Читать книгу "Brender ermittelt" - Kim Scheider - Страница 14

Оглавление

Köln Altstadt, früher Morgen

Stöhnend bemühte Christoffer Frey sich, seine steifen Glieder wieder beweglich zu bekommen.

Er fühlte sich grauenhaft.

Der Schädel dröhnte wie nach einer ausufernden Party und der Geschmack im Mund zeugte von den viel zu vielen Zigaretten, die er am Abend noch geraucht hatte. Die unnatürliche Haltung auf der zu kurzen Couch war alles andere als gesund für seinen Rücken gewesen und jeder Knochen im Leib schien über Nacht seine Beweglichkeit eingebüßt zu haben.

Er brauchte Kaffee!

Schwarz und heiß und kräftig.

Natürlich war keiner da.

„Es scheint sich aber auch wirklich alles gegen mich verschworen zu haben!“, fluchte er wütend. „Noch nicht einmal mehr einen Kaffee gönnt der da oben mir.“

Frey war zwar nicht religiös, aber in solchen Fällen fand er es ganz nützlich, die „Schuld“ jemand anderem zuschieben zu können.

Lautes Poltern im Hausflur verstärkte seinen Zorn nur noch. Es war doch immer wieder erstaunlich, dass die kleinsten und leichtesten Personen, den größten Krach im Hause verursachten. Noch dazu an einem Feiertag Morgen gegen sieben Uhr. Wie ein Elefant stampfte die eigentlich recht zierliche Nachbarin gen Dachboden.

„Unfassbar, dass so wenig Körper so viel Geräusch erzeugen kann.“

Es würde wohl doch langsam mal Zeit, über eine andere Wohnung oder gar ein Haus nachzudenken. Bislang hatte er keinen Anlass dafür gesehen, weil er sich eigentlich sehr wohl fühlte in seiner kleinen Altbauwohnung am Eigelstein in der Nähe des Doms. Allmählich nervten ihn die Marotten seiner zahlreichen Nachbarn aber doch ein wenig.

„Wenn die Einnahmen aus der dritten Staffel da sind, suche ich mir was Neues“, überlegte er sich schmollend.

Die dritte Staffel!

Mit einem Schlag waren die Erinnerungen wieder da.

Die Polizei, die Videos, Walter...

Der ganze gestrige Tag.

Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass es eigentlich noch zu früh war, um jemanden aus der Firma anzurufen, aber in Anbetracht der Umstände, war ihm das egal.

Sie mussten die Ausstrahlung der fünften Folge, die für den heutigen Abend vorgesehen war, unter allen Umständen verhindern.

Ja, sie mussten sogar die Premiere der dritten Staffel absagen, solange dieser kranke Irre noch nicht gefasst war!

Er griff zum Telefon und wählte Breckerfelds Nummer. Der war zwar nicht unbedingt seine erste Wahl, aber mit Walter konnte er jetzt nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Sie würden sich erst richtig aussprechen müssen, bevor berufliche Dinge wieder eine Rolle zwischen ihnen spielen könnten.

Ein für diese Uhrzeit erstaunlich fitter Breckerfeld meldete sich, kaum dass das Telefon zu Ende gewählt hatte.

„Guten Morgen, Christoffer. Wie geht es dir?“

Als ob ihn das wirklich interessieren würde. Höchstens, um sich an seinem Elend weiden zu können.

„Den Umständen entsprechend“, antwortete er ausweichend. „Hör zu, Bernd! Ich nehme an, dass du weißt, was passiert ist?“

Zustimmendes Gemurmel am anderen Ende.

„Gut. Ich will gar nicht lange herum reden und dir deine kostbare Zeit stehlen...“

„Du willst die Premiere absagen“, unterbrach Breckerfeld ihn. „Das habe ich mir schon fast gedacht.“

Überrascht schwieg Frey einen Moment. So viel Mitdenken hatte er dem kleinen Ganoven gar nicht zugetraut.

„Ja, das ist richtig“, fand er schließlich seine Sprache wieder. „Aber nicht nur die. Wir müssen auch die Ausstrahlungen von „Stille Wasser sind tief“ und von „Schlecht gezielt“ verhindern. Du musst sofort beim Sender anrufen und das klar machen!“

„Wie stellst du dir das vor, Christoffer? Wir haben Verpflichtungen! Die Werbeverträge, die Ausstrahlungslizenzen... Da hängt eine Menge Kohle dran!“

Zornig stapfte Frey von einem Raum in den anderen. Wie konnte man in so einer Situation an Geld denken? Aber was hatte er von jemandem wie Breckerfeld auch anderes erwartet?

