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Kapitel VI

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Mit Wehmut beobachtete ich aus meinem Versteck, wie der neue Tag anbrach. Die tiefe Nacht wich der heraufsteigenden Sonne, die schützende Dunkelheit dem Licht. Zaghaft, aber mit einer unaufhaltsamen Sicherheit krochen die ersten Schimmer über den Horizont. Die Luft war selbst in der schwindenden Dunkelheit stickig und so dick, dass man sie fast schneiden konnte. Bald würde die Nacht enden und ich wieder Mensch sein.

In meinem Fell trocknete das Blut. Der Junkie, den ich diese Nacht getötet hatte, war die erste Nahrung seit vier Wochen.

Seit ich von Craven fort war, hatte ich nichts mehr gegessen. Ein Dach über dem Kopf hatte ich auch nicht. Mit meinen wenigen Habseligkeiten wohnte ich im Park. Zwischen jenen Menschen, die ich für gewöhnlich jagte. In den dunkelsten Stunden der Nacht badete ich im Teich, damit ich wenigstens nicht stank, wie die Menschen unter denen ich lebte. Berlins Straßen waren rau. Schon so manche Nacht hatte ich bereut, ausgerechnet hierher geflogen zu sein. Mit dem wenigen Geld, das Victor mir zugesteckt hatte, hatte ich den erstbesten Flug genommen, der vom London Heathrow Airport abging. Ganz egal wohin. Hauptsache weg. Weg von zu Hause.

Meine Klauen gruben sich in die Erde, als ich daran zurückdachte. Das war so erbärmlich ...

Aber ich hatte nicht bleiben können. Nicht nachdem, was geschehen war.

Nicht nachdem ich herausgefunden hatte, was ich war.

Unsterblich.

Mein Verstand spuckte das Wort aus wie eine Krankheit. Ich war nun ein Monster unter Monstern. Einfach wieder aufgestanden, wo ich eigentlich tot hätte sein müssen. Nach nur wenigen Momenten, die ich verdreht und mit gebrochenem Genick auf dem Boden gelegen hatte.

Die Blicke der anderen würde ich niemals vergessen. Angestarrt wie ein Alien hatten sie mich. Als wäre ich nicht normal.

Aber das war ich ja auch nicht. Ich konnte nicht sterben. Und, weiß Gott, ich hatte es versucht!

Kein Wort glaubte ich ihnen, als sie mir sagten, dass ich gestorben und einfach wieder aufgestanden sei. Aber wer würde das schon glauben?

Keine vierundzwanzig Stunden hielt ich diese Ungewissheit aus. Als alle schliefen, schlich ich mich ins Bad. Ich setzte mich in die Badewanne und schlitzte mir mit einem silbernen Messer beide Unterarme auf, bis hoch zum Ellbogen. Es blutete schrecklich. Wenigstens einige Minuten lang. Gemächlich und so, als besäßen sie alle Zeit der Welt, schlossen sich die tiefen Schnitte. Millimeter um Millimeter. Bis sogar die blassen Narben verschwunden waren.

Mir wurde schwindelig, als mir klar wurde, was das bedeutete. Nicht einmal Silber wirkte bei mir. Es verlangsamte unsere Wundheilung extrem, so, dass sogar ein Werwolf verbluten konnte. Aber ich nicht. Ich … nicht …

Verborgen unter einem weitläufigen, dichten Buschwerk irgendwo mitten im zoologischen Garten lag ich und wartete auf meine Verwandlung. Neben mir in einer Plastiktüte lagen meine Kleider und das Wenige, was ich besaß.

Müde warf ich durch die Zweige einen Blick zum Himmel. Es würde noch eine Weile dauern, bis die Sonne weit genug aufgegangen war und der Moment kam, der den Schmerz auslöste. Seufzend ließ ich den Kopf auf die Pfoten sinken.

Ich würde warten müssen.

Vielleicht schaffte ich es, eine Weile zu schlafen. Der Schmerz würde mich schon wecken ...


