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Sensation Schwangerschaft

Sich für ein Baby zu entscheiden, kann auf unterschiedlichen Wegen passieren. Entweder der Kinderwunsch bestand schon immer oder man ist sich der Entscheidung unsicher und lässt es darauf ankommen. Oder aber eine Schwangerschaft war von Anfang an nicht geplant.

Ist der Befund dann erst einmal da, ist man (und frau) also entweder glücklich, überfordert oder ratlos. Oder alles zusammen.

Apropos Befund: Können sich Frauen oft rückblickend nicht oder kaum mehr an den Entbindungsschmerz oder auch die Anfangsmonate mit ihrem Säugling erinnern, so gibt es eine Sache, die frau immer im Gedächtnis behalten wird: den Zeitpunkt, an dem sie erfuhr oder bemerkte, dass sie schwanger ist.

Der Moment, in dem sich alles ändert

Am Anfang des Jahres 2012 beschlossen mein Mann und ich, Eltern zu werden. Ich setzte die Pille ab und dann ließen wir es gemütlich angehen.

Wir machten uns keinerlei Druck. Zu oft hatten wir in unserem Bekanntenkreis gesehen, was es bedeutete, sich unter Druck zu setzen: Da wurden fruchtbare Tage errechnet, Temperaturen gemessen und Ehemänner angerufen, um sie für den Sex nach Hause zu zitieren.

Manch ein Ehemann musste sich dabei wie ein Zuchthengst gefühlt haben und vermutlich vermissten die Männer in dieser Situation zum ersten Mal in ihrem Leben die Romantik.

Manchen Männern verging die Freude an Sex sogar regelrecht. Meine Freundin Nina zum Beispiel war so verbissen, ein Kind zu bekommen, dass ihr Mann sie nur in bestimmten Stellungen „beglücken“ durfte. Sie hatte gelesen, dass bestimmte Stellungen die Wahrscheinlichkeit erhöhten, schwanger zu werden. Als sie mir dann noch erzählte, dass sie nach dem Samenerguss ihres Mannes ihren Körper in die „Kerzen“-Stellung brachte, damit der Samen auch sicher nicht mehr aus ihr herausfloss, war ich mir sicher: Diesen Quatsch mache ich nicht mit.

Sollte es nicht klappen, so sagte ich immer, wollte ich neben unserem Hund Milow gerne einen weiteren bellenden Vierbeiner haben.

Im Frühjahr gingen wir mit einem befreundeten Pärchen essen. Dem Restaurant eilte ein sehr guter Ruf voraus und wir freuten uns auf den gemeinsamen Abend mit unseren Freunden. Nachdem wir mit einem Aperitif angestoßen hatten, wählten wir unser Essen. Wir alle nahmen die gleiche Vorspeise: Thunfisch-Carpaccio.

Kaum hatte der Kellner die Bestellung aufgenommen, begann meine Freundin Nora von ihren Kindern zu erzählen. Was für Fortschritte sie machten, welche Wörter sie schon aussprechen konnte und wie schwierig es wäre, der Kleinen das Töpfchen nahezubringen.

Während Nora also von ihrem Alltag berichtete, schlangen sich Arme um mich. Die Arme der Furcht.

Würde ich auch so werden? Nur noch vom eigenen Kind und dessen Stuhlgang erzählen? Spürte Nora denn nicht, dass ich für solche Themen gar nicht empfänglich war? War ich am Ende vielleicht gar nicht für das Muttersein gemacht?

Am nächsten Morgen erwachte ich mit leichten Magenschmerzen. Auch mein Mann klagte über ein seltsames Magendrücken. Als die Schmerzen mittags noch immer nicht verschwunden waren, erkundigte ich mich bei Nora. Auch meine Freundin und ihr Mann litten unter Magenschmerzen und sogar Durchfall.

Empört wählte ich die Telefonnummer des Restaurants und beschwerte mich über die Qualität des Essens. Der Restaurantleiter entschuldigte sich bei mir und versprach, der Ursache auf den Grund zu gehen.

Am nächsten Tag wurde ich wütend, denn meine Bauchschmerzen hielten immer noch an. Auf der Suche nach Solidarität fragte ich meinen Mann nach seinem Befinden und war überrascht. Ihm ging es wieder gut. Erneut erkundigte ich mich bei Nora, aber auch sie konnte von keinerlei Schmerzen oder unangenehmen Toilettengängen mehr berichten. Auch ihr Mann nicht.

Na toll, dachte ich, und rief wegen meiner Magenschmerzen gleich meinen Hausarzt an.

Wenige Stunden später lag ich auf dem Behandlungstisch, mit einer Nadel in meiner Vene und mit eingegeltem Bauch. Der Arzt wanderte mit dem Schallkopf des Ultraschallgerätes auf meinem Bauch, an meinen Nieren und der Milz entlang.

