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Sommersand und Salzwasser

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Das Meer funkelte wie tausend Diamanten im Sonnenlicht. Der Strand war die Attraktion eines heißen Sommertages auf der Insel. Zahlreiche Urlauber und Insulaner zog es mit uns an die Küste. Der Deich in Morsum lockte mich selten zum Baden, obwohl ein Steg den Gang ins kühle Nass bei Ebbe und Flut ermöglichte. Onkel Albert nahm diese Stufen, die ins Meer führten, täglich, bei Regen, Sturm, Frühlingsluft und Sonnenschein.

»Sa bleft em sün – das hält gesund«, pflegte er immer zu sagen. Ich verbuddelte meine Hände und Füße lieber im Sand und suhlte mich wie ein kleines Ferkel in den pudrigen Körnern.

Der Wind blies mäßig von der Westküste. Überall lagen Menschen und labten sich an den mächtigen Sonnenstrahlen.

Omas Lachen schallte über den Strand, als meine Mutter eine Ladung Sand auf ihrem nassen Körper abbekam.

»Kerin, du kannst dein Handtuch doch nicht neben mir ausschütteln!«

»Aber das war voller Sand!«

Meine Mutter rollte mit den Augen.

»Dann kommst du gleich mit ins Wasser, ich muss mich saubermachen.«

Oma Mutti – die Mutter meiner Mutter – folgte uns, während ihre vollen Rundungen durch ihr Kichern wippten. Opa Hans blieb zurück, mit dem Auftrag, gleich mit mir die schönste Sandkuhle zwischen Westerland und Wenningstedt zu bauen. Der Sand wurde grober und fester, bis er feucht an meinen Zehen klebte. Einige kleine Wellen rollten mir entgegen. Sie schäumten das Wasser auf und platschten bis an mein Schienbein. Kalt … sehr kalt …

»Ich geh hier nicht rein, da friere ich ja!«

Meine Mutter nahm mich an die Hand.

»Komm, wir gehen ein Stück zurück, und dann rennen wir. Wenn du erst mal drinnen bist, ist es nicht mehr kalt!«

Während Oma Mutti jauchzend immer höhere Töne von sich gab, als sänge sie die Arie einer Oper in der Westerländer Musikmuschel – einem Amphitheater an der Strandpromenade –, schwappte das Meer über ihren wohlgeformten Körper, und wir machten uns startklar. Einige der Strandbesucher beobachteten uns gespannt.

Ich hielt meine Mutter fest und sah sie erwartungsvoll an.

»Eins … zwei … drei … und los!«

Unsere Füße sackten beim Rennen ein. Das Meer kam immer näher. Platsch. Ich kniff die Augen zusammen. Das frische Wasser ließ meinen Atem stocken, als es über meinen Bauch schwappte. Ich lachte und befreite mich aus der Starre. Meine Mutter schwamm an mir vorbei, gefolgt von Oma.

»Siehst du, Kerin, es geht doch!«

Ich nickte, hielt meine Füße sicher auf dem Grund und ahmte mit den Armen die Schwimmbewegung der anderen nach.

»Jetzt musst du mit dem Hintern hoch!«, sagte meine Mutter.

»Nein, Mama, lass mich, die sollen nicht wissen, dass ich nicht schwimmen kann.«

Meine Oma näherte sich mir. Ich wusste, was sie vorhatte. Meine Füße wurden schneller, meine Arme paddelten. Das Wasser war etwas trüb. Hoffentlich sind hier keine Krebse, dachte ich.

»Papa kann auch nicht schwimmen, warum muss ich das?«, entgegnete ich meiner Mutter.

»Weil es Spaß macht. Außerdem waren das damals andere Zeiten, und Papa hatte durch den Hof keine Zeit, schwimmen zu lernen.«

Oma runzelte die Stirn.

»Du bist ein Schulkind, Kerin. Du musst es lernen!«

Ich zuckte mit den Schultern und blieb im Wasser stehen. Meine Oma schwamm zu mir. Der Klang ihrer Stimme legte sich weich auf die Wellen.

»Schau mal, Kerin, die ganzen Leute hier bezahlen viel Geld, um ein paar Tage am Strand zu liegen und im Meer schwimmen zu können. Wir können dankbar sein, dass wir hier leben. Als Inselkind ein Nichtschwimmer – das geht doch nicht.«

Ich sah das anders. Das Planschen reichte mir, außerdem hatte ich es probiert, doch es missglückte immer wieder. Egal, wie sehr ich mich bemühte, mein Körper weigerte sich zu schwimmen. Er schien dafür einfach nicht gemacht.

Wir spazierten aus dem Wasser. Die kühle Luft kitzelte die Härchen auf meiner Haut. Mama hatte recht, im Wasser war es warm gewesen.

Opa lag wie ein Brathähnchen in der Sonne. Seine eingeölten Brusthaare glänzten.

Ich trocknete mich ab und legte mich daneben. Das Salz auf meiner Haut juckte. Salz- und Chlorwasser waren mir gleichsam unangenehm und verdonnerten mich quasi zu einem Dasein als Nichtschwimmerin. Ich schrubbte mit meinen Fingernägeln über die roten Stellen. In mir loderte die Unruhe, als weitere Flecken sich über meine Beine verteilten. Ich sprang auf, rollte mich durch den Sand und trank etwas Sprudelwasser, das mir meine Mutter reichte. Es half ein bisschen.