Ein schrilles, lautes Fauchen schreckte mich nur kurze Zeit später unsanft aus meiner Ruhe. Das Geräusch kam mir sofort bekannt vor. Ich drehte den Kopf und lauschte in die verblassende Nacht.

Zuerst war da nur Stille, aber dann hörte ich es erneut. Dieses katzenähnliche, drohende und zugleich lustvolle Fauchen. Diesmal aber viel leiser.

Ein unverkennbares Geräusch. Langsam kroch ich aus meinem Gebüsch hervor. Das wollte ich mir aus der Nähe ansehen.

Kaum einen Steinwurf von mir entfernt sah ich ihn schon. Gehüllt in eine weite, zähe Nebelwolke, deren Schwaden zwischen den umstehenden Bäumen umherkrochen.

Dicht am Boden drang ich ins Zentrum des Nebels vor, ahnte bereits, was mich erwartete und ich wurde nicht enttäuscht.

Im Inneren der wabernden Wolke fand ich ihn. Seine Beute fest umschlungen in einer fast romantisch wirkenden Umarmung. Seine kreidebleichen Hände strichen sanft über die Wange des Mädchens. Voller Gier und Hunger.

Ich war nur noch wenige Schritte von ihm entfernt. Ein makaberes Grinsen verzerrte meine Lippen. Vampire erschrecken machte so einen Spaß! Lautlos richtete ich mich auf um…

Schritte!

Sofort glitt ich in den Schatten zurück. Auf dem nahe gelegenen Fußweg kam jemand auf uns zu. Vermutlich der Nachtwächter des Parks.

Ein Blick zu dem dummen Vampir hinüber verriet mir, dass er den Wärter nicht hörte. Viel zu tief war er in seinem Blutrausch verfallen.

Ich verdrehte die Augen und bereute schon fast, dass ich überhaupt aufgestanden war. Eigentlich war es doch sein Problem, wenn der Parkwächter ihn erwischte. Was ging es mich an, wenn der Vampir entlarvt wurde? Sollte er doch selbst zusehen, wie er das wieder ausbügelte ...

Aber irgendetwas tief in mir zwang mich, meine Prinzipien und die meiner gesamten Art zu verraten, und diesem Blutsauger zu helfen.

Schnell huschte ich im Schatten um ihn herum und kauerte mich in ein Gebüsch am Wegesrand. Erst von hier konnte ich erkennen, wie unglücklich der Vampir den Ort für sein Mahl gewählt hatte. Zwar verhüllte ihn der Nebel vor allzu aufdringlichen Blicken, aber der Wärter hatte eine Taschenlampe. Er würde ihn sofort -

Nur um ein Haar verfehlte mich das Gebiss des Rottweilers.

Laut und wütend bellend sprang der Hund mich an. Ich hatte ihn tatsächlich übersehen. Aber die Luft hier war so überschwer mit Blutgeruch, dass der Hund darin einfach unterging.

Alarmiert vom Lärm seines Hundes rannte der Wärter in meine Richtung. Er rief immer wieder nach dem Vieh, das allen Ernstes versuchte mir zu drohen. Der Mann würde sterben müssen … Doch zuerst musste ich diesen Köter zum Schweigen bringen, bevor er noch mehr Menschen anlockte!

Ich fuhr zu dem Tier herum und knurrte ihn an. Mit gefletschten Zähnen kauerte ich mich zum Angriff nieder. Das Fell auf meinen Schultern und meinem Nacken sträubte sich. Selbst so wütend, wie er war, reichte mir das Tier kaum bis ans Kinn.

Ich schnellte vor, holte aus und schlug zu. Jaulend flog der aufgerissene Körper des Hundes davon. Dummerweise krachte er genau gegen den Rücken des Vampirs, der dadurch endlich aus seiner Trance gerissen wurde. Fauchend fuhr er herum, aber dafür hatte ich jetzt wirklich keine Zeit.

Ich stand mitten auf dem Weg und spürte die Angst des Wächters kaum drei Schritte hinter mir. Ich wandte mich vollends zu ihm um - und hätte beinah die Besinnung verloren.

Wunderschönes Entsetzen und himmelweite Panik strahlten mich aus seinen Augen an.

