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Enzyklopädie Schwangerschaft

Sobald man schwanger ist, geben einem erfahrene Frauen gerne Tipps rund um das Thema Schwangerschaft. Diese Tipps können alles sein: wertvoll, hilfreich, unbrauchbar – oder aber ganz einfach verwirrend. Und plötzlich findet man sich in einem Dschungel der undefinierbaren Wörter wieder.

Schwangerschaftskauderwelsch

Die Welt der Schwangerschaft hat ihre eigene Sprache, die es zu verstehen gilt: Angefangen bei Vaporisator über Stillkissen und Stilleinlagen bis hin zu Pre-Milch, Active Windeln, Movement Sensor Pad, Milchportionierer, Cool Twister, Maxi-Cosi, PEKIP, Pucken etc. pp.

Ob ich denn schon einen Vaporisator hätte, fragte mich zum Beispiel eine Bekannte, die vor Kurzem ein Kind bekommen hatte. Den könne sie mir nur wärmstens empfehlen. Einen Besuch bei Google später konnte ich antworten: „Nein, ich habe noch keinen Dampfsterilisator.“

Als ich bei meiner Freundin Maja war, verschwand diese im Bad und kam kurz darauf mit einem kleinen braunen Fläschchen zurück: „Hier, wenn du magst. Ich hab es nicht lang benutzt.“

„Was ist das?“, fragte ich und nahm ihr das leicht ölige Fläschchen ab.

„Dammöl!“

„Dammöl?“, fragte ich irritiert.

„Ja, damit massierst du dir den Damm. Die Stelle zwischen Scheide und Poloch. Die Beschreibung hab ich leider nicht mehr. Kannst du im Internet nachlesen.“

Es war reine Höflichkeit, dass ich das Fläschchen nicht auf der Stelle fallen ließ. Warum sollte ich denn meinen Damm massieren? Und vor allem: Wie?

Zu Hause schaute ich mir im Internet aufmerksam und gleichermaßen überrascht den Beipackzettel und damit die Handhabung des Öls an. Sodann setzte ich mich auf die Toilette und wendete an, was ich gelernt hatte. Es war sehr befremdlich und vor allem: Wenn es zu einem Kaiserschnitt käme, hätte ich dann monatelang meinen Damm umsonst massiert? Was hätte ich davon außer der Erinnerung an eine verrenkte Körperhaltung?

Das Stolpern über mir unverständliche Begriffe wollte nicht aufhören. Als mir eine schwangere Bekannte meines Bruders erzählte, dass sie bei ihrem Baby nicht ausschlösse, es bei Unruhe zu pucken, fragte ich mich, ob diese Anwendung wohl etwas mit der Stubenfliege Puck gemeinsam habe.

Ob ich mir vorstellen könne, mein Kind später auch zu pucken?

Als ich zugab, nicht im Geringsten zu wissen, was sie eigentlich meinte, klärte sie mich auf.

Wenn Babys schlafen, könne man hin und wieder sehen, wie ihre Arme plötzlich nach oben schnellten. Als ob sie sich erschrecken würden. Der sogenannte Moro-Reflex. Und oft wachten die Babys wegen dieser ruckartigen Bewegung auf und schrien. Bei besagtem Pucken, einer speziellen Einwickeltechnik, würde das Baby mit einer Decke oder speziellen Pucksäcken so eingewickelt, dass es sich nicht mehr bewegen könne. Die Arme würden dabei unter der Decke an den Körper angelegt und festgewickelt. Hinterher sähe das Baby aus wie eine kleine unbewegliche Made. Der Vorteil dieser Methode: Durch das stramme Einwickeln verhelfe man dem Baby zu einem entspannten Schlaf.

Zu Hause machte ich mich schlau und las viele Artikel über das sogenannte Pucken. Es stellte sich heraus, dass diese Technik sehr umstritten war.

Befürworter sagten, dass das enge Einwickeln den Moro-Reflex unterbinde. Diesen Reflex, auch Klammerreflex genannt, besitzen Jungtiere, die von ihren Eltern am Körper getragen werden. Drohen die Jungen herunterzufallen, greifen sie sofort im Fell der Eltern nach und halten sich fest. Evolutionsbiologen führen diese Reaktion beim Säugling darauf zurück, dass menschliche Babys früher ebenfalls aktive Traglinge waren.

Die Gegner hielten dagegen, dass das Kind nur aufgrund von Resignation aufhöre zu schreien. Diese Resignation wiederum sei das Ergebnis von Wut, aus der gewickelten Enge befreit werden zu wollen.

Langsam mutierte auch ich immer mehr zur Wissenden. Als ich meiner Bekannten Gaby von meinen Recherchen zum Thema Pucken erzählte, war sie unbeeindruckt und riet mir zur Gelassenheit. Sie selbst habe während ihrer Schwangerschaft nicht einen einzigen Ratgeber gelesen.

