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Die eigene Wahrheit

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Auf der Suche nach Lösungen nach mehr Klarheit im christlichen Konzept, muss ich zuerst einige besondere, psychologische Aspekte ansprechen.

Die Psyche des Menschen ist ungeahnt vielschichtig. Als Resümee lässt sich sagen: Du trägst die ganze Zeit immer Deine Vergangenheit mit Dir herum.

Eines der größten Eigenschaften des Menschen ist der Umgang mit der eigenen Wahrheit. Du wirst niemals erleben, dass Menschen alle eine gemeinsame Wahrheit auch als solche verstehen.

Jede Wahrheit ist unterschiedlich.

Das, was wir sehen, hängt davon ab, wie wir es betrachten (… wollen).

Völlig egal, was Du siehst. Alles, alles, alles wird von Dir zuerst in Deinem Geist bewertet und beurteilt, bevor Du es in Dich aufnimmst.

Du bringst alle Deine Erfahrungen in jede Betrachtung mit hinein, Deine Kindheit, Deine Traumata, Deine Träume, Deine Stimmungen, Deine Intelligenz und Dein Lebens- Umfeld.

Jedes Sonnenlicht, jeder Windhauch, jeder Regentropfen auf Deiner Haut wird von Dir so empfunden, wie Du bist.

Das, was Du bisher erfahren hast, das ist Deine jetzige Empfindung, und das ist Deine jetzige Wahrheit.

Du bringst Deine Freude mit, Deinen Streit, Deine Konflikte, Deine Sorgen. Wenn Du etwas ansiehst, wenn ein Mensch zu Dir spricht, wenn ein Vogel am Himmel zwitschert – alles, was Du siehst, egal was:

Du schaust zuerst in Deinen eigenen Spiegel.

Zuerst siehst Du Dich selbst an, und dann siehst Du das, was Du sehen willst. Und erst dann proklamierst Du Deine eigene Wahrheit.

Deine Wahrheit bist immer Du selbst.

Jede Wahrheit, die Du für richtig hältst, ist der Blick in Deinen eigenen Spiegel.

Ich nenne Dir ein Beispiel:

Fünf Personen sehen eine Wolke:

Nummer 1 sagt: “ Oh, wie ist das wunderschön!“

Nummer 2 sagt: “ Lass uns reingehen, gleich regnet es.“

Nummer 3 sagt: “ Ich habe Angst, ein Gewitter kommt.“

Nummer 4 sagt: “ Das alles hat Gott gemacht.“

Nummer 5 sagt: “ Interessant, wie sich Kondensat in solch einer Höhe halten kann.“

Dieses Beispiel lässt sich beliebig fortführen, und es zeigt, dass jede Lebenssituation bei den Menschen stets unterschiedliche Reaktionen hervorruft.

Wenn Du dieses Beispiel fortführen würdest, könntest Du feststellen, dass kein Bereich des Lebens ausgenommen werden kann, der nicht von den Menschen unterschiedlich betrachtet, interpretiert und mit unterschiedlichen Gefühlen behaftet wird.

Ich nehme als Mensch Dinge anders wahr als ein anderer, und für mich ist das die richtige und wahre Ansicht. Meine Art zu denken ist gesteuert. Sie wird geleitet durch Erfahrungen und Muster.

Mein Bewusstsein spielt sich im Kopf ab.

Ich bin geprägt. Meine Kindheit, meine Jugend, meine Familie, meine Erfahrungen, meine Welt. All das prägt mich und leitet meine Gedanken und meine Gefühle.

Diese Prägung aus früher Kindheit geht bis ins hohe Alter hinein. Du kannst Dich nicht dagegen wehren.

Ich bilde meine Erfahrungen aus meiner Erlebniswelt.

Immer bin ich es selbst, als Mensch, der die Situation bewertet, und dazu nehme ich meine eigenen Muster als Grundlage.

Beispiele gibt es unendlich viele: Erfahrungen, Konditionierungen, Familiengeschichte, Sorgen, Ängste, Aggressionen, Fähigkeiten, Konfliktlösung und vieles mehr.