Eine Windböe jagte über den Strandabschnitt und erfasste den Sonnenschirm eines älteren Ehepaares. Er hechtete hinterher, sie schrie – und ich grinste.

»Kerin, fang!«

Ich drehte mich zu meiner Mutter. Eine Klettscheibe raste auf mich zu. Kurz vor Stirnankunft wich ich der Scheibe aus und warf einen garstigen Blick zurück.

»Ey, was soll das?«

»Nun stell dich nicht so an. Lass uns spielen.«

Der Ball rollte in ihrer Hand. Ich stellte mich auf, entschlossen verzog ich keine Miene. Wie eine Tennisspielerin, auf den Aufprall des Aufschlags wartend, duckte ich mich. In Gedanken wehte ein weißer Rock um meine Hüften.

Meine Mutter holte zum direkten Körperwurf aus und – bäm! – daneben.

Ich zog den Filzball von meiner Scheibe und konzentrierte mich. Ich nahm meine Mutter genau ins Visier, holte tief aus und ließ viel zu spät los.

Daneben.

Während neben uns ein Vater mit seinem Sohn raffiniert einen Fußball durch den flachen Sand dribbelte, verlor ich jeden Wurf.

Der Ehrgeiz packte seinen Koffer und verabschiedete sich für den Rest des Tages, genau wie der Ball, den sich ein fremder Hund schnappte und damit davonlief. Aber der Juckreiz war vergessen. Ziel erreicht.

Die Sonne stand prall am Himmel und feuerte uns ein. Ein Schweißfilm zog sich über meine Stirn.

»Opa, können wir jetzt buddeln?«, fragte ich, mit der Schaufel bewaffnet.

Opa schnaufte und raffte sich auf.

Meine Kuhle wuchs auf eine Größe für drei Personen an. Mein Großvater baute eifrig an dem Schutz spendenden Deich.

Meine Mutter krallte sich den gelben Eimer, der an ihrem Kopfende parat zum Einsatz stand.

»Komm, wir sammeln Muscheln für deinen Deich, das sieht bestimmt chic aus!«

Ich hüpfte hoch und jubelte.

Unser Eimer füllte sich mit Herz-, Mies- und Schwertmuscheln, die Möwen kreisen am klaren Horizont, und die Menschen tobten durch die nordische See. Es roch nach Salz, nach Algen und nach Sonnencreme. Die Menschen lachten und unterhielten sich laut. Wenn Glück ein Bild wäre, wäre es dieses gewesen. Die Sonne schien. Für alle. Für die Sylter, für die Urlauber – sie machte keinen Unterschied.

»Mama, meine Haut juckt wieder!«

Meine Mutter streichelte mir über das Gesicht. Ihr Blick vertiefte sich.

»Ich glaube, dann fahren wir besser nach Hause, mein Kükelük!«


Mit dem Blick in die Weite stehe ich auch heute oft am Strand und tanke Kraft. Die Nordsee breitet sich unter kreischenden Möwen vor mir aus, und Schweinswale zeigen ihre Flossen. Beim Anblick des Meeres pulsiert mein Blut. Der Moment zählt. Ein Moment für die Ewigkeit. Eine Flut aus Zufriedenheit überkommt meinen Körper, und ein Hauch von Glück kribbelt durch meine Adern. Solange meine Füße mich tragen können, werde ich sie in den Sand drücken und Spuren hinterlassen, bis sie von der Brandung irgendwann verschlungen werden.

Selbst bei Wind und Regen, mit wütender Gischt und einer Wellenflut, die gierig das Land verspeist, werden meine Waden bis zur Ermüdung durch den Sand gleiten. Salzige Luft versorgt meine wabernden Lungen mit Jod, die Feuchtigkeit beißt sich in meine Wangen. Dort, wo das Hier und das Jetzt aufeinander prallen, um sich zu vereinen. Und wenn ich am Wasser stehe, mich bis zum nächsten Besuch verabschiede, den Strandübergang mit schweren Beinen erklimme, glättet sich meine Stirn von allen Sorgen frei.

Morgens, wenn ein junger Sonnentag erwacht, die Brötchen auf den Tischen stehen und der Kaffee würzig duftet, dann zeigt sich die Westerländer Promenade fast jungfräulich. Sie streckt sich und reckt sich hungrig nach ihren Menschenmassen. Die Sonne, die langsam den Himmel färbt, legt die unendliche Nordsee in ein warmes, geborgenes Licht. Möwen fliegen sich warm, um den Touristen das Essen zu stehlen, und die Vögel picken am Wasser nach ihrer Morgenmahlzeit. Dann ist es Zeit, Zeit für Genuss.

Mal ist das Meer aufgebracht, mal flüstert es, und ich frage mich: Ist der Mensch wie das Meer? Unzähligen Launen unterworfen, brausen wir auf, um uns später in friedlicher Ruhe zu wiegen. Dazwischen gibt es alles und noch viel mehr. Wie das Meer.

Ich höre es. Es rauscht, es lebt, es singt, und es pfeift. Es ist das Meer …

Inselluft mit Honigduft

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