Читать книгу Seefahrt unter dem Hanseatenkreuz der Hanseatischen Reederei Emil Offen & Co. KG um 1960 - Klaus Perschke - Страница 9

Mit MS KARPFANGER US-Westküste nordwärts

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Ich habe die Distanz bis LA heute nicht mehr im Kopf. Da die KARPFANGER aber als durchschnittliches Etmal 300 Seemeilen machte, wird die Distanz vom Panamakanal bis LA bestimmt 3.000 Seemeilen betragen, soll heißen, wir waren am 6. März dort im Hafen von Long Beach angekommen und einklariert worden. Zur Information des Lesers: Wilmington ist ein Hafenteil von Long Beach und war der größte Umschlagplatz für europäische Autos. An japanische Autos, die dort 1959 in einem der Häfen eingeführt wurden, kann ich mich heute nicht mehr erinnern. Ich erinnere mich aber, dass amerikanische Hafenarbeiter damals auf den Abstellplätzen für europäische Kleinwagen, zum Beispiel der Marke FIAT, die Verschlüsse von den Benzintanks gewaltsam geöffnet und Zucker in die Benzintanks geschüttet hatten. Bei der Überführung zu den FIAT-Großhändlern blieben die Wagen mit einen „Kolbenfresser“ stehen und mussten anschließend zurück nach Italien verschifft werden. Die Täter wurden von der UNION und der Polizei ergebnislos verfolgt.

In den USA sind alle Longshoremen (Hafenarbeiter) streng gewerkschaftlich, also in der UNION, organisiert. Sobald ein Schiff im Hafen fest gemacht hat, darf kein Crewmitglied an Bord auch nur ein Geienende oder einen Schäkel an Deck anfassen. Jedes Crewmitglied wäre in so einem Fall sofort an den UNION-Vertrauensmann an Bord verpfiffen worden. Das löste im schlimmsten Fall ein Bestreiken des Schiffes aus, und der Kapitän hätte eine hohe Geldbuße in die UNION-Kasse entrichten müssen, wenn dieser Fall eingetreten wäre. Diese erzwungene Arbeitsmoral musste erst einmal in die Köpfe deutscher Kapitäne und Seeleute eindringen, die das erste Mal in die USA fuhren. Andererseits durfte kein „longshoreman“ an Bord kommen, bevor nicht ordnungsgemäß unter dem Fallreep ein Sicherheitsnetz befestigt wurde. Ich weiß nicht mehr, was die amerikanischen „longshoremen“ sich dabei dachten, als sie die Luken geöffnet und die ersten VW-Käfer an Land gelöscht hatten. Vielleicht betrachteten sie den Käfer als „german poor people car“, damals 1959. Wir dagegen staunten nicht schlecht, als wir nach Feierabend die Hafenarbeiter in ihren riesigen Schlitten der Marke Buick, Cadelac und Ford nach Hause fahren sahen. Ich hatte vorher noch nie so ausgewachsene verchromte Straßenkreuzer gesehen. Allein, was diese Fahrzeuge an Galones von Benzin verbrauchten, war für uns unvorstellbar. Aber darauf brauchten die US-Amerikaner bei ihren billigen Spritpreisen in den Staaten 1959 noch nicht zu achten. Und dann kam der Moment, wo die UNION-Anordnung „Don’t touch any shipsgear“ doch außer Kraft gesetzt werden musste: Zum Beispiel, als die einzelnen Hängedecks, zuerst aus den Lukenschächten der Zwischendecks, später aus den Unterräumen, herausgenommen werden mussten. Denn hier musste die „UNION“, beziehungsweise ihr „Wachpersonal“ an Bord passen. Keiner von den Amis kannte sich mit der Operationstaktik so gut aus wie unserer Bootsmann und seine Jan Maaten. Und so durften unsere Leute, nach langem Hinundhertelefonieren mit den Bossen an Land die Hängedecks selbst herausnehmen und an Deck stapeln und sichern. Diese „Overtimes“ wurden unseren Leuten selbstverständlich von der UNION in „Dollars“ cash auf die Hand gezahlt. Erst, als wir damit fertig waren und der Bootsmann den „unionman“ zu einer Flasche „german stuff“ (deutsches Bier) eingeladen hatte, tauten die Vorurteile uns gegenüber auf, und der Bootsmann wurde sogar nach Feierabend zu einer Fahrt nach Long Beach eingeladen. Seine Deckscrew musste an Bord bleiben. Das heißt, sie konnten an Land gehen, aber keiner kannte sich im Hafengebiet aus.

Doch wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Nach Feierabend wurden die Terminals öfters von der Harbour Police kontrolliert. Als wieder einmal ein schwarzes Fahrzeug der Harbour Cops vor unserer Gangway hielt, nahm ich mir den Mut und fragte sie nach dem Liegeplatz unseres Schiffes, weiterhin, von wo man im Bereich des Lagerhauses ein Taxi rufen könnte, da wir auch mal einen Abstecher nach Long Beach unternehmen wollten. Long Beach war bekannt für seine Restaurants und Bars mit „life music“. Und das wollten wir ja auch mal kennen lernen. Die Polizisten waren sehr freundlich und natürlich neugierig auf das deutsche Schiff. Und wir waren neugierig auf das Landleben in Kalifornien. Deshalb lud ich die Cops zu einer Spontanvisite an Bord ein, die diese akzeptierten und zu mir in die Kabine kamen. Sie ließen sich sogar zu einen Glas Bier überreden und zu einer Schiffsführung bewegen. Wohl gemerkt, man sollte nie vergessen: die Polizei, dein Freund und Helfer.

Beinahe vergessen: Als wir von den Behörden einklariert wurden, bekam jedes Besatzungsmitglied einen „shorepass“, auf dem natürlich der Name des Schiffes, der Name der uns betreuenden Schiffsagentur, der Name des Besatzungs-mitglieds, das Alter und die Berufsbezeichnung des Inhabers und der Berth eingetragen war, sowie eine Telefonnummer der Harbour Police, falls man in Schwierigkeiten geraten sollte. Unter den ersten, die sich aus Neugierde an Land wagten, war auch ich. Jedenfalls fanden wir irgendwo eine Telefonzelle am Terminal, von dort aus riefen wir ein Taxi. Nach einer Ewigkeit tauchte ein dicker Buick mit gewaltigen Heckflossen vor der Gangway auf, fragte nach uns, und freudestrahlend setzten wir uns zu viert in sein Schlachtschiff, und der schwarze Chauffeur kutschierte uns nach „downtown“ von Long Beach. Das erste, was uns auffiel, war, dass über ganz Long Beach und wahrscheinlich auch über ganz Los Angeles eine riesige Abgas-Dunstwolke schwebte. Den Begriff „Smoke“ kannten wir damals noch nicht. Die ganze Gegend roch nach Autoabgasen. Des Weiteren stellten wir fest, dass das ganze Gebiet bis an den Rand der Stadt fast Ähnlichkeit mit einer Wüste hatte. Sand, Sand, Sand. Und überall standen übergroße nickende Ölpumpen, die das Rohöl, also cruedoil, aus der Tiefe in ein Leitungssystem pumpten, welches zu einer großen Ölraffinerie weiter geleitet wurde. Weiterhin sah ich das erste Mal in meinen Leben diese trostlosen Motels, Einkaufsmärkte und riesigen Autohäuser, die direkt neben der sechsspurigen Autostraße auf dem Wege nach LA gebaut waren, weiterhin diese grelle, aufdringliche Neonreklame. Eine reihte sich an die andere. Das gab es noch nicht einmal in Bremerhaven, und Bremerhaven war durch das US-Militär fest in die amerikanischen Einflusssphäre eingebunden. Irgendwann verließen wir das riesige Gebiet des Hafens und erreichten eine bessere Geschäftsgegend. Ein Hotel reihte sich an das andere, unterbrochen nur von großen, einladenden Restaurants und Bars mit „live music“. Der Taxidriver empfahl uns ein bestimmtes mit mexikanischer Musik. Wir zahlten, bedankten uns und ließen uns überraschen. Ich muss vorwegschicken, ein überwiegender Teil der Bewohner von Los Angeles sind Mexikaner, und die Bands, die hier für die Gäste aufspielten, waren absolut bühnenreif. Soviel musikalisches Feuer hatte ich vorher noch nie erlebt. Natürlich musste man, wenn man einen Tisch eingenommen hatte, auch etwas verzehren, natürlich etwas Mexikanisches - mit scharfem Chili. Das waren wir Bewohner der Sauerkrautheimat überhaupt nicht gewohnt. Welcher Schiffskoch peppte seine Gerichte an Bord mit Chili auf? Der hätte seine Kochkunstprodukte allein aufessen müssen. Uns blieb zwar beim Essen fast die Luft weg, doch mit einem kalten Bier kann man auch so ein Feuer vorübergehend löschen. Auf jeden Fall war dieses Musikbar-Restaurant keine Enttäuschung, immerhin blieben wir fast bis Mitternacht. Dabei hatten wir stets unsere Penunsen im Auge, damit wir nach Ausklang des ersten Landgangs heil wieder unser Schiff erreichen konnten. Nach dem mexikanischen Abstecher besuchten wir noch eine andere Bar, die nur von weißen Amerikanern besucht wurde. Wir fanden Platz am Tresen, hinter dem eine Art Bühne gebaut war und auf der ein Klavierspieler die Gäste mit seinen Darbietungen unterhielt. Der Klavierspieler war ein junger übermäßig korpulenter Schwarzer, der wirklich guten Soul als Alleinunterhalter darbot. Sein Name war Faz Domino. Jahrzehnte später hatte ich ihn in den 1990er Jahren zusammen mit meiner Frau mit großem Aufgebot im „Congress Centre“ wiedergesehen. Nach diesem Kurzabstecher in Long Beach brachte uns der nächste Taxidriver wieder mit so einem gewaltigen Buick zurück an Bord. Das waren 1959 meine ersten Eindrücke vom Land der unbegrenzten Möglichkeiten.

Am nächsten Morgen hatte uns der Hafenalltag wieder eingeholt. Nachdem wir unsere Teilladung Wolfsburger Käfer nach eineinhalb Tagen in Wilmington gelöscht hatten, gaben uns die Gewerkschaftsbosse grünes Licht, unsere Luken selbst seeklar zu machen. Ich weiß nicht, was der Kapitän extra an die UNION-Bosse abdrücken musste. Ganz bestimmt waren da etliche Flaschen „Black Lable“ einer bestimmten schottischen Whisky-Marke von Bord gegangen. Auf jeden Fall war das Seeklarmachen im Hafen bedeutend sicherer über die Bühne gegangen als nach dem Ablegen draußen auf dem offenen Meer, denn draußen auf See wehte es, was eigentlich in diesen Breiten selten vorkam. Allerdings, wir hatten ja erst Anfang März.

