Читать книгу White Moon - Leni Anderson - Страница 6

2 Kapitel

Оглавление

Einen Moment lang fühle ich mich wie benommen. Dann finde ich endlich meine Worte wieder.

„Was zur Hölle war das denn?“, fahre ich Chris an.

Chris. Erst jetzt fällt mir auf, dass er schwer atmend mit den Händen auf den Knien gestützt vor mir steht. Mit dem Hintern lehnt er an der schweren Eisentür. Langsam hebt er den Blick und da sind sie wieder, diese Augen. Im Club schienen sie noch dunkel. Jetzt leuchten sie in einem strahlenden Blau.

Er drückt sich vorsichtig von der Wand ab und kommt auf mich zu. Ein leichter Windstoß fegt durch seine dunkelblonden Haare. Mit einer fließenden Handbewegung streicht er sie aus seinem Gesicht.

Ich schlucke.

„Hannah, bitte, ich kann dir alles erklären. Lass uns aber zuerst von hier verschwinden.“ Seine Stimme klingt sanft, vertrauenswürdig. Doch ich bin nach wie vor wie berauscht und kann kaum einen klaren Gedanken fassen.

Ich stütze mich vorsichtig an der Wand ab.

„Wohin willst du denn gehen?“, bringe ich noch lallend heraus, bevor ich schwankend in mich zusammensacke.

Mit einem langen Schritt überwindet Chris die Distanz zwischen uns und zieht mich vorsichtig hoch.

„Sorry, ich bin wohl etwas betrunken. Der Gin Tonic haut heute ganz schön rein“, versuche ich meinen Zustand zu erklären.

„Nein, Sweety, das ist das Serum, das dich so benommen macht.“

Serum? Was redet er denn da schon wieder? Himmel, dieser Abend ist echt eine Katastrophe. Erst komme ich nur mit Mühe und Not in den Club, dann finde ich Hailey nicht und treffe stattdessen diesen heißen Typen, der mir prompt 'nen Drink spendiert, nur um mich kurze Zeit später mit einem mysteriösen „Wir müssen hier raus!“ aus dem Club zu ziehen? Oh nein, er hatte doch nicht ...

Fuck. Du hast mir was in den Drink getan?“ Panik steigt in mir auf und entfacht glücklicherweise genug Adrenalin, um mich von ihm loszureißen.

„Ich gehe dann jetzt!“ Tränen steigen mir in die Augen und ich marschiere schwankend los.

„Hannah, warte!“ Chris kommt hinter mir her und fasst mich erneut am Ellenbogen. „Ich kann dir alles erklären, bitte!“

Wütend drehe ich mich zu ihm um und kann nichts weiter tun, als mit dem Kopf zu schütteln.

„Der ganze Abend war ... Ich weiß auch nicht. Nichts war so, wie es sonst war. Alles war irgendwie ... Himmel, was hast du mir gegeben? Ich kann überhaupt nicht klar denken.“ Ich reibe mir über die Schläfen.

„Es tut mir leid. Wirklich. Nicht ich habe es dir in den Drink getan, sondern der Barkeeper. Die geben das allen.“

„Allen? Was ist das für ein Zeug? Und warum bist du eigentlich nicht so benommen? Ich fühle mich, als hätte ich zwei Promille oder so. Als wäre ich nicht ich selbst.“

„So reagiert ihr nun mal darauf. Uns stört das Zeug nicht.“

Ihr? Uns? Fuck, was sollte das denn schon wieder bedeuten?

„Was soll das denn heißen? Ach Scheiße, erzähl's mir lieber nicht. Ich will einfach nur noch nach Hause.“

Taumelnd setze ich mich wieder in Bewegung, komme aber nicht weit. Ein paar starke Arme halten mich zurück.

„Komm mit. Du brauchst nen Kaffee. Dann geht’s dir gleich besser, versprochen.“ Schelmisch zeigt er mir ein schiefes Grinsen und für einen Moment kommt es mir total vertraut vor. Seltsam ...

