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Kapitel 4

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“Diese Frau scheint Dich ja nicht mehr loszulassen.” Ben konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Ausgerechnet Nick. Der sonst immer so selbstsichere, souveräne Nick, der eigentlich jede Frau bekam - ob er sie wollte oder nicht. Die meisten ließen sich schnell durch seinen Charme einnehmen, durch seine Gewandtheit und Höflichkeit. Was sie aber nicht wahrnahmen, waren seine Spielernatur und seine Konsequenz. Es bereitete Nick Vergnügen, mit Frauen zusammen zu sein, aber von seiner Seite blieb es immer unverbindlich. Bis sie merkten, dass ihre Hoffnung auf die große Liebe nicht auf Erwiderung stieß, war es meistens schon zu spät. Zurück blieben enttäuschte, manchmal auch verletzte Frauen.

Nick dagegen war mit sich im Reinen. Familie und Kinder kamen für ihn nicht in Frage, ja selbst eine Heirat hatte für ihn nie zur Debatte gestanden. Was eine Frau auf ihn projizierte, war für ihn immer die Sache der Frau gewesen, nicht seine. Und er sprach auch nie darüber. Was in ihm vorging, kehrte er nie nach außen. Selbst Ben erzählte er nicht alles. Ben wusste nur deswegen so viel über Nick, weil sie sich schon ewig kannten.

Umso erstaunlicher waren auch für Ben die Neuigkeiten. Denn ausgerechnet Nick war jetzt auf eine Frau getroffen, die sich durch sein Aussehen, sein Auftreten nicht beeindrucken ließ. Selbst wenn sie beeindruckt war, konnte sie ihre Gefühle ebenso gut kontrollieren wie er. “Und dann benimmst Du Dich wie ein Idiot. Das ist ja mal wieder typisch. Dabei wäre die Zeit doch auf Deiner Seite gewesen.” Ben konnte es kaum fassen, nachdem Nick ihm ziemlich kleinlaut die Geschichte vom gestrigen Abend erzählt hatte.

Wie er mit dieser Ella erst zum Abendessen im “Trafalgars” gewesen war, das schickste, neueste und derzeit angesagteste Restaurant der Stadt. Wo Nick völlig problemlos, einfach nur durch seinen Namen, sofort einen Tisch erhielt. Wie sie noch in einer Bar gewesen waren, gefeiert hatten (was eigentlich?) und er sie anschließend – erwartungsgemäß – mit zu sich nach Hause genommen hatte. Ohne zu wissen oder nur zu ahnen, dass Rebecca dort, in seiner Wohnung, nicht nur auf seinen Hund aufpasste, sondern sogar noch auf einen Boten gewartet hatte, der bestimmte Dokumente nur an eine Person übergeben, diese Dokumente aber nicht in einen Briefkasten werfen durfte.

Dieser peinliche Moment der Überraschtheit, der Stille, als Nick Rebecca in einem Sessel fand, halb zugedeckt, mit Murphy auf dem Schoß. Sein Hund, der ihn schon längst gehört und erkannt hatte, sich freute, ihn begrüßte. Am liebsten hätte er Rebecca schlafen lassen, ihr fürsorglich die Decke über die Schultern gezogen. Wäre diese Ella nicht gewesen mit ihrem aufgeregten Kreischen. Als Rebecca von dem Lärm aufgewacht war, hatte er sie als seine Haushaltshilfe vorgestellt. Dabei hatte er ihr kaum in die Augen blicken können. “Und nehmen Sie bitte auch Ihren Hund mit”, hatte er ihr noch nachgerufen, als Murphy unschlüssig in der Wohnung blieb. Auch dieser Blick von seinem geliebten Hund hatte sich tief in ihn eingegraben, er würde ihn nie vergessen.

“Du bist wirklich ein Idiot”, wiederholte Ben noch einmal. “Danke, ich bin weder taub noch blöd, ich hab’s verstanden. Aber das hilft mir jetzt auch nicht weiter”, sagte ein sichtlich geknickter Nick. Erst nach und nach war ihm das ganze Ausmaß dieser Nacht bewusst geworden. Da hatte er endlich eine interessante Frau getroffen – und was tat er? Er schickte sie weg wie eine Praktikantin. “Du bist doch sonst immer so überlegt, beherrscht und vorausschauend. Warum hast Du die beiden Frauen nicht einfach vorgestellt und die Situation erklärt?”, fragte Ben. “Es war alles viel zu peinlich. Rebecca hat doch sofort verstanden, was los war. Was hätte ich da noch groß erklären sollen?”, gab Nick hilflos zurück. “Außerdem wusste ich nicht, dass und warum sie in meiner Wohnung war.”

