Читать книгу Das Leben. Mit dem hast du nicht gerechnet. - Lea Grossmann - Страница 9

Am Strand

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Mit einem grenzdebilen Lächeln steht sie am Sandstrand. Die leisen Wellen umspielen ihre Füsse. Ihre schön manikürten Zehen sinken im Sand ein. Den Lack hat sie mit ruhiger Hand selbst aufgetragen. Sie schaut aufs Meer hinaus und geniesst die Ruhe. Sie ist allein. Keine Menschenseele weit und breit ist zu sehen. Nur die Möwen kreisen über den Wellen. Die Sonne berührt den Horizont. Ein atemberaubender Sonnenuntergang zeichnet sich ab. Das Licht, welches sie umgibt, ist golden. Sie sieht in diesen Strahlen wie ein Engel aus. Anmutig. Der Wind spielt mit ihren blonden langen Haaren.

Nie war sie glücklicher als jetzt. Sie hat mit sich und der Welt Frieden geschlossen. Alles ist stimmig. Das war in den letzten Jahren nicht immer so. In ihrem jungen Leben musste sie einiges an Peinigung und Demütigung über sich ergehen lassen. Sie wuchs in einem behüteten Umfeld auf. Mit zwanzig lernte sie ihn kennen und verliebte sich Hals über Kopf. Er sah verwegen und unheimlich gut aus und trug sie in der Anfangsphase ihrer Beziehung auf Händen. Sie betete den Boden an, auf dem er wandelte. Was für ein Fehler! Er veränderte sich und entpuppte sich als eifersüchtiger Tyrann. Sie durfte die Wohnung, in der sie mit ihm zusammenlebte, nicht mehr ohne ihn verlassen. Ihre Arbeitsstelle musste sie aufgeben und damit auch ihr gesamtes soziales Umfeld. Keinen Kontakt zur Familie oder zu Freunden war ihr mehr vergönnt. Sie fügte sich. Sie liebte ihn abgöttisch. Sie redete sich erfolgreich ein, dass sein Verhalten daherkäme, dass er sie ebenso liebte und er sie mit niemandem teilen möchte.

Die physische Gewalt stellte sich schleichend ein. Die Schläge kamen des Öfteren und waren schmerzhaft. Irgendwann war es soweit, dass sie sich selbst nicht mehr belügen konnte. Sie musste weg. Ihn verlassen. Ein Versuch, aus ihrem Gefängnis zu fliehen, endete kläglich und machte ihr das Leben noch mehr zur Hölle. Er drohte ihr, sie zu töten, sollte sie sich ihm widersetzen. Sie hatte Angst. Lähmende Angst. Ihre Seele und ihr Lebenswille zersplitterten wie ihr Herz.

Und jetzt? Sie ist zufrieden. Zufrieden mit sich und der glücklichen Wendung in ihrem Leben. Als er heute nach seiner Arbeit nach Hause kam, war er guter Laune und ging mit ihr zum Strand. Da wusste sie noch nicht, wie glücklich sie diese schicksalhafte Fügung machen würde. Die Chance kam, und sie packte sie am Schopf. Es ging sehr schnell. Zeit zum Zögern blieb ihr nicht. Sie handelte instinktiv und mit unglaublicher Entschlossenheit. Woher sie die Kraft nahm, wird ihr für immer ein Rätsel bleiben. Das Geräusch des knackenden und brechenden Schädels war wie Musik in ihren Ohren. Im Nachhinein hätte sie ihm jedoch ein qualvolleres Ende gewünscht. Er hätte sie anflehen müssen, am Leben bleiben zu dürfen. Er hätte um Gnade winseln müssen. Sein Leben lag in ihren Händen. Was für ein Hochgenuss!

Jetzt ist es vorbei. Für immer.

Für ewig.

Nichts ist endgültiger als der Tod.

Sie fühlt sich befreit und voller Leben. Das Leben, das sie ihm entzog, wurde auf sie übertragen.

Wer immer diese Schaufel an diesem verlassenen Strandabschnitt liegen gelassen hat, sie wird dem- oder derjenigen für immer dankbar sein. Sie geht zurück zum bereits ausgehobenen Loch, schiebt seine Leiche hinein, ohne mit der Wimper zu zucken und beginnt, sein Grab mit Sand zu füllen. Mit jeder Faser ihres Körpers geniesst sie das Zudecken. Sie sperrt ihn in ewige Dunkelheit.

Inspiration: Bring Me To Life von Evanescence




Das Leben. Mit dem hast du nicht gerechnet.

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