Laut Fahrplan sollten wir bereits am 9. März in Seattle ankommen. Doch das war das übliche Wunschdenken der Schiffsplaner in der Reederei und der Agentur in Hamburg. Tatsächlich liefen wir erst am 7. März aus Wilmington / Long Beach aus, und bedingt durch die Wetterentwicklung hatten wir gegenüber dem Fahrplan sogar sieben Tage Verspätung, denn es wackelte unangenehm vor der Küste Kaliforniens. Damit hatte sogar der Alte nicht gerechnet. Wir machten auf unserem Kurs nach Seattle zeitweilig weniger als 7 Knoten Fahrt. Zu unserem Glück im Unglück hatten wir Wind und See direkt von vorn. Und da das Schiff nicht gerade abgeladen war, machte es fürchterliche Stampfbewegungen, so dass Kapitän Herbst unter Absprache mit dem Chiefingenieur, Herrn Thun, die Umdrehungen zurückfahren musste. Wir wollten nicht die restlichen Käfer in Gefahr bringen. Am 14. März hatte sich der Kuhsturm fast ausgetobt, wir hatten verrückterweise fast spiegelglatte See. Nur der Schwell war immer noch hoch, und die olle KARPFANGER fiel in jedes Loch, das sich vor ihr auftat. Während des Kuhsturms hatten wir zeitweise auf einer Wache nur 27 Seemeilen gemacht. Als wir am 16. März Cape Flattery umrundeten und in die Strait of Juan de Fuca einliefen, gab es noch einmal eine kurze wüste Rollerei, doch dann mit Wind und See von achtern lag das Schiff ruhig wie ein Bügeleisen. Unsere Fahrt verlief bis Port Townsend, von dort am Admirality Inlet vorbei bis Edmonds bis in den Puget Sound. Unser Zielhafen Seattle war erreicht. Ende der Reise Long Beach – Seattle.

Der Seelotse, der schon querab von Port Angeles an Bord gekommen war, übergab uns dem Hafenlotsen, der uns mit zwei Hafenschleppern erwartete und zu unseren Terminal bugsierte. Nach dem Festmachen wurden wir wie überall in den Häfen auf der Welt von einer Abordnung Immigration Officers, Custom Officers, Port Health Officers und Shipagency erwartet und abgefertigt, ehe die Stevedoring Company an Bord erschien und von dem Ladungsoffizier, also dem 1. Offizier, Herrn Deak, ihre Ladungspapiere erhielt und ihre Arbeitsgänge einteilen konnte. Wie schon in Los Angeles, die Luken wurden von den Hafenarbeitern selbst geöffnet. Eine Entlaschgang löste alle Laschings von den für Seattle bestimmten Käfern, und dann ging der Löschbetrieb los. Aber alles piano piano. Nicht so verrückt wie in Hamburg, Bremen, Rotterdam oder Antwerpen. Für die longshoremen war es wichtiger, dass ein Sicherheitsnetz unter dem Fallreep angebracht war. Die Stückzahl der Käfer, die an Land gelöscht wurden, war für sie uninteressant.

Ein Waterclak unserer Agentur Williams Dimond & Co. im Hoge Building, in der 2nd & Cherry Street, überbrachte Kapitän Herbst die Ladungspapiere für die kommende Reise nach Hawaii Islands. Hier in Seattle war die Linienfahrt aus dem Gemeinschaftsdienst mit der Finline zu Ende. Die neue Charter lief unter der Regie der Hanseatischen Reederei Emil Offen & Co. KG, soll heißen, für die ungewöhnliche Zwischenreise nach Honolulu und Kahului auf Maui, eine der Hawaiian Islands, wurde bereits in Seattle die erste Ladung, Stückgüter, meistens Holzprodukte wie Sperrholz in großen Paketen für den Hausbau auf den Hawaiian islands, an Bord genommen. Am 19. März hatten wir unsere erste Teilladung an Bord und am gleichen Tag verholten wir noch nach Vancouver.

Die Verholreise von Seattle nach Vancouver dauerte um die vier Stunden. Ich erinnere mich noch genau, dass wir zunächst unter der Lions-Gate-Bridge hindurch am Stanley-Park vorbei erst im Hafen von Vancouver an einem Terminal festmachten und dort die ganze Einklarierungsprozedur auf „kanadisch“ über uns ergehen lassen mussten. Denn jetzt waren wir im very british West-Canada gelandet. USA war gestern. Die Shipping Agency hieß jetzt auch Dingwall, Cotts & Co. in der West Hastings Street. Wahrscheinlich ist sie dort auch heute noch zu finden.

Wie gesagt, es war der 19. März 1959, heute bereits über 50 Jahre her. Wir sollten eine ganze Schiffsladung Stückgüter nach den Hawaiian Islands bringen. Und das waren fast alles Forstprodukte, Pakete mit auf Länge vorgeschnittene Bretter, Bohlen, Balken, sprich alles, was die Hausbauindustrie benötigte und „News-Print“-Rollen (Zeitungspapier in riesigen Rollen für eine Druckerei). Unsere letzten Käfer hatten wir bereits in Seattle an Land gelöscht.


Vancouver, die Perle von British Columbia (heute). Im Hintergrund, das X-Trade & Convention Centre, direkt rechts davon, wo der heutige Yachthafen liegt, dort standen früher die Terminals für die Stückgutschiffe, dort fand die Einklarierung am 19. März 1959 statt. Rechts der Stanley-Park, ein Nationalpark. – Quelle des Fotos: ein guter Freund in New Westminster.

Und noch etwas: Vancouver war nur der Einklarierungshafen. Geladen wurde in New Westminster, eine Art Vorort von Vancouver, am Frazer River gelegen. Das hieß, wir mussten nochmals eine kleine Verholreise antreten, sprich: einmal aus Vancouver raus, um die Ecke rum und den Frazer River aufwärts.

Dort, wo auf dem nächsten Bild das Schiff zu sehen ist, lagen wir damals und bekamen eine Ladung News Print (Zeitungspapier in riesigen Rollen), die höchst vorsichtig im Unterraum auf dem Sperrholzpaketen abgesetzt wurde. Das heißt, eine Zimmermannsgang hatte vorher mit Sperrholzplatten direkt über der Sperrholzladung eine absolut ebene Fläche ausgelegt und gezimmert, auf die die Rollen stehend geladen wurden.

Jede einzelne Rolle wurde von einem Claim-Tallymann einer „cargo inshurance“ absolut genau auf Druck- oder Stoßschäden nach dem Absetzen kontrolliert und dieses protokolliert und fotografiert.


Das war das Terminal in New Westminster am Frazer River, wo wir einen Teil der Ladung für Hawwaii übernahmen. Diese ganze Ecke wurde Jahre später, als die Containerschiffe die Stückgutschiffe verdrängt hatten, abgerissen und zu einer Flaniermeile umfunktioniert. In den über 50 Jahren seit damals hat sich verdammt viel verändert in diesem Land.

Sobald eine Lage im Unterraum geladen war, wurde diese wie vorher von der Zimmermannsgang mit Sperrholzplatten abgedeckt, und dann kam die nächste Lage drauf. An den Seiten zu den Schweißlatten wurden die stehenden Rollen mit Fendern aus Gummi gegen ein Überholen und Verrutschen stabilisiert. Die Kanadier hatten im Stauen von Zeitungspapierrollen große Erfahrungen. Auf jeden Fall war das eine sehr teure Ladungsparty, die wir an Bord nahmen.

Auch in British Columbia liefen die Uhren anders als in den europäischen Häfen: Keine Hektik, dafür wurde auf Sicherheit größter Wert gelegt, sowohl auf die Sicherheit der Hafenarbeiter als auch auf die Sicherheit der zu ladenden Stückgüter. Und, es wurde nur in einer Tagesschicht gearbeitet, damals jedenfalls, also im Jahre 1959. Wir empfanden diese Arbeitsmoral als sehr positiv, denn wir hatten endlich auch Gelegenheit, an Land zu gehen und dabei Menschen kennen zu lernen. Und man staune, wie viele deutsche Auswanderer aus der alten Heimat sich in Vancouver und Umgebung niedergelassen hatten. Ich lernte gleich zwei junge Männer kennen. Der erste hieß Peter Wunderlich, kam ursprünglich aus Itzehoe und war in New Westminster der große Hans Dampf in allen Gassen. Pech für ihn war nur, dass wir einen Elektriker an Bord hatten, der mit ihm früher zusammen zur Schule gegangen war. Als er seinen ehemaligen Schulkollegen, also unseren Elektriker, wiedersah, fiel ihm die Klappe runter. Unser Blitz nahm ihn mächtig in die Zange und quetschte ihn aus. Womit er seinen Lebensunterhalt verdiene, wo er wohne, was er verdiene? Und siehe da, es stellte sich heraus, dass all seine blumigen Geschichten, die er uns erzählt hatte, gar nicht wahr waren. Der Knabe wollte uns weismachen, dass er „Nationalpark-Ranger“ war. Aber als wir ihn baten, sich als Ranger auszuweisen, da konnte er es nicht. Einem anderen Kollegen erzählte er, er wäre „fire fighter“, das sind die Jungens, die bei Waldbränden vom Flugzeug aus per Fallschirm in der Nähe des Brandzentrums abspringen. Dann ließ er durchblicken, dass er in einem Jahr nach Deutschland zurückkehren wolle. Aber sich überall durchschmarotzen, das konnte er. Er log, dass die Balken sich bogen. Keiner wollte weiterhin etwas mit ihm zu tun haben. Und das ließen wir ihm klar durchblicken.

Man soll aber nicht alle Deutschen, die hier in Kanada gelandet waren, über einen Kamm scheren. Der nächste junge Mann, den ich kennen lernte, war ein 22jähriger Bengel aus Hamburg. Sein Name: Harald Rodde. Und dem ging es sehr gut hier in New Westminster. Harald war der Sohn eines Hamburger Kaffeemaklers, der in der Maklerei Elvers, Dallmer & Sanne am Pickhuben 6 – Sandtorquaihof tätig war. Das ist irgendwo in der Speicherstadt. Ob die Firma heute noch existiert, ist ungewiss, nachdem Herr Tschibo den Kaffeehandel an sich gerissen und ziemlich alle Konkurrenten platt gemacht hat. Harald hatte zum Entsetzen seiner Eltern eine Ausbildung in der Landwirtschaft gemacht, vielleicht aus Protest, denn er wollte keinen Büro- und Reisejob wie sein Vater machen. Und diese dreijährige Ausbildung hatte er auf einem Gutshof der Familie Ranzau irgendwo in Dithmarschen durchgezogen. Vielleicht hatte er nach der Ausbildung Stress mit seinen Eltern gehabt. Auf jeden Fall wollte er für ein ganzes Jahr nach Canada auswandern, sprich mit dem Schiff nach Vancouver verschwinden. Sein Vater hatte dafür Verständnis gezeigt und ihm das Geld für die Überfahrt gegeben. Er war nie auf einer kanadischen Farm angekommen. Harald war Pragmatiker und fühlte sich in Vancouvers Umgebung sofort zuhause. Er war nicht wählerisch gewesen und hatte sich einen Job in einer Lumber Mill (Sägewerk) genommen, war nicht in die UNION (Gewerkschaft) eingetreten und bekam aus diesem Grunde den schlechter bezahlten Job des Holzbohlenstemplers. Er musste die fertig geschnittenen Bohlen, Balken und Bretter an den abgeschnittenen Enden mit roter Farbe stempeln. Ihm machte das nichts aus, was andere über ihn dachten. Er war immer zu jedermann hilfsbereit und freundlich und bekam am Monatsende 280 Can$ ausgezahlt. Er wohnte bei einer österreichischen Familie zusammen mit drei anderen deutschen Auswanderern und musste für Kost und Logie ganze 65 Dollar abdrücken. Und mit diesem jungen Mann hatte ich mich angefreundet.