Ben nickte zustimmend. “Das habe ich mich auch gefragt. Warum wusstest Ihr alle voneinander nichts? Was ist denn schiefgelaufen?”, fragte er betont sachlich. “Weißt Du doch. Wenn jeder mit jedem quatscht, aber keiner die Übersicht behält. Also letztlich eigentlich meine Schuld, weil ich nicht ausreichend nachgefragt habe”, sagte Nick matt. “Dabei ist es an anderer Stelle noch glimpflich ausgegangen. Nicht auszudenken, wenn Rebecca herausbekommen hätte, was in dem Umschlag war. Ausgerechnet eine Journalistin allein in meiner Wohnung zu lassen, war schon ein starkes Stück”, gab Nick zu. “Letztlich war es wohl die Schuld von Mrs Cox. Sie hatte an dem Abend plötzlich keine Zeit, so lange zu warten, und hat einfach Rebecca um Hilfe gebeten. Hätte ich das gewusst, hätte ich es verhindert”, schloss Nick.

“Ich dachte, genau aus diesen Gründen hast Du Michael und der ist so gut, dass Du eben nicht ständig alles und jeden kontrollieren musst”, bohrte Ben weiter. “Jaa, Ben, das stimmt auch alles. Aber es ist jetzt passiert. Glaubst Du, Rebecca interessiert jetzt noch, wer mit wem gesprochen oder nicht gesprochen hat?” “Nein, sicher nicht”, gab Ben zu. Er wartete ab, bevor er weitersprach. “Hast Du versucht, sie zu erreichen?”, fragte Ben. “Ja sicher. Zigmal. Telefon, Messenger, Mail – sie reagiert nicht.” “Klar. Warum sollte sie auch. Du hast es nicht nur verbockt, sondern sie auch verletzt. Und zwar richtig.”

Nick schwieg bockig. “Passt sie noch auf Murphy auf?” Ein kurzes Nicken. “Scheint ja sehr tierlieb zu sein, wenn sie es nicht an Murphy auslässt. Hast Du mal darüber nachgedacht, selbst zu ihr zu gehen. Also, so ganz persönlich? Wenn Du Murphy zu ihr bringst oder abholst? Dann könnte sie Dir immerhin schlecht ausweichen.” “Sie kann durch den Türspion sehen, wer vor ihrer Tür steht. Wenn sie mich dort sieht, öffnet sie erst gar nicht oder sie knallt die Tür direkt zu.” Nick wand sich. “Und was sollte ich ihr denn sagen? Hallo, hier ist das Arschloch von oben, das sie gern zum Essen einladen möchte?” Sie mussten beide lachen.

“So ungefähr”, meinte Ben, “nur netter. Was hast Du ihr denn bisher geschrieben oder gemailt?” “Dass es mir leidtut, dass ich sie um Entschuldigung bitte und es wiedergutmachen möchte”, stammelte Nick. “Klingt nicht so überzeugend. Weißt Du, ob sie auch normale Post bekommt und liest?”, fragte Ben. Nick war verwirrt. “Wie normale Post? Was meinst Du?” “Na, normale Briefpost eben. Journalisten sind zwar heute stark digital vernetzt und erledigen vieles online. Manche Sachen muss man aber eben immer noch per guter, alter Briefpost entscheiden”, sagte Ben und grinste.

Langsam dämmerte es Nick. “Du meinst, ich soll ihr eine Einladung per Brief schicken. So richtig altmodisch.” “Ja. Dann kannst Du Dir überlegen, was Du sagen möchtest. Und Du könntest ihr schreiben, dass Du es ihr überlässt, ob sie die Einladung annimmt oder nicht, Du aber auf jeden Fall auf sie warten würdest. Zeit und Ort könntest Du ebenso festlegen und ihr schreiben.” “Ich wusste doch, dass es immer gut ist, mit Dir zu reden”, Nicks Stimmung besserte sich merklich, und er schenkte noch von dem Rotwein nach.