„Mit dir mitkommen? Ernsthaft? Das kannst du vergessen!“, bringe ich lallend hervor. „Gott weiß, was du mit mir vorhast!“ Ich stütze mich an einer Parkbank ab. „Bitte, ich will mir einfach nur noch ein Taxi suchen.“ Meine Stimme klingt flehender, als ich beabsichtige.

Er lockert seinen Griff. „Ich werde dir nichts tun, Hannah, bitte glaub mir. Lass uns zusammen nen kleinen Latte holen und dann versuche ich, die Situation zu erklären, okay?“

Nur widerwillig gebe ich nach. Meine Alarmglocken sollten eigentlich in den höchsten Tönen schrillen, bleiben aber eigenartigerweise ziemlich ruhig.

„Meinetwegen. Du hast einen Kaffee Zeit, dann bin ich weg. Und woher weißt du eigentlich, dass ich immer nen kleinen Latte bestelle?“

„Geraten.“ Er zwinkert mir zu.

Na klar. Geraten.

Wir schlendern aus der Gasse heraus, in der sich der Hintereingang zum All in befindet, und gehen ein Stück weit die Hauptstraße herunter. Nicht weit entfernt ist ein Coffee to Go Stand, an dem wir uns mit Heißgetränken versorgen.

Keiner von uns sagt ein Wort, nur meine Gedanken rasen. Und schwanken.

Verdammt.

Ich starre auf den Kaffeestand.

To Go.

Was der Türsteher wohl meinte? Chris würde mich in Kürze aufklären. Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich das alles überhaupt noch würde fassen können. Ich kann ja kaum noch meinen Kaffeebecher halten.

„Komm“, sagt Chris beruhigend, „lass uns ein wenig auf die Brücke gehen.“

Nicht weit von uns entfernt befindet sich hinter einer leichten Biegung der Aufgang zu einer schmalen Fußgängerbrücke. Mein Joggen hatte mich oft hierher geführt und ich hatte nicht selten angehalten, um dem sanften Plätschern des Wassers zu lauschen.

Die kühle Nachtluft in Kombination mit dem heißen Koffein mildern allmählich meinen Rausch. Das Schwindelgefühl lässt endlich nach und ich fühle mich ein wenig mehr wie ich selbst.

Mitten auf der Brücke bleibt Chris stehen. „Hannah, ich ...“

„Woher kennst du eigentlich meinen Namen?“, falle ich ihm ins Wort. „Ich kann mich nicht erinnern, dass ich mich vorhin vorgestellt hätte.“

Durchdringend schaut er mich an. „Wir kennen uns schon etwas länger.“

Wir? Du meinst wohl, du kennst mich, denn sorry, aber an dich würde ich mich erinnern.“ Ich nehme einen Schluck Kaffee und warte auf seine Antwort.

„Nein“, nimmt er seine Erklärung wieder auf, „wir kennen uns. Du weißt es nur nicht mehr.“

Ich ziehe die Augenbrauen kraus und schaue ihn fragend an. „Aber ... Woher ...“, bringe ich stockend hervor.

„Na ja, du kommst jedes Wochenende ins All in“, erwidert er, „und da ...“

„Wow, stopp mal“, unterbreche ich ihn erneut, „ich war seit Wochen nicht mehr im All in. Ich denke, ich könnte mich erinnern, wenn ich dort war und dich getroffen hätte.“ Ich lehne mich ans Brückengeländer. Provokant lasse ich meinen Blick auf ihm ruhen und verschränke die Arme vor der Brust.

Chris zeigt sich davon wenig beeindruckt. Ein entschuldigendes Grinsen legt sich auf sein Gesicht.

„Sorry, Sweety, du kommst seit Wochen jeden Samstag in den Club. Du weißt es nur nicht mehr. Vieles läuft anders, seit Eric den Laden übernommen hat.“

Ich verschlucke mich fast an meinem Kaffee. „Seit Wochen?“ Meine Stimme klingt schriller als beabsichtigt. „Was meinst du damit?“

Chris atmet tief durch. Sein Lächeln ist verschwunden. „Sie geben euch ein Serum in den Drink. So werdet ihr gefügiger und habt weniger Angst. Außerdem können wir so eure Gedanken löschen.“

Wow. Bitte was? Fuck!