Sofort hatte er meine Lust geweckt.

Vergessen war die Tatsache, dass mein letztes Mahl erst eine gute Stunde zurücklag. Ich richtete mich auf, langsam und voller Genuss. Gierig sog ich die angstgeschwängerte Luft ein, die immer süßer wurde. Vergessen war der Vampir. Vergessen, der herannahende Tag.

Der Mensch verstand nicht, was dort vor ihm stand. Er sah nur diese gewaltige, schwarze Gestalt, vielmehr Bestie denn Mensch. Sein wirrer Blick wanderte über meinen Körper. Ich spürte ihn als scharfes Prickeln auf der Haut. Was er sah, war nicht menschlich.

Die langen, spitzen Klauen.

Die glutroten Augen, die ihn anstarrten.

Die weißen Reißzähne, von denen blutiger Geifer troff, entblößt in einem hämischen Grinsen.

Schritt für Schritt, langsam - drohend - kam ich näher.

Der Mann wich vor mir zurück und ich sah, wie ihm sein Verstand zu entgleiten drohte. Der Wahnsinn schlich sich in seinen Blick und dieser herrliche Anblick ließ mich nun endgültig die Beherrschung verlieren.

Brüllend vor Lust sprang ich vor und stieß den Wächter zu Boden. Meine Klauen bohrten sich tief in sein Fleisch. Ein gepeinigter, wahnsinniger Schrei entwich der Kehle des Mannes, der meine Gier aber nur noch mehr anfachte.

Er musste sterben.

Jetzt!

Einen letzten, kurzen Augenblick verharrte ich noch über ihm, ließ ihm Gelegenheit seinem wahrhaftigen Tod in die Augen zu blicken. So gern hätte ich diese Angst länger ausgekostet, aber der Hunger in mir war unerbittlich. Schnell stieß ich hinab und versenkte meine Kiefer lustvoll in seinem Hals. Seine Schreie ertranken in seinem eigenen Blut. Oh, wie ich dieses Geräusch liebte!

Plötzlich stieß mich jemand hart mit dem Fuß in die Seite und riss mich aus meinem Rausch. Fauchend fuhr ich herum und starrte in das blutverschmierte, blasse Gesicht des Vampirs. Erst jetzt erkannte ich, dass er weiblich war. Das kurze, rote Haar klebte an ihren Wangen.

„Wir sollten hier schleunigst verschwinden“, sagte sie leise und ich roch einen kaum wahrnehmbaren Hauch von Angst an ihr. „Die Sonne ... Sie geht jeden Moment auf ...“

Sie wies mit dem Kopf zum Horizont und ich erschrak, als ich sah, dass dort ein sanfter bronzefarbener Streifen zwischen den Hausdächern emporkroch.

Wie auf Kommando schoss ein glühend heißer Schmerz meine Wirbelsäule hinauf direkt in meinen Schädel. Ein innerer Flächenbrand breitete er sich in mir aus, leitete meine Rückverwandlung ein. Keuchend sank ich auf ein Knie nieder.

Nicht jetzt! Noch nicht!, war alles, was ich noch denken konnte.

„Ich sagte ja, wir sollten uns beeilen“, wiederholte die Vampirin und ließ sich ebenfalls auf ein Knie nieder. Sie legte die Arme um meine Schultern, wobei sie kaum bis zur anderen Seite reichte, und half mir auf. Ich knurrte, es sollte bedrohlich klingen, aber durch den Schmerz, der sich in meinem Inneren immer schneller ausbreitete, klang es eher kläglich.

Sie sah mich nur mit hochgezogener Augenbraue an und setzte sich in Bewegung.

„Ich kenne hier ganz in der Nähe einen Unterschlupf. Da können wir erstmal bleiben.“

Sie zog mich einfach mit sich. Scheinbar völlig mühelos schleifte sie einen zwei Meter großen, schwarzen Koloss durch die Gegend. Und ich ließ es geschehen.

In diesem Moment war ich einfach nur dankbar, dass sie mir half. Darüber, dass Werwölfe und Vampire sich eigentlich mieden, weil sie dieselbe Beute jagten, konnte ich mir später noch Gedanken machen.