Das heißt, wenn er Feierabend hatte, dann holte er mich mit seinem VW-Käfer vom Schiff ab, wenn es sich einrichten ließ. Denn einer von uns drei Offizieren musste die Sicherheitswache übernehmen. In New Westminster versuchte ich auf jeden Fall immer, einen meiner vorgesetzten Kollegen zu kaufen. Herr Stambor hatte abends nach Feierabend in der Regel nicht viel vor. Harald fuhr mich in seinem Käfer durch New Westminster und Vancouver, zeigte mir die Viertel, wo hauptsächlich deutsche Einwanderer wohnten, zeigte mir deutsche Geschäfte, z. B. Schlachter- und Bäckereien und deutsche Restaurants.

Er machte mit mir auch einen Abstecher in den Stanley-Nationalpark und zeigte mir dort eine Ecke, wo indianische Totempfähle aufgestellt waren. Ich konnte mit dem besten Willen nichts Unsympathisches an ihm entdecken.

Seit diesem Kennenlernen besuchte er mich jede Reise, egal mit welchen Schiff ich von der Hanseatischen Reederei Emil Offen & Co. dort in New Westminster ankam. Wir wurden damals gute Freunde und sind es bis heute geblieben. Uns Harald, diese alte treue Seele, kam jedes Mal, wenn ich mit einem von Emils eigenen Schiffen nach Vancouver oder New Westminster kam, zu mir an Bord und gemeinsam – natürlich mit Erlaubnis des Kapitäns und der Kollegen – verdufteten wir an Land, und er machte mir British Columbia schmackhaft.


Klaus Perschke mit Harald Rodde (siehe Nachtrag am Ende des Buches)

Von New Westminster mussten wir eine weitere Verholreise nach Vancouver Island, und zwar nach Port Alberni antreten. Es war eine Reise von etwa acht Stunden, natürlich unter Lotsenberatung. Für dieses Gebiet gab es nur kanadische Seekarten. Warum wir die nicht hatten, weiß ich nicht. Das Verholen muss um den 25. März 1959 stattgefunden haben, denn Karfreitag, den 27. März lagen wir querab von Port Alberni im Fjord vor Anker und warteten auf unseren Liegeplatz, der leider noch besetzt war. An diesen Tag hatte ich einen Brief nach Hause geschrieben und alle meine Eindrücke über Vancouver Island in den schönsten Farben geschildert.

Man muss sich vorstellen, man steht an der Holzpier von Port Albernie. Lieber Leser, Sie blicken hinüber zu der ankernden KARPFANGER.

Wir warteten auf einen freiwerdenden Liegeplatz, auf unseren Berth. Nur, am Karfreitag, dem 27. März 1959, hatte auch die Bevölkerung von Vancouver Island ein Recht auf ihre Osterfeiertage mit dem entsprechend traurigen Osterwetter. Es passte alles zusammen.


Kartenausschnitt von British Columbia mit Vancouver Island mit dem Ladehafen Port Alberni – Quelle: Lloyd’s Maritime Atlas of world ports and shipping places, ISBN 1843110962, page 52

So, wie auf der Skizze, erinnerte diese Landschaft mich an Norwegen. So lieber Leser müssen Sie sich die kanadische Fjordlandschaft von Vancouver Island vorstellen.

Der Himmel war verhangen, es regnete, später ging der Regen sogar in Schneeregen über. Die Sonne hatte keine Chance, die Oberhand zu gewinnen.

Und bei diesem Wetter sah alles noch düsterer aus. Während wir vor Anker lagen, hätten wir genügend Zeit gehabt, eine Bootstour zu unternehmen. Irgendwo am Ende des Fjords aufwärts von Port Alberni sollte eine Flussmündung sein, vor der sich jedes Jahr um diese Zeit riesige Lachsschwärme versammeln, bevor sie aus einem inneren biologischen Drang heraus plötzlich den reißenden Fluss aufwärts zu ihren Laichplätzen ziehen. Bekannt war auch, dass sich zu diesem Zeitpunkt auch die Schwarzbären an den Ufer des Flusses einfinden würden, um sich ihren Anteil an Frischfisch abzufischen.


Die Skizze ist nachträglich aus dem Kopf entstanden

Das hatte uns der ortskundige Lotse erzählt. Nur, bei diesen Schietwetter, bei dem man noch nicht einmal seinen Hund vor die Haustür jagt, hatten unsere Leute auch keine Lust auf eine „sightseeingtour“. Wir zogen es vor, die Feiertage vor Anker an Bord zu bleiben. Eigentlich hatte der 27. März etwas mit Frühlingsanfang zu tun. Nur, das hatte sich in der Natur von Vancouver Island noch nicht herum gesprochen.

Irgendwann nach Ostern wurde endlich unser Liegeplatz frei, sprich: Wir verholten endlich an die Holzpier. Zwei „logpusher“ – kleine sehr stark motorisierte Floßbugsierer – drückten uns an die Pier und warteten, bis wir fest vertäut waren. Nach dem Festmachen und Fallreppausbringen wurden die Luken aufgezogen, und die Tallyleute und der Schiffsvormann ließen sich die Ladeplätze in den Unterräumen zeigen, wo sie ihre Ladungspartien einbringen konnten. Die longshoremen in Port Alberni waren in der Mehrzahl einheimische Indianer, die unter anderem die elektrischen Winden auf den Masthäusern bedienten, alles erfahrene Schauerleute, die aus den näheren Reservaten von Port Alberni kamen. Jetzt konnte der Ladebetrieb beginnen, Schnittholz von unterschiedlichen Stärken für den Hausbau auf Hawaii bestimmt, wurde in genormten Pakethieven abgepackt mit dem eigenen Ladegeschirr übernommen und im Unterraum abgesetzt und zunächst die untere Lage per Gabelstapler gestaut. Das ganze Schiff roch nach frisch gesägtem Pitchpine-Holz, ein angenehmer Geruch. Jedenfalls empfand ich es damals so. Die ganze Landschaft um Port Alberni roch eigentlich danach. Abends, wenn die longshoremen Feierabend hatten, trieb es uns nach dem Abendessen auch an Land. Eigentlich erwarteten wir nichts Aufregendes in diesem 3 000-Seelenkaff. Port Alberni war eine Reißbrettortschaft, schachbrettartig gebaut, allerdings mit breiten Straßen, die nicht nur für den Autoverkehr gedacht waren, sondern in erste Linie wegen der Brandgefahr so angelegt waren. Es sollte im Falle eines Waldbrandes - die ganze Ortschaft war von Waldgebieten eingeschlossen - ein Überspringen der Flammen von einer Straßenseite auf die andere verhindert werden. Logisch gedacht. Natürlich gab es auch etliche Geschäfte in der Main Street, eine Royal Mountain Police Station, ein Gefängnis, in dem fast immer irgendwelche besoffenen Indianer oder Kanadier ihren Rausch ausschliefen, und natürlich gab es auch die entsprechenden Bars. Aber das findet man ja in jeder Hafenstadt auf der ganzen Welt. Eine anglikanische Kirche war natürlich auch vertreten, weiterhin die örtliche Schule. Weitergehende Schulen gab es nur in Victoria an der Südostspitze von Vancouver Island und direkt in Vancouver. Es gab aber auch einen interessanten Store, in dem sich die Mitarbeiter der Loggingcamps und der Lumber Mills hochwertiges Werkzeug, zum Beispiel Kettensägen, schwere Äxte, wetterfestes Arbeitszeug sowie Gummistiefel mit Stahlkappen kaufen konnten, die die Jungens bei ihren schweren Jobs tragen mussten - und die berühmten kanadischen Holzfällerhemden in allen Farben. So etwas hatte ich in Europa noch nicht entdeckt.

Uns interessierten natürlich nach Feierabend die im amerikanischen Design ausgebauten Bars. Hier gab es keine Pubs wie in Great Britain. Hier an der kanadisch-amerikanischen Grenze hatte sich diese pompöse amerikanische Barkultur stark verbreitet. Und in so eine Barwelt tauchten wir ein. Interessant, ein riesiger Bartresen fiel uns als erstes auf, der Musikautomat dröhnte aus dem Hintergrund die damals beliebten County Western Songs. Und das Bier schmeckte sogar mir. Am anderen Ende des Tresens saß unser Super Cargo, eine Art begleitender Ladungsinspektor, der für die ganze Beladung für Hawaii verantwortlich war. Hinter dem Tresen standen auf jung getrimmte herausgeputzte Fregatten mit tiefem Dekolleté und weißblond gestylten Frisuren. Bei dem Frauenmangel, der in Port Albernie offenbar herrschte, konnten diese Damen sich noch gute Chancen bei den Holzfällern ausrechnen. Irgendwann hatte ich genug, zahlte meine Rechnung und verabschiedete mich. Ich ging zurück in Richtung Hafen und wollte an Bord. Nur, auf dem Wege dorthin spürte ich einen gewaltigen Druck auf der Blase, also ich musste mal ganz dringend. Irgendwann konnte ich nicht mehr verhalten und stellte mich an einen Baum, natürlich im Dunkeln. Der Baum gehörte zu einem Grundstück, dessen Besitzer gar nicht damit einverstanden war, dass ich seinem Hund Konkurrenz machte. Offenbar war das Wasserabschlagen nur seinem Hund erlaubt. Und der Mistkerl rief die Royal Mounties. Ich war gerade am Weitergehen, da wurde ich plötzlich von einem Streifenwagen gestoppt. Man kontrollierte meinen Landgangausweis und stellte mich zur Rede, warum ich dort am Baum uriniert hätte. Auf jeden Fall kamen sie gleich zur Sache: Der Spaß kostete mich 15 Can$, und sie fragten mich, ob ich das bezahlen wolle. „Of course, I will, but I must get the money from the purser first, I’m blanc.” Sie waren einverstanden, luden mich in ihren Streifenwagen, fuhren mich zurück zur KARPFANGER und kamen mit an Bord. Ich bat sie, in meiner Kabine Platz zu nehmen und suchte unseren Funkoffizier, Herrn Dietlein, auf, von dem ich mir den Vorschuss holen musste. Nachdem ich den Mounties meine fees bezahlte hatte, tranken wir noch gemütlich jeder zwei Flaschen Holstenbier, wobei Herr Dietlein plötzlich auftauchte und sich bei mir erkundigte, weshalb ein Streifenwagen der Mounties vor dem Fallrepp stand. „Wegen mir!“ antwortete ich ihm und erzählte ihm die Story. Er wollte sich fast totlachen, und die Mounties mussten über seinen Heiterkeitsausbruch auch grinsen. Wieder einmal mit einem blauen Augen davon gekommen. Nur, am nächsten Tag, lachte die ganze Schiffsbesatzung über Klaus Perschke.

