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Die syro-palästinische Weisheitstradition

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Von einer eigentlichen syro-palästinischen Literatur kann wohl erst ab dem 13./12. Jh. v. Chr. gesprochen werden. Zwar gab es bereits im 14. Jh. v. Chr. eine intensive diplomatische Korrespondenz der syro-palästinischen Fürsten mit dem ägyptischen Pharao, der zu dieser Zeit Syrien-Palästina dominierte. Die entsprechenden Texte dieser sogenannten Amarna-Korrespondenz42 sind aber in akkadischer Sprache und Keilschrift abgefasst und lassen zwar aufgrund ihrer sprachlichen Eigenarten einige Rückschlüsse auf die akkadische Umgangssprache in Syrien-Palästina zu, sind aber noch keine nordwestsemitischen Texte im eigentlichen Sinn. Erst mit den Texten aus Ugarit, die aus dem 13./12. Jh. v. Chr. stammen und neben der akkadischen Silbenkeilschrift auch und vor allem eine alphabetische Keilschrift verwenden, sind eine nordwestsemitische Sprache und Kultur greifbar.

Ugarit

Die Texte aus Ugarit geben zahlreiche Einblicke in die kanaanäische Götterwelt und sind daher für die Rekonstruktion der syro-palästinischen Mythen und Kulte im 2. Jt. v. Chr. von unschätzbarem Wert; im Kontext der Frage nach der Weisheitsliteratur sei hier zumindest auf die höchste ugaritische Gottheit verwiesen, den Gott El, der als Gott der Weisheit gilt43. Neben den großen Mythen und Epen finden sich unter den ugaritischen Texten auch zahlreiche kleinere Dokumente, die wirtschaftliche oder administrative Informationen beinhalten. Dass auch in Ugarit weisheitliches Denken gepflegt wurde, kann man aufgrund der engen Kontakte Ugarits nach Mesopotamien und Ägypten mit guten Gründen annehmen, auch wenn sich bisher keine den ägyptischen oder mesopotamischen Weisheitstexten entsprechende umfangreiche weisheitliche Literatur gefunden hat. Kleinere Spruchsammlungen, die allerdings auf Akkadisch abgefasst wurden, deuten jedoch darauf hin, dass weisheitliche Traditionen auch in Ugarit gepflegt wurden44. Die leitende Kultur wird dabei wohl die mesopotamische gewesen sein, deren Curricula und Weisheitssammlungen offensichtlich auch in der Ausbildung der ugaritischen Schreiber Verwendung fanden. Eine Schule als eigenes Gebäude und Institution ist in Ugarit zwar nicht nachweisbar, zahlreiche eindeutige Tafelfunde, die Korrekturvermerke enthalten oder als Abschreibeübungen identifiziert werden können, legen aber den Schluss nahe, dass es ein Bildungswesen gab, das seinen Ort vielleicht nicht in einem eigenen Gebäude, sondern in den Wohn- und Lebensräumen der Familie hatte45.

Phönizien

Ähnlich schmal wie für die ugaritische Weisheit ist die Quellenlage für die phönizischen Stadtstaaten, die ihre Blütezeit im 1. Jt. v. Chr. erlebten und die direkten nördlichen Nachbarn Israels waren. Erhalten sind einige phönizische Bau- und vor allem Grabinschriften, die aber keine Rückschlüsse auf die gepflegten Weisheitstraditionen zulassen. Gerade für die Rekonstruktion der phönizischen Kultur ist man auf außerphönizische Zeugnisse angewiesen – wie etwa das Alte Testament. Dort wird in Ez 28,3–5 der tyrische König wegen seiner Selbstüberschätzung angegriffen, wobei auch auf seine Weisheit Bezug genommen wird, die diejenige Daniels übersteige – ob hier auf den aus der Bibel bekannten Daniel angespielt wird oder auf eine aus den ugaritischen Epen bekannte Gestalt oder beide ein und demselben Traditionsstrang angehören46, lässt sich wohl nicht mehr eindeutig klären. Derartige Notizen geben jedenfalls Hinweise darauf, dass die Phönizier nicht allein aufgrund ihrer Handelsaktivitäten, sondern auch wegen ihrer Bildung und Weisheit bekannt und berühmt waren. In der antiken Tradition gelten sie als die Erfinder der Alphabetschrift, auf die sowohl das althebräische als auch das griechische Alphabet zurückgehen. Insbesondere die Stadt Byblos galt als Sitz der Weisen; das griechische Wort biblion hängt wohl mit dem Namen dieser phönizischen Küstenstadt zusammen, die in der Antike einer der wichtigsten Umschlagplätze für den aus Ägypten stammenden Papyrus war, den die Griechen aus Byblos importierten und ihn daher als ,das Byblische‘, to biblion, bezeichneten47. Dass innerhalb eines derartigen kulturellen Milieus Bildung, Wissenschaft und damit auch Weisheit ihren festen Ort hatten, lässt sich eigentlich kaum bezweifeln – dennoch ist über die Inhalte phönizischen Wissens und weisheitlichen Denkens aus eigenen Texten nichts Konkretes bekannt.