Am Rand des Parks angelangt, hielt sie kurz in einem Gebüsch inne und ließ mich los. Mich vor Schmerzen krümmend, sank ich zu Boden. Die Veränderung meines Körpers hatte längst begonnen. Das schwarze, dichte Fell zog sich langsam unter meine Haut zurück und ich war schon merklich kleiner geworden. Die wölfischen Züge wichen zunehmend meinen menschlichen.

„Hey!“, zischte der Vampir mir zu und riss mich damit wieder aus meinen Gedanken. Ich sah zu ihr auf.

„Siehst du den Eingang da drüben?“

Sie wies mit dem Finger auf die andere Seite der Straße. Ich sah hinüber und erblickte den im Schatten der Häuser gelegenen Kellereingang. Ich nickte.

„Gut. Da müssen wir hin. Kannst du allein über die Straße?“

Ich sah erst sie an und dann auf die Straße zurück.

Sie war breit. Vierspurig. Mit einem mit Grün bewachsenen Mittelstreifen.

Normalerweise wäre ich mit zwei Sätzen lautlos und ohne, dass mich auch nur jemand wahrgenommen hätte, dort hinübergekommen. Doch jetzt schüttelte ich den Kopf. Der Vampir seufzte.

„Das dachte ich mir fast.“ Sie starrte einen Moment konzentriert auf die Straße, ehe sie fortfuhr. „Nun gut. Ich kann uns beide für einen Moment in Nebel verwandeln, aber du musst mir schon ein wenig helfen, sonst kommen wir nicht schnell genug über die Straße.“

Ich sah sie zweifelnd an, nickte dann aber. Mir war nicht wohl bei der Vorstellung. Aber was hatte ich für eine Wahl?

Sie lächelte und entblößte dabei ihre spitzen Eckzähne, die seit vorhin sichtbar kleiner geworden waren. „Dann komm!“, forderte sie mich auf und griff wieder unter meine Arme.

Der Schmerz in meinem Inneren war mittlerweile so unerträglich geworden, dass ich am liebsten geschrien hätte. Wenn ich versuchte die Wandlung hinauszuzögern, so wie jetzt, wurden die Schmerzen nach einer kurzen Zeit so grausam, dass es mich umbringen könnte, wäre ich sterblich. Schwer atmend richtete ich mich wieder auf.

„Es ist nicht weit“, raunte sie mir zu und ich nahm nur am Rande war, dass uns langsam eine immer dichter werdende Nebelwolke einhüllte. Ich versuchte, ruhiger zu Atmen um mich besser konzentrieren zu können. Konzentriere dich. Entspanne dich. Ruhig, Angel, atme ruhig ...

„Jetzt!“, zischte der Vampir und ich sammelte den letzten Rest meiner Kraft zusammen, spannte mich und sprang. Der Vampir riss mich mit sich in die Höhe. Keuchend vor Schmerz verlor ich auf kaum halber Strecke meine Körperspannung und sackte deutlich zusammen.

„Zum Teufel nochmal!“, fluchte der Vampir laut und landete auf dem Mittelstreifen. Sie verstärkte ihren Griff um meine Schulter, dass ich die spitzen Fingernägel in meinem brennenden Fleisch spürte, machte zwei kräftige Schritte und übersprang auch noch den letzten Teil der Straße.

Auf der anderen Seite stolperte sie einige Schritte in die rettende Dunkelheit und entkam nur knapp den ersten Sonnenstrahlen, die sich lautlos über den Horizont geschlichen hatten.

Ich bekam kaum noch etwas mit. Der Schmerz hatte mich bereits nahezu blind und taub gemacht. Mein Atem ging unregelmäßig und mein Herz setzte immer wieder ein paar Schläge lang aus. So konnte ich auch nicht mehr reagieren, als sie mich losließ und mit einem heftigen Stoß eine steile Betontreppe hinabstieß. Ich stürzte und landete unsanft am Fuß der Treppe, wo ich fast am Ende meiner qualvollen Wandlung liegen blieb.