Unser Messesteward war auch an Land gewesen und hatte sich kräftig einen auf die Lampe gegossen. Auf dem Rückweg an Bord hatte er an keinem Baum gestoppt. Er war durch mein Erlebnis mit der Royal Canadian Mountainpolice vorgewarnt gewesen und gab ihnen keine Chance zum Abkassieren. Aber er hatte in seinem Dunas eine überraschende Begegnung mit einem Einheimischen, der in der Nähe des Hafens einen ganzen Wurf neugeborene Kätzchen ersaufen wollte. Als unser Steward den Einheimischen dabei beobachtete, knurrte der ihn an und fragte: „Do you want a kitten, man?“ Natürlich wollte er in seinen Brandy ein „kitten“ abbekommen, antwortete mit „sure I will“, bekam das letzte und steckte das neugeborene blinde Tier in die Tasche seines Parkers und kam damit zurück an Bord der KARPFANGER. An Bord in seiner Kammer hatte er den Vorfall bereits vergessen, hing seinen Parker an den Kleiderhaken, zog sich aus und ging in die Koje. Am nächsten Morgen wachte er durch das traurige Miezen des Kätzchen auf, suchte in seiner Kammer, entdeckte es letztendlich in der Tasche seines Parkers und merkte, dass ihm einige Stunden der Erinnerung abhanden gekommen waren. Da er nicht wusste, wie es weiter gehen solle, kam er zu mir und zeigte mir das Häufchen Elend. Da ich nicht der kernige Typus aller nautischen Vertreter Deutschlands war, sondern ein Herz für hilfsbedürftige Tiere hatte, verdonnerte ich ihn, mir das Kätzchen zu geben, damit ich es aufziehen konnte. Allerdings fehlten mir für die Aufzucht noch einige Hilfsmittel, zum einen, ein kleines Fläschchen mit einem Gumminuckel und zum anderen eine Art Milchpulver zum Aufziehen von Welpen und Kätzchen. Das konnte man alles im Drugstore von Port Alberni bekommen. Und den Gefallen tat er mir dann auch. Natürlich wusste Kapitän Herbst nichts davon, denn er war ein Katzenhasser. Auf seinem vorherigen Schiff „SIMON VON UTRECHT“ hatte der Kater des Zimmermanns in der Mittagspause einen Schiffsrundgang gemacht und war, angelockt durch das laute Getriller des Kanarienvogels unseres Kapitäns, ohne Genehmigung von Kapitän Herbst in die Kapitänskabine hinein marschiert und hatte sich aus lauter Neugierde auf dem Vogelkäfig oben auf dem Bücherschrank nieder gelassen. Statt des herrlichen Getrillers ertönte jetzt ein verängstigtes Gefiepe, welch ein Wunder. Das wiederum lockte den Kapitän während des Mittagessens aus dem Speisesalon nach oben, wo er beim Anblick dieser Katzendreistheit fast einen Herzinfarkt bekam. In seiner aufkommenden Wut griff Kapitän Herbst nach einem dicken Buch und warf es in Richtung Kater. Der machte geistesgegenwärtig einen Seitensprung auf die Couch, von dort blitzschnell durch die Beine von Papa Herbst hindurch und ab übers Bootsdeck ins Freie. Leider hatte das Buch den Käfig getroffen, welcher vom Schrank geschleudert wurde. Dabei öffnete sich das Türchen des Käfigs und sein Kanarienhahn schoss wie eine Rakete aus dem Käfig, weiterhin auch zur Kabinentür raus. Er war an Deck geflogen und war nicht wieder aufzufinden! Später am Abend wunderte sich der Zimmermann, dass sein Kater wieder auf seiner Koje lag und vor der Koje einige gelbe Federn lagen, die da nicht hingehörten. Papa Herbst soll damals noch stundenlang den Kater gesucht haben, ohne Ergebnis. Tja, und nun hatte ich so ein kleines blindes, hungriges Kätzchen bei mir in der Kabine, welches sowohl gefüttert, als auch gebadet werden musste, gefüttert vier Mal am Tag mit einer Aufzuchtmilch, die wir vorher anrühren mussten, usw., usw. Natürlich hatte ich den Katzenzwerg durchbekommen. Und zurück in Hamburg hatte ich dieses Kätzchen meiner heiß geliebten Schwester übergeben, die gerade zu Besuch an Bord war und auch ein Herz für Tiere hatte.

Weiterhin trafen wir in diesem Kaff auch einen Deutschen, der nicht zu den Auswanderern der Nachkriegsgeneration gehörte, sondern schon Ende der zwanziger, Anfang der dreißiger Jahre in der Zeit der Weltwirtschaftskrise in dieser Gegend hängen geblieben war. Er lebte dort schon über vierzig Jahre, anfangs auch als Holzfäller, jetzt als Forrest Inspektor. Und er kannte alle Ecken von Vancouver Island. Wir waren sprachlos, als er uns seine Geschichte erzählte. Er wollte mal wieder ein deutsches Bier trinken und eine Scheibe Schwarzbrot mit Leberwurst essen. Und für die Erfüllung dieser Bitte lud er Herrn Stambor, Herrn Dietlein und mich zu einer interessanten Autofahrt durch die Wälder von Vancouver Island ein. Es existiert sogar ein Foto von dem Ausflug. Die Frage ist nur, wo habe ich es bei meinen Chaos in meinen Büro verbuddelt? Keine Angst, ich werde es schon noch finden.

Und dann kam der Tag, an dem wir abgeladen waren, der Chiefingenieur seine Hauptmaschine gestreichelt und vorgewärmt hatte, wir den ganzen Dampfer seeklar gemacht hatte und, nachdem der Lotse an Bord gekommen war, das Fallrepp an Bord geholt wurde und es „klar vorn achtern, schmiet los all lines“ hieß. Die beiden bulligen „log-pusher“ zerrten uns von der Pier weg, drehten uns im Hafen mit dem Steven seewärts, und ab ging die Post am 4. April 1959 dem Fjordausgang entgegen, bis das Lotsenboot den Hafenlotsen abholte und wir jetzt in zirka acht Tagen über den Pacific nach Kahului auf Maui versegeln sollten. Und das Wetter? Was kann man um diese Jahreszeit auf diesen nördlichen Breiten im Pacific schon für Wetter erwarten? Die KARPFANGER rollte und stampfte bei Wind und See von Steuerbord und nahm Wasser über. Eine TUI-Kreuzfahrt war das nicht. Immer Windstärken von 8, manchmal 9 sogar. Also ein Tief löste das nächste ab. Man konnte sich nur mittschiffs unter Deck bewegen. Der Zimmermann, der jeden Morgen die Tanks peilen sollte, gab verzweifelt auf. Sein Peilstock war ständig klitschnass. Die Stimmung war an Bord im Keller. Als wir am 8. April bereits auf dem 30. Breitengrad standen, tobte immer noch der Bär. Auf jeden Fall hatten wir inzwischen Verspätung, da Kapitän Herbst die Reise ohne schlechtes Wetter voraus kalkuliert und das an die Agentur nach Maui weiter gegeben hatte. Eigentlich hätte unser ETA am 12. April sein sollen. Doch daraus wurde nichts.

Endlich waren wir am 13. April 1959 in Kahului auf Maui angekommen. Ein Hafenlotse wartete schon auf uns. Und womit natürlich keiner rechnete, der Lotse war ein gebürtiger Hamburger, Herr Stein, der 1924 von seinem damaligen Hamburger Seelenverkäufer ausgestiegen war und einen Job als AB (able body seaman) bei dem Hawaiian Island Tug Service angenommen hatte. Statt mit Kümos, wie bei uns in Europa, wird die Versorgung der Inseln durch Island Tugs mit riesigen Bargen als Anhang gemeistert. Und das wird auch gegenwärtig noch so gehandhabt, und es hat sich stets bewährt. Kapitän Stein war in Fietendörb (Finkenwerder) geboren und war, seit seinem „Achterraussegeln“ auf Hawaii nie wieder in Deutschland gewesen. Aber platt snaken konnte er immer noch. Muttersprache verlernt man nie! Kapitän Stein hatte während des 2. Weltkrieges in der US Coast Guard gedient, hatte später nach dem Krieg sein „Master Degree“ gemacht, fand Maui fantastisch schön, hatte sich dort als Hafenlotse beworben und hatte Glück gehabt. Maui war seine zweite Heimat, in Kahului, ungefähr 100 Meter oberhalb des Hafens, hatte er einen schönen Bungalow stehen. Er war natürlich mit einer Amerikanerin verheiratet, hatte drei erwachsene Söhne, die inzwischen auch verheiratet waren und ihn zum Großvater befördert hatten. Er war natürlich glücklich, als er von Kapitän Herbst ein paar Scheiben Schwarzbrot mit Leberwurst und ein Holstenbier serviert bekam. „Schmeckt wie bei Muttern!“ meinte er. Nach der Einklarierung durch die US-Behörden und dem Austausch der Ladungspapiere und Staupläne mit dem Makler und dem Stevedoring Inspektor wurde bei Kapitän Herbst erst einmal eine Runde geschnackt. Wie sieht die Hamburger Schifffahrt aus? Existieren noch die und jene Reederei? Danach musste er rasch ins Hafenbüro, versprach aber wieder zu kommen, denn er wollte Kapitän Herbst zu einem Inselausflug einladen.


Das ist die zweitgrößte Insel der Gruppe Hawaiian Islands. Im Norden an der engsten Stelle erkennt man Kahului. Auf Maui hatte sich, so berichtet die Geschichte, 1790 die letzte Entscheidungsschlacht zwischen dem König Kamehameha I. und König Kahekili abgespielt, die westlich von Kahului und Wailuku im Iao Valley stattfand. König Kamehameha I. besiegte seinen Gegner und vereinigte alle sieben Inseln zu einen gemeinsamen Königreich.