„Keinerlei Auffälligkeiten“, konstatierte er schließlich. „Schwanger sind Sie aber nicht, oder?“

Ich sah in an, als hätte ich das Wort zum ersten Mal gehört. „Ich denke nicht, nein. Also, ich hab zwar die Pille am Anfang des Jahres abgesetzt, aber ich hab nicht das Gefühl, schwanger zu sein.“

Der Internist schaute mich kurz an – dennoch lang genug für mich, seinen Gesichtsausdruck zu verstehen: „Gott, ist die blöd.“

„Gut, ich nehme Ihnen jetzt gleich mal Blut ab und schicke es noch heute ins Labor. Sollten Sie schwanger sein, werden wir das auch hiermit gleich herausfinden.“

Noch am selben Nachmittag rief mein Internist mich an: „Sie sind schwanger.“

„Wie bitte?“, fragte ich.

„Sie sind schwanger.“

„Wirklich?“

„Das sagen die Werte, ja. Herzlichen Glückwunsch.“

Nachdem ich aufgelegt hatte, setzte ich mich erst einmal. Ich war schwanger. „Ich bin schwanger!“, tönte es immer wieder in meinem Kopf. Ich war also nicht mehr allein.

Neugierig und dennoch ungläubig schaute ich auf meinen Bauch. Das ist jemand drin.

Was ich in diesem Moment fühlte, war eine Mischung aus ganz vielen Emotionen – und doch waren diese Emotionen irgendwie nicht greifbar. Ich war schwanger.

Als mein Mann am Abend von der Arbeit nach Hause kam, war ich vorbereitet: Nachdem ich mich von der Überraschungsbotschaft erholt hatte, ging ich glücklich-benommen in die Stadt, kaufte in einer kleinen Kinderboutique lilafarbene Söckchen mit weißen Pünktchen und eine wunderschöne Karte aus handgeschöpftem Papier, in die ich die Neuigkeit mit einem Satz feierlich eintrug: „Herzlichen Glückwunsch, du wirst Vater!“

„Hallo Schatz, wie war dein Tag?“, fragte ich meinen Mann, als er noch vor der Eingangstüre stand und sich die Schuhe auszog. In der Hand hielt ich das kleine Päckchen mit den Babysocken und der Karte.

Ich zitterte vor Aufregung. Wie würde er wohl reagieren?

„Lang“, sagte er lachend, zog seinen Mantel aus und küsste mich zur Begrüßung auf den Mund.

„Ich muss dir übrigens was erzählen!“ Ich versuchte, ganz beiläufig zu klingen.

„Sehr gerne. Aber ehe du mir was erzählst, muss ich dir was berichten. Heute ist nämlich etwas ganz Großartiges passiert.“

Ich starrte ihn ungläubig an. Normalerweise kam er nach Hause und ich erzählte ihm immer zuerst von meinem Tag.

Ich habe bis heute keine Ahnung, was er mir damals erzählte. Wir saßen an unserem Esstisch, und obwohl ich ihn ansah, fummelte ich die ganze Zeit unter dem Tisch an dem kleinen Päckchen herum.

Als er fertig war, stellte ich höflicherweise ein paar Fragen, die mich aber sofort auffliegen ließen.

„Das habe ich dir doch gerade erzählt. Hast du mir überhaupt zugehört?“, fragte er amüsiert.

„Nur ein bisschen“, log ich. „Schau mal, das habe ich für jemanden gekauft, der ein Baby erwartet.“

Da wir damals in unserem Bekanntenkreis tatsächlich sehr viele Schwangerschaftsverkündungen hatten, nahm er das Päckchen unbefangen entgegen und packte es aus. „Süß!“, sagte er und hielt die winzigen Söckchen in seiner Hand. „Für wen sind die?“

Ich reichte ihm die Karte. Ich weiß nicht, wie lang er diesen einen Satz ansah, aber es kam mir vor wie Stunden. Als er aufblickte, hatte er Tränen in den Augen. Dann stand er von seinem Stuhl auf. „Ist das schön! Wir werden Eltern! Herzlichen Glückwunsch auch dir!“, lachte er und drückte mich fest an sich.

Nun wurden also auch wir Eltern. Ich konnte es immer noch nicht glauben.

Der Kreis der Eingeweihten

Viele Frauen warten sicherheitshalber die ersten drei Monate ab, bevor sie mit der neuen Botschaft in die Welt ziehen.

Auch ich wählte mit Bedacht, wem ich wann von meiner Schwangerschaft erzählte. Das hatte aber vor allem einen Grund: Ich wollte nicht hysterisch-fröhlich wirken. Ich war schließlich eine entspannte Schwangere. Eine, die sich ob ihres neuen Untermieters nicht zum Zentrum der Gespräche machen wollte.