Ich selbst bin es, der den Sonnenuntergang zu einem schönen Farbenspiel macht, zu einem Fingerzeig Gottes, oder zur Ankündigung auf eine gruselige Geisternacht.

Wie lange meine Zündschnur ist, bis ich aus der Haut fahre: Das ist nicht der andere, das bin ich. Noch nicht einmal das: Es ist meine Konditionierung und die Prägung aus meiner Kindheit.

Der menschliche Geist ist dazu fähig, seine Umwelt so zu betrachten, wie sie für ihn richtig erscheint. Sie erscheint ihm so, wie er sie sich selbst eingerichtet hat.

In dem Moment, in dem Du das verstehst, kannst Du Dich vom Streit mit anderen befreien. Vorher nicht. Vorher bist Du das Opfer Deiner Konditionierung.

Jeder Mensch trägt seine eigenen Wahrheiten mit sich herum. Jede Wahrheit hat seine Berechtigung und ist der anderen Wahrheit gegenüber in gewisser Weise gleichwertig.

Niemand hat das Recht zu sagen: „Meine Wahrheit ist wahrer als Deine“.

„In gewisser Weise“ bedeutet nicht, dass ich die andere Meinung einfach akzeptieren muss.

Ein Walfänger findet es in Ordnung, Wale zu jagen. Ein Henker findet es in Ordnung, den Hebel umzulegen. Ein brasilianischer Bauer findet es in Ordnung, Urwald in Brand zu setzen. Natürlich geht ein Mörder nicht straffrei aus, bloß weil er das für richtig hält.

Nur, Deine Wahrheit ist für Dich gültig, nicht für andere.

Wenn Du den anderen wirklich verstehen willst, dann gehe erst einen Kilometer weit in seinen Stiefeln.

In Gottes Stiefeln möchte ich eigentlich nicht so gerne herumlaufen. Wir müssen 3 Charaktere Gottes voneinander unterscheiden: 3 Wahrheiten

1. Gottes Wahrheit

2. Die Wahrheit der Bibelschreiber

3. Die Wahrheit der christlichen Kirche

Gehen wir einmal völlig wertfrei davon aus, Gott würde existieren. Alles würde nach seinem Drehbuch verlaufen: Er erschuf die Welt und sorgte dafür, dass der Andromedanebel und die Milchstraße sich so langsam aneinander annäherten, so dass sie in ca. 2 Milliarden Jahren aufeinandertreffen.

Vier oder fünf Tage später erschuf er Adam, Eva und die Schlange, und irgendwie gab es Stress, was auch immer passiert ist, am siebten Tage standen die drei vor dem Tor des Paradieseingangs und guckten sich betroffen an.

Unser braver Simon, angenommen, er hätte glaubwürdige Informationen über die wahren Begebenheiten, würde die ganze Geschichte niederschreiben. Er konnte nicht anders, er schrieb die Geschichte so, wie er sie verstanden hat.

Er hatte gerade zuvor seinen Esel geschlagen und seinen ältesten Sohn geohrfeigt und benutzte, wie hätte er es auch anders können, sein eigenes Weltbild, sein eigenes Gerechtigkeitsbewusstsein und seine eigene Logik, um das alles so zu beschreiben, bis er zufrieden damit war.

Die Kirchengelehrten, brave, gläubige Mönche, schrieben die alten Schriften in Dutzenden von Generationen ab und fanden zum Beispiel, dass die Dreieinigkeit Gottes sich so toll anhörte, dass dies in die Bibel reinmusste, bis endlich die Vulgata einen Schlussstrich unter den Wildwuchs der Abschriften setzte und die finale Version herausgab.

Martin Luthers deutschsprachige Übersetzung und King James englische Übersetzung zeigen im Vergleich den Unterschied, was Wortwahl und Sprachnuancen alles ausmachen können.

Und der arme Priester auf der Kanzel liest das alles seiner Gemeinde vor, und die versteht nur das, was sie imstande ist zu verstehen, nämlich:

Die Frau war es. Sie hat Adam verführt.

DIE KIRCHE – Völlig am Ende

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