Quelle: Google maps

Doch Kapitän Herbst kniff, wollte unabhängig sein, wenn er mal an Land gehen wollte. Peinlich für Kapitän Herbst, dafür bot Kapitän Stein Herrn Dietlein und mir eine „sight-seeing-Tour“ über die schöne Insel an, was wir natürlich auch annahmen. Von Herrn Deak, also unserem 1. Offizier bekam ich dienstfrei, Herr Stambor hatte auch nichts dagegen. Also, auf an Land, um Land und Leute kennen zu lernen! Die Rundreise war beeindruckend. Wir waren 55 km unterwegs, 55 km mit sich ständig ändernder geologisch geprägter Landschaft vulkanischen Ursprungs und einer faszinierender Vegetation, die wir in den europäischen Breiten gar nicht kannten, 55 km mit einer bestens gepflegten Infrastruktur. Überall war es sauber, und die Fahrer rasten nicht, sondern fuhren sehr rücksichtsvoll gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern durch die Landschaft. Wir hatten nur Sonnenschein und blauen Himmel, und man konnte fast meinen, auf Maui gäbe es nur schönes Wetter und nie Regen oder Gewitter. Wohlgemerkt, das waren unsere persönlichen Eindrücke während dieser zwei Tage, die wir dort verbringen durften. Wer weiß, wie schön die anderen Inseln von Hawaii sich noch entpuppen würden, wenn wir sie alle abgeklappert hätten. Kapitän Stein hatte uns durch das Iao Valley gefahren und die historischen Ereignisse über diesen Ort erzählt. Später auf der Rückfahrt waren wir noch für eine halbe Stunde bei ihm zuhause vorbei gefahren. Herr Stein oder seine Frau müssen begeisterte Hobbygärtner gewesen sein. Statt Garten hatte er hinter seinem Bungalow eine Art Wintergarten in Form eines riesigen Gewächshauses angelegt, in dem beide alle seltenen Pflanzen der Hawaiian Islands züchteten. Ein schönes Hobby. Ich hätte gerne ein paar Ableger von seinen seltenen Pflanzen mit nach Deutschland genommen. Zum Abendessen waren wir wieder an Bord, und natürlich war er unser Gast in der Offiziersmesse.

Ein Teil der Ladung waren die abgemessenen Pakete mit Schnittholz für den Hausbau, weiterhin die Pakete mit Sperrholz und natürlich etliche Rollen news print, die für eine lokale Zeitungsdruckerei bestimmt waren. Der verbliebene Rest der Ladung war für Honolulu bestimmt. Nach zwei Tagen Löschzeit war es wieder soweit, Ladung fürs Festland, also Kalifornien, gab es nicht. In der Regel wurde diese mit US-eigenem Schiffsbestand abtransportiert und über Honolulu verschifft. Am 14. April hieß es wieder „Klar vorn / achtern“, Kapitän Stein brachte uns noch aus dem Hafen von Kahului, und nachdem er vom Lotsenversetzboot abgeholt worden war, wurde der Maschinentelegraf auf „Voll voraus“ gelegt, und ab ging die Post nach Honolulu.

Wieder einmal möchte ich dankbar auf die Interneteinrichtung Google hinweisen. Immerhin konnte ich über Wikipedia, der freien Enzyklopädie, wichtige geografische Daten über Honolulu auf Oáhu herausfiltern, die ich den Lesen nicht vorenthalten will. Jeder Zeitgenosse weiß, dass Honolulu die Hauptstadt des 51. US-Bundesstaates Hawaii ist und diese bilderbuchschöne Stadt sich an der Südküste der Insel Oàhu befindet. Sie ist eine der größten Städte des Pazifiks und der berühmteste Stadtteil mit dem Vulkanausläufer Diamond Head ist Waikiki, in Deutsch übersetzt bedeutet Honolulu „beschützter Hafen“. Die Insel Oàhu liegt auf der geographischen Breite von 21° 19` N und der geographischen Länge von 157° 50`W, gar nicht mehr weit weg vom Äquator. Kein Historiker weiß, wann die Inselgruppe das erste Mal von den Polynesiern besiedelte wurde. Auf jeden Fall war der erste europäische Entdecker dieser Inseln Captain William Brown mit seinem britischen Forschungsschiff „BUTTERWORTH“ im Jahre 1794. Zu diesem Zeitpunkt wurden in Preußen gerade die Kartoffeln aus Südamerika eingeführt, und unter Androhung von Prügelstrafe durch den Alten Fritz persönlich wurden die Bauern Brandenburgs zum Anpflanzen dieser Teufelsknolle verdonnert. Was lernen wir daraus, die Briten dachten immer schon in globalen Räumen, während die Preußen, Deutsche gab es damals noch gar nicht, alles, was von außerhalb ihrer Grenzen kam, von vornherein ablehnten. Zurück zu Oáhu, als nächstes kreuzten die ersten Walfänger an der Küste von Oáhu auf, um in einen sicheren Hafen ihre harpunierten Wale zu Fischtran verarbeiten zu können. Natürlich waren das die ersten amerikanischen Walfänger, also keine Nordfriesen aus St.-Peter-Ording. Die fuhren höchstens als Leiharbeiter bis unter die Südküste Grönlands. Und das unter niederländischem Kommando, denn nordfriesische Walfangschiffe hatte es nie gegeben. Die geschäftstüchtigen niederländischen Kapitäne aus Rotterdam waren die Herren des Walfangs, und sie verdienten das dicke Geld am Fischtran. Also eine preußische Initiative, die Welt per Schiff zu erforschen, vielleicht sogar wie die Briten zu erobern, war damals Ende des 18. Jahrhundert absolut nicht aktuell.

Deutschland war Jahrhunderte lang in zwei soziologische Welten unterschieden: ein großagrarisches „ostelbisches“ und ein „bürgerlich-bäuerliches „westelbisches“ Deutschland. Die geographisch-politische Landschaft teilte sich bis 1871 in einen Flickenteppich von Klein- und Mittelstaaten, welche vom Großadel, den Großgrundbesitzern, also dem Junkertum, hauptsächlich im ostelbischen Raum Preußens und dem bürgerlich-bäuerlich westelbisch geprägten Deutschland bestand. Viele Leibeigene dieser Zeit konnten aus ihrer Misere nur in die damaligen freien Hansestädte wie Lübeck oder Hamburg flüchten, um frei zu überleben.


Quelle: Michael Freund, Deutsche Geschichte, von den Anfängen bis zur Gegenwart, C. Bertelsmann Verlag, München 1985, ISBN 3 570-06662-2, Seite 802.

Ein kleiner sarkastischer Exkurs über eine rückständige deutsche geschichtliche Epoche, die sich erst durch das Aufkommen und der Verbreitung der HANSE und ihren maritimen Kaufmannsgeist im Ost- und Nordseeraum langsam wandelte.

An dieser Stelle mache ich einen Zeitsprung zurück in die Gegenwart von 1959, wo wir mit der KARPFANGER am 16. April die moderne Weltmetropole Honolulu erreichten und dass statt Captain William Brown der „harbour pilot“ die Lotsenleiter an Bord geklettert kam und uns in eins der Hafenbecken von Sand Island dirigierte und wir dort festmachten.

Ich bin mir sicher, dass damals die KARPFANGER in das Hafenbecken hinter Sand Island an einen dieser Dockteminals festgemacht hatte. Dort lagen wir direkt neben einer „Pineapple Factory“. Jeder Hinterwäldler aus der Provinz, der sich entschlossen hatte, zur See zu fahren, und plötzlich vor so einer Kulisse stand und diese atemberaubende Fremde hautnah erlebte, erweiterte schon beim Hinuntergehen des Fallrepps seinen geistigen Horizont. Honolulu hatte eine beeindruckende Urbanität, die Menschen waren offen, hilfsbereit, und freundlich.


Hafenbecken hinter Sand Island – Quelle: Wikipedia

Ich war erstaunt, wie viele Einwohner Oáhus japanische Wurzeln hatten und trotzdem so amerikanisch, locker und selbstbewusst waren. Unser Löschplatz lag direkt neben einer „pineapple can factory“, einer Fabrik, die frisch geerntete Ananas in Dosen verarbeitete, die für den Export nach Übersee, also auch nach Europa, bestimmt waren. Während wir bei den Löscharbeiten des „news print“, also Zeitungspapierrollen, der Pakete mit dem Hausbaumaterial und der Sperrholzplatten wieder einmal außen vor waren und außenbords am Heck und am Steven mit Farbe Ausbesserungsarbeiten verrichteten, lernten wir durch unseren Schiffsvormann einen Schichtleiter der Fabrik kennen, der uns, natürlich gegen einen Sechserpack Holsten-Bier, in der Mittagspause mit höchster Genehmigung eine Art Kurzführung durch die „pineapple can factory“ organisierte, also die Verarbeitung der Ananasfrüchte über Fließband in Dosen vorführte und die einzelnen Arbeitsabläufe hierzu erklärte. Vom Waschen und Schälen der Früchte über das Eindosen und die vollautomatische Abpacken der Dosen in Kartons, die in ein riesiges Lager transportiert wurden.

Dabei wies er darauf hin, dass manchem Gabelstaplerfahrer durch unsachgemäßes Transportieren der Paletten mit den Kartons hin und wieder ein Malheur passierte, sprich, einige Kartons und deren Inhalt bekamen dabei dicke Dellen ab, die dann ausgesondert und für den billigen Verkauf an Betriebsangehörige freigegeben wurden. Natürlich schoss zu dieser Äußerung einem unserer Leute sofort die Frage raus, ob wir denn auch von diesem Sonderangebot profitieren könnten. „Of course, you can!“ war seine Antwort, woraufhin unsere Leute, also auch wir von mittschiffs, ihm eine Bestellliste gaben und er für uns eine ganze Palette mit verbeulten Ananasdosen in Kartons an Bord hieven ließ. Wir einigten uns mit ihm, dass wir seine Vorzugsananas mit vier Kartons Holstenbier bezahlen durften, was er zu unserer Begeisterung sofort akzeptierte. Wir jungen Kerle damals hatten so einen Heißhunger auf Ananas, dass wir wochenlang nach jedem Mittagessen unseren hawaiischen Nachtisch vernaschten. Daran kann ich mich heute noch genüsslich erinnern. Ich erinnere mich auch weiterhin, dass einige Kandidaten „rohe überreife Ananasfrüchte“, die auch ausgesondert waren, gekauft hatten. Nur, nach dem übermäßigen Verzehr der rohen Früchte bekamen die Jungs bereits am nächsten Tag unangenehme Verätzungen im Mundbereich. Wieso das? Erst die hawaiianischen Betriebsangehörigen der Fabrik machten uns darauf aufmerksam, dass man die Fruchtscheiben, bevor man sie abbeißt, vorher mit Salz bestreuen muss, damit die Säure neutralisiert wird. Wieder einmal hatten die arischen Deppen aus der Provinz von den Insulanern etwas dazu lernen können. Regel Nummer eins: Man sollte nie die Angehörigen anderer Völker unterschätzen. Es lebe die internationale Völkerfreundschaft.