Keiner sollte sich in meiner Gegenwart so vorkommen, als sei sein eigenes Leben todlangweilig. Zu gut kannte ich diese Gespräche, in denen eine Schwangere von nichts anderem mehr erzählte als von 4D-Ultraschallbildern, Rückschmerzen, Babykleidung etc.

Diese Euphorie hatte immer etwas von einem neuen Lebensabschnitt, einer Veränderung. Logischerweise.

Doch konnte man selbst zu diesem Zeitpunkt keine Veränderungen in seinem Leben aufweisen, so kam man sich vor wie eine zum Stehen gekommene Murmel, die keinen Antrieb mehr hatte, weiterzurollen. Schwangere brachten einen unbewusst dazu, sein eigenes Leben kritisch zu hinterfragen.

Meine Familie wurde als erstes eingeweiht. Meine Eltern freuten sich riesig, schließlich wurden sie das erste Mal Großeltern.

Es blieb nicht aus, dass meine Mutter in meiner Heimatstadt Menschen traf, die mich schon von klein auf kannten, und schon bald hatte sich die Botschaft meiner Schwangerschaft über diesen Kanal in Windeseile verbreitet.

Plötzlich riefen Freundinnen an, mit denen ich schon jahrelang keinen Kontakt mehr gehabt hatte: Wie gerne sie mich sehen wollten und wie es denn so schwanger liefe.

Nun ja. Es lief rund.

Ich war ob meiner Schwangerschaft von einer normalen Frau zu einer wahren Sensation aufgestiegen und ich fragte mich: War denn eine Schwangerschaft wirklich etwas so Besonderes? Hatte ich irgendetwas nicht mitbekommen?

Sofort fielen mir etliche Situationen in meinem Leben ein, in denen ich mir so einen Beifall geradezu herbeigesehnt hatte. Dass es lediglich eines einzigen Abends mit meinem Mann im Bett bedurfte, um so einen Applaus zu ernten, überraschte und überforderte mich.

Überall, wo ich auftrat, wurde ich beglückwünscht. Die Glückwünsche der anderen Frauen gingen auch oft mit deren persönlichen Schwangerschaftsgeschichten einher. Meist endeten diese mit einer detailliert beschriebenen Entbindungsstory.

Wörter wie Damm- und Notkaiserschnitt oder Presswehen rannen aus den Mündern der schon Erfahrenen. Es war, als freuten sie sich geradezu, endlich ihre persönlichen Erfahrungen wiedergeben zu können.

Grüße aus dem Mutterleib

Die Zeit verging wie im Fluge und ich ertappte mich – neben meiner Entspanntheit – dabei, dass auch ich plötzlich Ultraschallbilder meines Untermieters durch die Gegend schickte. Was war schon dabei? Andere veröffentlichten solche Bilder sogar auf irgendwelchen Plattformen im Netz! Dagegen war das Herumschicken von diesen persönlichen Aufnahmen innerhalb des Verwandten- und Freundeskreises ja reiner Kindergarten.

Jeder, der schon einmal ein 4D-Bildchen seines ungeborenen Babys in der Hand hatte, weiß um die Faszination, die mit Aufnahmen dieser Art einhergeht.

Ja, ich weiß, auch hier gibt es unterschiedliche Meinungen.

„4D-Ultraschallbilder! Lass das lieber! Das Schallen soll auch gar nicht gut fürs Baby sein. Wegen der Lautstärke.“

Andere argumentieren so: „Ist irgendwie abartig, ein Bild von einem ungeborenen Baby zu machen.“

Oder auch: „Ich mag mich überraschen lassen. Ich halte nichts von diesem neumodischen Quatsch!“

Als mir mein Gynäkologe anbot, ein 4D-Ultraschallbild von meinem Baby anfertigen zu lassen, siegte meine Neugier. Und obwohl es sich anfühlt, als stalke man sein eigenes ungeborenes Kind, überwältigte mich diese Aufnahme.

Und so entwickelten sich die Gynäkologengänge zu meinen persönlichen 4D-Events. Je mehr Zeit verging, desto deutlicher wurden die Gesichtskonturen meines Kindes. Für mich ein wahres Wunder.

Mein Bauch wölbte sich zunehmend und ich konnte bald nicht mehr die Gewichtsanzeige meiner Waage sehen. Auch schien es, als bräuchte ich einen Gehwagen, damit ich nicht vornüberstürzte. Nun war auch bald dem letzten Skeptiker bewusst, dass ich schwanger und nicht faul war.

Die Monate schritten voran und kam mir auf der Straße eine Mutter mit ihren Kindern entgegen, wurde ich oft angelächelt.

Mein schwangerer Bauch war wie eine noch ungestempelte Eintrittskarte in eine Welt, in der mich die Erfahrenen mit ihrem Lächeln schon willkommen hießen. Denn letztlich waren sie die Einzigen, die wirklich wussten, was auf mich zukommt.

Ich bin Mutter, nicht neurotisch!

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