“Liebe Miss Hold,

nach wie vor tut es mir sehr leid, was letztens abends in meiner Wohnung passiert ist und wie ich reagiert habe. Ich möchte nicht, dass es so zwischen uns stehenbleibt. Bitte geben Sie mir die Chance, mich bei Ihnen persönlich zu entschuldigen: Ich lade Sie für Mittwoch, 19 Uhr, zu einem Abendessen zu mir ein. Wie Sie sich auch entscheiden, ich werde auf Sie warten. Auch wenn es den ganzen Abend dauert…

Herzlich Grüße

Nick Hutton

Nick hatte sich von seinem Assistenten Michael Büttenpapier besorgen lassen und den Brief per Hand mit Füller geschrieben. Altmodischer geht es ja kaum, dachte er. Aber wenn es hilft… Den Gedanken, diese Frau für immer vergrault zu haben, konnte er schon jetzt nicht ertragen. So hoffte er inständig, dass dieser Fall nicht eintrat. Nick klebte den Umschlag zu und schrieb die Adresse ebenfalls per Hand. Er rief seinen Assistenten Michael. “Hören Sie Michael. Das hier ist ein sehr, sehr wichtiger Brief. Kaufen Sie eine Briefmarke, kleben Sie sie drauf, geben Sie den Brief aber keineswegs in die normale Post. Fahren Sie zu der Adresse und werfen Sie den Brief selbst ein. Ich will, dass Sie das persönlich erledigen”, schärfte Nick ihm ein.

Michael schaute auf den Brief. “Aber, das äh, ist doch ihre eigene Adresse, Mr. Hutton. Und der Absender fehlt”, sagte er, etwas unsicher. “Egal. Tun Sie einfach, was ich Ihnen gerade gesagt habe. Und melden Sie sich sofort, wenn es erledigt ist.” Mit dem Brief in der Hand entfernte sich Michael aus dem großen Büro. In den vergangenen zwei Tagen war sein Boss richtig komisch geworden. Nicht nur, dass er starken Stimmungsschwankungen unterlag, er lebte seine Launen spürbar aus. So etwas hatte es bis vor kurzem bei ihm nicht gegeben. Er kannte Nick Hutton als äußerst beherrschten, vorausschauenden Menschen, der fast nie Gefühle zeigte, dafür aber stets alles unter Kontrolle hatte. Stress, Ärger oder Vorwürfe schienen an Nick Hutton einfach abzuperlen.

Aber jetzt… Michael fragte daher lieber nicht weiter nach, sondern tat, wie ihm geheißen. Eine knappe Stunde später zeigte Nicks Handy ihm eine neue Nachricht an: “Sache ist erledigt.” Dazu zwei Fotos von Michael, eines zeigte den Brief mit Briefmarke, das zweite, wie er den Brief in den Briefkasten einsteckte. Nick atmete durch. Jetzt konnte er nur noch warten. Und das war eine der schlimmsten Sachen für ihn: Warten, ohne selbst Einfluss auf das weitere Geschehen nehmen zu können.

“Der Brief ist bei ihr.” Nick hatte Ben angerufen. Er musste mit jemandem reden, weil er die Situation kaum ertragen konnte. Alles Weitere lag jetzt nicht mehr in seiner Macht, womit er immer schwer zurechtkam. Und seine Ungeduld war auch nicht hilfreicher. “Okay, dann musst Du Dich jetzt wohl zusammenreißen”, Ben versuchte erst gar nicht, ihn zu beruhigen. Dazu kannte er Nick viel zu gut. “In welches Restaurant hast Du sie eingeladen?” “In gar keins.” “Was hast Du dann vor? Hast Du es Dir doch noch anders überlegt?”, fragte Ben, gar nicht überrascht. Auch das war er von Nick gewohnt.

“Ich habe sie zum Abendessen zu mir nach Hause eingeladen”, sagte Nick. “Ich warte nicht in irgendeinem öffentlichen Restaurant darauf, dass mich eine Frau versetzt und alle dabei auch noch zusehen können. Deswegen habe ich sie zu mir nach Hause eingeladen.” Schweigen in der Leitung. “”Ben? Bist du noch dran?”, fragte Nick. “Mensch Nick, warum bist Du manchmal nur so ein Idiot?”, kam es zurück. “Wieso, was meinst Du?”, fragte Nick irritiert. “Hat bei Dir das Denken ausgesetzt? Du lädst diese Frau ausgerechnet in Deine Wohnung ein, aus der Du sie vor ein paar Tagen herausgeworfen hast? Was soll sie davon halten? Die Antwort dürfte ja wohl selbst Dir nicht schwerfallen.”

