Читать книгу Das Leben. Mit dem hast du nicht gerechnet. - Lea Grossmann - Страница 8

Verloren?

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«Mercy . Mercy.

Show me mercy, from the powers that be

Show me mercy, can someone rescue me?»

Laut dröhnt der Refrain des Muse-Songs in ihren Ohren. Sie sitzt wie paralysiert auf der Bank auf Gleis 15 und starrt mit leerem Blick vor sich hin. Um sie herum herrscht hektischer Reisebetrieb. Sie bemerkt ihn nicht. In der Hand hält sie einen Becher Kaffee. Der Inhalt schmeckt wie der Becher selbst, nach Styropor. Mittlerweile ist der Kaffee kalt, was sie gar nicht wahrnimmt.

Als sie heute die Wohnung verliess, war die Welt noch in Ordnung. Sie fuhr wie gewohnt mit der Tram zur Arbeit. Dort passierte das Unfassbare: Sie wurde gefeuert. Einfach so. Die Leute der Human-Resources-Abteilung sprachen irgendetwas von Umstrukturierung, Outsourcing und weiss der Kuckuck was. Der Grund ist ihr so oder so egal. Das Fazit bleibt dasselbe: Sie ist ihren Job los.

Sie durfte an Ort und Stelle ihren Zutritts-Badge zum Gebäude abgeben. Ihr persönliches Hab und Gut wird ihr per Kurier zugestellt. Wie nett. Nicht einmal ihren Kolleginnen und Kollegen durfte sie auf Wiedersehen sagen. Das war's. Das Ende ihrer Karriere. Als sie zum Ausgang begleitet wurde ‒ ja, sie wurde tatsächlich eskortiert ‒ und die Türe hinter ihr ins Schloss fiel, spürte sie einen Phantomschmerz an ihrem Hintern.

Sie mochte ihren Job. Sie mochte ihre Kolleginnen und Kollegen. Wer noch alles gefeuert wurde, entzieht sich ihrer Kenntnis. Ihr wurde mitgeteilt, dass sie nicht die Einzige sei. Was für ein Trost! In der Gerüchteküche des Betriebes brodelte es schon lange, und es wurde gemunkelt, dass etwas Grosses anstehen würde. Sie gab nicht viel auf Klatsch und Tratsch. Lieber machte sie einen tadellosen Job. Das hat ihr das Gefühl vermittelt, auf der sicheren Seite zu stehen. Wie man sich täuschen kann!

Der Bass wummert in ihren Ohren. Sie möchte schreien. Aber sie kann nicht. Das Atmen fällt ihr schwer. Sie fühlt sich verraten und tief verletzt. Die letzten Jahre, die sie in diese Firma investiert hatte, waren für nichts und wieder nichts. Alles, was sie mit aufgebaut hatte, war nun Makulatur.

Was erzählt sie bloss ihrer Familie und ihren Freunden? Dass sie in ihrem Job versagt hat, und die Firma locker auf sie verzichten kann? Dass man sie bei der Umstrukturierung und bei weiss der Kuckuck was nicht brauchen kann? Dass ihre bisherigen Anstrengungen und Bemühungen für die Katz' gewesen sind?

Sie schaut mit leerem Blick auf die Geleise. Plötzlich weiss sie haargenau, was zu tun ist. Sie sieht, wie der Zug in den Bahnhof einfährt. Sie steht von ihrer Bank auf und geht auf dem Perron dem Zug entgegen. Als der Zug zum Stehen kommt, steigen die Leute aus. Sie wartet, bis alle ausgestiegen sind, sucht sich einen Platz, der nicht reserviert ist, setzt sich hin und wartet, bis sich der Zug wieder in Bewegung setzt.

«Aux Champs-Elysées, aux Champs-Elysées,

Au soleil, sous la pluie, à midi ou à minuit,

Il y a tout ce que vous voulez aux Champs-Elysées.»

Die vertraute Stimme von Joe Dassin tönt aus ihren Kopfhörern und ein Lächeln schleicht sich auf ihr Gesicht.

Endstation Paris-Gare de Lyon.

Inspiration: Mercy von Muse / Champs-Elisées von Joe Dassin



Das Leben. Mit dem hast du nicht gerechnet.

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