auf der Wiese neben der Schlucht starren zu ihm hinauf. Weiter hinten sieht er die metallenen Sicherheitszellen. Hoffentlich geht es Golina und Nano gut, ist sein letzter Gedanke, bevor er in den gähnenden Abgrund stürzt.

Das Dorf Band 13: Schwamm drüber

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