Ich muss erstmal schlucken und reibe mir angestrengt über die Augen. Der Kaffee ist nur noch lauwarm, als ich erneut daran nippe. Sein Gesagtes ergab überhaupt keinen Sinn. Ich atme tief durch.

„Erklär bitte weiter. Oder versuch es zumindest, denn bisher verstehe ich nur Bahnhof.“ Ungläubig starre ich ihn an.

Zögerlich setzt sich Chris in Bewegung. Dem Fluss zugewandt lehnt er sich neben mir gegen das kalte Eisengitter. Bedächtig und unaufgeregt fährt er mit seinem Erklärungsversuch fort.

„Eric hat vor circa drei Jahren beschlossen, das Jagdrevier auf die Stadt zu verlegen und kurzerhand das All in gekauft. Oder vielmehr das All for you, aus dem dann das All in wurde. Es gibt strenge Regeln, damit wir nicht auffallen und eine von ihnen besagt, dass eure Erinnerungen gelöscht werden müssen, damit niemand erfährt, wer wir sind. Daher das Serum in den Drinks.“

Jagdrevier. Serum. Was zum ...

Ich schaue auf und suche seinen Blick. „Was bitte meinst du immer mit wir und ihr? Du sprichst, als wärt ihr irgendwelche Kriminellen mit krassen Jagdfantasien. Seid ihr ne Geheimorganisation, von der keiner wissen darf? Irgend so eine Art elitäre Verbindung? Ne Loge vielleicht?“

Für einen kurzen Moment lacht er auf, erlangt seine Fassung aber schnell zurück. Er nimmt einen letzten Schluck von seinem Kaffee und entsorgt den Becher im Mülleimer, der ein Stück von uns entfernt steht.

„Chris, was ist hier los?“ Ich will es jetzt wissen. „Ehrlich, so langsam kann ich wieder klar denken und der Kaffee ist auch leer. Und, verdammt, bisher hast du nur noch mehr Fragen aufgeworfen als geklärt. Also entweder ...“

„Hannah“, fällt er mir ins Wort und schau mich mit seinen unfassbar blauen Augen an. Fast augenblicklich fährt mein Adrenalin und meine ganze Wut und Verwirrung eine Stufe runter.

„Das ist alles nicht so einfach so erklären. Ich wünschte, es wären andere Umstände, aber die Anwesenheit von Eric heute im All in hat alles verkompliziert. Ich weiß nicht genau, wo ich anfangen soll.“

„Vielleicht ganz vorne? Oder mit einer plausiblen Erklärung bezüglich dieser Abgrenzung von diesem wir und ihr? Oder eurem Drang zum Jagen oder was auch immer?“

Zugegeben, meine Stimme klingt etwas theatralisch, aber ich habe so langsam die Nase voll. Er faselt einen Scheiß vor sich hin, den ich einfach nicht länger ertragen mag. Ja, er ist heiß. Heißer als heiß! Aber wenn er sich nun doch als irrer Freak erweisen möchte, dann doch bitte jetzt gleich. Ich würde gerne nach Hause gehen. In einem Stück.

Anstatt einer direkten Antwort hüllt sich Chris in Schweigen und schaut betreten zu Boden.

Fuck. Dann halt nicht.

Ich stoße mich vom Geländer ab und setze mich in Bewegung. Sanft greift er mein Handgelenk. Ich schaue auf.

„Hannah, wir sind Vampire.“ Ernst spiegelt sich in seinen Augen.

Ich starre ihn an. Für einen Moment schwanke ich zwischen hysterischen Lachanfall und Weglaufen. In meinem Kopf herrscht absolute Leere. Ich bin sprachlos. Mir bleibt nichts anderes, als in seine tiefen, blauen Augen zu starren.

Er meinte es ernst.

Heilige Scheiße!

Panik erfüllt mich und mein Herz beginnt zu rasen. „Ich denke, ich sollte jetzt gehen.“

„Willst du den Rest denn gar nicht hören?“ Ein unsicheres Lächeln umspielt seinen Mund.

Nein. Ich denke nicht, dass ich den Rest hören will, und schüttle den Kopf.

„Mach's gut, Chris.“ Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, marschiere ich los.