Natürlich waren wir, nachdem wir uns mit dem Schichtleiter etwas angefreundet hatten, unter seiner Führung nach Feierabend zusammen auch an Land gewesen. Selbstverständlich war es ein Muss die damals teuerste Strandmeile von Waikiki anzusehen! Die dort aneinander gereihten Hotels waren das „Nonplusultra“ an architektonischen Ausschweifungen und Gigantomanie. So etwas hatte Hein Seemann aus Deutschland noch nie zu Gesicht bekommen. Rings um die Hotels waren Fußgängerzonen parkartig anlegt, in denen versteckt wiederum in kleinen Parks Restaurants und Bars platziert waren. Das ganze Parkgelände war mit subtropischer Vegetation bepflanzt. Palmen, unbekannte Pflanzen, die wir in Europa nie gesehen hatten, säumten die Wege an der Küste. Und, als wir staunend durch diese Vegetationswelt spazierten, romantischer hawaiianischer Barmusik lauschten, die aus einer der versteckt liegenden Bars herübertönte, wurden wir plötzlich von einer krächzenden Stimme aus der Dunkelheit über uns angerufen. „Hallo Pussycat, how is life today? You are good looking!” Wir hielten überrascht an, schauten uns um, niemand war zu sehen. Wir wollten gerade weitergehen, da ertönte es wieder: „Don’t get away, good looking. Nice day today, I miss you!“ Wir drehten uns wieder um, niemand war zu sehen. Ich blickte in die Höhe. Und da hockte in einen Käfig ein „Indian Minor Bird“, der aussah wie eine übergroße schwarze Amsel mit grellgelben Ohrläppchen. Er hüpfte ständig hin und her und stieß dabei auch mal einen schrillen Jauchzer aus. Sonst nichts. Wir blieben stehen, beobachteten ihn, schnakten ihn in unserem Seemannsenglisch an und, oh Wunder, der Vogel fing sofort an auf Englisch zu antworten. „What’s your name baby? Give me a kiss!“ Was uns so beeindruckte, war die klare Aussprache, da konnte kein Papagei mithalten! Wer war der Besitzer? Wir drehten uns um, und siehe da, unter einem Baum saß ein Typ, der diese Indian Minor Birds verkaufte. Eine verkrachte Seemannskreatur, allerdings noch jung, aber ein Aussteiger, ein Achterraussegler, der sich so in Hawaii verliebt hatte, dass er seinen Seelenverkäufer „Good Bye“ gesagt hatte. Ein echter Schwede, lange blonde Haare, einen richtigen Vikingerbart und der Knabe sprach sogar gebrochen deutsch. Dieser svenska pojka lebte bei einem hawaiianischen Mädchen und züchtete Indian Minor Birds, denen er auch das Sprechen beibrachte und die er an amerikanische Touristen zu verkaufen versuchte. Und um den leicht Heruntergekommenen versammelten wir uns und kamen ins „Klönen“. Irgendjemand von uns hatte sogar noch eine Flasche Holstenbier dabei, die er dem schwedischen Seemann schenkte. Und der Schwede genoss das Bier, Schluck für Schluck. Ihm gefiel es in Honolulu, er war von den Insulanern begeistert, und sie, die Mädchen, waren von ihm begeistert. Er musste ein guter Hahn im Korb gewesen sein.

Zurück an Bord. Nach drei Tagen waren die „news print“ Rollen, die Sperrholzplatten und die Pakethieven mit Baumaterial gelöscht, und die erste für Europa bestimmte Ladung kam an Bord. Raten Sie lieber Leser, was es gewesen sein könnte. Sie können sich noch so viel Mühe machen, Sie kommen nie darauf. Es war eine Party „roher Kaffee in Säcken“. Wussten Sie, lieber Leser, dass es auf Hawaii „Kaffeeplantagen“ gibt? Ehrlich, ich hatte es auch nicht gewusst, keiner hatte es geahnt.


Waikiki Beach mit dem Diamond Head im Hintergrund.

Dieses Aquarell ist nicht gekauft, sondern selbst gemalt, aus der Erinnerung.

Natürlich lag hier und da so ein Auslegereinbaum am Strand, im Auftrag des Tourismus-Departments. Ich fand es beeindruckend. Aber das Gros der Touristen wollte „Wellenreiten“, surfen und grillen.

Wir hatten nur gestaunt, als plötzlich Kaffeesäcke auf Paletten längsseits des Schiffes heran gekarrt wurden. Offenbar haben die hawaiischen Inseln den richtigen Boden für Kaffeegewächse, das richtige Klima und das richtige Wetter, welches der Kaffeebusch benötigt, um zu wachsen und gute Ernteerträge abzugeben. Auf einer der hawaiischen Insel soll es sogar die größte Rinderfarm der USA geben. Natürlich übernahmen wir auch noch andere Ladungspartien für Europa, zum Beispiel aus der „pineapple-can-factory“ eine Party mit den vorher erwähnten Kartons mit Dosenananas. Und die wanderten alle in die Unterräume von Luke 2, Luke 3 und Luke 4. Die Kaffeesäcke verschwanden in den Zwischendecks von Luke 2, Luke 3 und Luke 4. Wäre möglich, dass wir auch noch Paletten mit Fischkonserven übernommen hätten, oder Lava in Säcken für die Bauindustrie in Deutschland. Ich weiß es heute nicht mehr. Ich weiß nur, dass wir ungefähr zirka sechs Tage in Honolulu gelegen hatten, um dann in Richtung Pazifikküste USA auszulaufen. Unser Ziel war dieses Mal Longview im Staate Washington am Columbia River. Also auslaufen Honolulu am 20. April 1959.

Geschätzte Reisedauer acht Tage bis zur Mündung des Columbia River. Liegt fast auf der Höhe von Seattle. Astor ist der Mündungshafen. Er liegt direkt gegenüber vom State Washington, also im State Oregon. Auf der Ausreise fuhren wir im Gemeinschaftsdienst, Linienfahrt, mit der finnischen Reederei Finline, Helsinki. Die Finnen hatten für damalige Zeiten schnelle und moderne Schiffe, die eine durchschnittliche Marschfahrt von 18 Knoten aufbrachten. Die Schiffe der Hanseatischen Reederei liefen gerade 13 Knoten. Vermutlich waren sie speziell für die Trampfahrt konzipiert. Natürlich waren die Finnen uns gegenüber im Vorteil. Auf jeden Fall endete jede Reise des Gemeinschaftsdienstes in Seattle, und jede Reederei fuhr ab Vancouver auf eigene Rechnung. Der Hawaii-Abstecher war auf jeden Fall auf Initiative von Herrn Offen entstanden. Für uns eine interessante Abwechslung. Doch jetzt ging es zurück zur nördlichen Pazifikküste der USA, wo wir mit der restlichen Ladung für Europa beladen werden sollten. Natürlich ging’s erst einmal durch die zu erwartende Schlechtwetterfront, denn je nördlicher wir kamen, desto ruppiger wurde Neptun zu den Eindringlingen aus Hamburg. Wind und See von Nordwest, dazu die lang anhaltende Dünung und am Ende kurz vor Astoria noch Nebelfahrt vom Feinsten. Uns blieb nichts erspart, als wir endlich die Mündung des Columbia Rivers erreichten und uns der Lotse draußen aufpickte. Über Wikipedia fand ich heraus, das Astoria im Jahr 2008 eine Bevölkerung von 9.851 Einwohnern hatte. 1959 waren es noch bedeutend weniger. Der Astoria-Flusslotse brachte uns ohne Lotsenwechsel den Columbia River aufwärts bis nach Longview, einem größeren Flusshafen, wo wir am 28. April 1959 festmachten. Longview war 2008 laut Wilipedia eine Ortschaft mit 36.562 Einwohnern. Vermutlich hatte sie 1959 bedeutend weniger Einwohner als heute. Ich erinnere mich, dass das Industriegebiet direkt am Fluss lag und hauptsächlich „forest products“ aus den Werken direkt längsseits des Schiffes geschafft wurden. Wir übernahmen eine Party Spanplatten in Paketen für Hamburg. In der Mittagspause fragte ich den Ablader, ob man den Produktionsablauf der Spanplatten besichtigen dürfte. Und da ihm vermutlich mein Holstenbier besser geschmeckt hatte als der Kaffee, den ihm der Steward serviert hatte, willigte er ein und ging in den 50 Meter weit entfernten Betrieb und erklärte mir die einzelnen Arbeitsabläufe, von den Auffüllen der Hobelspäne in einer Pressform, die mit heißem Leim besprüht wurden, anschließend mit hohem Druck gepresst und danach mit einer Bandsäge auf ihre Maße gesägt wurden bis zur sorgfältigen Verpackung und den Transport bis zum Schiff. Die Platten waren quasi noch warm, als sie in den Laderaum verstaut wurden.

Am 29. April war es wieder soweit, die Ladung war auf alle Luken verteilt übernommen worden. Die UNION erlaubte der Decksbesatzung, das Schiff seeklar zu machen. Der Flusslotse kam gegen Mittag an Bord und brachte uns flussabwärts bis nach Astor, wo wir seinen Anweisungen folgend durch die ziemlich kappelige Mündung in den Pacific manövrierten. Als wir per Radarabstand ungefähr zwei Seemeilen von der Küste entfernt waren, stoppten wir das Schiff auf, und er verabschiedete sich vom Kapitän und ließ sich von mir an Deck bringen, damit das Lotsenboot ihn abholen und ihn zurück nach Astor bringen konnte. Kapitän Herbst legte den Maschinentelegraph auf „Voll Voraus“, ließ den Kurs auf 190° ändern und grüßte das zurückfahrende Lotsenboot mit dem Typhon. San Francisco war unser Ziel, wo wir irgendwo nach Passieren der Golden Gate Brücke auf einer Reede vor Anker gehen sollten, damit wir einklariert werden konnten. Unser Endziel war Oakland, wo wir am 30. April am Terminal festmachen sollten. Erst am 1. Mai kam der Hafenlotse mit einigen Beamten der Einklarierungsbehörde an Bord. Während der Lotse im Salon sich an der Bar bei einem Glas Whisky langweilte, kontrollierten die Immigration Officers die Seefahrtbücher der Besatzung und verglichen diese mit den Eintragungen in der Mannschaftsliste. Die Zollbeamten wieselten mit dem Koch durch die Proviant- und Kühlräume, die Letzteren wurden natürlich versiegelt. Unser Fleisch durften wir im Hafen nicht verzehren. Unser Koch hatte bereits vor Einlaufen San Franzisco zwei Rinderviertel in die Kombüse geschafft, diese in Portionen zerlegt und angebraten, so dass keiner der Zollbeamten bzw. der „board of agriculture officer“ diese Aktion reklamieren konnte. Er kannte sich aus mit den strengen amerikanischen „regulations of board of agriculture“ und dachte beim Einlaufen im ersten amerikanischen Hafen immer zwei Schritte voraus. Die amerikanischen Schiffshändler hatten kein Glück bei Kapitän Herbst. „No chance at all !“

Unsere Hafenliegezeit dauerte bis zum 3. Mai, als wir tatsächlich kurz vor Mittag die letzte Hieve an Bord nahmen. Wir durften auch dieses Mal, nachdem der letzte long-shoreman von Bord gegangen war, mit ausdrücklicher Genehmigung der UNION mit unseren Leuten im Hafen das Schiff seeklar machen. Als alle Ladebäume gefiert und in ihren Halterungen gelascht, die MacGregor-Lukendeckel von allen fünf Luken zugezogen und seefest verschlossen waren, kam der Harbour Pilot per Hafenschlepper längsseits und über die Gangway an Bord. Nachdem der Stevedoring Inspector und der Clark der Shipping Agency dem Kapitän die Ladungspapiere und Manifeste ausgehändigt hatten und an Land gegangen waren, hieß es „klar vorn und achtern“, Lotse und Kapitän gingen auf die Brücke, die Maschine wurde auf „stand-by“ gestellt, und schon wurden die Festmacherleinen aufgekürzt, der Schlepper vorn befestigt und alles „losgeschmissen“. Der Hafenlotse brachte uns Richtung Pacific unter der Golden Gate Bridge hindurch, verabschiedete sich in der Nähe des Lotsenboots vom Kapitän, und sobald er die Lotsentreppe hinunter an Bord des Kutters geklettert war und wir allein waren, legte Kapitän Herbst den Hebel auf „Voll voraus“.