Nicks Trotz brach wieder aus ihm heraus. “Wenn sie sich das nicht zutraut, dann habe ich mich in ihr getäuscht. Dann ist sie auch nicht die richtige Frau für mich.” “Red’ keinen Unsinn, Nick. Du weißt, dass Du es ihr unnötig schwermachst. Und Du bist verknallt wie ein Teenager. Also drück’ Dir selbst die Daumen, dass sie doch eine Schwäche für Arschlöcher hat”, kam es aus dem Handy zurück. “Okay, danke, das reicht”, sagte Nick und beendete das Gespräch.

Wütend haute er die flache Hand auf seinen Schreibtisch. Er ärgerte sich, weil er sich eingestehen musste, dass Ben Recht hatte. Ben lachte still in sich hinein. Er hatte Nicks wunden Punkt getroffen. Er war richtig verliebt - und diese Frau ahnte vermutlich nicht einmal etwas. Dafür hatte er sie mit einer einzigen Scheißaktion gegen sich aufgebracht. Wenn er Pech hatte, für immer. Diese Frau, die seinen Freund so aus der Fassung brachte, würde er wirklich gern kennenlernen.

Nachdem Nick aufgelegt hatte, setzte er sich mit einem Kaffee wieder an seinen Schreibtisch. Unbewusst griff er heutigen Zeitungsausgabe und blättere wahllos durch die Seiten. Sein Blick blieb von allein an einer kleinen Unterzeile hängen. “Von Rebecca Hold”. Er stutzte. Wenn er ihren Namen so ausgeschrieben las, klang “Rebecca” doch etwas altmodisch. Es passte irgendwie nicht zur ihr. Der Inhalt des Artikels interessierte Nick nur am Rand. Viel lieber wäre ihm, er würde sie in Person wiedertreffen, um alles aufzuklären. Selbst wenn dieses Mal nicht zusagte, würde er andere Wege finden. Das nahm Nick sich in diesem Moment fest vor.

Wie immer, wenn Rebecca im Hausflur an ihrem Briefkasten vorbeikam, schaute sie nach der Post. Viele Unterlagen kamen nicht über die normale Briefpost, sondern wurden mit Boten zu verschiedenen Zeiten gebracht. Auch jetzt am Abend wurde sie fündig. Drei Briefe fielen ihr in die Hand. Rebecca schloss ihre Wohnung auf und legte die Briefe in ihr Arbeitszimmer. Sie würde sie später durchsehen. Sie ging in die Küche und arbeitete eine Zeit still vor sich hin. Sie zerschnitt Lauch und Möhren, gab etwas Broccoli dazu und wärmte den Backofen vor. Mit etwas Gemüsebrühe und Senf kochte sie eine Senfsauce, die sie über das Gemüse gab. Alles zusammen wanderte in den Backofen.

Rebecca ging zurück in ihr Arbeitszimmer, wo sie die Post durchschaute. Ein Brief stach heraus, weil er irgendwie schwerer war als die anderen. Komisch, dachte Rebecca, auf den Umschlag hatte jemand zwar eine Marke aufgeklebt, abgestempelt war er aber nicht. Sie fand auch keinen Absender. Auch die Handschrift war ihr unbekannt. Rebecca wog den Brief in der Hand.

Es war ungewöhnlich festes Papier, dunkelgrau mit einer kleinen Maserung. Rebecca nahm ihren schweren, aber schon abgegriffenen Brieföffner. Mit einer schnellen, entschlossenen Bewegung hatte sie den Brief aufgeschlitzt. Sie zog den Briefbogen heraus und faltete ihn sorgsam auseinander. Mit schwarzer Tinte hatte jemand einen kurzen Text in einer flüssigen, aber dennoch leicht kantigen Handschrift geschrieben. Rebecca hielt beim Lesen hielt die Luft an - sie könnte schon wieder ausflippen.

Was dachte sich dieser Typ eigentlich? Dachte er überhaupt irgendetwas? Erst warf er sie raus, und dann sollte sie mit ihm essen gehen? Brauchte er ein neues Häschen fürs Bett? Rebecca tigerte durch ihre Wohnung. Was sie noch mehr ärgerte: Warum brachte dieser Kerl sie so aus der Fassung? Der Typ sollte ihr doch egal sein! Eigentlich könnte sie die Einladung auch wegwerfen, nachdem sie sie nun zur Kenntnis genommen hatte. Der Brief flog in ihrem Papierkorb. Fertig! Rebecca rettete noch schnell ihren Auflauf aus dem Backofen, der fast ebenfalls ihrem Wutanfall zum Opfer gefallen wäre. Als sie in ihrem heißen Gemüse herumstocherte, ermahnte ihr Verstand sie: Alles richtiggemacht, vergiss diesen Typen! Aber irgendetwas in ihr nagte an dieser Entscheidung. Entnervt ließ sie die Gabel fallen.