Der Vampir aber sprang mit einem Satz zu mir herab und packte mich bei den Haaren. Sie rammte die schwere Feuerschutztür mit der Schulter auf und stieß mich hart hinein. Kaum einen Atemzug später folgte sie mir und warf die Tür sofort wieder zu.

Schwere schwarze wundervoll kühle Dunkelheit umfing uns. Keuchend lag ich auf dem feuchten Kellerboden. Ich fühlte, wie die Kälte des Betons langsam in meine Glieder kroch und der Schmerz endlich verschwand.

Mir schien es eine Ewigkeit zu dauern, ehe ich mich auch nur wieder in der Lage sah, die Augen zu öffnen und den Kopf zu heben. Um mich war nichts als Schwärze. Meine Augen waren noch immer blind, und wenn ich Pech hatte, konnte das auch noch einige Tage anhalten. Jemand stieß mich mit dem Fuß an.

„Hey. Kannst du mich hören?“

Den Vampir hatte ich völlig vergessen. Ich wandte den Kopf langsam in die Richtung, aus der ich ihre Stimme hörte. Immerhin funktionierte mein Gehör wider Erwarten noch.

„Ja“, krächzte ich leise. Der Vampir schwieg einen Moment und ich hörte, wie sie sich auf den Boden setzte. Sie musste etwas aus Leder tragen, dem glattkühlen Knittern nach zu urteilen, dass ihre Kleider beim Hinsetzen machten.

Ich versuchte derweil mich aufzusetzen, und zu meinem eigenen Erstaunen gelang es mir sogar.

„Wo sind wir hier?“, fragte ich sie, als ich halbwegs aufrecht saß und Halt an einer Wand hinter mir gefunden hatte. Der Vampir gab ein leises, aber eindeutig verächtliches Schnauben von sich.

„In einem Keller“, sagte sie abfällig, „Was denkst du denn, Wolf?“

Ich überhörte ihren provokativen Unterton und fuhr fort. „Danke, dass du mir geholfen hast. Du hast was gut bei mir, Vampir.“ Ich lächelte, immer noch etwas unbeholfen.

Sie lachte leise. „Nein, habe ich nicht. Immerhin hast du mir bei dem Parkwärter … geholfen.“

Das letzte Wort betonte sie besonders. Der Ansatz eines Grinsens huschte über meine Lippen. Vampire!, dachte ich, Die sind echt alle gleich. Fast hätte ich gelacht.

„Was machen wir jetzt?“, fragte ich sie nach einer Weile, in der nur Stille geherrscht hatte. Kein anderes Geräusch drang zu uns durch. Lediglich das leise Klicken von Handytasten hatte ich vernommen. Wahrscheinlich schrieb sie eine SMS. Noch immer war ich vollkommen blind. Normalerweise hätte ich sogar in dieser nahezu perfekten Schwärze sehen können, nun aber war ich zur Gänze auf meine anderen Sinne angewiesen. Die Vampirin seufzte leise, bevor sie mit antwortete.

„Ich habe uns jemanden gerufen, der uns bald abholen wird. Solange müssen wir warten.“ Sie sprach leise, aber ihr Ton klang gereizt. Vermutlich hatte sie Schmerzen. Die Brandschutztür dürfte ihr einen ordentlichen blauen Fleck eingebracht haben. Außerdem roch ich verbranntes Fleisch.

Ich nickte in der Hoffnung, dass sie es sah, und unternahm einen ersten, vorsichtigen Versuch aufzustehen. Es klappte zwar nur langsam und auch nur unter Stöhnen, aber nach einem Moment stand ich wieder auf meinen Füßen. Behutsam versuchte ich herauszuhören, wo sich die Vampirin befand. Eingesperrt mit dem ärgsten Fressfeind zu sein, war für keinen von uns eine angenehme Situation. Wir jagten im selben Revier dieselbe Beute. Im Normalfall hätte jede von uns versucht, die andere zu töten. Warum diese Vampirin mich gerettet hatte, verstand ich nicht. Doch, noch ehe ich mir Gedanken darum machen konnte, riss mich ihre Stimme aus den Gedanken.

