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Da pfeift uns doch ’ne Maus ins Ohr

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Friesen, so sagt man, haben keine Angst, sie sind achtsam, in ihren Äußerungen etwas verhalten und stark wie ein Stein. Mit fester Miene und einem klaren Ziel vor Augen gehen sie durchs Leben.

Sie sind durch nichts zu erschüttern, die Wikinger des Landes.

Hört sich gut an, ist aber nicht so. Selbst einen alten Friesen kann etwas aus der Ruhe bringen.

Mein Vater, der Friese, war ein geschätztes Mitglied der Gemeinde. Ein Landwirt in seinem Dorf.

Meine Mutter hätte es nie für möglich gehalten, dass sie einen Bauern heiraten würde, doch genau das sollte ihr großes Glück werden. Meine Eltern tanzten auf dem Feuerwehrball im Hofsaal, wo heute ein Hotel steht, und näherten sich einander.

Sie besuchten wilde Partys im Morsumer Wäldchen und feierten mit Freunden die Nächte bis zum Morgen durch, um dann gemeinsam beschwipst die Kühe zu melken, denn denen war es egal, wie kurz oder lang die Partynächte auf Sylt waren. Sie halfen den Kühen, ihre Kälber zu gebären, und sie saßen romantisch am Kliff, mit offener Sicht auf die Keitumer Kirche mit ihrem stolzen Glockenturm, und küssten sich im Sonnenuntergang.

Zwei Menschen, die sich liebten. Auf der Insel Sylt. Weniger friesisch herb, eher friesisch liebevoll.

Meine Mutter brachte die Liebe zu den Tieren mit auf den Hof, packte fleißig und ausdauernd mit an, verzichtete auf Familienurlaub und wurde eins mit der Gegenwart.

Oft lauschte ich ihren Geschichten und geriet ins Träumen. Sie erzählten von meinen Großeltern, davon, wie sie das Familiengut bewachten, und von Schafen, die aus Not bei schlechtem Wetter auf den Heuboden gehievt wurden, um später etwas unsanft in einen Anhänger voll Futter zu fallen.

Dass die auffällige Kerbe in unserem Couchtisch einer Maus geschuldet war, erfuhr ich erst viele Jahre später. Ausgerechnet ein kleiner Nager hatte es vermocht, das friesisch-ruhige Gemüt meines Vaters in seinen Grundfesten zu erschüttern.

Herr Mäuserich trieb meine Eltern zur Weißglut. Er naschte sich durch Vorratsschränke und wich jeder Falle gerissen aus. Des Abends, nachdem meine Eltern erschöpft von Tier und Kind ihre Füße hochlegten und gemeinsam vor dem Fernseher saßen, kam Herr Mäuserich in die Stube und hockte sich nonchalant auf den Boden vor dem Fernsehschrank. Genüsslich putzte er sein Fell mit den Pfoten.

Irgendwann reichte es meinen Eltern mit diesem tolldreisten Mäusemann. So dufte es nicht weitergehen. Am nächsten Abend schnappte mein Vater sich sein Luftgewehr und lauerte ihm auf.

Mit geduckten Köpfen saßen meine Eltern flüsternd auf dem Sofa. Der Wind zog durch die Fenster. Die Tür knarrte. Eines war gewiss, auf Herrn Mäuserich war Verlass. Pünktlich zur Tagesschau tapste er wie ein geladener Gast ins Wohnzimmer und machte es sich bequem.

Meine Mutter hielt den Atem an.

Mein Vater zielte.

Und Schuss.

Verdammt.

Der Couchtisch.

Mit gestrecktem Mittelfinger – so glaubten sie zumindest – schlurfte Herr Mäuserich unverletzt und gleichsam unbeeindruckt in sein Loch zurück. Das Gewehr sank, wie meine Eltern, ohne jeglichen Erfolg unbefriedigt in die Polster des Sofas. Die Kerbe im Couchtisch lächelte sie wohlwollend an, gewillt, für immer zu bleiben.

Unzählige Tage vergingen, bis meine Mutter den Mäuserich schließlich fing.

Im Schrank zwischen Mehl und Semmelbröseln ergab er sich seinem Schicksal, doch seine unschuldige Gestalt ersparte ihm das Schlimmste. Als er mit bibbernden Schnurrhaaren und angsterfüllten großen Augen vor ihr saß, wurde Mamas Herz weich und schmolz dahin. Sie packte den kleinen Kerl behutsam in einen Karton und trug ihn bis ans Kliff. An einem bewachsenen Plätzchen stellte sie den Karton zwischen den Sträuchern ab und ließ den vierbeinigen Hausgenossen frei. Entschlossen flitzte er davon, und meine Mutter stand gedankenversunken da und winkte ihm nach. Am Rande der Insel, wo das Wasser jubelte. Die Flut breitete sich aus und legte sich über den matschigen Schlickboden. Die Muscheln zogen sich zurück. Der Queller – eine genießbare Wattpflanze, auch »Spargel des Meeres« genannt – streckte sich nach dem Meer, um von ihm zu kosten. Dicke Regenwolken entluden sich über Munkmarsch und Kampen, getrieben von den windigen Böen, die meine Mutter blinzeln ließen. Sie drehte sich um und schlenderte nach Hause. Die Luft roch nach Sturm.

Inselluft mit Honigduft

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