Sie griff zum Handy. “Hi Lou, Rebecca hier. Hast Du Zeit? Immerhin müsste doch Euer Andruck schon durch sein, oder?” “Hi Rebecca, ja Andruck ist durch, aber es ist noch viel los. Ist es dringend?” Rebecca druckste herum. “Ja, irgendwie schon, hat aber nichts mit dem Job zu tun.” “Okay, ich beeile mich. Bis später.” Das mochte Rebecca so an ihrer Freundin. Sie musste nicht viel erklären. Wenn Rebecca sagte, es wäre dringend, vertraute Lou einfach auf ihr Wort. Auf ihre Arbeit konnte Rebecca sich jetzt nicht konzentrieren, sie zappte im Wohnzimmer lustlos durch die Programme. Hoffentlich kam Lou bald. Als es klingelte, rannte Rebecca fast schon durch den Flur. “Was ist denn mit Dir los? Bist Du abgestürzt? Rechner abgestürzt? Kein Back-up gemacht? Neue Erkenntnisse?”, fragte Lou belustigt. Rebeccas Wangen glühten, aber Lou konnte nicht sagen, warum.

“Komm, wir gehen ins Wohnzimmer. Möchtest Du etwas trinken oder essen? Ich habe Auflauf gemacht, davon ist noch viel übrig”, bot Rebecca an. Da das Essen im stressigen Redaktionsalltag fast immer zu kurz kam, war Lou dankbar für ein richtiges Abendessen. Außerdem war Rebecca eine richtig gute Köchin. Mit Gemüseauflauf und einer Flasche Wein zogen sie auf das Sofa. “Hm, lecker. Also?”, murmelte Lou zwischendurch beim Kauen.

“Ich hatte Dir ja schon gesagt, dass es nicht um den Job geht.” “Also etwas Privates?” “Ja. Sagt Dir der Name Nick Hutton noch etwas?” Rebecca konnte sehen, wie ihre Freundin versuchte, den Namen zuzuordnen. “Ja, vielleicht mal gehört. Aber ich wüsste jetzt nichts Konkretes.” “Ihr habt vor ein paar Jahren mal über Betrug bei Altersvorsorge geschrieben. Darin spielte er am Rande mit.” Rebecca stand auf und holte ihren Laptop aus ihrem Arbeitszimmer. Mit einigen Klicks gelangte sie zu den Artikeln und Fotos von damals. “Hm, ja, ich kann mich erinnern. Aber ich weiß nicht mehr alle Details. Warum? Können wir ihn wieder drankriegen?”

Rebecca lachte. “Du bist und bleibst auch immer Journalistin. Immer auf der Suche nach der Story.” Lou stimmte in ihr Lachen ein. “Na klar, davon lebe ich schließlich.” “Dieses Mal verhält es sich anders. Der Typ sieht heute so aus”, Rebecca klickte etwas weiter, “und ist außerdem mein neuer Nachbar. Er wohnt ganz oben in der Bonzen-Wohnung.” “Wow.” Lou pfiff anerkennend durch die Zähne. “Hm, nicht zu verachten, der Typ. Sieht auf jeden Fall deutlich besser aus als damals.” Lous Interesse war geweckt. “Lass mich raten: Du hast Dich in Deinen neuen Nachbarn verknallt und weißt nicht, wie Du an ihn rankommen sollst. Da bist Du natürlich auf meine unnachahmlichen, geheimen Expertinnentipps angewiesen.” Lou grinste schon vor lauter Vorfreude. Rebecca machte sich bei Männern oft genug das Leben selbst schwer. In der Regel sah sie nur ihre Makel, Männer dagegen eher ihre Vorzüge. Außerdem konnte sie schlecht mit Komplimenten umgehen und hasste Small Talk.

