Читать книгу "Brender ermittelt" - Kim Scheider - Страница 16

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Köln Altstadt, gegen 8.30 Uhr

Mehr noch als am Tag zuvor gab es an diesem Feiertagsmorgen schon sehr früh, ungewöhnlich rege Aktivität in Köln und Umgebung zu verzeichnen. Polizeifahrzeuge prägten das Stadtbild und die Pressevertreter halb Deutschlands befanden sich auf den Straßen. Die meisten davon waren unterwegs in Richtung Unterbachersee, auf der Jagd nach den ersten Bildern vom neuesten Tatort eines Brender-Mordes.

Doch ein Großteil der Kölner, die nicht mehr schlafen konnten, verfolgte gespannt die Fernsehberichterstattung und eine von ihnen war die 30 jährige Anna.

Sie stand am Küchenfenster ihres Appartements und beobachtete nachdenklich das Treiben unten auf der Straße. Der Fernseher lief bei ihr schon seit Stunden und mittlerweile hatte sie einige der Sondersendungen sogar schon mehrfach gesehen.

Als fast schon fundamentalistischer „Brender ermittelt“ Fan war sie zutiefst geschockt gewesen, dass man ernsthaft gegen Christoffer Frey ermittelt hatte. Um so erleichterter war sie, als sie durch die Übertragung der Pressekonferenz erfahren hatte, dass man ihm – selbstverständlich – nichts habe nachweisen können.

Anna neigte eigentlich nicht sonderlich zu romantischen Gefühlen, dafür hatte man gründlich gesorgt, doch wenn es um Christoffer Frey ging, kamen selbst ihre verschüttet geglaubten weiblichen Hormone wieder zum Vorschein.

Wenn sie in ihren Tagträumen mit Christoffer Frey verschwand, fühlte sie sich endlich einmal als Frau und nicht nur als das Neutrum, dass ihr Vater und ihr Onkel vor vielen Jahren aus ihr gemacht hatten. Ein unnahbares, verschlossenes und menschenverachtendes Neutrum.

Die Ausnahme war ihre Schwärmerei für Frey, von der aber nur wenige in ihrem Bekanntenkreis wussten.

Eine davon war ihre einzig echte Freundin und Mitbewohnerin Vivien, die gerade aus dem Bad kam.

„Hast du immer noch nicht genug von dem Kram?“, fragte sie Anna und stellte den Ton am Fernseher leiser. „Sie werden deinen Schatz schon nicht hängen.“

Anna wusste, dass es ein Scherz sein sollte, dennoch schnappte sie wütend: „Er ist nicht mein Schatz!“

„Ach nein, ich vergaß“, spottete Vivien. „Euch verbindet ja Tieferes.“

Anna konnte es ihr nicht einmal verübeln. Oft genug hatte Vivien sich ihre Geschichte schon anhören müssen. Sie war zutiefst davon überzeugt, dass Frey und sie eine Art Seelenverwandtschaft verband. Beide hatten sie in jungen Jahren ihre Eltern und ihre heile Welt verloren. Er durch den Unfall und sie durch den eigenen Vater.

Anna war in ihrem Elternhaus wie eine Prinzessin auf Händen getragen worden. Damals hatten sie in einer Nachbarstadt von Köln gelebt und waren noch eine richtige Familie gewesen. Jeden Wunsch hatte ihr Vater seinem Töchterchen erfüllt und sie über alles gestellt.

Sofern er nicht betrunken war, was alle paar Monate vorkam. Doch selbst dann hatte er sich ihr gegenüber immer zurückgehalten. Dass es dafür ihrer Mutter schlecht erging, hatte das kleine Mädchen damals noch nicht verstanden.

Als sie zehn wurde, begannen dann die ersten sexuellen Übergriffe des Vaters. Die Schonfrist war vorbei und mit zunehmender Trunkenheit wurden auch seine Taten immer hemmungsloser, bis er sie schließlich mit zwölf entjungferte und sich von da an, auch ohne betrunken zu sein, regelmäßig an ihr verging.

Erschrocken zuckte Anna zusammen, als eine Berührung an der Schulter sie aus ihren Erinnerungen riss. Dann begriff sie, dass es nur ihre Mitbewohnerin war, die ihr einen Arm um die Schultern legte und sie entspannte sich etwas.

„Du musst wieder an sie denken, nicht wahr?“, fragte Vivien sanft.

„Sie wollte mir helfen, Vivi!“, heulte Anna schluchzend auf. „Sie wollte helfen. Sie war doch meine Mutter!“

Bestimmt tausend Mal hatte Anna es ihr schon erzählt.

Wie die Exzesse des Vaters schließlich darin gipfelten, dass er seinem Bruder seine eigene Tochter zum Geburtstag „geschenkt“ hatte und sie im Verlauf einer wilden Orgie von der Mutter überrascht worden waren.

Wie ihre Mutter bei dem Versuch ihre schwer verletzte Tochter zu retten, von ihm weggestoßen wurde, wodurch sie stürzte und sich das Genick brach.

Wie ihr Onkel gelacht hatte, als er Annas Entsetzen über den Tod der Mutter bemerkt und sich erneut über den wehrlosen Körper des Mädchens hergemacht hatte.

„Er hat meine Mutter getötet und ist noch nicht einmal dafür bestraft worden!“, schrie sie verzweifelt und brach weinend in den Armen ihrer Freundin zusammen.

Vivien ließ ihr Zeit. Sie wusste, was Anna jetzt durchmachte. Es war jedes Mal so, auch wenn der letzte richtige Anfall schon eine Weile zurücklag. Anna durchlebte ihre traumatischen Erinnerungen wieder und wieder. Wahrscheinlich waren all die Berichte, die ihre Freundin sich angesehen hatte, schuld daran, dass es diesmal so heftig war.

Immer wenn sie Frey sah, verfiel sie entweder in pubertäres Kichern oder bekam einen solchen Anfall. Vivien war die albern kichernde Anna deutlich lieber, aber sie konnte auch die andere Anna verstehen, die sich nur langsam wieder beruhigte.

Erst als Vivien sicher war, dass ihre Freundin wieder halbwegs stabil war, löste sie sich vorsichtig von ihr und bewegte die eingeschlafenen Glieder.

„Vielleicht solltest du den Fernseher erst mal etwas auslassen. Zu viel Christoffer Frey für einen Morgen, wenn du mich fragst.“

Erstaunlich gefasst widersprach Anna ihr. „Es war nicht wegen Frey“, sagte sie, als werde es ihr selber gerade erst klar. „Es war wegen Herwig. Hauptkommissar Herwig. Er hat mich damals da rausgeholt!“



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