Jetzt waren wir fast wieder auf der Heimreise, und ab ging die Post zunächst in Richtung Süden. Nicht sofort zum Panama-Kanal, sondern zunächst nach Ensenada, einem mexikanischen Hafen direkt an der amerikanischen Grenze. Geschätzte Verseglungszeit drei Tage, also Ankunft um den 6. Mai. Dort empfing uns die Schiffsagentur Williams Diamond & Co., ein Filiale der USA-Westküsten-Agentur. Die hatten noch einen Restposten Baumwoll-Ballen zum Auffüllen der Zwischendecks. Während zwei Mann und der Bootsmann für den Ladebetrieb an Bord blieben, verschwand der Rest unserer Decksbauern unter dem Kommando von Heino Pingel an Land in irgendeine Hafenkneipe direkt neben dem Puff. Da wir mit unseren Schiff das erste Mal in Ensenada Zwischenstation machten, kam am Nachmittag der Chef der Agentur mit seinen Bürodamen zur Besichtigung an Bord und stattete Kapitän Herbst einen Besuch ab. Kapitän Herbst war eigentlich nicht erfreut, weil die Zeit zwischen 13:00 Uhr und 15:00 Uhr die heilige Mittagsruhe auf jedem Schiff war. Während der Agent „small talks“ mit Kapitän Herbst pflegte, wurden die mexikanischen Senioritas auf Befehl von Kapitän Herbst mir übergeben, damit ich ihnen die einzelnen Decks der Mittschiffsaufbauten ausführlich erklären konnte. Mein Dilemma dabei war, ich sprach kaum ein Wort Spanisch. Und meine Englischkenntnisse waren dem Seefahrtsschulniveau entsprechend mit der Note „3“ auf keinen Fall besser. Und das merkten die Damen. Ich hatte eine Idee: Einer unserer Maschinenassistenten war als Kind und Jugendlicher mindestens zehn Jahre in Buenos Aires aufgewachsen und sprach fließend Spanisch. Den rief ich in der Maschine an und bat ihn, auf die Brücke zu kommen. Auf die Frage: „Wo brennt es?“ antwortete ich: „Damenwahl ist angesagt!“ Das hatte er sofort kapiert, bat mich um fünf Minuten Pause und legte auf. Und dann kam der ‚Flurplattenindianer’ in sauberen Jeans und Landganghemd und vollgedieselt mit Rasierwasser. Die mexikanischen Schwalben staunten nicht schlecht, als er sie auf Spanisch begrüßte und sofort mit allen zu charmeuren anfing. Ich als Spätentwickler merkte sofort, dass ich mit diesem Glückspilz nicht mithalten konnte. Er hatte sich sofort die hübscheste der Damen herausgepickt und fing an, Süßholz zu raspeln. Die restlichen drei Damen wurden mir überlassen, denen ich dann in meinem „pigeon-english“ die Brücke und die technische Ausstattung erklärte. Für die Damen „very bore to death“. Aber ich hatte es einfach nicht drauf, obwohl ich innerlich langsam heiß wurde. Nach einer halben Stunde Verlegenheitskommunikation schlug ich vor, das Passagiersdeck zu besichtigen. Immerhin gab es dort eine nette Bar sowie diverse Passagierskabinen. Das erzählte ich dem Assi, und dieser übersetzte es den vier Damen. Also einverstanden, und schon ging es ein Deck abwärts. Der Speisesalon und die Bar beeindruckten die Damen sofort, leider war es noch nicht 15:00 Uhr, das heißt, der Chiefsteward hatte noch Mittagspause. Weiter ein Blick in die Passagierskabinen. Die Damen fanden die Ausstattung sehr gemütlich, und der Assi hätte mit seiner auserwählten Flamme am liebsten die Kojenmatratze getestet. „Perschke“, sprach eine innere Stimme zu mir, „nun musst du aber ganz schnell zwei Gänge runterschalten, sonst geht das noch bös ins Auge!“ Ich sagte dem Assi, wir müssten unsere Führung beenden, denn der Chef der Agentur sitze beim Alten und beide machen sich bestimmt schon Gedanken, wo der „third mate“ mit den Büroschwalben so lange verschwunden bleibt. Es kam noch zu einem Adressenaustausch zwischen den Damen und uns. Der Agent war heilfroh, dass seinen hübschen Mädchen nichts passiert war. Er verabschiedete sich vom Alten, bedankte sich bei mir und ging von Bord an die Kai, wo sein Buick parkte. Seine Mädchen und er stiegen ein und entschwanden in Richtung Agentur. Unser Maschinenassistent stand noch lange verträumt mittschiffs an Deck.

Unser „second mate“, also Herr Stambor, hatte von all dem Trubel nichts mitbekommen. Er hatte seine vom Kapitän zugeteilte Bierration nach dem Mittagessen zur Brust genommen, war müde geworden und hatte sich in die Koje gelegt. Kurz nach 15:00 Uhr war er wach geworden, hatte gemerkt, dass er einen Riesenbrand hatte, die letzten übrig geblieben Flaschen ausgetrunken und war dabei erst recht auf den Geschmack gekommen. Sein erstes Opfer war der Messesteward, den er zur Herausgabe seines Bierbestandes erpresste. Nachdem er diese ausgetrunken hatte, stellte sich langsam ein Rausch ein, er brauchte mehr, konnte sich nicht stoppen, wankte zum Koch und bat ihn um eine Flasche Bier. Pech für ihn, der Koch gab nichts raus. Unser riesengroßer, schwergewichtiger Koch war ihm auch körperlich überlegen. Herr Stambor hätte den Kürzeren gezogen, falls es wegen einer Flasche Bier zu einer Schlägerei gekommen wäre. Da erinnerte er sich, dass der „Blaubüdel“, also der Zimmermann, auch ein Biertrinker war und wankte an den Hafenarbeitern vorbei nach achtern zur Kabine des Blaubüdels, der zufällig in seiner Kammer eine Bestandsaufnahme seines Stores und eine Bestellliste für die kommende Ausreise anfertigte. Jeder auf dem Schiff kannte den Bierdurst unseres 2. Offiziers. Und als dieser, ohne anzuklopfen, fast in seine Kabine fiel, schrie der Blaubüdel verzweifelt: „Nehmen Sie sich ruhig mein ganzes Bier, was sie finden, aber lassen sie mich zufrieden!“ Er schlängelte sich blitzschnell an dem Zweiten vorbei an Deck und erzählte den gerade von Land zurückkommenden Seeleuten, der Heino-Pingel-Gang, dass der Zweite gerade in seiner Kammer sitze und seine letzten Bierreserven plündere. Alle unsere Decksbauern hatten eine tief sitzende Abneigung gegenüber dem Zweiten! Als Heino Pingel, der auch mächtig einen im Tee hatte, diese Aussage verdaut hatte, ließ er zum Angriff blasen, und dann stützten sie zu fünft in die Kabine des Blaubüdel. Attacke! Sie droschen auf den völlig überraschten Abstauber ein. Aber unser Zweiter war auch nicht von Pappe. Er hämmerte in seinem Brand voll zurück. Da beide Gegner kräftig angesäuselt waren, saß nicht jeder rechte Faustschlag oder linke Aufwärtshaken. Wenn Herr Stambor voll nüchtern gewesen wäre, dann hätte er alle fünf Angreifer binnen weniger Minuten schlafen geschickt. Leider war dem nicht so. Also musste er jede Menge Schläge einstecken, besonders von Heino Pingel. Bei dieser Schlägerei ging allerhand zu Bruch in der Kabine des Blaubüdels. Der immer wütender werdende Zweite trieb trotz seines Brandes mit grausamen Schlägen die fünf Gladiatoren aus der Blaubüdel-Kammer, und draußen vor der Mannschaftsmesse ging die Auseinandersetzung weiter. Alle müssen in einer Art Blutrausch gekämpft haben. Auf jeden Fall hörten die mexikanischen Hafenarbeiter an Deck auf zu arbeiten und näherten sich vorsichtig den Mannschaftsunterkünften, man wollte von dieser Show, wenn’s ginge alles mitbekommen. Weiterhin kam einer unserer Matrosen zu mir in meine Kabine und flehte mich an, die Keilerei zu stoppen. Er war schon beim 1. Offizier gewesen, doch dieser verwies ihn an den 3. Offizier, also an mich. Ich sollte den 2. Offizier aus der Keilerei herauslösen und sofort alles abbrechen. Also musste ich mir etwas einfallen lassen, um ihn aus der Arena heraus zu kriegen. Zur gleichen Zeit war der 2. Steward durch das Geschrei achtern neugierig geworden, und als er merkte, dass die Deckscrew den Zweiten vermöbelte, lief er zum Kapitän: „Herr Kapitän, kommen Sie mal schnell, achtern wird der 2. Offizier von unseren Jungs verdroschen!“ Kapitän Herbst dachte, er hätte sich verhört und lief aus seiner Kabine auf das Bootsdeck achtern an die Reeling. Er traute seinen Augen nicht, was er sah. Ich war in der Zwischenzeit schon nach achtern gelaufen und versuchte, auf die Gladiatoren einzureden. Erst sprangen die Mannen der Pingel-Gang mich wie besessen an und hauten mir die Mütze voll. Ich ahnte, wie beliebt wir Lamettaträger bei der Achtergang waren. Durch die Wucht der plötzlichen Schläge flog ich gegen den 2. Offizier, der in seinem Dunas glaubte, ich würde ihn angreifen. Eine gezielte rechte Gerade, und schon flog ich im Treppenhaus der Mannschaftsunterkünfte die Treppen hinunter. Ich sah nur noch Sterne. Ich kroch wütend, aber vorsichtig wieder die Treppen hoch zur Mannschaftsmesse. Ich blutete aus der Nase, ein Auge war dicht. Ich war noch nicht ganz oben, da griff mich Hänschen Wagner wie ein Rattenterrier an. Aber den konnte ich abwehren. Mein Tritt zwischen seine Beine hatte das Ziel erreicht. Er jaulte wie ein Schlosshund. Tut ja auch verdammt weh! In der Zwischenzeit hatte sich die Kämpfergruppe nach draußen auf das Steuerbord-Achterdeck verlagert, und von den fünf Mann der Pingel-Gang waren nur noch zwei einsatzfähig. Und plötzlich kam wie ein Tornado mit offenen Khakihemd, woraus der ziemlich beleibte Bauch hervorschaute, Kapitän Herbst wie ein Sumotori (Sumoringer) herangestürmt, packte Heino Pingel und seinen zweiten Mitkämpfer am Genick und schlug beide Köpfe mit lauten Krach zusammen. Beide gingen sofort in die Knie. Dann schlug er dem Zweiten voller Wucht eins aufs Zifferblatt, womit dieser nicht gerechnet hatte, so dass er auch in die Knie ging. „Herr Stambor, Sie kommen sofort mit mir aufs Bootsdeck, und da werden wir einiges klarstellen, haben Sie mich verstanden. Oder soll ich Ihnen noch eine verpassen?“ Die Situation war verdammt eskaliert, also hatte sich richtig verschärft. Man musste zunächst die Wogen glätten, denn es roch schon fast nach einer Meuterei eines Teils der Deckscrew. Kapitän Herbst orderte auch mich zusammen mit dem Zweiten oben auf das Bootsdeck, wo es zu einer Anhörung kam. Ich sagte aus, dass ich Herrn Stambor zur Hilfe gekommen war, dabei unglücklicherweise aber auch mit in die Schlägerei geriet. Und mein netter Kollege konnte sich plötzlich an nichts mehr erinnern. Es gab zunächst für den 2. Offizier einen gepfefferten Eintragung ins Schiffstagebuch, weiterhin ein Kündigung bei Einlaufen Hamburg. Anschließend wurde er vom Kapitän verdonnert, sofort in seine Kabine zu verschwinden und seinen Rausch auszuschlafen. Die Pingel-Gang-Leute bekamen ein Alkoholverbot und wurden auch ins Schiffstagebuch eingetragen. Dieser Vorfall in Ensenada war das Tagesgespräch im Hafen und auf der Agentur, denn Kapitän Herbst hatte den Vorfall auch dem Chief-Agenten beim Ausklarieren mitgeteilt. Beim Auslaufen blieb Herrn Stambor unter Deck. Auch seine Seewache wurde vom 1. Offizier und von mir geteilt. Den Rest der Reise bis Hamburg blieb er trocken und verrichtete zur Zufriedenheit des Kapitäns auch seinen Dienst. Der 1. Offizier und der Bootsmann hatten sich voll aus den turbulenten Ereignissen herausgehalten. Das war auch die klügste Idee von ihnen gewesen. Das war der turbulente Abschied von Ensenada.

