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Am Weihnachtsabend in Feindesland

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„Ahhhh—!“ er streckte die Arme aus und bog sich hintenüber — dann atmete er noch einmal schwer, wie von einem Alp befreit. Zwölf Tage Schützengraben, das hatte es in sich, die Kälte jetzt, die Nässe, abgesehen von den Kugeln jeden Kalibers, die da herumschwirrten. Na, man musste es eben ertragen, es musste doch einmal durchgemacht werden, dazu ist; man eben Soldat, es hatte es ja keiner besser, und jetzt gibt’s ja eine kurze Ruhezeit zum Erholen. O, wie wollte er sich in seinem Bett ausstrecken, das sollte eine Freude sein, er hatte noch eine Stunde Bahnfahrt vor sich und dann war er in seinem Quartier, in dem kleinen Städtchen, in dem Gott sei Dank noch ein paar Häuser heil geblieben waren.

Herrgott, jetzt fiel es ihm ein, heute war ja Weihnachten — na, das würde ein schöner Abend werden — die Leute, bei denen er einquartiert war, feierten ihn wohl gar mit Gesang und Kinderlärm, so dass er nicht einmal schlafen konnte. Na, das würde auch vorübergehen — er hätte daran denken können, den Kindern etwas einzukaufen, aber wie sollte er das im Schützengraben gekonnt haben, seiner lieben kleinen Frau hatte er brieflich schon vorher etwas bestellt, hoffentlich hatte es der Kaufmann hingeschickt, und von ihr durfte er gewiss auch etwas erwarten, aber bei dem Weihnachtstrubel auf der Post war es doch sehr fraglich, ob das Paket angekommen. Was lag zuletzt daran, es fehlte ihm ja nichts, seine kleine Frau schickte ihm ja genug, und das Rote Kreuz hatte im Laufe der Zeit auch häufig an ihn gedacht, eine ganze Sammlung Pulswärmer, Leibbinden, Zigaretten, Schokolade hatte er zu Hause liegen, davon konnte er ja übrigens den Kindern etwas abgeben.

Zu Hause, ach, er hatte ja kein Zuhause, ein einsames Zimmer war sein Zuhause. Na, er wollte sich alles, was er in der Zeit bekommen, auf seinen Tisch legen, da hatte er ja auch eine Bescherung.

Eine Stunde noch Bahnfahrt, das heißt, wenn er einen Zug bekam, — sonst wusste er gar nicht, wo er Unterkommen sollte. Ach, die Zeit war aus den Fugen, „Schmach und Gram, dass ich zur Welt sie einzurichten kam“.

Aber er hatte Glück, nur eine Stunde war die Zeit aus ihren Fugen, da ging der Zug.

Behaglich lehnte er sich in die Kissen zurück.

Weihnachten! Er dachte an vergangene Zeiten, wo noch Friede war und er diesen Abend mit seiner jungen Frau verlebt, wie schön waren die Stunden, wo sie froh zusammen unter dem brennenden Christbaum saßen — und dann weiter zurück, wie sie als Kinder in der kleinen Stube harrten, dass das Klingelzeichen aus dem Salon erklingen würde — diese Spannung, diese Neugier, was der Weihnachtsmann bringen würde, und wie dann die Klingel tönte und sie hineinstürzten in den hell erleuchteten Raum, wo unter dem strahlenden Christbaum die Gaben ihrer Eltern lagen — das erste Schaukelpferd, das Gewehr, der Säbel. Das war eine Freude gewesen. — O Jugendtraum, o Kinderzeit — und heute —

Na, seine Quartiersleute waren ja vernünftige Menschen, vielleicht konnte er den Abend mit ihnen verleben, es würde zwar etwas öde werden, aber es war eben ein Weihnachtsabend in Feindesland, da musste man mit allem zufrieden sein.

Der Zug hielt, es waren nur ein paar Schritte. Er öffnete die Tür und stieg die Treppe hinauf. Die Dame des Hauses, die auf dem Flur war, sagte höflich, als sie ihn sah: „Ah, doch zurück, da darf ich wohl darum bitten, dass Sie heut’ unser Gast sind.“

„O“, gab er freudig überrascht zur Antwort, „ich fürchte zu stören!“

„Gar nicht“, sagte sie, „ich erwarte Sie bestimmt.“ Die Kinder lachten auf und rannten fort. Er ging sich umkleiden, sein Zimmer war festlich erleuchtet und mit Blumen geschmückt. Er lachte vergnügt, na, das kann ja ganz nett werden, sagte er vor sich hin, aber doch nicht so schön wie zu Hause. Dann ging er in den Salon. Die Hausfrau war eben damit beschäftigt, die letzten Geschenke auf den Weihnachtstisch zu legen — er sah sofort einen großen Zettel mit seinem Namen.

„Von Ihrer Frau Gemahlin“, sagte sie und zeigte auf die Gabe, einen kleinen Pelz zum Unterziehen. Er lachte froh, die gute Seele, wenn er bei ihr sein könnte! Noch andere Sachen lagen da, wie sie die Liebe an jenem Tage schenkt.

Jetzt tönte die Klingel, die die Hausfrau in der Hand gehalten — jubelnd stürmten die Kinder ins Zimmer, hinter ihnen der Vater, — gerührt schaute er auf die freundliche Gruppe — aber was war das — in der Tür erschien eine schlanke Frauengestalt — seine Frau, seine schöne geliebte Frau. Sie flog strahlenden Auges auf ihn zu, sprachlos schloss er sie in die Arme.

„Ich bin mit dem Liebesgabenauto hergekommen!“ flüsterte sie ihm zu, „bist du böse? — Dein Herr Quartierwirt war es, der es ermöglichte!“

„Böse, böse, selig bin ich, überselig bin ich“, und fest drückte er sie an seine Brust. „Ich danke dir viel tausendmal, dass du gekommen bist, und ich danke auch von ganzem Herzen den freundlichen Menschen, die mir eine solche Freude bereitet haben, mir, dem Feind ihres Landes!“

„Ach was!“ sagte der Hausherr, „heute gibt es keine Feinde, wir sind alle Menschen, heute ist Friede.“ Er drückte ihm warm die Hand. „Und nun, Kinder, singt, singt das schöne Weihnachtslied!“

Und die Kinder falteten die Hände und sangen zusammen:

„Stille Nacht, heilige Nacht.“

Und auch die Großen legten die Hände ineinander und sangen mit. Er aber lachte freudig in sich hinein. Glück muss der Soldat haben — nie hätte er gedacht, dass er einen so schönen Weihnachtsabend erleben könnte in Feindesland.

Kriegsbilder aus Ost und West

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