Der Panik weicht Empörung. In mir steigt eine Wut auf, die ich kaum in Worte fassen kann. Er glaubte doch wohl nicht allen Ernstes, dass ich ihm das abkaufe? Vampire? Hier in der Hauptstadt? Unter uns? Absolut lächerlich!

Strammen Schrittes mache ich mich in die entgegengesetzte Richtung auf, um mir ein Taxi zu rufen. Zu Hause habe ich eine nette Flasche Chardonnay im Kühlschrank, die den Abend möglicherweise noch retten könnte.

Und Hailey. Ich muss dringend Hailey anrufen. Himmel, vielleicht war ihr was passiert?

„Hailey war heute nicht im Club“, höre ich Chris hinter mir. „Letzte Woche wart ihr zu zweit da, aber heute warst du alleine.“

Ich halte inne.

„Und Chardonnay ist zwar nicht mein Lieblingswein, aber er ist für einen Weißen ganz passabel.“

Was zum ...

Langsam drehe ich mich zu ihm um. Ich starre ihn mit offenem Mund an. „Woher ...“, flüstere ich. Mehr bekomme ich nicht raus. Wie konnte er das wissen?

„Bitte, Hannah, lass mich die Sache weiter erklären. Aber nicht hier.“

Lange starren wir uns an. Unfähig, uns zu rühren. Ich weiß, dass es von mir abhängt. Weiß, dass er mich gehen lassen würde, wenn ich darauf bestünde. Aber etwas in mir schreit danach, zu bleiben und ihn anzuhören. Etwas in mir sagt, dass ich ihm zuhören muss. Um zu verstehen. Etwas in mir erinnert mich daran, dass ich ans Schicksal glaube.

Ich nicke.

Vorsichtigen Schrittes kommt er auf mich zu. „Danke“, haucht er mir auf die Haare und drückt zaghaft meine Hand. Ohne ein Wort zu sagen, verlassen wir die Brücke.

Mein Kopf ist wie leer gefegt. Zurückgeblieben ist nur ein Gefühl von ... Wärme? Vertrauen?

Himmel ... Was war das nur für ein Serum?

Chris führt mich zu einer kleinen Bar namens Ben & Tiger‘s. In einer der dunkleren Ecken der spärlich besuchten Bar nehmen wir Platz. Chris ordert beim Barkeeper Getränke und setzt sich anschließend zu mir.

Ich bereue es erneut zutiefst, mein Handy nicht mitgenommen zu haben. Wie gerne hätte ich jetzt Hailey angerufen. Einfach nur, um zu hören, dass sie wirklich nicht im Club gewesen war und Chris tatsächlich die Wahrheit gesagt hatte.

Der Barkeeper kommt und stellt uns zwei Gläser auf den Tisch. Fragend schaue ich Chris an.

„Nein, keine Sorge. Die sind clean.“ Er zwinkert mir zu und nimmt einen Schluck. Bevor ich länger darüber nachdenke, nehme ich ebenfalls einen tiefen Zug aus meinem Glas.

Was ich augenblicklich bereue.

„Verdammt“, bringe ich hustend hervor. Schon wieder Gin. Aber dieses Mal in einem eher unüblichen Mischungsverhältnis. Mein Rachen brennt.

„Gut, oder?“

Ich nicke zustimmend „Fantastisch.“ Meine Antwort trieft geradezu von Sarkasmus. Ich bedeute dem Barkeeper, uns noch etwas Antialkoholisches zu bringen, und freue mich über das Wasser, das kurze Zeit später vor mir auf dem Tisch steht.

Chris schmunzelt und prostet mir provozierend zu.

„Also?“, fange ich schließlich an. Noch nie ist es mir so schwer gefallen, jemanden etwas zu fragen, das mir gleichzeitig so unfassbar lächerlich vorkommt. Die Röte schießt mir ins Gesicht. „Bist du so ne Art Show-Mentalist oder wie kann es sein, dass du ständig weißt, was ich denke?“

Chris schmunzelt. „Nein, ich bin kein Mentalist.“ Dann werden seine Züge wieder ernst. „Ich bin ein Vampir und kann deine Gedanken lesen.“

Ich schlucke.