„Komm“, ihre Stimme war nun milder, fast versöhnlich „Unsere Mitfahrgelegenheit ist da. Ich habe hier was zum Anziehen für dich.“

Ich wandte mich ihrer Stimme entgegen und im selben Moment spürte ich etwas kühles Glattes an meinem Arm. Ich griff danach und hielt es hoch. Auch ohne es zu sehen, wusste ich, dass es ihr Ledermantel war.

„Das soll ich anziehen?“, fragte ich skeptisch.

„Das und nur das“, antwortete sie mir. Sie grinste, das konnte ich hören und was blieb mir auch anderes? Entweder nur den Mantel oder nackt.

Ich warf mir den Mantel um die Schultern und knöpfte ihn bis zu den Knien zu. Er war mir etwas zu eng; saß sehr knapp, vor allem um die Brust und den Hintern.

„Du hast mir deinen Namen noch gar nicht gesagt?“, fragte ich den Vampir, während ich auf den Ort zuging, wo ich den Schlag ihres Herzens hörte. So viel langsamer als der eines Menschen. Und deutlich langsamer als mein Eigener. Der Vampir gab einen Laut von sich, der fast ein Lachen war. Sie grinste, während sie sprach.

„Mein Name ist Robin. Robin Meloy.“


*


Der Geruch von Erde und Zimt füllte meine Nase, als ich erwachte. Seufzend streckte ich mich, fühlte weiche Kissen und Decken auf mir. Es war warm und ruhig. Ich war nicht mehr im Park, das hier war ein Bett.

Die Erinnerung an den vergangenen Morgen drängte sich wieder in meinen Kopf. Die Vampirin. Sie hatte mich mit zu sich genommen. Das war also offenbar ihr Bett.

Ich rollte mich auf den Rücken und sah zur Decke. Der fensterlose Raum war in einem sonnigen Gelb gestrichen. Vom Boden bis zur Decke. Sogar der Teppich war gelb, flauschig und weich. Wären da nicht die vielen Bücherregale mit Unmengen an Literatur und der Schreibtisch mit zwei angefangen Rotweinflaschen gewesen, hätte man fast den Eindruck gewinnen können in einem Kinderzimmer zu sein.

Irgendwie erschein mir der Raum seltsam, erwartete ich doch von einer Vampirbehausung eher dunkle Farben. Ich schob die Beine unter der Decke hervor und stellte fest, dass ich immer noch den Ledermantel trug. Gerade wollte ich fluchen, dass ich meine Sachen im Park vergessen hatte, als mein Blick auf den Stuhl neben dem Bett fiel. Ordentlich gestapelt und offenbar sogar gewaschen lagen dort meine Kleider. Robin musste noch einmal zurückgefahren sein oder jemanden geschickt haben. Ich stand auf und nahm mir vor, mich dafür bei ihr zu bedanken.

Mit den Kleidern auf dem Arm öffnete ich die Zimmertür. Der Schein von mehreren kleinen Lampen erhellte den Raum, den ich nun betrat. Anscheinend war das das Wohnzimmer. Ein schwarzes Ledersofa mit passendem Sessel, ein Glastisch, moderne Bücherregale mit Glasböden. Noch mehr Bücher. Diese Vampirin schien sehr belesen zu sein. Auch hier waren die wenigen Fenster vollständig verdeckt. Teilweise sogar mit Brettern vernagelt. Kein Lichtschimmer drang hinein.

Der Duft von frischem Kaffee stieg mir in die Nase. Ich sah mich weiter um und entdeckte den Durchgang zu einer kleinen Küche. Dort stand Robin vor einer gewaltigen Kaffeemaschine. So einer, wie man sie in Restaurants erwartete. Ein silbernes, glänzendes Ungetüm. Aber der Kaffee, den sie produzierte, duftete hervorragend.

Ich trat in die Tür und da bemerkte Robin meine Gegenwart endlich. Sie lächelte mich an und hielt mir gleich die Tasse hin, die sie eben aufgebrüht hatte.