Dass Weisheit aber in der Umwelt des antiken Israel einen hohen Stellenwert hatte, zeigt sich nicht nur am Hiobbuch, das seinen Helden und die drei Freunde Hiobs geographisch nicht in Israel verortet48, sondern auch an Zuschreibungen einzelner Weisheitssammlungen wie etwa der Sprüche Agurs (Spr 30) oder der Worte an Lemuel (Spr 31,1–9), die die Texte außerhalb Israels, nämlich in Massa, ansetzen. Ähnliches gilt etwa für die Erzählung von der Reise der Königin von Saba nach Jerusalem, die dort Salomos Weisheit kennenlernen möchte. Historisch lässt sich diesem Text wohl kaum etwas über das 10. Jh. v. Chr. entnehmen; die Szene zeigt aber, wie groß das Interesse an Weisheit und Bildung war und welche Strapazen – wenn auch nur literarisch – man einer südarabischen Herrscherin zumuten konnte, wenn es darum ging, einen weisen König persönlich kennenzulernen49.

Achiqar-Roman

Dass die kulturellen Austauschprozesse innerhalb des Alten Orients immens waren, zeigt sich an einem Text, der in aramäischer Sprache erhalten ist, nach eigener Aussage aber nach Mesopotamien gehört. Es handelt sich um den Achiqar-Roman, der nicht nur in einer aramäischen Fassung, sondern auch in syrischer, arabischer, äthiopischer und auch türkischer Sprache überliefert wurde – wenn auch in sehr unterschiedlichen Fassungen. Die aramäische Fassung wurde in Form eines Papyrus, der sich wohl aus 20 Kolumnen zusammensetzte50, auf der Nilinsel Elephantine gefunden, wo sich eine jüdische Militärkolonie befand. Der aramäische Text des Papyrus aus dem 5. Jh. v. Chr. gliedert sich in eine Rahmenerzählung und einen aus Einzelsprüchen bestehenden Mittelteil, der innerhalb des Gesamttextes als eine Unterweisung des neuassyrischen Hofratgebers Achiqar erscheint, der sich an seinen Neffen wendet. Der Neffe dankt die Unterweisung seinem Onkel jedoch schlecht und intrigiert gegen ihn, so dass der assyrische König die Hinrichtung Achiqars anordnet; der Henker schützt Achiqar allerdings, bis der König seinen Befehl ändert und Achiqar rehabilitiert. Das Buch ist in seiner vorliegenden Form das Ergebnis einer Komposition von Rahmenerzählung und Spruchsammlungen, die aufgrund sprachlicher und stilistischer Beobachtungen als älterer Bestandteil zu deuten sind. Es zeigt sich an diesem Papyrus, wie weit altorientalische Weisheitstraditionen verbreitet waren: Im Kontext einer jüdischen Militärkolonie in Ägypten werden eine Weisheitsgeschichte und eine Spruchsammlung, die neuassyrisch geprägt ist, in aramäischer Sprache abgefasst und zusammengestellt. Der Achiqar-Roman ist damit eines der herausragenden Zeugnisse altorientalischer Interkulturalität.

Bildungswesen

Dass diese interkulturellen Prozesse, die anhand solcher Beispiele erkennbar werden, Syrien-Palästina beeinflusst haben, liegt trotz der wenigen Dokumente, die dafür außerhalb der Hebräischen Bibel herangezogen werden können, auf der Hand. Es ist daher auch nicht vollkommen abwegig, für Syrien und Palästina ein ähnliches Bildungswesen anzunehmen, wie es für Ägypten und Mesopotamien belegt ist – mit Schreiberschulen, Bildungscurricula und entsprechenden didaktischen Materialien. Sehr erstaunlich ist allerdings, dass sich bisher keine archäologischen Hinweise auf solche Einrichtungen finden ließen. Möglicherweise müssen die institutionellen Formen, in denen sich das syro-palästinische Bildungswesen abspielte, sehr differenziert betrachtet werden; vielleicht spielten die Familie und die familiäre Unterweisung eine größere Rolle, als das die Texte aus der Umwelt nahelegen. Insbesondere für Israel ist die Unterweisung durch den Vater, die in den entsprechenden Wendungen und Anreden mit ,Mein Sohn!‘ innerhalb des Sprüchebuches anklingt, auch außerhalb der Weisheitsschriften bezeugt – so bildet beispielsweise in Ex 12,26; 13,14; Dtn 6,20; Jos 4,6 die Frage der Söhne bzw. des Sohnes den Anlass für die antwortende Nacherzählung bestimmter heilsgeschichtlicher Ereignisse. Womöglich prägte die Form der Weitergabe des Wissens um die Heilsgeschichte auch andere Formen der Unterweisung, die außerhalb Israels ihren Ort im Schul- bzw. Tafelhaus hatten. Andererseits ist es nicht denkbar, dass Kenntnisse wie die des Schreibens und Lesens, zumindest für die Zwecke des Königshauses, nicht auch in eigenen Einrichtungen des Hofes vermittelt wurden; ob sich das schon für die frühe Königszeit annehmen lässt, bleibt angesichts der neueren Einsichten in die Geschichte Israels im 10./9. Jh. v. Chr. eher fraglich – für die spätere Königszeit kann damit aber doch wohl gerechnet werden51.

Einführung in die alttestamentliche Weisheitsliteratur

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