„Und das funktioniert nur“, fährt er fort, „weil du meine Seelenpartnerin bist.“

„Seelenpartnerin?“ Die Antwort überrascht mich. „Also, ich hab schon von Seelenpartnerschaft gehört, dachte aber immer, das ist sowas wie beste Freunde sein oder so. Und, dass man sich dafür ja auch kennen muss. Was bei uns beiden ja wohl kaum zutrifft.“

„Du kennst mich schon“, erwidert er. „Zumindest für einen Abend. So lange bis sie dein Gedächtnis wieder löschen. Was zugegebenermaßen ziemlich oft in letzter Zeit vorkam ...“ Er nimmt einen großen Schluck von seinem Drink.

Ich verschränke die Arme vor der Brust. „Ja, das sagtest du bereits.“ Meine Gedanken wirbeln und ich brauche einen Moment, um zu realisieren, dass ...

„Wie lange komme ich schon ins All in, ohne dass ich mich daran erinnern kann?“

Chris schaut mir direkt in die Augen. „Seit etwa zehn Wochen.“

Fuck.

„Seit etwa zehn Wochen?“, bringe ich fassungslos hervor. „Himmel, was für ein Zeug hab ich denn bitte getrunken, dass ich mich nicht mehr daran erinnern kann?“

„Wir nennen es Gedächtnisserum. Du hast heute Abend einen Stempel bekommen, richtig?“

Verstohlen werfe ich einen Blick auf mein Handgelenk. Ich nicke zustimmend.

„Nun, in der Stempelfarbe befinden sich Transmitter, die aktiviert werden, sobald ihr das Gedächtnisserum mit eurem ersten Drink zu euch nehmt. Beim Hinausgehen werden eure Stempel vorne wie eine Art Barcode gescannt. Und am nächsten Tag, tadda, erinnert ihr euch nicht mehr an euren Besuch im All in, habt aber das dringende Bedürfnis, in der darauffolgenden Woche wieder zu kommen.“ Er zwinkert mir zu.

„Wow. Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“ Ich nehme einen Schluck aus meinem Glas. „Doch, warte. Du sagtest ihr. Das heißt ... Ich bin nicht die einzige, deren Gedächtnis gelöscht wird? Es betrifft auch andere Gäste?“

„Es betrifft fast alle Gäste. Es betrifft euch Menschen.“

Ich reibe mir angestrengt über die Schläfen. „Uns Menschen ...“

„Ja, euch Menschen. Ich sagte dir ja bereits, wer oder eher was wir sind.“ Er schaut mich durchdringend an. „Aber so richtig glauben kannst du mir nicht.“ Das war keine Frage.

Ich lehne mich auf meinem Stuhl zurück. Das war alles echt krasser Scheiß. Irgendwie ergab es schon Sinn. Aber jetzt mal ernsthaft, Vampire?

„Der Abend war mehr als miserabel“, stelle ich nüchtern fest. „Ich bin kaum in den Club gekommen, Hailey war nicht dort und die Leute, die ... Ach, ich weiß auch nicht. Alles war heute so aufgeladen. Und seltsam. Und dann kommst du und schleifst mich einfach aus dem Club. Nur um dann mit dieser fadenscheinigen Erklärung zu kommen? Du redest über Vampire und irgendein Serum und Seelenpartnerschaft als wäre es das Normalste der Welt. Und ich bin mir nicht sicher, ob das einfach mal die schlechteste Anmache der Welt ist oder ob du komplett übergeschnappt bist.“

Ich mache eine kurze Pause und warte seine Reaktion ab.

Nichts.

„Ich denke, es ist Zeit für mich, nach Hause zu fahren.“ Ich leere mein Glas und stehe auf.

„Bevor du gehst, habe ich eine letzte Frage an dich.“ Chris sieht mich gespannt an und ich kann so etwas wie Verzweiflung in seinen Augen aufblitzen sehen.

„Ich höre?“

„Fühlst du es nicht mehr?“

Fühle ich es nicht mehr? Diese Frage wirft mich völlig aus der Bahn. Ich horche stillschweigend in mich hinein.