„Das ist mir egal“, rief er aufgebracht. „Es ist mir egal, wie du denen das klar machst, aber mach es und zwar schnell!“

Breckerfeld räusperte sich vernehmlich, bevor er antwortete. Es klang, als würde er sich in einem Schwimmbad aufhalten. Frey hatte Mühe, ihn überhaupt zu verstehen, was ihn noch wütender machte. Konnte dieser arrogante Idiot bei so einem wichtigen Gespräch nicht wenigstens irgendwo hingehen, wo er auch Empfang hatte?

„Christoffer, denk doch bitte mal nach. „Stille Wasser“ soll heute Abend laufen, das können wir nicht mehr absagen.“

„Warum nicht? Die können doch ständig ihr Programm ändern und wenn es für die Katastrophen-Berichterstattung über zwei Zentimeter Schneefall ist, die den Blockbuster verdrängt.“ Frey redete sich in Rage.

„Mann, Bernd, es geht hier um Menschenleben! Um echtes Drama! Und verdammt noch mal nicht um Geld!“

„Für dich vielleicht nicht“, antwortete Breckerfeld kühl. „Obwohl ich da anderes gehört habe.“

Noch während Frey empört nach Luft schnappte, fuhr Breckerfeld mit demonstrativ beleidigter Stimme fort. „Meinst du, mir ist das alles gleichgültig, was diesen Menschen da passiert ist, Christoffer? Meinst du das wirklich? Dass du mich nicht ausstehen kannst, war mir ja klar, aber dass du so über mich denkst, das enttäuscht mich doch sehr!

Schade. Wirklich Schade!“

Ja, Frey glaubte sogar zutiefst, dass es Breckerfeld egal war, dass es Tote gegeben hatte. Solange der Gewinn nur stimmte...

Aber er hatte jetzt nicht das Nervenkostüm, sich mit Breckerfeld ernstlich zu streiten, also beschloss er, dass Gespräch abzuwürgen.

„Sieh einfach zu, dass du es dem Sender begreiflich machst!“, sagte er genervt und legte auf.

Herwig hatte leider vollkommen recht, die ganze Sache würde die Einschaltquoten in ungeahnte Höhen treiben. Nach dem Medienauflauf vor dem Haus am Tag zuvor, dürfte die Berichterstattung schon die obskursten Blüten treiben.

Auf dem Weg zum Bad schaltete er den Fernseher ein. Sprachlos zappte er sich durch diverse Programme. Fast überall wurde über die Morde berichtet.

Und zu 90 Prozent offenbar von einem Standort direkt vor seinem Haus!

Eilig lief er an das Wohnzimmerfenster, das als einziges in seiner Wohnung zur Straße hinaus lag und zog zaghaft den Vorhang ein Stück zur Seite.

Unglaublich!

Die gesamte Meute von gestern hatte sich nun unten auf der Straße versammelt. Kaum dass Freys Vorhang sich bewegte, leuchteten dutzende Blitzlichter auf und illuminierten für Sekunden das Haus.

Frey drehte sich weg und sah zurück auf den Fernseher.

Es war interessant, wer da so alles in Ermangelung eines wirklich wichtigen Gesprächspartners interviewt wurde.

Nachbarn der Mörder, die ja schon immer gesagt hatten, dass mit dem was nicht stimme. Wahlweise aber auch solche, die genau das Gegenteil von der selben Person behaupteten und den nun toten Menschen als so nett und zuvorkommend beschrieben.

Verwandte der Opfer wurden tränenüberströmt in Großaufnahme gezeigt und sinnigerweise gefragt, wie es ihnen nun gehe.

Der Pressesprecher eines der größten Brender-Fan-Clubs, der sich passenderweise auch noch im Lars-Brender-Look zurechtgemacht hatte, erläuterte dem begierigen Journalisten, was für eine Art von Leiche man nach der Ausstrahlung von „Stille Wasser sind tief“ zu erwarten habe.