“Es ist viel komplizierter. Ich habe diesen Menschen schon kennengelernt - leider, muss ich sagen. Sein Hund wohnt sogar mehr oder weniger bei mir. Der Typ ist ein Weiberheld par excellence. Und er hat mich schon mal aus seiner Wohnung geworfen”, setzte Rebecca an. Sie merkte dann aber schnell, dass Lou nicht ganz folgen konnte. “Moment, Moment, Ihr kennt Euch schon? Er hat Dich aus seiner Wohnung geworfen? Ich glaube, Du solltest weniger trinken, Rebecca.” Lou blickte Rebecca völlig überrascht an. Sie wollte gerade etwas Wein trinken, hielt aber in ihrer Bewegung inne, um alles zu verarbeiten. Normalerweise ging es bei Rebecca und den Männern nicht so schnell. Lou kam nicht mehr mit und runzelte die Stirn.

“Gut. Der Reihe nach. Wie viel Zeit hast Du?”, fragte Rebecca. “Dafür immer genug, weißt Du doch”, grinste Lou, die sich schon auf eine weitere Liebeskummer-Geschichte ihrer Freundin freute. Rebecca erzählte die ganze Geschichte ihres Kennenlernens und des Rauswurfs und endete mit dem Brief, den sie ihrer Freundin verächtlich auf den Tisch warf. “Oh mein Gott, warum ist bei Dir immer alles so kompliziert? Kannst Du Dich nicht einfach in einen normalen Mann verlieben wie andere Frauen auch?”, fragte Lou nicht ohne einen Anflug von Verzweiflung. “Ich bin nicht verliebt”, gab Rebecca leicht bissig zurück.

“Ist klar. Deswegen weißt Du ja auch nicht, wie Du auf seine Einladung reagieren sollst. Wenn Dir der Typ egal wäre, hättest Du die Einladung längst weggeworfen und auch mich nicht angerufen.” Lou überflog den Brief noch einmal. “Jetzt überlegst Du, ob Du annehmen sollst, obwohl Du ihn wegen der Geschichte damals verurteilst.” “Nicht nur wegen damals, dieser eine Abend war ebenfalls völlig daneben… Und dann so eine alberne Einladung zum Essen, noch dazu in seiner Wohnung.” “Okay Rebecca. Wenn jemand Mist gebaut hat, sollte er sich dafür entschuldigen. Das scheint er ja zu wollen, was aus meiner Sicht ein gutes Zeichen ist. Die Geschichte von damals war echt übel, allerdings hat sie nicht direkt mit Dir und ihm zu tun. Ich kann verstehen, dass ausgerechnet Dich solche Vorgänge nerven. Wir konnten ihm damals nichts nachweisen, was auch bedeuten kann, dass er in die Vorfälle gar nicht verwickelt war.”

“Es kann aber ebenso bedeuten, dass er Beweise hat verschwinden lassen, DAMIT Ihr ihm nichts nachweisen konntet. Und er konnte sich herauswinden oder herausquatschen. Der Typ ist zu allem fähig. Außerdem weiß er, dass er gut aussieht und setzt das auch völlig skrupellos ein”, entgegnete Rebecca.

“Du weißt doch: In dubio pro reo. Vielleicht hat er sich geändert. Zumindest ist er nicht noch einmal auffällig geworden”, sagte Lou. Rebecca verzog das Gesicht. “Ich weiß, das muss noch nichts heißen. Aber sollte nicht jeder eine zweite Chance erhalten?” “Na, die hat er ja ordentlich versiebt”, Rebecca konnte es sich einfach nicht verkneifen. “Rebecca, ohne die Vorgeschichte: Wenn er Dich einfach nur – ja, ich weiß, nur gefällt Dir nicht – in dieser Nacht abserviert hätte - würdest Du ihm dann eine Chance für seine Entschuldigung geben?”, fragte Lou noch einmal. “Wenn Du vielleicht einmal Deinen Stolz überwinden könntest?”, fügte sie leise hinzu.

“Du willst mich doch nicht etwa verkuppeln? Komm, lass uns lieber noch einen Wein trinken.” Rebecca hob ihr Glas an. “Lenk’ nicht ab. Morgen will ich eine Entscheidung von Dir hören”, gab Lou zurück. “Du weißt, dass Du mir damit schon jetzt die Nacht versaut hast, oder?”, grinste Rebecca. “Im Grund weißt Du es doch schon. Du traust Dich nur nicht, weil Du dann Deinen Gefühlen folgen würdest. Und das passt Dir ja in der Regel nicht.” Lou kannte ihre Freundin nur zu gut. “Ich werde ihn zappeln lassen…Am besten werde ich es nach Lust und Laune, ganz spontan, entscheiden”, beendete Rebecca das Thema. Ihre Laune hatte sich merklich gebessert.

Eine Nacht im Februar

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