„Du siehst aus, als könntest du einen gebrauchen!“, feixte sie. Ich musste grinsen. „Ohne Kaffee geht gar nichts“, erwiderte ich und nahm einen Schluck. Mit einem Schmunzeln auf den Lippen drehte sie sich wieder herum und nahm eine zweite Tasse vom Regalbrett über der Kaffeemaschine. Als sie sich zu mir herumdrehte, war ihr Blick erwartungsvoll.

„Nun erkläre mir doch mal, was du gestern in dem Park gemacht hast. Ganz Berlin weiß, dass die Innenstadt Vampirgebiet ist.“

Ich schnaubte nur abfällig und wandte den Blick von ihr. „Ich wusste das nicht und das mag wohl daran liegen, dass ich erst seit einem knappen Monat in Berlin bin.“

Als ich keine Antwort erhielt, sah ich auf. Robin musterte mich immer noch, doch jetzt war ihr Blick sehr nachdenklich geworden.

„Hast du schon eine Bleibe?“, fragte sie frei heraus. Da waren weder Vorwurf noch Argwohn in ihrer Stimme, aber dennoch bohrte sich ihre Frage wie ein Pfeil in mein Herz. Sie erinnerte mich daran, dass ich ohne Geld, ohne Wohnung und ohne Arbeit hier war und immer noch nicht wusste, wie ich auch nur eines von all den Dingen erlangen sollte.

„Nein“, gab ich zu, auch wenn es mir schwerfiel. Robin nickte nur leicht und drehte sich um. Mir war, als wollte sie nicht, dass ich ihr Gesicht sah. „Weißt du, das trifft sich gut“, sagte sie leise. „Ich habe gerade ein Zimmer frei. Meine Mitbewohnerin ist letzte Woche ausgezogen. Wenn du möchtest, kannst du es haben. Und bevor du jetzt wegen der Miete fragst, ich habe auch einen Job für dich. Er wird dir gefallen.“

Ich sah das Aufleuchten in ihren giftgrünen Augen, als sie mich kurz über die Schulter hinweg ansah. Ich blieb misstrauisch. Das Angebot war viel zu gut um keinen Haken zu haben.

„Und wo ist der Haken an der Sache?“, fragte ich und automatisch spannte sich mein Körper an, „Wieso machst du mir so einen Vorschlag? Du kennst mich doch gar nicht.“

Robin lachte leise und drehte sich langsam wieder zu mir um. Ihre dünnen Finger wanderten hinauf zu ihrem Hals und strichen die roten Haarspitzen beiseite. „Vielleicht ja doch“, murmelte sie und neigte den Kopf.

Mir stockte der Atem, als ich sah, was sie da entblößte. Ein blasses, umgekehrtes Kreuz. Eine alte Narbe, so verblichen, dass man sie kaum erkannte. Ich merkte nicht einmal, wie meine Finger zu dem Spiegelbild dieses Kreuzes an meinem eigenen Hals hinaufschnellten.

„Wie ...“, stammelte ich.

„Ich habe es gestern gesehen, als ich dir über die Straße geholfen habe“, erklärte sie leise, „Schon da wusste ich, dass du irgendwie etwas Besonderes bist.“

Ich schluckte schwer und eine kalte Faust schloss sich um mein Herz. Diese Worte hatte ich in letzter Zeit einige Male zu oft gehört. Mein Blick wurde finster. „Ich bin nichts besonderes“, zischte ich aufgebracht.

Robin seufzte und wiegte leicht den Kopf. „Das habe ich damals auch gesagt, als man vergebens versuchte, mich zu erschießen.“

Mit aufgerissenen Augen starrte ich sie an. Bestimmt hatte ich sie falsch verstanden!

„Nein, hast du nicht.“

Unmöglich konnte diese Vampirin gemeint haben, dass sie unsterblich ist. Allein bei der Vorstellung wurde mir schwindelig. Das war einfach unmöglich! Moment – hatte sie gerade meine Gedanken bestätigt?

„Hör' sofort auf meine Gedanken zu lesen!“, fauchte ich sie an.