„Lars Brender gelingt es in dieser Folge einen jahrelang ungeklärten Fall zu lösen“, ereiferte sich der Mann mit stolzgeschwellter Brust, als spräche er von sich selber. „Eine vermisste Frau wird als Wasserleiche aufgefunden und Lars Brender ermittelt den Täter über die Schnur, mit der die Leiche gefesselt war.“

Vermutlich würde heute Nacht bundesweit jedes Gewässer nach angeschwemmten Leichen abgesucht werden. Man konnte nur hoffen, dass die ausufernde Berichterstattung nicht noch Trittbrettfahrer auf den Plan rufen und noch mehr unschuldige Opfer fordern würde.

Angewidert schaltete Frey um und blieb auf einem anderen Sender gleich wieder hängen. Dort trat gerade ein deutlich übernächtigter Hauptkommissar Herwig vor die Presse. Erstaunlich, dass immer noch Journalisten übrig waren, die sich nicht vor seiner Haustür stapelten. Im Hintergrund konnte Frey auch Grzyek und Müllenbeck erkennen, die ähnlich derangiert wie ihr Chef wirkten.

Auch wenn sie dem Schauspieler ziemlich übel mitgespielt hatten, empfand er doch großes Mitleid mit der SoKo, die sicher noch keine Sekunde Ruhe gehabt hatte in den vergangenen Tagen. Letztlich hatten sie nur ihren Job gemacht.

Kein Grund, ihnen böse zu sein.

Das sah in Bezug auf Walter schon anders aus. Noch konnte Frey sich nicht wirklich entscheiden, ob er wütend, enttäuscht oder vielleicht auch einfach nur geschockt war über das, was sein Freund ihm da gebeichtet hatte.

„Guten Morgen, die Damen und Herren von der Presse“, lenkte Herwigs Stimme seine Aufmerksamkeit wieder auf den Bildschirm.

„Ich möchte Ihnen nun einen groben Abriss unserer bisherigen Ermittlungsergebnisse geben. Ich bitte Sie, mich meine Ausführungen erst beenden zu lassen, bevor Sie Fragen zu unklar gebliebenen Punkten stellen. Soweit wir nicht aus ermittlungstechnischen Gründen gezwungen sind, die Informationen zurückzuhalten, versichere ich Ihnen, offen zu antworten.“

„Was so viel heißt wie, im Grunde erfahren wir nichts“, murmelte einer der Reporter mürrisch.

„Nun, vielleicht sehen Sie das anders, wenn Sie mir zunächst einmal die Chance geben, mich überhaupt zu äußern!“ Herwig klang zwar freundlich, aber die Worte des muskelbepackten Hünen hatten auf den Mann in etwa die gleiche Wirkung, wie ein scharfes „Platz“ auf einen geprügelten Hund.

„Es entspricht den Tatsachen, dass wir es momentan mit einer Serie von Morden zu tun haben, die, wie von Ihnen und Ihren Kollegen in den letzten Stunden bereits ausführlich berichtet, in klarem Zusammenhang mit der Fernsehserie „Brender ermittelt“ stehen“, begann Herwig und ließ seinen Blick über die versammelte Menge schweifen. „Es gab bislang vier tote Frauen, deren Todesarten denen der Sendung nachempfunden wurden. Hinzu kommen Widmungen, die auf einen Hintermann, ebenfalls wie in der Serie, hinweisen. Dieser scheint die Ereignisse zu steuern und in einer uns noch unbekannten Weise Macht über die Täter zu haben. Alle vier Mörder wurden mittlerweile nach einem Suizid aufgefunden, alle vier hinterließen Bekennerschreiben zu einem der Morde. Todesursache war bei allen eine Vergiftung mit Schlaftabletten.“

Einen Moment ließ der Kommissar seine Worte wirken und gab den Journalisten Zeit, sich Notizen zu machen. Doch bevor Unruhe aufkommen und ein vorwitziger Reporter die Gelegenheit ergreifen würde, eine Zwischenfrage zu stellen, fuhr er fort.

„Wir verfolgen derzeit vor allem die Spuren, die uns auf die Fährte dieses Hintermannes bringen könnten. Bitte haben Sie Verständnis, dass ich Ihnen nichts genaueres zu diesen Indizien und Hinweisen sagen kann, das würde unsere Ermittlungen massiv gefährden.

Sie können nun Ihre Fragen stellen.“

Augenblicklich flogen dutzende Arme hoch und Herwig teilte die Reihenfolge zu.