Meine Atmung geht schwer, mein Herz rast, meine Gedanken wirbeln. Für einen Moment scheint es, als wäre die Zeit stehen geblieben. Und dann ... fühle ich es. Ein kleines Vibrieren in meinem Herzen. Ein Summen, das sich vertraut und heimisch anfühlt. Langsam breitet es sich in jede Zelle meines Organismus aus, wird durch meinen Herzschlag immer weiter und weiter gepumpt, bis es schließlich in meinem ganzen Körper ... leuchtet.

Schwankend halte ich mich am Tisch fest. Schwer atmend suche ich seinen Blick. „Was hast du mit mir gemacht?“, bringe ich flüsternd hervor.

Ein Lächeln schleicht sich auf Chris‘ volle Lippen. „Ich habe nichts gemacht“, flüstert er zurück. „Wir haben uns nur gefunden.“

„Und wie das?“ Ich bin völlig überwältigt von diesem Summen, das mich ausfüllt, mich durchströmt. Ich habe keine Ahnung, was es bedeutet, aber es fühlt sich gut an. Und richtig. Als hätte mir etwas gefehlt, ein Puzzlestück oder so, das jetzt seinen Platz eingenommen hat. Noch nie in meinem Leben hatte ich mich so vollkommen und sicher gefühlt, wie in diesem Moment. Langsam lasse ich mich auf meinen Stuhl zurücksinken.

Chris nimmt meine Hand. „Als du vor zehn Wochen zum ersten Mal ins All in gekommen bist, sind wir uns auf der Tanzfläche begegnet. Und in dem Moment, wo unsere Blicke sich zum ersten Mal trafen, wusste ich es.“

„Was wusstest du?“

„Dass du die meine bist.“

Alle Zweifel und Wut und Verwirrung, die vorhin noch präsent waren, sind wie verflogen. Aus einem unerklärlichen Grund weiß ich, dass er die Wahrheit sagt. Dass alles, was er mir bis dato erzählt hatte, der Wahrheit entspricht.

„Auf jeden Vampir wartet irgendwo auf dieser Welt seine Seelenpartnerin. Und da die Welt ziemlich groß ist, ist die Wahrscheinlichkeit, seine Seelenpartnerin zu treffen verschwindend gering. Umso überraschter war ich, als ich dich getroffen habe. Und dass du ein Mensch bist. In der Regel finden sich zwei Vampirseelen. Die Kombination aus Mensch und Vampir ist äußerst selten, wie du dir vielleicht vorstellen kannst, und ziemlich kompliziert.“

Ich kann mir gerade gar nichts mehr vorstellen. Dieses Summen vibriert in meinem ganzen Körper. Und gibt ihm recht.

Überwältigt von meinen Gefühlen und völlig überfordert mit der Situation stehe ich schließlich auf. Ich nehme meine Jacke und taumle nach draußen. Ich werde mir vage bewusst, dass Chris mir irgendetwas nachruft, der Barkeeper mich verwundert anschaut und auch die anderen Gäste kurz ihre Köpfe heben, bis ich schließlich das Ben & Tiger‘s verlassen habe und die Straße herunter gehe.

Was auch immer ich heute im Drink hatte, es konnte seine Wirkung noch nicht verloren haben, oder? Das war doch alles ein schlechter Witz? Vampire in der Hauptstadt. Ein elitärer Vampirclub, der das Gedächtnis seiner menschlichen Besucher mittels eines Serums löschen lässt. Seelenpartnerschaft.

Das war mir alles zu viel. Summen hin oder her. Verstand? Wo ist mein Verstand?

Fuck ...

Alles dreht sich ...

Ich bin von einem lauten Rauschen umringt und kann nicht mehr ausmachen, ob es der Nachtwind ist oder eine Nachwirkung des Serums. Aus dem Augenwinkel sehe ich Chris noch auf mich zustürzen. Besorgnis spiegelt sich in seinem Blick.

Was zum ...

Meine Sicht verschwimmt. Das Letzte, was ich vor mir ausmachen kann, ist der Asphalt. Und der ist genau vor meinem Gesicht.

White Moon

Подняться наверх