Unser nächstes Ziel war Balboa, der Eingang zum Panamakanal von der Pacificseite aus. Die Verseglung bis Balboa geschätzte sieben Tage, also Ankunft um den 13. Mai. Wenn wir Glück hatten, würden wir sofort einen Kanallotsen bekommen. Wir hatten. Geschätzte Zeit für die Passage des Panamakanals: 10 Stunden.


Weiterfahrt am 14. Mai nach Willemstad auf Curaçao zum Bunkern: 48 Stunden. Also ein- und auslaufen Willemstad um den 17. Mai herum. Danach NNO-wärts durch die Karibik bis zur Mona-Passage: 48 Stunden. Von der Mona-Passage per Großkreisverseglung an den Azoren vorbei bis zum Englischen Kanal und weiter bis ins ‚Chaotendreieck’ Antwerpen, Rotterdam, Bremen bis Hamburg, Ankunft schätzungsweise Anfang Juni. Die große fette Unbekannte blieb das Wetter um diese Jahreszeit. Bis zu den Azoren konnte man wetten, dass das Wetter es mit uns gut meint. Doch ab den Azoren ostwärts bis zum Kanal wurde das Wetter zur Wundertüte. Wind und See zunehmend querab aus NW, also etwas achterlich von Backbord, bedeutete stürmische Rollerei mit Wasserschöpfen, nasses Deck, nasse Füße, Arbeiten an Deck unmöglich. Die Wetterlage war insofern nicht unangenehm, weil der Wind uns regelrecht in den Westeingang des Englischen Kanals hinein und weiter hindurch wehte. Und wenn wir dann noch zwei günstige Tiden mit uns hatten, dann machten wir glatte 18 Knoten die Stunde.

Ich will nicht auf die chaotischen Hafenliegezeiten in Antwerpen, Rotterdam und Bremen zurückblicken. Denn Hamburg war unser Heimathafen, und nur das zählte für uns. Anfang Juni waren wir endlich wieder daheim in Hamburg, schnupperten vertraute Hafengerüche.


Nur, so ein Heimathafen hat leider auch viele Nachteile: Kaum hatte das Schiff am Liegeplatz festgemacht und die Gangway war an die Pier ausgeklappt und gefiert, da stürzten die Hafenbehörden, also Wasserschmutzpolizei zusammen mit den Zollbeamten und dem Hafenarzt die Gangway mittschiffs an Bord und stampften die Treppen empor zum Kapitän beziehungsweise in den Esssalon, wo sie sich ausbreiteten. Natürlich war jetzt auch der Funker dran, der bereits die 15 mal kopierten Mannschaftslisten, weiterhin diverse Konnossomente, Manifeste und Seefahrtbücher parat liegen hatte. Jetzt war Hektik angesagt. Die Wasserbullen! Als wenn sie noch nie ein Seefahrtbuch gesehen hätten. Da wurden die Eintragungen der Mannschaftslisten pingelig genau mit den Seefahrtbüchern verglichen, weiterhin mit der „black list“, die auswies, ob der Besitzer eines Seefahrtbuches wegen strafbarer Handlungen bereits gesucht wurde. Vielleicht ein Fall zum Einbuchten? Und der Hafenarzt, der fix neugierig auf die Gesundheitspässe der Seeleute war und anschließend die Apotheke und das Krankentagebuch inspizierte. Und die Luden vom Wasserzoll, die zunächst die speziellen Zollbestandlisten überprüften, dann die alkoholischen Bestände des Chiefstewards und des Zoll-Lockers akribisch unter die Lupe nahmen und versiegelten und noch die Frechheit hatten, Schnaps und Zigaretten zu schnurren. Gleichzeitig saßen ein Deck tiefer beim Chief Mate in der Kammer der Obertallymann und der Schiffsvormann, ließen sich die Staupläne für die für Hamburg bestimmte Restladung aushändigen und übergaben die Staupläne für die kommende Ausreise, weiterhin Konnossomente und Manifeste. Es war eine nicht endende Wuselei. Zum Schluss erschien auch noch atemlos der Reedereiinspektor, der den Schiffshändler im Schlepptau hatte. Beide wollten natürlich sofort vom Bootsmann einige Leute abgeteilt bekommen, die die Decksausrüstung, also Farben, neue Windenläufer, Festmacher usw. und natürlich den Schiffsproviant vom Laster abladen, in Netzbroken verstauen und mit Kranführerunterstützung an Bord bei Luke vier absetzen sollten. Der Schiffshändler hatte natürlich nie Zeit, weil er schon wieder das nächste Schiff ausrüsten sollte, das schon vor drei Stunden auslaufen sollte.

Auch der Chiefingenieur, sein Zweiter und sein Dritter wurden auf Trab gebracht. Ein tief abgeladenes Bunkerboot war längsseits gekommen und hatte festgemacht. Damit hatten die Kellerkinder nicht gerechnet. Der Bunkerübernahmestutzen war noch nicht klar! Der Bunkerschlauch konnte nicht an Deck geholt werden, weil der Storekeeper einen Kettenflaschenzug verlegt hatte und sich jetzt einen vom Bootsmann ausleihen musste. Das reinste Chaos an Bord! Nur, wie sollte der Bootsmann mit seiner achtköpfigen Deckscrew alle Probleme im gleichen Moment aus der Welt schaffen, wenn am selben Tag drei oder vier seiner Mannen abmustern wollten. Zum Schluss tauchten die Familienangehörigen an Bord auf. Mit Kind und Kegel. Die wurden einfach in der Kammer weggeschlossen, während Papi noch mit dem Schiffshändler verhandelte.

Zu guter Letzt tauchten die ersten Ablöser an Bord auf, meldeten sich beim Bootsmann und verschwanden nach mittschiffs, um ihre Seefahrtbücher beim Funker abzugeben, welcher sie gleich dem Musterungsbeamten übergab, damit er sie in die Musterrolle eintragen konnte. Und irgendwie schaukelte sich in der Hektik an diesen Vormittag etwas hoch. Jedenfalls bekamen der Inspektor und der 1. Offizier Zoff miteinander. Sie schrieen sich gegenseitig an, bis der Kapitän dazwischen ging und die Streithähne besänftigte. Natürlich hatte er Verständnis für den Inspektor und seine Anordnungen. Aber er hatte auch Verständnis für die Deckscrew, die die ganze Zeit wie die Idioten wühlen musste und noch nicht mal die Zeit bekam, ihr Mittagessen einzunehmen. Weiterhin wollte auch der Koch seine Kombüse rechtzeitig schließen, da er in den Provianträumen noch voll mit dem Verstauen der übernommenen Lebensmittel beschäftigt war. Der Einlauftag in Hamburg war immer lustig. Nur einer blieb die Ruhe selbst, als er seine Papiere beim Kapitän abholte und mit seinem Gepäck das Schiff sang- und klanglos verließ: Herr Stambor.

Zurück zu den ersten Ablösern, die aufgetaucht waren. Der Superstar unter den Neuanzumusternden war nämlich Vater Perschke’s bester Sohn, mein Bruder Peter, der Große. Er hatte sich nach seiner Matrosenprüfung auch bei der Hanseatischen Reederei Emil Offen gemeldet und Kapitän Roehl hatte ihn gleich für die KARPFANGER vorgemerkt. Das war natürlich die große Überraschung für den dritten Offizier Klaus Perschke, ich hatte mich echt darüber gefreut. Kaum hatte er sein Seefahrtbuch mittschiffs abgegeben, da meldete er sich beim Bootsmann und bat um einen halben freien Tag. Er musste dringend noch zwei Arbeitshosen, diverse Arbeitshemden und Ölzeug kaufen. Dazu war er in Cuxhaven leider nicht gekommen. Nachdem der Bootsmann ihm Erlaubnis gegeben hatte, verschwand er wieder, natürlich mit Vorschuss vom Funker, an Land und ward bis zum Abendessen nicht mehr gesehen. Mein bester Bruder, ein Filou, wie es im Buche steht. Ab diesen Tag gab es jetzt zwei Perschkes an Bord: Der ältere war mittschiffs untergebracht, der jüngere wohnte achtern. Und wider alle Erwartung lebte er sich gut ein bei der Heino Pingel-Gang mit Hänschen Wagner und den anderen Bakaluten von Ensenada.


Seefahrt unter dem Hanseatenkreuz der Hanseatischen Reederei Emil Offen & Co. KG um 1960

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