„Herr Hauptkommissar, ist es wahr, dass sie den Schauspieler Christoffer Frey als Tatverdächtigen verhaftet haben?“

Man sah Herwig förmlich an, dass er sich diese Frage gerne erspart hätte. Gespannt stellte Frey den Ton lauter und wartete auf die Antwort.

„Es ist richtig, dass wir Herrn Frey zwischenzeitlich zum Verhör mitgenommen haben, jedoch zeigte sich schnell, dass kein dringender Tatverdacht gegen ihn vorlag.“

So hörte sich das also im Polizeijargon an, wenn man genötigt wurde, Horrorszenarien anzusehen und dann auch noch für sie verantwortlich gemacht werden sollte, dachte Frey. Sein Mitleid mit Herwig schwand zusehends.

„Dann haben Sie Frey also ohne jeden begründeten Verdacht verhaftet?“, hakte der Reporter unbarmherzig nach.

„Zu dem Zeitpunkt, zu dem wir Herrn Frey befragt haben, hatten wir durchaus starke Verdachtsmomente. Sie werden mir nachsehen, dass ich diese nicht hier vor Ihnen ausbreiten werde! Unser Vorgehen war zu jedem Zeitpunkt mit der Staatsanwaltschaft abgesprochen.“

„Und was ist mit Walter Haferkorn?“, fragte ein Weiterer. „Den haben Sie inzwischen doch auch wieder frei gelassen.“

„Haferkorn war nie verhaftet“, erstickte Herwig die Diskussion gleich im Keime.

Es folgte eine Reihe Fragen, die Identitäten und Motive der Selbstmörder betreffend, sowie verschiedene Mutmaßungen, wer als Strippenzieher im Hintergrund in Frage käme, die Herwig jedoch nicht bestätigen wollte. Es gäbe aus ermittlungstechnischen Gründen keinen Spielraum, weitere Informationen öffentlich zu machen, wich er aus. Dennoch konnte man heraushören, dass sie noch keine neue heiße Spur zu haben schienen.

„Das heißt, Sie haben derzeit keinen Verdächtigen mehr?“

„Auch das ist einer der Punkte, zu denen ich Ihnen leider keine Auskunft geben kann.“

„Was hab' ich gesagt? Im Grunde erfahren wir nichts, was wir nicht eh' schon wussten“, wiederholte der renitente Journalist, der den Kommissar schon zu Beginn provoziert hatte und sah Beifall erheischend in die Gesichter seiner Kollegen.

„Wenn ich mir ansehe, wie vollgeschrieben Ihr Block nach so kurzer Zeit bereits ist, denke ich, dass ich Ihnen eine ganze Menge zu sagen hatte!“ Langsam schlich sich eine deutliche Gereiztheit in die Stimme des Ermittlers, die jedoch in Betroffenheit überging, nachdem er die nächste Frage hörte.

„Gehen Sie davon aus, Herr Kommissar, dass auch zu den beiden noch fehlenden Folgen von „Brender ermittelt“ zugehörige Leichen auftauchen werden?“

„Ja“, sagte Herwig und musste schlucken. „Es ist zu befürchten, dass das Morden noch kein Ende gefunden hat. Umso mehr sind wir bemüht, die Identität des Hintermannes zu klären. Nur so werden wir die Taten vielleicht verhindern können.“

Von hinten schob sich eine junge Polizistin in das Bild, die Frey als diejenige wiedererkannte, die ihm den Kaffee gebracht hatte. Sie wisperte Herwig aufgeregt ins Ohr und gestikulierte wild umher, doch flüsterte sie so laut, dass die empfindlichen Mikrofone, die vor ihrem Chef aufgebaut waren, jedes Wort deutlich übertrugen.

„Am Unterbachersee bei Düsseldorf wurde eine Wasserleiche entdeckt. Sie muss schon ewig da drin gewesen sein, beschwert mit einem Gewicht. Anscheinend wollte man, dass wir sie jetzt finden, denn das Seil, mit dem sie am Grund festgebunden war, ist frisch durchtrennt worden. Sie sollen sofort rüberkommen und sich das ansehen!“

Den Tumult, der nach dieser Nachricht in dem überfüllten Raum losbrach, bekam Christoffer Frey nicht mehr mit. Seine schlimmste Befürchtung war eingetreten.

Es ging weiter.

Kraftlos brach er auf seinem Wohnzimmerteppich zusammen und verfluchte den Tag, an dem er die erste „Brender ermittelt“ Geschichte veröffentlicht hatte.



Подняться наверх