Und schon bald wurde mir bewusst, dass schon in der Schwangerschaft zwei Gruppierungen aufeinandertrafen: die wissbegierig Lesenden gegen die „Ich hör lieber auf meinen Instinkt“-Fraktion.

Liest du schon oder bleibst du noch ruhig?

Die eine Fraktion verschlingt wirklich jeden Elternratgeber. Motivation dieser Lesedynamik sind entweder Neugier, Angst oder einfach das dringende Bedürfnis, sich auf das Unsichere so gut wie möglich vorzubereiten. Die Elternratgeber sind für diese Menschen eine Art Betriebsanleitung.

Die andere Fraktion ist der Meinung, keinen dieser Ratgeber zu brauchen, bedingt durch unerschütterliche Selbstsicherheit oder Lesefaulheit.

Wie bei allen anderen Themen rund um die Schwangerschaft und um das Mutterdasein kann das Thema Pro bzw. Contra Elternratgeber zu einer richtig gefühlsgeladenen Diskussion werden. „Ich bin der Meinung, dass man das einfach alles instinktiv richtig macht!“ wird übertrumpft von „Ach, genau darüber hab ich neulich etwas gelesen. Neueste Studien zeigen, dass das völlig veraltet ist. Man hat da sogar spezielle Tests durchgeführt.“

In diesem Meinungskrieg gewinnt niemand. Jede Fraktion belächelt die andere.

Während meiner Schwangerschaft habe ich viel gelesen. Ich gehörte jener Fraktion an, die sich tatsächlich möglichst viel Wissen aneignen wollte, bevor das Mysterium Baby das Licht der Welt erblickt. Ich genoss es zum einen, mich mit den neuen Themen meiner zukünftigen Welt vertraut zu machen, zum anderen hatte ich das Gefühl, zumindest ein wenig vorbereitet zu sein. Je mehr ich las, desto mehr erfuhr ich über Bonding, Pucken, Entbindungsmöglichkeiten und viele andere Themen. Und desto unsicherer wurde ich.

Über jedes Thema, so schien es, schlugen sich Experten und Mütter die Köpfe ein. Es war nicht leicht, sich in diesem Dschungel eine eigene Meinung zu bilden.

Gerade dann, wenn man noch kein Kind hat, ist es, als würde man eine theoretische Abhandlung darüber lesen, wie man am besten eine Geige stimmt: Solange man selbst keine Geige hat, ist das Nachvollziehen schwierig.

Dennoch reihte sich ein Buch nach dem anderen in mein Bücherregal, denn irgendwie hatte jede Schwangere oder Mutter einen tollen Buchtipp.

„Das musst du lesen! Das ist so toll geschrieben!“, tönte es immer wieder in meinem Ohr.

Also kaufte ich. Denn nicht zu vergessen: Schon hier kamen die – wie ich sie bis heute nenne – „Korrekturkäufe“.

„Nee, das ist nicht so gut“, urteilte eine Freundin über ein frisch gekauftes Buch. „Das, was ich habe, ist viel besser. Das steht alles noch einmal ganz detailliert beschrieben drin. Über das, was du hast, gibt es auch ziemlich kontroverse Meinungen, habe ich mal gelesen.“

Auch tätigte ich gerne Zukunftskäufe: „Das Buch wirst du echt brauchen. Da wird das Verhalten des Kindes in jedem einzelnen Monat seines Lebens beschrieben. So toll! Wenn du dich dann z.B. wunderst, warum dein Kind so anhänglich oder launisch ist, schaust du einfach im entsprechenden Alterskapitel nach und dann erfährst du es. Also, bei uns hat das meistens immer genau gepasst!“

„So ein Scheiß!“, erwiderte meine Freundin Maja, als ich ihr von diesem Buch erzählte. „Das hat bei uns nur ganz selten zugetroffen!“

Zu spät, ich hatte das Buch bereits gekauft, denn ohne es zu wissen, hatte ich eine weitere Schwelle übertreten. Eine Schwelle, der sich keine Mutter entziehen kann: die Schwelle zum mütterlichen Kaufrausch.

Aber jetzt zurück zu meinem neugewonnenen Wissen: Wenn ich früher Müttern bei ihren Gesprächen zuhörte, hielt ich den Austausch von diesen mir nichtssagenden Fachbegriffen immer für eine stolze Zurschaustellung ihrer Schwangerschaft. So, wie es manchmal in Gesprächen unter Experten zu beobachten ist: diese leicht überhebliche Art der Kommunikation. Wissend, dass niemand oder nur sehr wenige Ausgewählte ihrem Gespräch folgen können.

Das Frappierende: Auch man selbst wird früher oder später zu solch einem Experten.

Und ehe man sich versieht, unterhält man sich selbst ganz fachmännisch über PDA, Moro-Reflex, Kolostrum, Mastitis, Objektpermanenz etc. pp.

Ich bin Mutter, nicht neurotisch!

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