„Dann denke leiser“, erwiderte sie stur und verschränkte die Arme vor der Brust. „Und ich habe es genau so gemeint, wie du es verstanden hast. Ich bin unsterblich, Angel. Wie du. Und genau wie du bin ich die einzige Unsterbliche meiner Art.“

Ich spürte, wie mir die Knie weich wurden, als sich die Erkenntnis langsam in mein Bewusstsein drängte. Meine Finger begannen zu zittern und ich stellte meine Tasse schnell auf die Ablage, um sie nicht aus Versehen fallen zu lassen. Wenn es stimmte, was sie sagte, dann … Nein, das war einfach unmöglich!

Doch Robin sprach weiter und mit jedem ihrer Worte glaubte ich ihr mehr.

„Vor etwa 120 Jahren lebte ich in Paris. Man erwischte mich, wie ich mich prostituierte, um an Blut zu kommen. Sie sperrten mich ein und verurteilten mich zum Tode, da der Mann von dem ich getrunken hatte, starb. Sie machten mir nicht einmal einen anständigen Prozess. Nachts richteten sie mich heimlich in einem Hinterhof hin und schafften meine vermeintliche Leiche aus der Stadt in ein geheimes Massengrab. Gott sei Dank schaffte ich es vor Sonnenaufgang da heraus und in ein Versteck. Ich denke, ich fühlte mich ganz ähnlich, wie du jetzt, als ich das Loch in meinem Kleid entdeckte und mich an den Schuss des Vorderladers und den Schmerz erinnerte. Ich war gestorben und doch lebte ich.“

Ein Grinsen trat auf ihre Lippen. „Was hast du versucht um es zu bestätigen? Ich war ganz kreativ. Habe mich zum Sonnenaufgang einfach nicht versteckt. Das waren Schmerzen, sage ich dir.“ Sie lachte und schüttelte leicht den Kopf bei der Erinnerung daran.

Ich schluckte schwer. Beinah entsetzt stellte ich fest, dass ich ihr tatsächlich glaubte. „Woher nimmst du die Gewissheit, dass ich unsterblich bin?“, fragte ich sie leise und schlang die Arme um mich. Ich wollte ihr vertrauen, so sehr, dass es an Verzweiflung grenzte. Jemanden gefunden zu haben, der wusste und verstand, wie ich mich fühlte, war mehr, als ich zu wünschen je gewagt hätte.

„Zu erst einmal wegen dem Mal an deinem Hals. Außerdem riecht unsterbliches Blut für Vampire anders. Gestern, als du die Kellertreppe runtergestürzt bist, hast du dich leicht am Kopf verletzt. Nur ein winziger Kratzer, den du wahrscheinlich kaum wahrgenommen hast, aber die Spur deines Blutes und sein Geruch haben mich in meinem Verdacht bestätigt.“

Ich nickte und versuchte die Tatsache zu verarbeiten, dass ich vielleicht wirklich jemanden gefunden hatte, der so war wie ich. Artfremd. Unsterblich. Nicht normal.

„Gibt es noch mehr wie uns?“ Die Frage kam von ganz allein. Ich war mir nicht einmal sicher, ob ich sie wirklich gedacht hatte.

Robins Lächeln wurde traurig. „Bis gestern dachte ich, ich wäre die Einzige. Nein, ich kenne keine anderen unsterblichen Vampire und es gibt auch in unseren Chroniken keine Aufzeichnungen. Bei Werwölfen habe ich auch nichts davon gehört.“

Ein enttäuschtes Seufzen kroch aus meiner Kehle, doch, noch ehe ich wieder in Gedanken versinken konnte, landete eine kühle Hand auf meiner Schulter. Ich sah auf und blickte in zwei freundliche, giftgrüne Augen mit geschlitzten Pupillen.

„Was hältst du von einer Dusche? Ich mache dir Frühstück, wenn du willst und heute Abend stelle ich dir meinen Boss vor. Was sagst du dazu?“

Ihr Lächeln gab mir Mut. Ich war nicht mehr allein auf dieser Welt. Es gab jemanden, der so war, wie ich, wenn auch von einer anderen Art. Ich hatte eine Schwester gefunden.

„Das klingt super“, murmelte ich.

ANGEL

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