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Gisela Temming hatte gemeinsam mit ihrer Haushaltshilfe ein schwäbisches Essen vorbereitet: Linsen mit Spätzle und Saitenwürstchen. Es war die Lieblingsspeise der gesamten Familie. Im rustikal eingerichteten Esszimmer flackerten Kerzen, überm Tisch brannte eine abgedimmte Lampe aus mattem blütenförmigen Glas.

Das Thema, das sie alle zusammengeführt hatte, wurde zunächst ausgeklammert. Mutter Temming war auf drängende Fragen ihres Sohnes Sven gleich gar nicht eingegangen: »Zuerst wird gegessen«, hatte sie entschieden, obwohl dem Gesichtsausdruck ihres Mannes zu entnehmen war, dass er keinen allzu großen Appetit verspürte. Er verschwand für ein paar Minuten, um für sich und Sven bereits überschäumende Weizenbiergläser und den Frauen einen württembergischen Rotwein auf den rustikalen Wohnzimmertisch zu stellen.

Als sich anschließend Vater und Sohn kurz in der Diele begegneten, konnte sich Sven nicht zurückhalten: »Sag mal, Papa, was ist da eigentlich im Gange?« Er sah in glasige Augen und erschrak über deren müden, ja geradezu gealterten Ausdruck.

Walter Temming wich dem Blick seines Sohnes aus. »Du hast doch gehört, was deine Mutter gesagt hat: erst nach dem Essen.«

Sven empfand die spannungsgeladene Atmosphäre als unerträglich. Am liebsten hätte er laut hinausgeschrien, dass er sofort ein klärendes Gespräch wolle. Doch dann wandte er sich wortlos ab, um durch einen breiten gewölbten Durchgang übers Wohnzimmer zurückzukehren. Dabei blieben seine Augen allerdings am Ziffernblatt der antiken Standuhr hängen. 5.10 Uhr. Das große, goldfarbene Pendel bewegte sich nicht. Instinktiv sah er auf seine Armbanduhr, die ihm die genaue Zeit mit 19.37 Uhr angab. Er drehte sich fragend zu seinem Vater und deutete auf das alte Familienerbstück: »Ist sie denn kaputt?«

»Keine Ahnung. Sie hat wohl vergangene Nacht plötzlich den Geist aufgegeben.« Es klang, als interessiere den Vater dies nicht sonderlich.

Sven, dessen Kindheit von den dumpfen Stundenschlägen dieser Uhr geprägt war, trat dicht an den Uhrenkasten, in dem er als kleiner Bub, frei nach Grimms Märchen, eines der sieben Geißlein vermutet hatte, die sich vor dem bösen Wolf verstecken mussten. Als sei dies erst gestern gewesen, so schoss ihm diese Kindheitserinnerung jetzt durch den Kopf. Deshalb durfte die Uhr einfach nicht kaputt sein. »Aber sie ist ja aufgezogen«, stellte er beim Blick auf die Gewichte fest.

Auch der Vater war nun nähergekommen. »Altersschwäche, würd’ ich sagen«, meinte er gelassen. »Irgendwann bleibt für jeden die Zeit stehen.«

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